Das Kaufhaus – ein Nachruf?

Das Kaufhaus ist in der Krise. Vor wenigen Tagen gaben die Inhaber der Warenhauskette Kaufhof nach einem desaströsen Weihnachtsgeschäft massive Stellenstreichungen bekannt. Andere Ketten, wie Hertie oder Horten, spielen schon lang nicht mehr mit. Zumindest in seiner traditionellen Form hat das Kaufhaus ausgedient – es müsse sich schleunigst neu erfinden, mahnen Einzelhandelsexperten seit Jahren .

Mit dem Kaufhaus geht eine ganze Ära zu Ende. Ihren prunkvollen Auftakt nahm sie, nach manchen Vorläufern,  im Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Kaufhäuser “Le Bon Marché”, Printemps oder die Galeries Lafayette wurden von den modernsten Architekten und Künstlern als monumentale Tempel des Konsums gestaltet und gehören zum Teil noch heute zu den touristischen Sehenswürdigkeiten. Etwa gleichzeitig wurde auch Macy’s in New York gegründet (mit fast zweihunderttausend Quadratmetern noch heute eines der größten Kaufhäuser der Welt) und später das GUM in Moskau, das KaDeWe in Berlin und andere – schließlich verbreitete sich die neue Gattung weltweit.

Das restaurierte Kaufhaus in Görlitz, eröffnet 1913
Foto: Andreas-Praefcke_CC_3.0


Sinnliches Erleben

Auf dem Weg ins 20. Jahrhundert gehörten die Kaufhäuser zur neuen gesellschaftlichen Rolle der Frauen, die hier einerseits Arbeit fanden, andererseits als bürgerlich-selbstbewusste Konsumentinnen auftraten. Emile Zola hat dem Kaufhaus im Jahr 1884 einen ganzen Roman gewidmet und dabei diesen Aspekt eindrucksvoll geschildert. In “Das Paradies der Damen” (“Au Bonheur des Dames”) ging er aber auch ausführlich auf den sinnlichen Erlebnischarakter der Kaufhäuser ein:

… Auslagen im milden Licht dieses Oktobermorgens in hellen Farben erstrahlten. …

… gleichsam eine schneeige Landschaft, unendliche Gletscher von schimmerndem Weiß, eine gleißende Vielfalt von Stoffen und Fertigwaren — immer wieder in makellosestem Weiß. Die Tische verschwanden unter der blendenden Fülle, Seiden und zarte Musseline schmiegten sich weich an die Säulen, eine Flut der kunstvollsten Spitzen ergoss sich in breiten Wellen vom Gewölbe herab. So weit das Auge blickte, nichts als Weiß und doch niemals das gleiche Weiß.

Konsumtempel

Zola verglich die neuartigen Orte des Konsums ganz direkt mit der Kirche, nicht nur in Formulierungen wie “Der Palast war fertig, der Tempel für die verschwenderischen Launen der Mode errichtet”, “eine Kathedrale des neuzeitlichen Handels” sondern zum Beispiel auch in einer expliziten  Analyse (die in der Übersetzung von Armin Schwarz aus dem Jahr 1895 einfach weggelassen wurde – wegen seines blasphemischen Charakters?): Im letzten Kapitel des Buchs bezeichnet Zola das Kaufhaus als Ort einer neuen Religion, der die zunhmend leerstehenden Kirchen, den Beichtstuhl und den Altar ersetzte. Hier verbrächten die Frauen die leeren Stunden wie sonst in der Kapelle und huldigten einem der Schönheit gewidmeten Körperkult.

Dem entsprach durchaus die architektonische Inszenierung. In der an die Realität angelehnten Beschreibung Zolas:

… eine hohe Glastür, die bis zum Zwischenstock reichte, umrahmt von kunstvoll zusammengesetztem, reich vergoldetem Zierat. Zwei sinnbildliche Figuren, lachende Frauengestalten, entrollten ein Band, auf dem zu lesen war: »Zum Paradies der Damen«.


