Das Anthropozän – Was bin ich und wenn ja, wie viele?


Das Anthropozän hat in seiner kurzen, aber lebhaften Geschichte viele Gesichter entwickelt. Eine neue Studie, unter Beteiligung der Freien Universität Berlin, zeigt wie sich diese zu einem umfassenderen Verständnis summieren können.

Eines der Merkmale einer erfolgreichen wissenschaftlichen Idee ist, wie schnell sie sich konzeptionell weiterentwickeln kann. Im Fall des Anthropozäns hat diese Weiterentwicklung mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit stattgefunden. Die überaus einflussreiche Hypothese, die der im Januar 2021 verstorbene Nobelpreisträger Paul Crutzen[1] im Jahr 2000 aufstellte, postulierte, dass die Handlungen der industrialisierten Menschheit die Erde so stark beeinflusst haben, dass sie eine neue erdgeschichtliche Epoche auslösten. Ursprünglich entwickelte sich das Anthropozän in der Gemeinschaft der Erdsystem-Wissenschaften , welche globale Umweltveränderungen erfassen und bewerten – der immense Einfluss des Menschen auf das Erdsystem ist ein Faktum. Parallel begannen Geologinnen und Geologen, zu untersuchen, ob sich dadurch auch die Sedimente verändern – auch dies ist inzwischen längst nachgewiesen – und ob damit wirklich formell die geologische Zeitskala um eine neue Einheit ergänzt werden muss – eine noch laufende Arbeit der Anthropoocene Working Group (AWG) unter der Leitung eines Teams der Universität Leicester (Professoren Zalasiewicz, Waters, Williams) sowie unter Beteiligung anderer britischen und internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (darunter Professoren Reinhold Leinfelder, Freie Universität und Jens Zinke, vormals Freie Universität, nun Universität Leicester [2] ).

Das Konzept verbreitete sich schnell in den Natur-, Kultur- und Geisteswissenschaften. Darüber hinaus wurde es zu einem zentralen Rahmenkonzept des IPCC, des UN-Umweltprogramms und des internationalen Rechts“, erklärt Waters. Mit einem solch tiefgreifenden Einfluss auf so viele verschiedene Gemeinschaften mit ganz unterschiedlichen Grundlagen und Sichtweisen kamen jedoch auch große Fragen darüber auf, was das Anthropozän tatsächlich umfasst und wann es begann.

Ursprünglich schlug Crutzen (später ebenfalls Mitglied der AWG) vor, das Anthropozän mit dem Durchstarten der industriellen Revolution im ausgehenden 18. Jahrhundert beginnen zu lassen, doch spätere Analysen der Anthropocene Working Group (AWG) rejustierten diese Einschätzung – auch bei Crutzen. “Die größten Veränderungen, also insbesondere der Bevölkerungszahl, der Industrialisierung und der Globalisierung haben mit der ‘Großen Beschleunigung’ der Boomjahre nach dem Zweiten Weltkrieg Mitte des 20. Jahrhunderts stattgefunden“, erklärt Zalasiewicz. “In dieser kurzen Zeitspanne – etwas weniger als der Dauer eines durchschnittlichen Menschenlebens – hat die Menschheit mehr Energie verbrannt als in den vorangegangenen 12 Jahrtausenden und darüber hinaus“, sagte Williams. Dies treibt die physikalischen, chemischen und biologischen Veränderungen auf der Erde voran, die nun die Biosphäre und das Klima destabilisieren und Aufzeichnungen in den heutigen Schichten hinterlassen – einschließlich Plastik, Beton und Hühnerknochen – , die das als „Technofossilien“ sowie weiterer anthropogener Geosignale das Anthropozän in der Geologie begründen.

