Das “Lange Jetzt”, Anthropozän-Fossilien und transdisziplinäre Wissenschaften – Herausforderungen und Chancen für die paläontologische Öffentlichkeitsarbeit

Die Faszination der Paläontologie für die Öffentlichkeit speist sich zu einem großen Teil aus der Faszination für Dinosaurier und anderer Urtiere. Hier treffen Science-Fiction-Fantasien auf die Erkenntnis, dass es solch „unwirkliche“ Wesen und Welten wirklich gegeben hat und die Paläontologie dies erklären kann. Die langen erdgeschichtlichen Zeiten, die Fossilien und das über die heutige Welt Hinausgehende, das Andersartige sind der Schlüssel für diese Wahrnehmung.

altFaszination Paläontologie? “Dinolisa” (Privatbesitz)

Die öffentliche Fixierung auf Dinos und fossile Seeungeheuer erschwert es jedoch, die weiteren Themen der Paläontologie zu vermitteln. Paläontologie wird kaum mit Zukunftsrelevanz in Verbindung gebracht, obwohl das Fach nicht nur wesentlicher Bestandteil der Erdsystemwissenschaften, sondern auch essenzieller Partner für die Anthropozän-Wissenschaften ist. Planetare Leitplanken, Interkonnektivität von Geo-, Bio-, Hydro- und Atmosphäre sowie der Anthroposphäre, die Rolle des Menschen als geobiologischer Systemfaktor, aber auch Lösungsansätze für ein nachhaltiges Management der Welt können auf Szenarien aus der Erdgeschichte, auf stratigraphische Methoden und auf aktuogeobiologische Erkenntnisse nicht verzichten.

the Long Now Clock - PrototypePrototyp der “Long Now-Clock”, die 10.000 Jahre funktionieren soll
und dazu beitragen soll, unser derzeitiges Tun auch in seiner Konsequenz
für die Zukunft zu verstehen. Bildquelle und nähere Informationen: http://longnow.org

 

Vieles von dem was wir jetzt tun hat Auswirkungen in geologischen Zeiträumen. Dies gilt etwa für anthropozän bedingte Klimaänderungen, massive Änderungen der Sedimentation, Lücken nach Artensterbeereignissen, oder nukleare Unfälle. Der Kurzskaligkeit dieser Welt kann die Paläontologie die Bedeutung der Langskaligkeit entgegensetzen. Zukünftige Anthropozän-„Fossilien“ wie Spuren menschlicher Bautätigkeit, Haustiere, invasive Arten, Chemofossilien oder Müllpartikel können erklären helfen wie es generell zu Fossilbildung kommt, wie diese transportiert und abgelagert werden. Zukunftszenarien müssen auch auf erdgeschichtliche Szenarien zurückgreifen. So können Szenarien der Perm/Trias, oder Paläozän/Eozän-Grenze auch als Zukunftsmodelle, teilweise sogar zum Test numerischer Klimamodelle verwendet werden. Viele andere Wissenschaften benötigen also Wissen und Methoden der Paläontologie und Geobiologie. Historiker mischen sich sehr wahrnehmlich in die Anthropozän-Debatte ein, warum nicht auch Erdhistoriker? Auch mit Archäologen , Geographen, Sozial- und Geisteswissenschaften sollte interdisziplinär geforscht werden.

Mögliche Anthropozän-Fossilien? (aus Planet under Pressure)Könnten Anthropozän-Fossilien so aussehen?
aus: www.planetunderpressure2012.net/images/anthropocene_cartoon.jpg

Eine moderne Paläontologie kann viel für die Etablierung der Wissensgesellschaft tun: die vielfach geforderte Transdisziplinarität benötigt Partizipation, ein Ansatz, der in der Paläontologie durch wissenschaftliche Kooperation mit Hobbypaläontologen sehr gut etabliert ist. Paläontologische Sammlungen und Museen erlauben daneben die Authentifizierung von Forschung durch Objekte, die gleichermaßen wissenschaftliche Objektdatenbanken wie auch Kulturgüter darstellen. Nicht zuletzt ist es notwendig, sich auch an Visionendiskussion zur Zukunft der Erde zu beteiligen. Ausstellungen können auch vorwärtsgewandt gestaltet werden, auch an Anthropozän-Ausstellungen sollte sich die Paläontologie beteiligen. Es liegt auch an der Paläontologie, die Entwicklung der Erde nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch für die Zukunft als Prozess anzusehen, bei dem nun eben der Mensch zum Teil dieses Prozesses geworden ist , indem er Paläontologie-relevante Themen wie Stratigraphie, Anpassung, Selektion, Sedimentation, Meeresspiegel, Klima, geobiologische Stoffflüsse, trophische Strukturen und weitere ökologische Dynamik wesentlich und auch auf langfristigen Skalen mitbestimmt.

Eine Paläontologie, die relevant nicht nur für Dinosaurier und Meeresungeheuer, sondern auch für biofuturistische Szenarien ist, hat das Potenzial, Faszination in einer neuen aktuellen Dimension zu schaffen.

(Dieser Beitrag basiert auf einem Keynote-Vortrag, der im Rahmen des Symposiums “Öffentlichkeitsarbeit – Vernetzung oder Abgrenzung” auf der Jubiläumstagung der Paläontologischen Gesellschaft (24.-29.9.2012) in Berlin präsentiert wird)

 

Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

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