Die Fassade bot ein großzügiges, farbenprächtiges Bild, das wie eine riesige, leuchtende Auslage die Blicke der Vorübergehenden anzog. Das Erdgeschoß war mit Absicht einfacher gehalten, damit es die Wirkung der Waren in den Schaufenstern nicht beeinträchtigte: ein Sockel aus grünem Mamor, Eck- und Stützpfeiler mit schwarzem Marmor verkleidet, im Übrigen nichts als eine endlose Reihe von Glasscheiben, die dem Beschauer gleichsam das ganze Haus im offenen Tageslicht darboten. Erst die oberen Stockwerke waren mit einer Vielfalt von Mosaiken und den vergoldeten Stadtwappen Frankreichs geschmückt, bis hinauf zum Giebel, an dem eine Reihe von Statuen die großen Industriestädte des Landes darstellte. Über dem Haupteingang aber, der sich wölbte wie ein Triumphbogen, erhob sich als besonderer Anziehungspunkt für die Menge der Neugierigen eine weibliche Gestalt, die Frau schlechthin, umschwärmt von einer ganzen Schar sie einkleidender und liebkosender Amoretten.

Preiskampf und Verdrängung kleinerer Geschäfte

Vorbild für Zola war das in Paris seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgebaute Kaufhaus “Au Bon Marché”. Klar zeigt sich schon im Namen (ungefähr “Zum Billigen”) ein wichtiger Aspekt des Kaufhauses (mit dem heute der Online-Handel punktet): Neben der ungeheuren Fülle an Waren vor allem das preiswerte Angebot. Spitze, Seide, edle Stoffe – jetzt konnten sich viele Dinge leisten, die vorher den höheren Ständen vorbehalten waren.

Anzeige Kaufhaus Reiling April 1912
Zeitungsannonce eines Kaufhauses aus dem Jahr 1912

Bei Zola entrüstet sich einer der kleinen Händler über die Angestellten des Kaufhauses in der Nachbarschaft:

… diese Menschen hatten … keine Sitten, kein Verständnis für das Geschäft! Die Kunst bestand schließlich nicht darin, viel zu verkaufen, sondern teuer zu verkaufen!

Schon in der Gründungszeit des Kaufhauses wurde kritisiert, dass damit die kleineren Geschäfte vernichtet würden – eine ganz ähnliche Bedrohung, wie sie heute in den Märkten “auf der grünen Wiese” und im Online-Handel gesehen wird.

Die Nazis fanden in den Kaufhäusern und ihren häufig jüdischen Besitzern ein ideales Feindbild. Mit dem Gesetz zum Schutz des Einzelhandels vom 12. Mai 1933 wollten sie den Mittelstand explizit gegen die Warenhäuser schützen. Das hinderte sie bekanntlich nicht daran, sich nach 1933 über den jüdischen Besitz herzumachen und dann selbst wirtschaftlich von den Kaufhäusern zu profitieren.

Monumentale Bauten

Die Häuser neben dem Kaufhaus Au Bon Marché in Paris im Jahr 1863
Gewachsen auf Kosten der Kleinen: Kaufhaus Au Bon Marché in Paris 1873


Die meisten Kaufhäuser waren zunächst kleinere Wäsche- oder Textilgeschäfte, die nach und nach Flächen dazu erwarben, um die komplette Ausstattung eines Haushalts anbieten zu können, bis hin zu Möbeln und Innendekorationen. Auch abseits der großen Kaufhausketten ergaben sich damit Verkaufsflächen von mehreren tausend Quadratmetern.

Zola schrieb:

Dann folgte die Reihe der Auslagen längs der Rue de la Michodière und der Rue Neuve-Saint-Augustin, wo sie außer dem Eckgebäude noch je zwei Häuser einnahmen, die zu Erweiterungszwecken angekauft und vor kurzem erst eingerichtet worden waren. Das Geschäft erschien fast endlos mit seinen Schaufenstern im Erdgeschoß und seinen Spiegelscheiben im Zwischenstock …

Heute zeigte sich bei den Verkaufsflächen über 5000 Quadratmeter nach der Jahrtausendwende ein deutlicher Rückgang zugunsten von Verkaufsflächen zwischen 650 und 1 500  Quadratmetern. Allerdings hat sich die Entwicklung hier offenbar momentan wieder umgekehrt.

