Informatikunterricht an NRW-Schulen ist eine Randerscheinung

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Informatik, Daten und Privatsphäre
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In der letzten Woche wurden die statistischen Daten zum „Schulwesen in Nordrhein-Westfalen aus quantitativer Sicht“ vom Land veröffentlicht. 250 Seiten voller Tabellen und Zahlen zum Schuljahr 2015/16. Aus diesem Werk lassen sich die Angaben zum Schulfach Informatik für das größte Bundesland der Republik herauskämmen. Die politische Debatte, ob Informatik angesichts einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft ein Pflichtfach werden sollte oder ob das bestehende Wahlfachangebot angesichts des ohnehin dicht gepackten Stundenplans vieler Schülerinnen und Schüler ausreichend ist, wird damit um aktuelle Ist-Zahlen bereichert. Diese sind sehr ernüchternd und lassen sich so zusammenfassen:

  • Informatik-Lehrkräfte sind Exoten.
  • Informatikunterricht ist eine Randerscheinung.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, dem sei ein Blick auf die folgenden Diagramme empfohlen. Ein Klick öffnet eine interaktive Balkengrafik, die numerische Details zu den Daten preisgibt.

Für diesen Beitrag wurde das Fach Informatik mit kontinuierlich unterrichteten Kernfächern (Deutsch, Englisch, Mathematik) und weiteren Fächern (Geschichte, Biologie, Religion, Französisch) verglichen, da absolute Zahlen ohne Kenntnis der Größenordnungen wenig aussagekräftig sind (Beispiel: 337 Lehrkräfte an NRW-Gesamtschulen haben die Lehrbefähigung zur Informatik). Beim Vergleich wurden nach den hauptsächlich vertretenen Schulformen (Realschule, Gesamtschule, Gymnasium, Berufskolleg) unterschieden, wobei Grund- und Hauptschulen nicht berücksichtigt sind, da diese eine andere Fächerstruktur aufweisen.

Anzahl Lehrbefähigungen vs Schulform
Grafik (Lehrbefähigungen nach Schulform, NRW-Schuljahr 2015/16; Bildrechte: Greveler, CC0)

Zunächst fällt auf, dass ausgebildete Lehrkräfte für Informatik eine verschwindend kleine Zahl ausmachen. Je nach Bildschirmauflösung sehen Sie den Balken vielleicht gar nicht. An den Gymnasien kommt beispielsweise auf fünf Religionslehrer/innen nur eine Informatiklehrkraft, an Gesamtschulen gibt es ein Verhältnis von zehn Biologielehrer/innen auf eine Informatik-Lehrkraft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es an vielen Schulen gar keine ausgebildeten Informatik-Lehrkräfte gibt und dass der Unterricht – wenn er denn überhaupt stattfindet – oft fachfremd gegeben wird.

Erteilte Stunden vs Schulform
Grafik (Erteilte Stunden nach Schulformen, NRW-Schuljahr 2015/16; Bildrechte: Greveler, CC0)

Aber auch der Unterricht selbst stellt sich in Zahlen ausgedrückt als seltene Randerscheinung dar. So wurden an NRW-Gesamtschulen nicht einmal 3.000 Informatik-Unterrichtsstunden im letzten Schuljahr gegeben, zum Vergleich: Biologie wurde im Umfang von über 15.000, Deutsch im Umfang von über 63.000 Stunden unterrichtet. Etwas besser sieht es an Gymnasien aus, aber auch dort findet eine solide Ausbildung eher in Religion, Biologie oder Geschichte statt, Informatik ist weit abgeschlagen. An Berufskollegs reicht Informatik immerhin an die erteilten Stunden von Französisch oder Geschichte heran, was jedoch daran liegt, dass in den meisten Bildungsgängen kein Unterricht in diesen Fächern vorgesehen ist.

Wer sich im Hinblick auf die Abiturprüfung auf Informatik spezialisieren möchte, kann grundsätzlich das Fach als Leistungskurs belegen. Eine NRW-weite Abfrage der Schulen, die überhaupt Leistungskurse in Informatik anbieten, sorgt jedoch für Ernüchterung. Nur 74 Schulen werden auf dem Webserver des Ministeriums aufgeführt. Zum Vergleich: Leistungskurse in Biologie, Deutsch oder Mathematik bieten jeweils ca. 820 Schulen an.

Fazit: Schülerinnen und Schüler, die Informatikunterricht in NRW erhalten, können sich glücklich schätzen. Wenn der Unterricht dann noch von einer ausgebildeten Lehrkraft erteilt wird, ist das bemerkenswert und sollte im Lebenslauf als mögliches Alleinstellungsmerkmal herausgestellt werden.

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”The purpose of computing is insight, not numbers.” (Richard Hamming) Ulrich Greveler studierte in Gießen Mathematik und Informatik, arbeitete sechs Jahre in der Industrie im In- und Ausland, bevor er als Wissenschaftler an die Ruhr-Universität nach Bochum wechselte. Seit 2006 lehrt er Informatik mit dem Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Fachhochschule Münster (bis 03/2012) und der Hochschule Rhein-Waal (seit 03/2012). Sein besonderes Interesse gilt datenschutzfördernden Technologien und dem Spannungsverhältnis zwischen Privatsphäre und digitaler Vernetzung.