Betrachtet man das Anthropozän jedoch aus einer mehr auf den Menschen bezogenen Perspektive, so kann man die menschlichen Einflüsse auf die Umwelt in den Vordergrund stellen, welche Tausende von Jahren zurückreichen. Sollte also der Beginn des Anthropozäns auf diese frühesten Einflüsse zurückgeschoben werden, etwa auf das Abholzen von Wäldern, die die Domestizierung von Tieren und die Ausbreitung von Ackerböden ermöglichten, oder die Verknüpfung der „Neuen Welt“ mit der Alten? „All diese Ideen und weitere sind in den intensiven Diskussionen um dieses lebendige und kraftvolle neue Konzept aufgetaucht – und jede davon rückt es in ein anderes Licht“, fügt das neue AWG-Mitglied Jens Zinke (UofL)hinzu. Was also ist das Anthropozän?

Abb. 1: Das erweiterete Mehrebenen-Konzept des Anthropozäns (aus Zalasiewicz et al., 2021; siehe auch original-Bildunterschrift oben)

Eine neue Publikation der AWG, mit einem breiten Spektrum beteiligter Fachdisziplinen, stellt sich dieser schwierigen Frage, von deren Lösung es abhängt, wie das Anthropozän im menschlichen Denken verankert sein wird. “Wenn man die vielen Interpretationen des Anthropozäns seziert, stellt man fest, dass eine Reihe von recht unterschiedlichen, aber sich überschneidenden Konzepten im Spiel sind“, so Waters. Die Debatte hat viele Barrieren zwischen akademischen Disziplinen durchbrochen – aber auch zur Gefahr der Verwechslung verschiedener Bedeutungen des Begriffs geführt. Wie sollte dies gelöst werden? Die Autoren greifen das von Paul Crutzen initiierte und von Reinhold Leinfelder (Co-Autor der Studie) weiterentwickelte Mehrebenenkonzept des Anthropozäns sensu largo auf (Abb. 1) und regen an, die Debatte zwischen den verschiedenen Disziplinen zu vertiefen. Dazu schlagen sie vor, dass eine eventuelle Formalisierung des Anthropozäns sensu strictu in der Geologie dazu beitragen würde, dessen konzeptionelle Interpretation und Verwendung zu stabilisieren. Damit könne das Konzept zu einem wichtigen gesellschaftlichen Ansatz werden, um die vielen Herausforderungen der entstehenden anthropozänen Welt zu bewältigen. Leinfelder meint dazu: „Um die Prozesse, also Ursachen, Dynamiken und deren Auswirkungen zu analysieren, aber auch Lösungsansätze zu erarbeiten, benötigen wir nicht nur ganze Bandbreite von Fachdisziplinen aus Natur-, Geistes, Kultur-, Technik-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, sondern auch deren enge Kooperation und Vernetzung. Das Anthropozän erscheint hiermit als ideales, zukunftsorientiertes Konzept zur integrativen, systemischen Erforschung, Analyse, Kommunikation und Lösung komplexer Mensch-Natur-Beziehungen.”   Ein Anthropozän im engeren Sinne (gemäß der formalen Definition im geologisch-stratigraphischen Sinne), wäre damit eingebettet in ein Anthropozän im weiteren Sinne, welches auch die “Meilensteine”, also Prozesse und Entwicklungen auf dem Weg in das neue Erdsystem seit Mitte des 20. Jahrhunderts untersucht (Entwicklung der Anthroposphäre im “Prä-Anthropozän” bzw. “Proto-Anthropozän”)  und dabei basierend auf diesem systemischen Verständnis sowohl Verantwortlichkeiten benennt als auch Zukunftswege aufzeigt (konsequenziale Metaebene des Anthropozäns)[3]

Publikation: (finale Version erschienen am 26.3.2021)

Zalasiewicz, J. Waters, C.N., Ellis, E.C., Head, M.J., Vidas, D., Steffen, W., Thomas, J.A., Horn, E., Summerhayes, C.P., Leinfelder, R., McNeill, J.R., Gałuszka, A., Williams, M., Barnosky, A.D., Richter, D. DeB., Gibbard, P.L., Syvitski, J., Jeandel, C., Cearreta, A., Cundy, A.B., Fairchild, I.J., Rose, N.L., Ivar do Sul, J.A., Shotyk, W., Turner, S., Wagreich, M. & Zinke, J. 2021. The Anthropocene: comparing its meaning in geology (chronostratigraphy) with conceptual approaches arising in other disciplines. Earth’s Future.