Architekten, Künstler, Ingenieure sorgten bei den Kaufhausneugründungen für beeindruckende Inszenierungen, die oft ganze Straßenzüge einnahmen – und einnehmen. Aber auch später gab es im Rahmen des Kaufhausbaus immer wieder mal Innovatives wie etwa die berühmte “Hortenkachel” zur Fassadengestaltung aus den 1960er Jahren: Sie ermöglichte flexible Grundrisse, ein einheitliches Erscheinungsbild auch bei Umbauten und Erweiterungen und einen hohen Wiedererkennungswert.

Was kommt nach dem Kaufhaus?

Viele der Gründungen des 19. Jahrhunderts funktionieren noch heute – immer dann, wenn auch das Umfeld attraktiv ist. In den Großstädten setzen sich die Warenhäuser auch heute wieder spektakulär in Szene. Aber die Kleinen und die eher dezentral Gelegenen kommen da nicht mit. Waren zum Anfassen und Anprobieren bestellt man sich bequem nach Hause, auch wenn man nicht wirklich etwas kaufen wollte, sondern vielleicht nur mal staunen. Bei Online-Bestellungen von Kleidung gehen etwa 50 % wieder zurück.

Über die weitere Entwicklung sind sich die Experten nicht einig. Insgesamt wird nicht weniger gekauft, sondern mehr. Konsum wurde nicht durch einen anderen Fetisch abgelöst, sondern neue Lebensinhalte gegen die von Zola beschriebene ” religiöse Leere” wie Sport, Lifestyle oder bewusste Lebensführung stehen in offenbar unlösbarem Zusammenhang mit dem Kaufen. Und weiter gibt es das Bedürfnis nach Erlebnis. Es ist fraglich, ob im Internet auf Dauer alle Aspekte des Konsumierens befriedigt werden können.

Hybride Konzepte

Ein Szenario der Einzelhandelsexperten ist die Umkehr der Entwicklung, zurück zum spezialisierten stationären Einzelhandel, allerdings unbedingt mit Onlineanbindung, als „Multi-Channel-Angebot“ für die Kunden, die übers Internet ihren Einkauf im stationären Laden vorbereiten können. Hier können sie zum Beispiel Produkte anschauen und anprobieren, die sie dann nach Hause geschickt bekommen.

Schon jetzt aber führt der zunehmende Online-Handel zu immer mehr Lieferverkehr in Wohngebieten und Innenstädten. Für die “letzte Meile” sind nun oft die Paketdienste zuständig. Und während der Kunde beim Einkaufsbummel meist gleich mehrere Einkäufe bündelt und damit nur einmal in die Stadt fährt, werden beim Versandhandel viele Produkte einzeln und bei unterschiedlichen Händlern bestellt – mit entsprechend vielen Fahrten der Lieferdienste.

Eine Lösung, die Verkehrsexperten und Stadtplaner im Auge haben, ist die Einrichtung von wohnortnahen Packstationen mit vielleicht sogar attraktiver Ausgestaltung und kommunikativen Elementen. Gerade in ländlichen Gebieten könnte so die Versorgung der Bürger verbessert werden und der Plausch im Abholzentrum könnte den längst verloren gegangenen gemütlichen Treff im Tante Emma Laden ersetzen.

Leere im Zentrum

Und in den Stadtzentren, von den großen Metropolen mal abgesehen? Kirche, Rathaus, Marktplatz – von den drei Dingen, die städtisches Leben früher ausmachten, ist maximal der Marktplatz geblieben. Das Rathaus ist längst ausgelagert, weil dieVerwaltung einen ungeheuren Platzbedarf hat, die Kirche ist leer. Viele Städte setzen auf das gastronomische Angebot, das sich schon immer zwischendrin entwickelt hat. Aber wo sonst nichts ist, will auch niemand einkehren.

Was auch immer in den nächsten Jahren entsteht, es wird ein Abbild unserer Gesellschaft sein, so wie es das Kaufhaus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts für die damalige war. Ich bin gespannt.

