Cristo Re in La Spezia – die nüchterne Schönheit
Manchmal stößt man ganz aus Versehen auf etwas Schönes, wo man es zuletzt vermutet hätte. So wie kürzlich in La Spezia, wo nur der Regen mich (die Gläubigen mögen es mir verzeihen) in die Kirche trieb.
Das Äußere verhieß nichts Gutes. Eine Art plattgedrücktes Silogebäude aus in die Jahre gekommenem Beton. Aber die Seitentür war offen. Und was sich dann auftat, war ein überaus beglückendes, ungewohntes Raumerlebnis. Einzigartig war natürlich schon die Gelegenheit, ein Rund von 50 Metern im Durchmesser ganz allein genießen zu dürfen. Die Rotunde des vielbesuchten Pantheon in Rom misst nur gut 43 Meter, ist allerdings höher und soll hier auch nicht wirklich zum Vergleich herangezogen werden. Aber in den Sinn kam sie mir schon, vielleicht auch wegen des topfähnlichen Äußeren.
Mit äußerster Schlichtheit hat der Architekt Adalberto Libera auch den Innenraum der 1975 geweihten Kathedrale gestaltet. Dem Brutalismus/Funktionalismus/Rationalismus verbunden, kommen Sichtbeton und industriell hergestelltes Material zum Tragen. Nichts ist versteckt und verkleidet, alles muss allein durch sorgfältige Verarbeitung und durchdachte Konstruktion wirken. Wie Schirmpilze ragen zwölf den Aposteln gewidmete Säulen auf, deren Schäfte raffiniert per Kugelgelenk mit den „Kapitellen“ verbunden sind. Die Säulen dienen zugleich als Beleuchtungskörper, mit nach unten gerichteten Kränzen aus gegossenem Glas, die das Obere der Kathedrale in Dämmer lassen.
Schön ist dabei das Durchexerzieren des Themas Kreis, das schon von dem kreisförmigen Grundriss vorgegeben wird und durch Säulen, Lampen und Anordnung der Sitzbänke fortgeführt wird. Letztere ist im Grunde auch das bestimmende Element der gesamten Architektur. Zum Ausdruck kommt hier nämlich ein tiefgreifender Wandel in der religiösen Praxis. Gut anderthalb Jahrtausende war diese von der linearen Ost-West-Ausrichtung der Kirchen bestimmt, die auch in den Zentralbauten und Rundkirchen, die es in der römisch-katholischen Kirche schon immer mal wieder gegeben hat, letztlich nie aufgehoben wurde. Der Gottesdienst war bestimmt von dem die Eucharistie mit dem Rücken zur Gemeinde feiernden Priester, der die für die meisten unverständlich bleibenden Handlungen vornahm.
Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gab es aber Bestrebungen, auch in der Rückbesinnung auf frühchristliche Traditionen, den Gottesdienst stärker als Feier der gesamten Gemeinde zu verstehen. Interessanterweise schlug sich diese Forderung der liturgischen Bewegung im Kirchenbau schon lang nieder, bevor dann Mitte der 1960er Jahre das Zweite Vatikanische Konzil die geforderten liturgischen Änderungen absegnete.
Die Predigt sollte von allen gleichermaßen gehört und beobachtet werden können – deshalb löste der Ambo die oft zwischen den Säulen gelegene Kanzel ab. Der Altar an der Wand der Apsis wich dem freistehenden Tischaltar, hinter dem der Priester nun mit dem Gesicht zur Gemeinde stehen sollte. Die kreisförmige Anordnung der Sitzbänke machte das Zusammenrücken der Gläubigen und die Teilnahme aller an der Liturgie augenfällig. Gefordert wurde aber auch die Schlichtheit:
„Bei der Förderung und Pflege wahrhaft sakraler Kunst mögen die Ordinarien mehr auf edle Schönheit bedacht sein als auf bloßen Aufwand”
heißt es in der im Dezember 1963 herausgegebenen Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Eine Tendenz, die nicht zuletzt den von der profanen Architektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusst worden sein dürfte.
Erste Beispiele für solche modernen Kirchen gab es in den 1920er Jahren, richtig Fahrt auf nahm die Bewegung dann aber nach dem Zweiten Weltkrieg. Nicht nur Cristo Re in La Spezia, auch viele Kirchenbauten im Deutschland der 1950er Jahre brachen in ihrer Konzeption mit der traditionellen Kirchenarchitektur.
In Deutschland kam das insbesondere dort zur Auswirkung, wo Flüchtlingsströme die konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung veränderten und dringend eigene Gotteshäuser erforderlich machten. Aktuell werden viele dieser Kirchen wegen schrumpfender Gemeinden profaniert – die liturgischen Neuerungen konnten den zunehmenden Bedeutungsverlust der Kirchen offenbar nicht aufhalten. Mancher vermutet sogar, sie hätten ihn eher befördert. So der Schriftsteller Martin Mosebach, der immer wieder mit der kargen und schmucklosen Gestaltung der Kirchen einen Verlust sakraler Symbolik und Überzeugungskraft beklagt.