https://doi.org/10.1029/2020EF001896 (open access)

(Hinweis: dieser Text ist ein von der Lead-Gruppe der AWG konzipierter und von R. Leinfelder adaptierter, übersetzter und ergänzter Entwurf zur Öffentlichkeitsarbeit, siehe nachfolgend)

Kontakt:         

  • Prof. Colin Waters, AWG Chair:  cw398@le.ac.uk
  • Dr. Simon Turner, AWG Secretary: simon.turner@ucl.ac.uk
  • Prof. Jan Zalasiewicz, former AWG Chair, lead author:  jaz1@le.ac.uk
  • Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Freie Universität Berlin: reinhold.leinfelder@fu-berlin.de 


Fußnoten

[1] Paul Crutzen, verstorben am 28.1.2021. Nachrufe u.a.:

https://scilogs.spektrum.de/der-anthropozaeniker/paul-crutzen-nachruf/  (ScilogsSpektrum, R.Leinfelder, 4.2.2021)

https://www.nature.com/articles/d41586-021-00479-0 (Nature, J. Lelieveld, 24.2.2021)

[2] (Hinweis: Prof.Dr. Jens Zinke war bis 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der FU-Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozän-Forschung von Prof. Leinfelder, bevor er Ende 2018 zum Professor für Paläobiologie an der Univ. o. Leicester berufen wurde.)

[3]. sensu Leinfelder 2016, 2018 (siehe hier)

Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Professor an der Freien Universität zu Berlin (Arbeitsgruppe Geobiologie und Anthropozänforschung) sowie (seit Okt 2018) zusätzlich Senior Lecturer am Institut Futur der FU. Seit April 2022 ist er formal im Ruhestand. Seit 2012 ist er Mitglied der Anthropocene Working Group der International Stratigraphic Commission. Von 2006-2010 war er Generaldirektor des Museums für Naturkunde Berlin, von 2008-2013 Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), von 2011-2014 Research Fellow und affiliate Carson Professor am Rachel Carson Center an der LMU, München, von 2012-2018 Principal Investigator am Exzellenzcluster "Bild-Wissen-Gestaltung" der Humboldt-Universität zu Berlin, von 1. Sept. 2014 bis 15. Sept. 2016 Gründungsdirektor der Futurium gGmbH in Berlin. Seine Forschungs- und Lehrschwerpunkte liegen beim Anthropozän, Korallenriffen, neuen Methoden und Herausforderungen des Wissenstransfers und Museologie | Homepage des Autors | blog in english, via google translate

9 Kommentare

  1. Ja, der Begriff Anthropozän hat viele Facetten, ist aber im Kern ein Zusammenschluss zweier Begriffe aus ursprünglich verschiedenen Sphären: dem Begriff Anthropos (griechisch für Mensch) und dem für die Benennung der Erdzeitalter beliebten Anhängsel zän (griechisch καινός (kainos= „ neu, ungewöhnlich“)).

    Wenn es um die Frage geht ob Anthropozän der Name eines neuen Erdzeitalters sein soll, dann kann man hierzu die Position des Menschen einnehmen, der sich selbst als neue prägende Kraft sieht oder die Position des Wissenschaftlers der Erdzeitkunde, der keine neuen Kriterien einführen möchte um Erdzeitalter zu benennen. Ich behaupte: so oder so kommt man dazu, dass im Zeitraum [heute – 200 Jahre, heute + 200 Jahre] ein neues Zeitalter beginnen muss, denn es sieht ganz so aus, als dass wir mindestens vorübergehend das heutige volle Eiszeitalter mit zwei dauerhaft vereisten Polen verlassen werden und es in spätestens 100 Jahren nur noch einen dauerhaft vereisten Pol (den Südpol nämlich) geben wird. Das allein, dieser Übergang also, genügt bereits als Kriterium um ein neues Erdzeitalter einzuführen.