Quellen, abgesehen von den verlinkten, insbesodere:

Studie für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung:prognos.com/publikationen/alle-publikationen/850/show/cff76809e14b317850bcd1b3ef4c5ad4/

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Ich bin Kunsthistorikerin und arbeite freiberuflich als Redakteurin/Lektorin/Autorin. Dieser Blog enthält Überlegungen und Informationen, die ich sonst nirgendwo unterbringe. Die aber rauswollen.

3 Kommentare

  1. In meinem Bewusstsein gibt es Konsumtempel erst im 20. Jahrhundert, denn ich denke dabei an Supermarktketten wie es Walmart in den USA ist/war. Ich denke also an Supermärkte als Massenphänomene, die wie Pilze überall aus dem Boden spriessen und nicht an die frühen Warenhäuser in Grossstädten wie Paris oder Berlin. Doch auch ich verbinde mit Warenhäusern und Supermarktketten einen bestimmten Lebensstil womit sich dann die Frage stellt: Ist mit dem Ende des Warenhauses und des Supermarkts auch der dazugehörige Lebensstil vorbei? Antwort: Wohl nicht grundsätzlich. Es ist eher eine Differenzierung, die sich mit dem Internet, den Influencern und den diversen Facebook-Groups und Internet-Communities, ausbildet. An die Stelle des einen nationalen oder gar globalen Geschmacks und des Must-Have für alle bilden sich nun viele mögliche identitätsstiftende Formen des Konsums. Schliesslich leben wir ja in den Zeiten der Identitätspolitik und der Filterblasen, ja der Retribalisieurng unserer Gesellschaft. Dazu passt, dass auch in der Medienwelt das nationale und internationale durch eine neue Differenzierung abgelöst wird, wo die einen auf bestimmten Netflix-Serien stehen und andere TED-Vorträge bevorzugen oder auf YouTube sich täglich das perfekte Schminken vorführen lassen oder sich einem anderen fetischierten Hobby verschrieben haben.

    Und damit komme ich zur gleichen Frage, die sich Eva Bamberg gestellt hat: Was ist dann noch das Verbindende in dieser Gesellschaft und in welcher Gestalt (architektonisch etc) wird es sich verkörpern? Oder gibt es gar kein verbindendes Element mehr in dieser und der zukünftigen Gesellschaft ausser dem, dass nun jeder nach seinem Geschmack leben kann?

  2. Ich denke der Kunde will den kurzen Weg. So gesehen könnten die Einkaufsparks bzw. Shoppingcenter in Zukunft weiter anwachsen und zu eine Art ErlebnisCenter werden.
    In ihnen könnte man dann alles an Angeboten finden, was früher über die Stadt verteilt war (Kulturelle Angebote neben gastronomischen Angeboten, Dienstleistungen aller Art , Freizeitangebote, Wohnungen etc..Ähnliche Erlebniscenter im kleinen Bereich bieten ja bereits diese modernen Kreuzfahrtschiffe . Das Kaufhaus als solches wäre also nur ein integraler Bestandteil einer überdimensionierten Konsum -Freizeit – und Vergnügungsindustrie…

  3. Golzower
    Das Thema “Krise des Kaufhaus” ist sehr komplex. Fällt es doch zusammen mit den Online Käufen, mit den ivelen Outletcenter, die ja auch nichts anderes sind als Kaufhäuser und den vielen Shoppingcentern, die Einzelläden unter einem Dach konzentrieren.
    De Form, die langfristig am ökonomischten handeln kann und sich am schnellsten Veränderungen anpassen kann, wird sich durchsetzen.

    Die Shoppingcenter an der Peripherie der Großstädte haben auch aktuell Schwierigkeiten. Sie lohnen sich nicht mehr, weil die Umsätze zurückgehen, durch den Onlinehandel.

    ein Lösungsversuch sind “Kaufhäuser”, in denen die Waren nur ausgestellt werden, man sie aber nicht mitnehmen kann. Sie können nur bestellt werden, meistens online. In England gibt es diese Form. Das Preisniveau ist höher als beim herkömmlichen Handel.

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