Facebook mahnt US-Forschungsteam ab. Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit?

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Facebook hat zwei Forschende der New York University abgemahnt, die untersuchen, auf welche Weise Facebook politische Anzeigen ausspielt. Die Doktorandin Laura Edelson und ihr betreuender Professor Damon McCoy sammeln Daten über ein Browser-Plug-In (Ad Observer), das von Freiwilligen genutzt wird, um festzuhalten, welche politischen Anzeigen ihnen eingeblendet werden. Dabei sind einige Fragestellungen von besonderem Interesse: Wie wird die Zielgruppe für die Werbeanzeigen bestimmt? Und inwieweit fließen die Eigenschaften Hautfarbe, Geschlecht und Alter neben weiteren personenbezogenen Eigenschaften in diese Bestimmung ein? Der an Edelson und McCoy versandte Cease-and-desist-letter ist vergleichbar mit einer Abmahnung nach deutschem Recht, die Adressaten auffordert, etwas zu unterlassen und ihnen bei Zuwiderhandlung rechtliche Konsequenzen androht.
 
Das Forscherteam untersucht Microtargeting in politischen Kampagnen. Mithilfe von Microtargeting können Werbeanzeigen gezielt zur (Des-)Information in politischen Auseinandersetzungen genutzt werden. Das NYU-Team publizierte bereits Ergebnisse, die aufzeigten, dass Werbeanzeigen vornehmlich an User mit einer bestimmten Hautfarbe oder mit Veteranen-Status verteilt wurden, um dann eine “organische” Weiterverbreitung zu erzielen. Dabei wird ausgenutzt, dass bestimmte Behauptungen, inbesondere die vermeintliche Aufdeckung von Angriffen gegen eine Status-Gruppe, Emotionen schüren, die dann innerhalb dieser Gruppe (z. B. Veteranen, Waffenbesitzer) weitergeteilt werden. Wenn ein Empfänger auf eine Anzeige reagiert (darunter fallen: liken, teilen, anklicken etc.) , kann er bevorzugt für zukünftige Kampagnen ausgewählt werden, da er eine Multiplikatorenfunktion einnimmt.
 

 
Derartige Kampagnen wurden oft von nicht-authentischen Auftraggebern ins Leben gerufen, wie die Forschenden in der Vergangenheit aufzeigten. Die Einblendung der für die Anzeige verantwortlichen Organisation war dann nicht transparent oder weitgehend missverständlich, so dass die User den Urheber nicht einem politischen Lager oder einem agierenden Lobbyisten zuordnen konnten.
 
Das Unternehmen tut einerseits gut daran, Plug-Ins rund um Datenbeschaffungen von Dritten unter die Lupe zu nehmen. Der Skandal um Cambridge Analytica ist kaum zwei Jahre alt. 2018 wurde bekannt, dass Aleksandr Kogan, ein Psychologe an der Universität Cambridge, mittels einer App und vorgeblich zu wissenschaftlichen Zwecken, Persönlichkeitstests mit amerikanischen Facebookusern durchführte und Millionen von Datensätzen aus Facebookprofilen aufbaute, die später für US-Wahlkämpfe zweckentfremdet wurden. Es wäre jedoch ein Leichtes gewesen, nachzuvollziehen, dass Edelson und McCoy keine personenbezogenen Daten sammeln sondern anonyme statistische Daten zum Microtargting erheben, die Transparenz in Bezug auf die oft undurchschaubaren Algorithmen der Social-Media-Plattform herstellen. Das Plug-In war nicht geeignet, einen Datenschatz nach Vorbild von Cambridge Analytica aufzubauen. Die Behauptung der Facebook-Anwälte, das Plug-In erlaube eine automatische Aggregation von Userdaten und sei daher nicht mehr in legaler Weise zu verwenden, entbehrt jeder Grundlage. 
 