    Eine Gefahr sehe ich, wenn man das Anthropozän als geologisches Erdzeitalter auf das Jahr 1950 legt: es könnte dann nötig werden in 50 bis 100 Jahren wieder ein neues Erdzeitalter beginnen zu lassen, denn in 50 bis 100 Jahren wird der Nordpol im Sommer komplett eisfrei sein und das bedeutet dann eine andere, neue Klimakonstellation auf der gesamten Erde, etwas was auch nach bisherigen Kriterien die Einführung eines neuen Erdzeitalter rechtfertigt. Damit hätten wir dann das Anthropozän, welches 1950 beginnt und ein weiteres -zän, das vielleicht im Jahr 2100 beginnt. Das läge dann schon sehr nahe beisammen – ungewöhnlich nahe.

    • Hallo Herr Holzherr, danke für den Kommentar. Hier nur kurz zur erdgeschichtlichen Einordnung. Das folgt ganz bewusst den formalen Kriterien (der International Union of Geoscientists, Subbody International Commission on Stratigraphy, die ja auch für die Stratigraphische Chart zuständig ist: https://stratigraphy.org . Es gibt subcommissions (etwa für das Quartär), die dann auch Working Groups einrichten/beauftragen, so die Anthropocene Working Group (AWG): http://quaternary.stratigraphy.org/working-groups/anthropocene/ )
      Prinzip dabei ist, gerade nicht irgendwelche neuen Kriterienkategorien einzuführen, sondern sich auf nachweisbare Geosignale zur Definition einer Untergrenze festzulegen, die dann synchron und erdumspannend nachweisbar sind. Meist sind es Kombinationen verschiedener Geosignalen. Dabei ist die AWG ganz “klassisch” unterwegs: Wie auch ansonsten im Quartär geochemische Marker in Eiskernen, Tropfsteinen, auch sonstige geochemische sedimentäre Signale weltweit (Stichwort radioaktive Niederschläge), sonstige Geosignaturen, insb Fossilien, hier nun eben Technofossilien (Betonfragmente, Plastik, element. Aluminium, industrielle Rußpartikel etc.). Die Untergrenzedefiniation bleibt auch, wenn das Anthropozän weitergeht – und der anthropogene Fußabdruck wir weiterhin gut nachweisbar sein. Nach oben ist das Anthropozän also sehr “offen”.

      • @Reinhold Leinfelder, Danke für die Antwort. Noch eine Frage zu folgender Feststellung von mir: Im Zeitraum [heute -200 Jahre, heute + 200 Jahre] wird es mit ziemlicher Sicherheit eine neue geologische Ära brauchen nur schon weil der Nordpol abschmilzt. Könnte es nicht sein, dass die Geologen eine andere Bezeichnung für diese Ära als Anthropozän bevorzugen würden/werden?

  2. Wenn man Erdzeitalter damit charakterisiert, was spätere Generationen finden werden, dann ist es der Kunststoff, Der vermüllt die Erde.
    Den Beginn dieses Zeitalters legen wir mit dem 20. Jahrhundert fest.

    Man könnte auch die radioaktiven Nuklide nehmen, durch Kernwaffenversuche, die seit dem 20. Jahrhundert die Erde kontaminieren.

  3. Wichtich (mittelniederdeutsch) ist wie erkannte Veränderung positiv anzunehmen und bei entstehender problematischer Lage, bspw. bestimmte Ausgasung betreffend, die auch u.a. das terrestrische Klima verändernd erwärmen wirken könnte, aus Sicht einiger : auch wird, durchaus im Sinne einer neuen geochronologischen Epoche, wobei Dr. Webbaer das Wort ‘Epoche’ in diesem Zusammenhang nicht so-o mag, abär zur Kenntnis nimmt.

    Es ist dem hier gemeinten Primaten, Hominiden oder erkennenden Subjekt wohl aufgegeben sich auch wie gemeint verändernd zu betätigen.
    Wichtich (siehe oben) bleibt aus diesseitiger Sicht die positive Annahme, durchaus im Sinne des Dominium Terrae, das Dr. Webbaer auch aus humanistischer Sicht gerne erwähnt, konzeptuell meinend.

