Gesetzesänderung zum Juli: Letzte Chance nutzen, anonyme SIM-Karten zu erwerben?

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Im Juli tritt ein weiterer Teil des Anti-Terror-Pakets in Kraft, der eine Änderung des § 111 des Telekommunikationsgesetzes vorsieht: Wer zukünftig eine SIM-Karte erwirbt, muss nicht nur – wie bisher – persönliche Daten übermitteln, d. h. Name, Anschrift und Geburtsdatum angeben, er muss nun auch einen Ausweis vorlegen, damit die Daten überprüft werden können. Auch die Gerätenummer des Mobilfunkgerätes (IMEI) wird gespeichert, wenn mit der SIM-Karte ein Handy erworben wird.

Bisher war es möglich, die Aktivierung der SIM-Karte online vorzunehmen und Phantasie-Daten zu übermitteln. Dies war zwar nicht zulässig, Folgen hatte das Schummeln mit den Daten aber in der Praxis keine, so dass anonyme SIM-Karten gekauft und genutzt werden konnten.

Der Gesetzgeber erhofft sich von dieser Änderung, dass die Kundendatenbanken von Mobilfunkanbietern zukünftige korrekte Bestandsdaten aufweisen. Wenn dann eine Abfrage eines Datensatzes aufgrund eines richterlichen Beschlusses erfolgt, soll der tatsächliche Anschlussinhaber zu einer Rufnummer bzw. Anschlusskennung (IMSI) ermittelt werden können.

Für gewisse kriminelle Aktivitäten, z. B. Organisation des lokalen Drogenhandels, bietet es sich an, die Kommunikation über Handys und anonyme SIM-Karten abzuwickeln. Organisierte Kriminelle tauschen dabei nach Erfahrung der Strafverfolger Karten und Telefone regelmäßig aus, um die Ermittler abzuschütteln. Wer extrem vorsichtig ist, benutzt jede Karte und jedes Telefon nur einmal – nach dem Gespräch wird das Gerät komplett entsorgt. Es ist dann nicht mehr möglich, Kommunikationsbeziehungen aufgrund von bestimmten Meta-Daten (Teilnehmerkennungen, Gerätenummern) nachzuvollziehen.

Wie gelangen Ermittler an Metadaten zu SIM-Karten?

Wenn Tatverdächtige observiert werden, die ein eingeschaltetes Gerät bei sich tragen, können Daten von Funkzellen der Umgebung genutzt werden, um die Anschlusskennungen zu ermitteln. In besonderen Fällen können auch spezielle mobile Geräte, sogenannte IMSI-Catcher, zum Einsatz kommen, die alle Kennungen aus der unmittelbaren Umgebung über Mobilfunkprotokolle bestimmen. So können beispielsweise auch bei einer Verfolgung im Straßenverkehr die Anschlüsse von Personen, die in einem vorausfahrenden Fahrzeug sitzen, ermittelt werden. Ist die Kennung erst einmal bekannt, kann eine Abfrage der Kundendatenbank erfolgen, um die persönlichen Daten des Observierten zu erhalten – wenn er denn tatsächlich der Anschlussinhaber ist. Zudem können mithilfe der Kennung Abhörmaßnahmen gerichtlich beantragt werden und stille SMS zur späteren Lokalisierung des Handys versandt werden. Wenn Täter allerdings ihre Geräte ausgeschaltet lassen und nach nur einmaliger Nutzung mit der Karte entsorgen, sind die genannten technischen Maßnahmen weitgehend nutzlos.

Wem nützt anonyme Kommunikation?

Die Möglichkeit, anonym telefonischen Kontakt aufzunehmen oder Datenverbindungen herzustellen, wird von vielen Datenschutz-Aktivisten als Grundrecht angesehen. Wichtig ist sie für Informanten, die sich an die Presse oder an nichtstaatliche Organisationen wenden möchten (Whistleblower), für investigative Journalisten, für politische Aktivisten, die sich unbeobachtet koordinieren wollen, oder auch für Menschen, deren Gesprächspartner in Staaten leben, in denen es Menschenrechtsverletzungen gibt – um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn Metadaten die Kommunikationsbeziehung und damit die vertraulichen Identitäten der Gesprächsteilnehmer aufdecken könnten, ist die Nutzung anonymer Kommunikationsmittel stets geboten. Einen rechtlichen Anspruch auf anonyme Kommunikation gibt es in Deutschland jedoch nicht. Dies wurde auch vom Bundesverfassungsgericht entschieden, das Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und nachrichtendienstliche Tätigkeit als gefährdet ansieht, wenn anonyme Kommunikation ermöglicht wird (Beschluss vom 24. Januar 2012).

Kann die Ausweispflicht umgangen werden?

Die neue gesetzliche Regelung erscheint als stumpfes Schwert, weil es weiterhin Möglichkeiten gibt, anonym SIM-Karten zu kaufen. Da Mobilfunknetze grenzüberschreitend genutzt werden können, liegt es für die Zielgruppe nahe, sich mit SIM-Karten im EU-Ausland einzudecken. Die Roaming-Gebühren sind in vielen Fällen ganz entfallen und strenge Ausweiskontrollen sind ein eher deutsches Phänomen. In einigen EU-Staaten gibt es derzeit keine rechtliche Verpflichtung der Netzbetreiber, die Daten der Kunden zu verifizieren. Für das organisierte Verbrechen und für informierte Terroristen gibt es also ausreichende Schlupflöcher, was den Sinn der gesetzlichen Regelung („Anti-Terror-Paket“) zweifelhaft erscheinen lässt.