Die Vorgehensweise von Facebook zielt daher direkt auf die Freiheit der akademischen Forschung. Milliardenschwere Unternehmen können Forschende leicht unter Druck setzen, denn die Rechtsabteilungen von Universitäten sind deutlich kleiner dimensioniert als die von großen Unternehmen – falls überhaupt den Forschenden hausinterner Rechtsschutz gewährt wird. Abmahnungen sind äußerst unangenehm und erzeugen hohen hochschulinternen Kommunikationsaufwand, möglicherweise sind sie sogar verbunden mit Kosten, die Forschende aus privaten Mitteln begleichen oder zumindest vorfinanzieren müssen.
 
Facebook hat augenscheinlich wenig Interesse daran, dass Schwächen seiner Algorithmen oder gesellschaftspolitische Wirkungen von Kampagnen in akademischen Publikationen offengelegt werden. Sie stehen bereits unter hohem Druck, und Spitzenmanager mussten sich öffentlichen Anhörungen stellen. Die hohe Relevanz dieser Forschungsarbeiten für den zukünftigen gesellschaftlichen Frieden und die Gestaltung politischer Entscheidungsprozesse ist aber offenkundig. Es wäre zu wünschen, dass Facebook eine moderne Fehlerkultur entwickelt, sich zur gesellschaftlichen Verantwortung bekennt und Forschende bei ihrer Arbeit unterstützt – und diese nicht mit aggressiven juristischen Mitteln behindert. Sollte sich herausstellen, dass die Microtargeting-Technologien tatsächlich Demokratie-gefährdende Elemente in sich tragen, müsste schließlich auch ein ethischen Grundsätzen verpflichtetes Unternehmen wie Facebook dankbar sein, dass unabhängige Fachleute dies aufdecken und Korrekturen ermöglichen. 
 
Edelson und McCoy müssen sich glücklicherweise nicht auf privat finanzierte Anwälte verlassen. Sie werden von Kolleginnen und Kollegen juristisch vertreten: Das Knight First Amendment Institute der Columbia University hat sich zur Aufgabe gemacht, die Freiheit der Rede, die nach amerikanischem Verständnis auch Wissenschaftsfreiheit umfasst, im digitalen Zeitalter zu verteidigen und Beschränkungen seitens staatlicher oder privater Akteure aufzudecken und rechtswissenschaftlich zu untersuchen. Das Institut beschäftigt daher ausgewiesene Juristinnen und Juristen, die nun Edelson und McCoy gegenüber Facebook vertreten und die juristische Abwehrschlacht für sie führen. 

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”The purpose of computing is insight, not numbers.” (Richard Hamming) Ulrich Greveler studierte in Gießen Mathematik und Informatik, arbeitete sechs Jahre in der Industrie im In- und Ausland, bevor er als Wissenschaftler an die Ruhr-Universität nach Bochum wechselte. Seit 2006 lehrt er Informatik mit dem Schwerpunkt IT-Sicherheit an der Fachhochschule Münster (bis 03/2012) und der Hochschule Rhein-Waal (seit 03/2012). Sein besonderes Interesse gilt datenschutzfördernden Technologien und dem Spannungsverhältnis zwischen Privatsphäre und digitaler Vernetzung.

4 Kommentare

  1. Der an Edelson und McCoy versandte Cease-and-desist-letter ist vergleichbar mit einer Abmahnung nach deutschem Recht, die Adressaten auffordert, etwas zu unterlassen und ihnen bei Zuwiderhandlung rechtliche Konsequenzen androht.”

    Zum Verständnis eine Frage, wie genau sollen denn die rechtlichen Konsequenzen aussehen?

    • @Herr Freyling:
      Dazu kann ich nur die offizielle Aussage des Knight Institute zitieren, da mir auch keine weiteren Details vorliegen.

      “On October 16, 2020, Facebook sent a cease and desist letter to two New York University researchers, Laura Edelson and Damon McCoy, demanding that the researchers discontinue use of a tool crucial to studying political ads on Facebook’s platform. The letter threatens further action if the researchers do not comply by November 30. The Knight Institute is representing Edelson and McCoy in the matter.”

  2. Ich vermute es geht Facebook hier eher um Reverse-Engineering, immerhin ist es erklärtes Ziel herauszufinden wie der geheime Algorithmus von Facebook funktioniert. – Normalerweise wehren sie ich genau wie die Schufa diesen offenzulegen und deklarieren ihn als Geschäftsgeheimnis.

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