Tanz zwischen Misti und Chili

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Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

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Der Rio Chili sprudelt und gurgelt dem Pazifik entgegen. Er ist die Lebensader der an der Millionen Einwohnergrenze kratzenden zweitgrößten Stadt Perus, Arequipa. Entlang seiner Ufer grasen Kühe im fetten Grün, daneben sprießt der Kohl und anderes Gemüse. Die Terrassenförmigen Felder werden per Hand bestellt wie vor hunderten von Jahren. Das ist die eine Seite, die idyllische. Die andere ist die der historischen Altstadt, der „weißen Stadt“, wie Arequipa auch genannt wird, das Weltkulturerbe. Es wimmelt da nur so von Klöstern, Kirchen und Kolonialbauten. Wer sie alle besichtigen wollte, wäre monatelang beschäftigt.

Obwohl es von hier aus nur etwa 70 Kilometer Luftlinie zum Meer sind, gehört die Stadt weder zur Küstenwüste noch zum Hochland, sondern befindet sich irgendwo dazwischen. Die jährliche Durchschnittstemperatur liegt tagsüber bei angenehmen 22 Grad, die Sonne scheint zumeist von wolkenlosem Himmel.

Alles in allerbester Ordnung? Nun ja, die Gegend ist auch eine der heißen Regionen dieser Erde und liegt im amerikanischen Feuergürtel. Im Departemento Arequipa, dem Großraum, befinden sich 167 von insgesamt 401 Vulkane Perus, darunter zehn aktive. Jedes öffentliche Gebäude und fast jede Kneipe hat Sicherheitspunkte für Erdbeben (Sismo) ausgewiesen, wo man sich sammeln soll, wenn es gefährlich wackelt.

Derweilen explodieren in der Stadt die Immobilienpreise und alles platzt aus allen Nähten, so dass sich die Randbezirke der Armen immer näher an die Hänge des Vulkans Misti heranschieben. Sein nächster Ausbruch wird verheerende Folgen haben. Dem Film „Dante’s Peak“, den ich aus unerklärlichen Gründen mit in die Sammlung meiner Reisefilme eingepackt habe, verdanke ich den Satz von Pierce Brosnan in der Rolle des Vulkanologen „Es gibt keine erloschenen Vulkane, nur schlafende!“

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Ein bisschen ähnelt das Leben in der Stadt einem Tanz auf dem Vulkan. Das Nachtleben ist wild, ausgelassen und teuer. Spitzenrestaurants und originelle Bars reihen sich aneinander und ein Taxi nach dem anderen wartet darauf, die Gäste zum Ort des Vergnügens und zurück zu bringen. Doch was wird passieren, wenn die drohende Wasserknappheit tatsächlich eintritt? Das könnte in den nächsten Monaten geschehen, wenn in diesem Jahr die Regenzeit wieder einmal nicht hält, was ihr Name verspricht.

Aber auch hier scheinen Menschen wie überall auf der Welt nicht dafür gemacht, aus der Sorgen um die Zukunft der Kinder Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen. Vor ein paar Monaten habe ich eine Primatenforscherin im Interview gefragt, ob sie glaube, dass die Evolution des Menschen noch weiter gehe? „Klar“, hat sie gesagt und gelächelt, da gebe es ja schließlich noch einiges an Potenzial für Entwicklung. Recht hat sie, präventiv und uneigennützig im Sinne der Nachfolgenden handeln zu können, das wäre ein echter Fortschritt der menschlichen Spezies.

 

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

2 Kommentare

  1. Hallo Frau Baumbusch,

    Sie schreiben wunderschön über Ihre Reise, das ist eine Lust zu lesen.

    Das rührt mich. Ich war vor 35 Jahren in Arequipa, und es war damals schon magisch. Ich habe in Erinnerung, als ob die Stadt auf einer Grenze läge, zwischen der Kultur und Zivilisation die wir annähernd kennen, aber schon halb versunken in der fremden Zivilisation der Inkas, das waren Leute, die ich nicht verstand, weil sie nie lachten.

    Gibt es noch die Zauberer ? Sie inserierten in der Zeitung und boten dort ihre Dienste an.
    Wir haben dann einen, der inseriert hatte, besucht – sind schenkelklopfend vor Lachen zum ihm rein, und mit schlotternden Knien und voller Nachdenklichkeit wieder raus.

    Gibt es sie noch ? Es ist scheint mir vollkommen unangemessen zu fragen – aber gibt es sie auch im Internet ?

    Ich durchlebe in Ihrem Beitrag meine Reise ein zweites Mal.

    Das ist wunderschön.

    Grüsse
    Fossilium (ist mein Markenname in anderen Blogs, kann ich jetzt nicht ändern)

    • Liebes Fossilium,
      ganz lieben Dank für Ihre Anregungen, ihr Lob und die Frage. Wir werden dem nachgehen. Leonor und Paco, in deren Haus wir leben, sind Quechua und müssten es eigentlich wissen. Gerade sind sie aber damit beschäftigt, mit anderen zusammen, Land außerhalb Arequipas zu besetzen und zu besiedeln, weil sie ihre schöne Stadt nicht weiter den Spekulanten überlassen möchten.
      Bis bald,
      Ihre Kirsten Baumbusch

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