Zu Gast beim großen Bruder des Grand Canyon

BLOG: Das Sabbatical

Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Chivay ist mein derzeitiger Lieblingsort. 3652 Meter über dem Meeresspiegel liegt das kleine Nest am Eingang des Colca-Canyon, inmitten von Terrassenfelden und im Schatten mächtiger Berge. Meine roten Blutkörperchen haben sich soweit an die Höhe gewöhnt, dass sie mich nicht zur Luftschnapperin machen. Hier gibt es keinen lärmenden und stinkenden Autoverkehr, denn der einzige, wirklich befahrbare Weg führt immer weiter in den Canyon hinein, der am Ende fast doppelt so tief ist wie sein großer Bruder, der Grand Canyon, in den Vereinigten Staaten.

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Auf mehr als 3000 Meter sind wir schon, darüber wölbt sich noch einmal ebenso hoch ein Kette von Vulkanen, von denen einer kräftig Schwefeldampf in die Luft entlässt. Hier ist Landwirtschaft Topthema. Mais, Kartoffen, Gemüse und Obst aller Art wachsen in den von aufgeschichteten Steinmauern um gebenen Feldern, die wiederum von Kakteen gekrönt werden. Seit Urzeiten leben die Menschen davon, was die Erde ihnen schenkt, beziehungsweise sie ihr mühsam abringen.

Hauptproblem ist wieder einmal das Wasser. Eigentlich ist Regenzeit, doch die lässt in diesem Jahr, wie auch schon in dem davor, auf sich warten. Dafür sprudeln die Thermalquellen in Chivay und auch sonst im Canyon kräftig. Den schwefligen Geruch bekommen die Betreiber in den Griff, so dass Einheimische und ein paar Touristen sich wohlig in der Wärme aalen können.

Hier ist Quechua-Land, die Nachfahren der Inkas. Das harte Leben hat nicht nur die Haut ledern gemacht, sondern auch das Gemüt geprägt. Die Jungen sind kaum mehr hier, viele von ihnen zieht es in die Städte, wo das Leben leichter scheint als auf den kargen Feldern, die so kunstvoll bewässert werden müssen, mit dem, was der Colca-Fluss noch mit sich bringt. Die Menschen sind zurückhaltend und abwartend, freuen sich aber, wenn wir die abenteuerlichen Teekompositionen und Mahlzeitenkreationen probieren.

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Mir gefällt, wie Männer, Frauen und Kinder mit den Tieren umgehen. Die Hunde streifen ohnehin selbstständig und friedlich umher, aber auch die Alpakas, Kühe und Schweine sind allesamt draußen und werden liebevoll gehegt. Auch, wenn es am Ende Nutztiere sind, stellen sie für die Bauern ein Vermögen da und so gehen sie mit ihnen um.

Auf dem Markt in Chivay wird alles verkauft, was irgendwie beweglich ist: Junge, lebende Hühner, Lamadung in Brikettform zum Heizen, ein Arm voll Alfalfa für das Vieh, Äpfel, Pfirsiche, Melonen, jede Menge gebrauchter westlicher Outdoorkleidung und der warme Getreidetrunk zum Frühstück ohnehin.

Ich kriege gerade einen Cocatee mit mitfühlendem Blick überreicht. Die Buckelpiste, das Rucksacktragen und der fehlende Morgenlauf haben mir einen eklig verspannten Rücken beschert, der mein Nervenkostüm zusätzlich zu allen Eindrücken zu überfordern droht.

Da nehme ich mir ein Vorbild an diesen alten Frauen vom Markt. Ihre Hände sind die harte Feldarbeit von Kindheit an gewöhnt, aber sie bewegen sich wie die Königinnen in ihrer bunten Tracht. Unter einem samtig-farbigen Rock lugt zumeist eine Art Spitzenunterrock hervor, darunter braun-weiße Kniestrümpfe aus Alpakawolle, darüber kunstvoll bestickte Westen und Jacken und alles gekrönt von einem glitzernden, weißen Hut. Auf dem Rücken, in die typischen peruanischen Decken gehüllt, sind die Einkäufe, ein Alpakajunges oder der eigene Nachwuchs – leicht festzustellen ist das meistens nicht.

Sie strahlen auf mich eine Gelassenheit aus,die durchaus etwas von demütiger Ergebenheit und “nicht unterkriegen lassen” in sich birgt. Sie sehen ihr Kultur zerfallen. Von ihren zehn oder elf Geschwister haben kaum alle überlebt, ihre eigenen Kinder können sich nur noch zwei leisten. Dafür quetschen die ihre fülligen Leiber in enge Jeans und Shirts, die in den Bergen doch so unpraktisch sind. Doch es nutzt ja nichts, sich den Veränderung entgegen zu stemmen. Bewahren, was wichtig ist und Proviant für die Zukunft gibt – und den Rest loslassen.

So sitzten sie da, am Rande des Marktes. Die eine spinnt Wolle, die andere schleckt ein Eis, die Dritte schlürft ihren Tee. Sie lassen dem Leben seinen Lauf, fallen dem Rad der Zeit nicht in die Speichen. Und wenn es vorbei ist, dann ist es eben vorbei.

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

1 Kommentar

  1. Nur ergänzend:
    -> http://www.google.com/publicdata/directory (hier mal die Daten der Weltbank abgreifen und ‘Peru’ und bspw. die Lebenswartung (zwischen 1960 und 2012 von ca. 48 auf 74 gestiegen), auch die sogenante Fertilitätsrate (zurzeit ca. 2,5) betreffend)

    Nettes Tierchen btw, das zweite von oben, und nein, auf Emus kann nicht geritten werden, nein!

    MFG
    Dr. W

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