Wo geht’s denn hier zum Strand?
BLOG: Das Sabbatical
Der Peruaner an sich ist ein geselliges Wesen. Deshalb geht er auch nie alleine an den Pazifik, sondern in dicken Familienbündeln, die dann mit Zelten, Kochtöpfen und lautstarkem Lebensmut den Strand bevölkern. Von Arequipa an den nächstgelegenen “Playa” sind es eigentlich nur läppische 145 Kilometer Straße oder 70 Kilometer Luftlinie. Trotzdem ist es eine Reise durch verschiedene Welten. Erst durch eine fantastische Stein- und Sandwüste zur Küste hinunter und dann dort am Strand mit kühlen Wellen der graue Sand und in den Flussmündungen – wie der des Rio Tambo – Oasen mit Palmen, Bananen, Reis und Mais soweit das Auge reicht.
Ob im zwischen Eisenbahnromantik und Strandkonsum gefangenen Mollendo oder im noch quirligeren Punta de Bombón, die Tsunami-Fluchtwegschilder sind nirgends zu übersehen. Ohnehin ist Peru nichts für schwache Nerven. Die Erdbebengefahr lauert überall, aktive Vulkane gibt es auch und bevor man in einen der Überlandbusse steigt, kann es sein, dass der Fahrer mit der Videokamera seine Passagiere filmt. Warum das? Falls ein Unfall passiert, erklärt er lakonisch, damit die Opfer leichter zu identifizieren sind.
Aber zurück zum Tsunami. In den letzten 400 Jahre haben einige der Monsterwellen dem Küstenstreifen schwer zugesetzt und viele Menschenleben gefordert. “Schuld” ist daran die Nazca-Platte, die sich rund 100 Kilometer vor der Küste unter die Südamerikanische Platte schiebt. Sie löste auch das Beben am 23. Juni 2001 aus, das nicht nur in Arequipa schlimme Schäden anrichtete, sondern auch einen kleineren Tsunami auslöste. Hunderte von Häuser wurden dem Erdboden gleich gemacht, etliche Menschen starben, bis zu sieben Meter hoch war die Welle, die bis zu einen Kilometer tief ins Landesinnere vordrang. Gut nur, dass alles im Peruanischen Winter stattfand und die Strände leergefegt waren. Nicht auszudenken, was im Sommer passiert wäre.
Zwischen dem Strandleben von Mollendo und Punta (wo sich Zelt an Zelt und Bar an Bar reiht) gibt es einen wundervollen Fluchtpunkt für alle Geräuschempfindlichen, die Abstand zu Menschenmassen brauchen – und natürlich für Vogelfreunde. “Sanctuario National Lagunas de Mejía” heißt das 690 Hektar große Schutzgebiet. Es umfasst die größten Seen des 1500 Kilometer langen Küstenwüste und beherbergt mehr als 200 Arten von Küsten- und Zugvögel. Enten, Gänse, Geier und Flamingos, ganz zu schweigen von Pelikanen und Austernfischern bevölkern in großen Gruppen die Seen und den Strand. 50 Spezies an einem Tag zu beobachten, scheint selbst für ornithologische Laien keine große Kunst zu sein.
Obwohl vom Status her, gleich nach dem Nationalpark rangierend, muss für den Schutz wohl noch einiges getan werden. Ausschweifende Picknicks am Strand und darüber knatternde Kleinflugzeuge tun den Tausenden und Abertausenden von Vögeln am Strand nichts Gutes.
Gar nicht stören lassen sich indes folgende Gesellen: die Truthahngeier (so ergaben meine biologischen Recherchen). Im Gegensatz zu den Kondoren ernähren sie sich ausschließlich von Aas und können, wenn sie so in Grüppchen herumsitzen und einen ganz genau in der flirrenden Mittagshitze in Augenschein nehmen, durchaus ein wenig mulmige Gefühle in der Magengegend verursachen. Aber, wie gesagt, sie fressen nur Totes und davon gibt es reichlich. Wir allein sehen vier tote Seehunde, die den beiden und ihren Kumpels reichlich Nahrung geben dürften.
Vor knapp drei Jahren war es, als Artikel über ein großes Sterben an der Küste Perus durch die internationalen Medien ging. Delfine wurden tot angetrieben, Seelöwen und Pinguine, vor allem aber auch junge Pelikane. Mehr als 5000 von ihnen wurden gefunden – die meisten waren verhungert. Im Magen der zumeist jungen Tieren fanden sich vor allem Müll und Sand. Ein Zeichen dafür, vermuteten peruanische Wissenschaftler, dass sie am Ende aus Verzweiflung fast alles gefressen hatten, was da war.
Grund könnte gewesen sein, dass durch die Erwärmung der peruanischen Küstengewässer und dem Zustrom äquatorialen Wassers die Beutefische wie Sardellen in kältere Regionen umgezogen waren und die Jagd der Pelikane so erfolglos blieben. Bei den Delfinen wurde vermutet, dass eine neue Technik der Ölsuche am Meeresgrund, die so genannte 3-D-Seismik, die mit extremem Lärm einher geht, ihren Tod verursacht haben könnte. Das konnte jedoch bislang nicht bestätigt werden.
Wir haben Glück an diesem heißen Tag und sehen große Vogelschwärme und mittendrin immer wieder die faszinierenden Gefährten, die majestätisch entlang stolzieren oder über die Wellen dahin ziehen.
Nicht eindeutig bestimmen lassen sich die kleine roten Krabben (Bild unten) mit Hilfe des Internets. Sie wuseln wie wild in großer Zahl über den Strand und verschwinden flugs in ihre Sandlöcher, wenn sie unsere trampligen Schritte hören. Bevor ich etwas falsch benenne, umschreibe ich es lieber, das habe ich in vielen journalistischen Jahren gelernt. Es gibt immer jemanden, der es besser weiß.