Nicht überall freilich kommt die Nüchternheit, die mich in La Spezia so stark beeindruckt hat, als Schönheit zum Tragen. Wer kennt sie nicht, die vielen sicher gut gemeinten, aber doch fantasielos und uninspiriert hingesetzten Vorstadtkirchen des vergangenen Jahrhunderts?
In La Spezia war aber auch ein ganz besonderer Architekt am Werk: Adalberto Libera war einer der bedeutendsten italienischen Architekten seiner Zeit, der sich aber leider nicht nur durch sein architektonisches Talent, sondern auch durch seine begeisterte Nähe zum Faschismus auszeichnete. Wie viele andere italienische und deutsche Künstler und Architekten auch, von denen sich viele dem Faschismus zumindest andienten, wenn sie auch oft nicht auf Gegenliebe stießen. Noch immer wird das aber gern verdrängt, wenn es gilt die Leistungen von zum Beispiel Le Corbusier, Mies van der Rohe, Emil Nolde oder Ernst Barlach zu würdigen.
Schöne Bilder!
Wenn Sie in der Gegend sind, empfiehlt sich ein Abstecher nach Neviges. Ebenfalls brutalistisch, aber völlig gegensätzlich ist die dortige Wallfahrtskirche mit ihren Ecken und Kanten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Nevigeser_Wallfahrtsdom#Entwurf_und_Umsetzung
https://duckduckgo.com/?t=ffab&q=wallfahrtskirche+neviges&iax=images&ia=images
Die an Zelte angelehnte Form soll eine in die Welt gehende “wandernde” Kirche ahnen lassen. Für mein Empfinden erinnert allerdings zu viel an Bunkerbauten des zweiten Weltkrieges.
Danke für den spannenden Hinweis! Ja, Beton ist für mich auch immer schnell mit Bunker oder Parkhaus konnotiert. Aber vor Ort gibt sich das oft (nicht immer). Zum Verweilen schön finde ich zum Beispiel auch die Antoniuskirche in Basel, gebaut Mitte der 1920er Jahre.
Ein gelungener Beitrag.
von der Ausstrahlung her wirkt die Kathedrale von La Spezia wie die Wallfahrtskirche in Knock , Irland oder wie die Wallfahrtskirche Fátima in Portugal.
Über Geschmack soll man bekanntlich nicht streiten, es werden die Gläubigen entscheiden, ob sie das Kirchengebäude als Ausdruck von Religiosität wahrnehmen.
Beton brut ist eine Kunstrichtung , die hauptsächlich in evangelischen Kirchen in Deutschland zu finden ist. Wir haben hier eine in Stuttgart, die Steigkirche, die ist innen ganz karg , trotzdem wirkt sie religiös.
Kirchen müssen immer den schmalen Weg bestreiten zwischen Prunk und Kargheit.
Tipp: Schauen Sie sich die Kirchen im unteren Engadin, Schweiz an.
Und das Gegenteil, das Kloster Melk in Österreich.
Hm, ich weiß gar nicht, ob das vor allem die evangelischen Kirchen sind, dem würde ich gern mal nachgehen. Spontan fällt mir in der Schweiz noch die katholische Kirche in Hérémence ein, im Wallis.
Eva Bambach
Nach dem 2. Weltkrieg sind in Deutschland sehr viele Kirchen gebaut worden.
In den katholischen Gebieten wurden durch protestantische Flüchlinge die Neubauten evangelisch.
In ländlichen Gebieten , ohne Flüchlingszuzug und ohne Zerstörung haben die Gemeinden ihre alten Dorfkirchen behalten, meistens aus der Zeit um 1400 – 1500.
Die haben die Abmessungen wie bei romanischen Kirchen mit relativ dicken Mauern und kleinen Fenstern. Die Innengestaltung ist oft barockisiert.
Für die moderne Bauweise haben die Bauern kein Verständnis.
🫵😂 Beton/Betonköpfe/Dogmatismus – Ja, passt sehr gut zum starrsinnigen und bewusstseinsbetäubten Festhalten an den falschen Interpretationen der biblischen Philosophie, zum Glauben an materialistische “Absicherung” und wettbewerbsbedingt-konfuse Symptomatik – “Gottes Wege (also die Vernunft des Geistes/Zentralbewusstseins der Schöpfung) sind unergründlich”
👋😇
Aber das bedeutet nicht, dass ich Beton nicht mag, ganz im Gegenteil, allerdings können/sollten wir uns Beton um der Umwelt wegen nicht mehr leisten.