Aber auch für Privatpersonen in Deutschland, die sich nicht im Ausland auf die Suche machen möchten, werden sich Möglichkeiten auftun: SIM-Karten und Telefone aus zweifelhafter Quelle werden nicht selten an Flohmärkten angeboten. Hier wird sich absehbar keine Ausweispflicht etablieren. Ein Panikkauf von SIM-Karten noch im Juni ist also eher unbegründet. Aber Vorsicht: Wer SIM-Karten nutzt, die auf ihm unbekannte Anschlussinhaber ausgestellt wurden, riskiert, dass seine Gespräche abgehört werden – es könnte sein, dass ein richterlicher Abhörbeschluss für diese Person, die möglicherweise massenhaft Karten registriert hat um sie weiterzuverkaufen, erwirkt wurde. Neben den anonymen SIM-Karten sollten also weitere Techniken genutzt werden, die auch Inhalte der Kommunikation schützen, wie beispielsweise die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Textnachrichten oder die zusätzliche Verschlüsselung der gesprochenen Sprache mithilfe von Apps.

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”The purpose of computing is insight, not numbers.” (Richard Hamming) Ulrich Greveler studierte in Gießen Mathematik und Informatik, arbeitete sechs Jahre in der Industrie im In- und Ausland, bevor er als Wissenschaftler an die Ruhr-Universität nach Bochum wechselte. Seit 2006 lehrt er Informatik mit dem Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Fachhochschule Münster (bis 03/2012) und der Hochschule Rhein-Waal (seit 03/2012). Sein besonderes Interesse gilt datenschutzfördernden Technologien und dem Spannungsverhältnis zwischen Privatsphäre und digitaler Vernetzung.

5 Kommentare

  1. Das gilt doch sicherlich eher für Amerika. In Deutschland ist es seit jeher eine ordentliche Registrierung von Nöten um eine prepaid karte zu erhalten…
    Man musste stets seine echten Daten preisgeben und mit einem Personalausweis verifizieren. Ändert sich also nicht wirklich was.

    • Doch, schon. Ald*talk-Karten konnte ich direkt an der Kasse von Ald* kaufen. Den Namen habe ich dann online übermittelt. Seit dem habe ich eine Prepaid-SIM, die auf Clint Eastwood registriert ist. Ich heiße aber gar nicht Clint.

  2. @ Ulrich Greveler

    Im Juli tritt ein weiterer Teil des Anti-Terror-Pakets

    Des vorgeblichen Anti-Terror-Pakets. In Wirklichkeit geht es – wie ja auch im Text angedeutet – vor allem um die Bekämpfung der Drogenkriminalität. Der “war on drugs” ist seit über 40 Jahren nicht zu gewinnen und wird auch durch diese Scheinmaßnahme kein Ende finden.

    Richtig wäre, alle Drogen zu legalisieren, um der Drogenmafia mit ihren gigantischen Gewinnen endlich ein Ende zu bereiten. Daran haben aber weder die Ermittlungsbehörden noch die Politik ein Interesse. Folglich wird der Popanz der Drogenkriminalität aufrecht erhalten, um die Existenz der Ermittlungsbehörden sowie das politische Kapital der Parteien zu bewahren.

    Und folglich gibt es ständig neue Quatschmaßnahmen wie diese, die dann auch noch unter dem Tarnmantel der Terrorbekämpfung verkündet werden.

    Alberne, gefährliche Politik.

  3. @Tim
    Ich stimme Ihnen zu, ich halte es ebenfalls für eine gute Idee Drogen zu legalisieren. Allerdings wird es immer organisierte Kriminalität geben: Auftragsmord, Menschenhandel, Waffenhandel, bandenmäßiger Einbruch und Diebstahl. Wenn man von solchem selbst betroffen ist, wünscht man sich, dass die Ermittlungsbehörden Mittel bekommen gegen solche sehr gefährliche Strukturen vorzugehen. Ich halte den Datenschutz nicht für unwichtig, gebe aber zu bedenken, dass es immer ein Spannungsfeld zwischen Freiheit und Kriminalitätsbekämpfung gibt und wahrscheinlich immer geben wird.

    • @ Wizzy

      Das stimmt, aber nichts erreicht auch nur annähernd die Schadwirkung der Drogenkriminalität. Der “war on drugs” hat in den USA 1 % der Bevölkerung in Gefängnisse gebracht und diese zu perfekten Ausbildungsstätten des Verbrechens gemacht.

      Gäbe es keinen “war on drugs” mehr, würde auch ein erheblicher Teil der Polizei- und Geheimdienst-, teilweise auch Militärkapazität wegfallen. Genau aus diesem Grund sind die Behörden Teil des Drogenproblems und kämpfen mitunter wie die Berserker gegen seine Lösung.

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