Engste Gefechtsfühlung mit dem Feinde – 50 Jahre Elyséevertrag

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Es gibt etwas zu sehen
Denkmale

Über den “warmen Empfang in eisiger Kälte” freute sich gestern tagesschau.de in einem Bericht über den Empfang von François Hollande bei Angela Merkel in Berlin (und meinte damit offensichtlich nicht nur das meteorologische Klima). Aber nun duzen sich die beiden und alle feiern die gelungene Versöhnung von Deutschen und Franzosen, und damit die Überwindung einer jahrhundertelangen „Erbfeindschaft“.

Damit festigen sie ein Feindbild, das es in der Bevölkerung vermutlich nie gegeben hat und von dem auch frühestens 1870 die Rede gewesen sein kann. Erst seit dem Deutsch-Französischen Krieg war es nützlich, den Mythos einer Erbfeindschaft im Dienst der nationalen Identitätsfindung der Deutschen aufzubauen. Nicht jahrhundertelang, sondern noch nicht einmal einhundert Jahre lang kann das Bild dieser Staaten-Feindschaft also bestanden haben. Und ließ sich währenddessen trefflich nutzen:

Mein Großvater musste als junger Mann mit der 5. Armee an der Westfront am Krieg gegen Frankreich teilnehmen. Zu Weihnachten 1914 erhielt er – wie alle seine Kameraden – eine Tabakspfeife mit dem hier abgebildeten Begleitschreiben (dessen Illustration mit pfeiferauchendem Soldaten beibemerkt natürlich ein blanker Hohn für die im Schützengraben zwischen Ratten liegenden Beschenkten war).

Erster Weltkrieg Weihnachtsbrief TabakspfeifeDieses Schmuckblatt hing respektvoll gerahmt (einerseits) noch lange nach 1963 in der Waschküche meiner Großeltern hinter der Tür (andererseits). Der Bruder des (deutschen) Großvaters war 1889 auf den französischen Namen Jean getauft worden. Die Großmutter hatte um 1910 in der Schule Französisch als Fremdsprache gelernt.

Kronprinz Wilhelm beruft sich zur Hebung der Moral nicht nur auf (angebliche) Gemeinsamkeiten – „meine treuen Mitkämpfer“, „gemeinsame Weihnachtsfeier“ – sondern auch auf die frisch etablierte Tradition, den ererbten Feind: „Wie mein Großvater … Weihnachten 1870 seiner braven Armee, euren Vätern und Großvätern“.

Weihnachten 1914 an der Westfront, privates Erinnerungsbild. Der Weihnachtsbaum war von der Heeresleitung gestiftet worden.

Die Erinnerung an den Sieg über die französische Armee im Krieg von 1870/71 und die damit vorbereitete deutsche Reichseinigung war im Deutschen Kaiserreich mit dem jährlich gefeierten Sedanstag stets wach gehalten worden. Andererseits erfolgte in den mehr als vier Jahrzehnten zwischen 1871 und 1914 aber auch eine Aussöhnung, die der heutigen doch in weiten Zügen gleicht. Das Verhältnis von Wilhelm II. zum Präsidenten der französischen Republik war zeitweise herzlich, der deutsche Kaiser sprach offenbar sogar flüssig Französisch. Die Begegnung von Künstlern wurde gefördert, Französisch wurde in vielen Schulen erste Fremdsprache und es gab Schüleraustauschprogramme und vielfältige Handelskontakte. Im Boxerkrieg kämpften Deutsche und Franzosen gemeinsam für ihre imperialistischen Interessen.

Mit dem Gerede vom Erbfeind (manchmal auch Erzfeind) konservieren diejenigen, die heute die angeblich neue Freundschaft bejubeln – möglicherweise ungewollt  – Denkmuster, die sich verhängnisvoll wiederbeleben lassen.

Schon wieder deutsche Soldaten in Frankreich, diesmal im Dienst von Nazideutschland: Dieser hier ist auf dem großen Foto oben der dritte von links.

