Zurück in der Zukunft
BLOG: Das Sabbatical

Manchmal kann ich es selbst kaum fassen. Genau zwölf Tage bin ich da und es fühlt sich an, als sei ich nie weggewesen. Dabei ist es fast ein Jahr her, dass ich nicht mehr über die Neckarbrücke geradelt oder beim Heidelberger Schloss vorbei gejoggt bin, dass ich Auto fuhr oder in der S-Bahn unterwegs war. Die alte Heimat fühlt sich dennoch vertraut an wie ein alter Schuh – eine zauberhafte Mischung zwischen Geborgenheit und offenem Geist. Und gleichzeitig ist sie frisch wie der Frühling einer neuen Liebe – und ich habe große Lust, mich darin neu zu erfinden (Foto: Tom Iredale).
Alle staunen, am meisten ich selbst. Zurück aus dem Sommer Lateinamerikas in den deutschen Winter, schlimmer noch, zurück in die Vorweihnachtszeit mit ihrem Konsumrausch. Doch die menschliche Wärme, die ich in Peru, Bolivien und zuletzt Uruguay erleben durfte, umhüllt mich noch immer wie ein schützender Kokon. Und sie wird genährt von all den lieben Menschen, die mir hier begegnen. Die machen mich immun gegen die Verlockungen des Konsums. Ich kaufe nur Lebensmittel und ein bisschen bedrucktes Papier. Beim Wiedereinzug in meine kleine Dachbehausung nehme ich jedes Kleidungsstück in die Hand. Was ich drei Jahre nicht getragen habe, kommt ins Secondhand-Kaufhaus. Ich will keinen unnötigen Ballast.
Heute ist mein erster Abend allein, alle zuvor waren angefüllt mit bereichernder Begegnung und inhaltsreichen Unterhaltungen. Mein Sinn hat sich geschärft, für das was oberflächlich und was wirklich wichtig ist und macht mich tolerant gegenüber den kühlen Temperaturen, dem wenigen Licht und manch muffligem Gesicht.
Die ersten Tage radle ich selig durch die Stadt, genieße mein Rad so sehr, dass ich manchmal gar nicht merke, dass es regnet. Die erste Autofahrt nach einem Jahr Abstinenz ist da schon schwieriger. Der fahrbare Untersatz einer Freundin will aus der schmalen Tiefgarage kutschiert werden. Ich bin schweißgebadet.
Auch vor der Agentur für Arbeit, wo ich mich nun melden muss, habe ich zunächst Angst. So viele Artikel habe ich über dessen Aktivitäten verfasst, doch auf der anderen Seite zu stehen, fühlt sich anders an. Eine Freundin bietet mir an mitzukommen. Und ich nehme zu meiner Verblüffung gerne an. Zu zweit kämpfen wir mit dem dortigen Computer und haben Spaß dabei. Auch hier, ebenso wie bei Krankenkasse und Ämtern, strahlt noch ein bisschen Südamerika-Sonne durch mich hindurch. Niemand nimmt mir etwas übel, die Meisten lächeln zurück, ich werde häufig herzlich umarmt und viele, vor allem ältere Menschen bitten mich um Hilfe.
Noch haben mich weder der Kulturschock erfasst, noch die Existenzangst am Wickel. Eine gewisse Zuversicht nistete sich vor einer Weile in mir ein. “Es wird schon werden”, sagt die. Trotz aller Sorgen, welche die Deutschen sich machen, ist dies hier ein Hort der Seligen. Wir vergessen das oft, weil wir so grundständig ängstlich sind. Indes, wir werden die Sicherheit nicht von außen erzeugen, sondern nur von innen erspüren. Sie ist immer relativ und fragil. Das habe ich in Peru begriffen.
Und die wundervollen Wolkenformationen sowie der Blick auf Brasilien beim Rückflug haben mich die Schönheit und die Gefährdung unseres blauen Planeten so intensiv fühlen lassen wie noch nie. Diese Reise zurück in die Zukunft war anders als alle bisherigen. Das Unterwegssein hat mich leichter gemacht. Ein Gefühl, dass ich mir bewahren möchte.
Willkommen zurück und danke für all die schönen Artikel. 🙂
Am ehesten wird gelernt, wenn das, was OK ist, für einige Zeit verlassen wird, so dass bei der Rückkehr klarer wird, dass das gewohnte eben OK ist. Insbesondere wird dies klar, wenn zeitweise Gegenden besucht worden sind, die nicht OK sind, in denen diese Variante – ‘Was ich drei Jahre nicht getragen habe, kommt ins Secondhand-Kaufhaus.’ – eher unüblich ist.
Wobei für diese Zwecke Europa nicht einmal verlassen werden muss.
MFG + ein frohes Neues + guten Rutsch!
Dr. W