    Im rein geologischen Sinne ist es sicherlich verkehrt wie gemeint neues Erdzeitalter beizubringen, begrifflich, denn die Veränderungen sind noch nicht so groß als dass sich derart zu formulieren zwingend anbieten würde.
    Insgesamt scheint dem Schreiber dieser Zeilen (der im dankenswerterweise zV gestellten Primärinhalt ein wenig “scannte” und “wuselte”, um Angriffsflächen auszumachen, was nicht gelang, noch nicht gelang) das gemeinte anthropozäne Vorhaben gelungen zu sein, am besten wird sich mit den Geologen vertragen.

    Mit freundlichen Grüßen und weiterhin viel Erfolg
    Dr. Webbaer (der auch derartige Abreisebemühung beobachtend bleibt)

  4. @Anthropozän

    Ich will mal hoffen, wir bekommen wirklich ein neues Zeitalter-mit-Mensch. Denkbar wäre auch eine kurzfristige Störung, so wie die KT-Grenze am Ende des Dinosaurierzeitalters.

    Wenn wir uns atomar vernichten etwa, oder wenn wir von den eigenen Maschinen beseitigt werden, wird es darauf hinauslaufen.

    Aber wenn wir wirklich 500.000 Jahre vor uns haben, dann werden wir wohl demnächst schon rücksichtsvoller mit der Natur und mit uns selber umgehen, und uns von der Anzahl her auch in einem vernünftigen Rahmen bewegen. Radionuklide und Plastik werden dann nur den Anfang des Anthropozäns markieren, und etwa Baumaterialien werden wohl auch in naher Zukunft schon komplett recycelt werden.

    Langfristig zu erwarten ist womöglich auch eine dauerhafte Warmzeit, die auch weitere Eiszeiten ausfallen lässt, eventuell ohne Eisschild auf Grönland und auf der Westantarktis. Wir machen uns jetzt Sorgen um das Klima um 2050 bis 2100, was im Jahr 3000 oder 10000 auf uns zu kommt, dass ist wohl deutlich hinter unserem Horizont.

  5. Anthropozäntrismus… Wir nehmen uns verflucht wichtig für einen einfachen Katalysator, der schnell gebildet wird, schnell seinen Job erledigt und schnell verschwindet…

    Im gewissen Sinne endete das Anthropozän vor vielleicht sechstausend Jahren, mit der Erfindung der Schrift. Dank ihr konnte man Gedanken über Jahrtausende weiterspinnen, der Tod der Denker war kein Hindernis mehr. Man konnte sich Vorträge mehrerer Menschen aller Zeiten und Orte reinziehen und sich über so viel doofes Gebrabbel ärgern, wie nie zuvor, Wissen akkumulieren, Technologie entwickeln. Eigentlich sollten wir von Bibliozän sprechen, der KI, die aus Menschen und Buchstaben besteht.

    Natürlich konnte man vorher nicht wirklich von einem „zän“ sprechen, da die Menschen keinen nennenswerten Einfluss auf die Umwelt hatten. Gerade das, der Vergleich zwischen Vorher und Nachher, zeigt, wie gewaltig der Evolutionssprung war. In sechstausend Jahren von Stein zu Mondgestein, und das auch nur, weil die Römer dazwischengefunkt haben, hätten diese Barbaren die Griechen nicht abgewürgt, wären wir schon vor tausend Jahren dort gelandet. Und heute, kaum dass wir anfangen, die Welt wirklich zu verändern, ist’s schon fast vorbei: Die Technologie ermöglicht es der Menschheit, immer weiter zu verblöden, weil sie die Konsequenzen so weit entschärft, dass wir es überleben. Wirtschaft agiert als eigener Organismus, Mammon, der Gott der Märkte, die’s laut seinen Gläubigen schon durch Magie und Hexerei richten werden; im Internet handeln die Menschen mehr wie einzelne Neuronen, die Information kaum verarbeitet weiterleiten, als wie ganze, mehr oder weniger denkende Menschen: Die künstlichen selbstorganisierenden Systeme, für die wir nicht mehr sind, als Körperzellen, haben ein Eigenleben entwickelt und uns längst unterworfen (als ob es nicht schon genug natürliche gegeben hätte, die das schon immer getan haben), sie programmieren und gestalten uns nach ihren Bedürfnissen um, züchten aus uns Vieh und verbauen uns in Werkzeugen. Die Computer hingegen werden immer schlauer. Wachsendes Wissen über Biologie und Fortschritte in der Ingenieurskunst und anderen Wissenschaften machen es sehr wahrscheinlich, dass der Unterschied zwischen Leben und Maschine in gar nicht so ferner Zukunft verschwinden wird. Um die Umweltzerstörung abzufedern, werden wir immer mehr Eingriffe ins Ökosystem vornehmen müssen – die Erde wird zum Roboglobe, dem Cyborg-Planeten. Auch Menschen empfinden ihr Menschsein seit jeher als Behinderung, und neigen dazu, sich davon mithilfe von Technologie zu befreien. Zuerst der Cyborg, dann die echte Biomaschine: Ein Lebewesen mit Gencode aus dem Computer, bei dem es ziemlich egal ist, was Nanobot und was Blutkörperchen heißt, fähig, in fast jeder Umwelt des Sonnensystems zu überleben.