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

7 Kommentare

  1. Denkmuster Vorurteil?

    Meine Großmutter, 1900 geboren, meinte zu Frankreich gern, “Den Nachbarn vertraut man am wenigsten, Kind, allen Nachbarn.”
    Ich gebe zwar mein Unwissen gerade zu, aber hat “die Wacht am Rhein”, das Niederwalddenkmal über Rüdesheim nicht eine ähnliche Funktion, wie eine andauernde Warnung?

    P.S.: Eine interessante Sichtweise, die zum Wiederaufleben lassen des nur mäßigen Geschichtswissen animiert.

  2. Wacht am Rhein

    Ja stimmt, das Niederwalddenkmal wurde in der Folge von 1871 zur Bekräftigung der deutschen Einheit gebaut. Das Bildprogramm illustriert das um die Jahrhundertmitte entstandene Lied “Die Wacht am Rhein” – und das befeuerte zwar erste nationale Gefühle, erwähnte aber in den ersten Versionen mit keinem Wort Frankreich oder die Franzosen. Das scheint ebenfalls erst in den Umdichtungen nach 1871 passiert zu sein.

  3. Lieb Mutterland … 😉

    Ich habe in meiner Pause etwas gesucht und fand im letzten Link, der Wikipedia, den Hinweis auf die bereits früh einsetzende Uminterpretation des Denkmals. Der Künstler Schilling wollte dem Volk ein Denkmal setzen, nicht dem Kaiserreich, aber inzwischen ist das eh egal.
    Das Lied wurde angeblich beim Feldzug gegen Frankreich von Soldaten gesungen.

  4. .

    Na ja, deutsch-französische Kriege, wenn auch nicht unter diesem Namen, hatte es schon am Anfang des 19. Jahrhunderts gegeben, undbeispielsweise Ernst Moritz Arndt oder Friedrich Ludwig Jahn sind heute ( neben anderen Gründen) auch wegen ihrer Franzosenfeindlichkeit umstritten. Dass das alles vor allem der “nationalen Identitätsfindung” diente, ist ja unbestritten, aber die begann eben nicht erst 1870.

    Auch die wissenschaftliche Zusammenarbeit war sicher nicht dieselbe wie heute. (Darüber hat Norbert Schappacher vor einigen Jahren mal eine Arbeit geschrieben.)

  5. Es gibt

    Mit dem Gerede vom Erbfeind (manchmal auch Erzfeind) konservieren diejenigen, die heute die angeblich neue Freundschaft bejubeln – möglicherweise ungewollt – Denkmuster, die sich verhängnisvoll wiederbeleben lassen.

    …gewisse Mentalitätsunterschiede zwischen den Völkern und wer bspw. geschäftlich mit Franzosen zu tun hatte und andere Standards gewohnt war, wird davon ein Lied singen können.

    Nichtsdestotrotz ist sowohl die Erbfeindschaft als auch die jetzig regelmäßig festgestellte Freundschaft Gerede, der Schreiber dieser Zeilen dankt der werten Inhaltegeberin für diese wichtige Beobachtung.

    ‘Verhängnisvoll’, Frau Merkel hat hier sogar einmal die Kriegsgefahr bemüht, ist hier aber wohl nichts, ganz einfach deswegen, weil sich aufgeklärt-demokratisch geführte Staaten nicht gegeneinander wenden.

    Auch der Euro änder hier nichts, der Frieden war zuerst da bzw. die gesellschaftlich oben erwähnte moderne Aufstellung. Man könnte auch gut ohne Euro. Das aber nur nebenbei.

    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. W

  6. Arndt

    Klar: Die Herausbildung der nationalen Ideologie war während des gesamten 19. Jahrhunderts in Gange. Just Ernst Moritz Arndt war es übrigens, der auch das Bild vom „Erbfeind“ aufgebracht hatte. Die wichtige Feststellung bleibt, dass der „Erbfeind“ der Propaganda des 19. Jahrhunderts entstammt.

  7. @ Dr. W

    Ja, ich denke auch, dass ich mit „verhängnisvoll“ ein zu starkes Adjektiv gewählt habe. Trotzdem: Selbst im demokratisch-aufgeklärten Miteinander wäre es schlecht, wenn einem Partner plötzlich einfallen sollte, dass er den anderen ja eigentlich sowieso noch nie leiden konnte.

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