6 Kommentare

  1. Die Kernlehrpläne für die gymnasiale Oberstufe (NRW) machen den Eindruck, dass relativ viel und breit angelegter Stoff (Analyse,Modellierung, Implementation, gesellschaftliche Aspekte) in wenig Unterrichtsstunden vermittelt werden soll. Als Wahlfach ist das wohl nur für wirklich Interessierte attraktiv, nicht aber für Gymnasiasten, die nur ihr Informatikwissen etwas vertiefen wollen.
    Ich stimme zu: Wer heute die Schule durchläuft sollte gewisse Denkweisen aus der Informatik auf jeden Fall mitbekommen. Beispielsweise sollte jeder Schulabgänger mit einigen konkreten Algorithmen vertraut sein. Das liesse sich aber auch in den bestehenden Mathematik- und Physikunterricht einbauen. Ein eigenes Fach Informatik braucht es für solche Grundlagen nicht. Dazu müsste für alle Schulen in NRW eine Pseudocodesprache festgelegt werden. Algorithmen wie sie in der Mathematik vorkommen (num. Integration, Nullstellensuche mit Newton-Verfahren, etc. etc.) sollten dann im Unterricht und in den Lehrbüchern behandelt werden. Das ist zwar nur ein Informatik-Aspekt – aber ein sehr wichtiger. Jeder heutige Schulabgänger sollte mit algorithmischem Denken vertraut sein.

  2. Informatik sollte an Schulen kein ‘Pflichtfach’ werden [1], weil zu schwierig, optional angeboten oder der Mathematik oder gar der Philosophie (sofern es einen derartigen Unterricht in der BRD überhaupt gibt) angehängt, ließe sich etwas machen.

    Dies hier – ‘An den Gymnasien kommt beispielsweise auf fünf Religionslehrer/innen nur eine Informatiklehrkraft, an Gesamtschulen gibt es ein Verhältnis von zehn Biologielehrer/innen auf eine Informatik-Lehrkraft.’ – klingt natürlich schlecht bis extra-schlecht, für einige.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1]
    vgl. mit:
    ‘(…) ob Informatik angesichts einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft ein Pflichtfach werden sollte (…)’
    Die Erfindung der tele-audio-visionären Übertragung hat auch nicht viele zu Fernsehtechnikern gemacht.

  3. Informatik ist wirklich ein sehr schwieriges Fach. Ich beschäftige mich regelmäßig neben meinem Verkauf von Lockenstäben mit dem Programmieren von Webseiten und habe immer wieder festgestellt, dass dies war seinen Nutzen hat, aber dennoch für Schüler etwas zu anspruchsvoll ist. Zumindest an das Thema heranführen wäre hingegen in Ordnung meiner Meinung nach!

  4. Das Fazit macht für diejenigen Mut, die in NRW einen qualifizierten Informatikunterricht genießen durften. Jedoch: es bereitet genau für diejenigen Sorgen, die eben nicht (!) dieses Privileg erfahren durften. Als Vater zweier Kinder, die in den nächsten Jahren eingeschult werden, entstehen jetzt schon Sorgen. Denn eins steht, wie auch im Artikel schon richtig erwähnt, fest: unsere Welt wird digitaler und IT ist immens wichtig in unserer Gesellschaft. Und darauf sollten wir auch unsere Kinder vorbereiten. Wir lehren ihnen das Rechnen und das Lesen, verschiedene Sprachen und naturwissenschaftliche Thematiken. Aber worauf es heutzutage vielmals darauf ankommt ist der digitale Umgang mit Medien und IT.

    Als es noch vor Jahren wahrscheinlicher war, einen Menschen aufzufinden der kein internetfähiges Handy besaß, ist es heute eine Rarität geworden. Kaum einer ist nicht die ganze Zeit “online” und mit der “ganzen” Welt vernetzt. Wenn ich ehrlich bin: ich verbringe einige Zeit im Internet. Auch mit meinem Smartphone. Auch aus diesem Grund habe ich mir bei [webung_entfernt] ausgesucht. Da ich somit mein Datenvolumen besser überblicken kann! Wie ich feststellen kann, ist IT im Alltag fest integriert. Sowohl im privaten Bereich, als auch in der Berufswelt.

    Daher finde ich es umso wichtiger, dass diesbezüglich der Fokus gelegt werden sollte in der Schule. Auch damit man Kinder vor den Gefahren des Internets schützen kann!
    Großes Lob an Autor und einen schönen Start ins Wochenende für alle. LG.

  5. Ich bin Informatik-Lehrer und unterrichte in Hamburg.

    zum Thema Pflichtfach: Gute Gründe auf den Punkt gebracht finden sich u.a. hier: https://www.youtube.com/watch?v=_R0p6VSJ47E

    zum Thema Statistik und Informatik-Lehrkräfte und -Unterricht: Leider lässt sich das Phänomen nicht nur in NRW feststellen, sondern in der Mehrheit der Bundesländer. In Hamburg z.B. sieht es ganz ähnlich aus und es ist ein Kreislauf mit fatalen Folgen: wenig Informatikunterricht, wenig Studierende und noch weniger Informatik-Lehrkräfte usw.

    Ein Trauerspiel seit Jahren, dabei wollen viele Jugendliche mehr und besseren Informatik-Unterricht (vgl: https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Schueler-wuenschen-sich-ein-Pflichtfach-Informatik.html)

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