    Was heißt „wir“. Was der Mensch da noch zu melden haben wird, bleibt abzuwarten. Doch ich find’s lustig, ausgerechnet das Zeitalter nach uns zu benennen, in dem unsere Bedeutung als Komponente der globalen Intelligenz und des globalen Geschehens, und damit unser Einfluss auf die Zukunft, rapide schwindet. Technozän träfe es wohl besser (hab’s Wort erfunden, dann gegoogelt, haben andere vor mir erfunden, schön, mal mit meinem Dafürhalten im Trend zu liegen – gleiche Umwelt erzwingt konvergente Evolution von Ideen, schätze ich, ich frage mich nur, warum ich hier so viel plappere, wo Leute, die mehr Ahnung haben, sowieso das Gleiche plappern? …Läuft nix im Fernsehen, mir ist langweilig – schon wieder ein Mysterium des Universums gelüftet).

    Tja, wer’s nicht mehr drauf hat, muss auf dicke Hose machen. Grosse-Corvette-petite-quéquette-zän passt für unsere fünf Minuten erdgeschichtlichen Ruhm vielleicht am besten.

    • hallo Paul S., ich hab Ihren Beitrag zwar freigegeben, aber ich dennke, alles was Sie hier aufwerfen, habe ich in Beiträgen hier auf dem Blog bereits beantwortet. Ich empfehle insbesondere auch die Beiträge zu Relativierungen, Fatalismus und anderen Selbstentschuldigungen. Oder auch, warum Technozän, Plastizän, Kapitalozän, Homogenozän usw zwar alles Aspekte benennt, aber eben nicht umfassend genug ist. Das ist dannn alles im Begriff des Anthropozän, also dem “menschengemachten Neuen integriert. Auch empfehle ich Ihnen – hinsichtlich der sog. 5 Min erdgeschichtlichen Anteil ggf. auch das Buch “Timefulness” (deutsche Übersetzung “Zeitbewusstheit”) von Marcia Bjornelud, damit Zeitskalen nicht durcheinandergeworfen werden. Oder dazu ein Beispiel von mir: Wenn das Erdsystem über etwa 400 Millionen Jahre jede Menge CO2 via Kohle-, Erdöl- und Erdgaslager aus dem Verkehr zieht und wir dies innerhalb von 100-200 Jahren wieder ins System reinschmeißen, ist klar, dass da gewaltiges passieren muss und Sie sehen dann vielleicht, dass Ihre viel zu kurz gegriffene Vorstellung des “5-Min-Ruhms” halt nicht greift, da die Effekte eben dann wieder über erdgeschichtlich relevante Zeiträume eintreten. Aber wie gesagt, Sie finden viel dazu im Blog hier oder andernorts in Beiträgen und Büchern zu Zeitdynamiken, Deep Time, Großer Beschleunigung und vielem mehr. Auch dass anthropozänisch eben weder mit anthropozentrisch noch mit bio-/physikozentrisch gleichzusetzen ist. Viele Grüße

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