Metamorphose
BLOG: Das Sabbatical
Ich nehme mich mit, wohin ich auch gehe. Mit allem, was mich ausmacht, der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft – einerseits. Umso länger mein Sabbatical andauert, umso stärker spüre ich andererseits, dass meine Veränderungen ebenfalls zu mir gehören als quasi logische Konsequenz. Selbst wenn ich diese Metamorphosen nur spüre und noch gar nicht klar benennen kann. Das ist ein wunderbarer, mannigfaltiger und organischer Prozess, dem ich mir hier erlauben kann nachzuspüren und den ich sich entwickeln lassen darf. Es ist meine Persönlichkeit, die die Energien und Impulse nützt, um den ganz eigenen Weg ihrer Bildung zu gehen: ein spannendes Abenteuer mit mir selbst.
Ich bin demütiger und gelassener geworden. Kein Wunder angesichts von Erdbeben, Vulkanen und Menschen, bei denen jede Krankheit, jeder Unfall an die Existenz geht. Ich brauche nichts, was mir sonst die westliche Konsumwelt aufdrängt – ein großer und ein kleiner Rucksack sowie ein Koffer beherbergen meine Habseligkeiten und vermisst wurde bislang nichts. Ich kaufe kaum etwas außer Lebensmitteln, das wäre nur Ballast. Diese Einfachheit tut gut.
Nur Elementares ist wirklich wichtig: Liebe, Freundschaft, Familie, Wärme, Erkenntnisse, Erfahrungen, das was sich gut anfühlt und das was nicht. Diese Wesentlichkeit geht einher mit Freiheit und enthebt mich vieler Zwänge, die zuvor selbstverständlich waren und zu mir gehörten wie eine zweite Haut. Wer in Arbeitsprozesse eingebunden ist oder mit Schreiben sein Geld verdient, hat keine Wahl. Hier habe ich sie: heute küsst mich die Muse nicht, also mache ich das morgen, bis die Angelegenheit reif ist und sich aus meinem Kopf heraus ins Geschriebene gebären möchte. Wenn das soweit ist, dann schreibe ich ganze Texte in einem Rutsch, nur noch dem roten Faden hinterher – wunderbar.
Dabei hilft immer wieder der Kontakt mit den Menschen hier, vor allem mit den Kindern von Casa Verde. Ihre Fröhlichkeit und Leichtigkeit bei aller Schwere des Schicksals ist ansteckend. Sie macht demütig und elementar zugleich. Es braucht nicht viel für ein Lächeln. Oder wie sagte Javier, mein Guide, der uns zur verwunschenen Schwester des Machu Picchu führte, “lächle den Problemen entgegen, das macht sie kleiner”.
“Was ist meine Aufgabe hier?”, frage ich einen Seelenfreund. “Du kannst im Innersten berühren!”, antwortet er. Und sogar ohne das zu wollen, gelingt es. Geschriebene Worte von mir bringen Saiten in anderen Menschen zum Schwingen, so entsteht in faktischen Texten Poesie und die Sprache wird zum Instrument. Ist es ein Zufall, dass im Spanischen “tocar” berühren und spielen zugleich heißt?
Dazu kommen diese retardierenden Momente, wenn einfach nichts zu tun ist. Auf Wanderungen in den Anden beispielsweise: kein Strom, kein Licht, nur noch die Nacht vor mir. Da sitzen, nichts tun, in mich hineinhören, verbinden mit der Natur, mit dem Boden, auf dem ich sitze, der Luft, die ich atme, den Sternen, die ich sehe – alles stimmt. Annehmen, was ist. Da sein, ohne etwas zu wollen. Diese Akzeptanz des Augenblicks macht stark für Unvorhergesehenes, das mich im deutschen Leben wahnsinnig machen würde. Der Streik auf dem Rückweg vom Choquequirao mit seinen Straßenblockaden oder das Unbestimmte meiner Zukunft. “Es wird schon alles irgendwie werden”, schreibe ich einer Freundin und bin erstaunt über mich selbst. “Es ist wie es ist”, fühle ich mich eins mit dem Augenblick.
Diesen Proviant möchte ich mitnehmen, in mein neues, altes Leben. Und bin froh, dass das Sicherheitskorsett, das viele sich für die Zeit nach dem Sabbatical festzurren, bei mir nicht existiert. Sich neu erfinden zu müssen, mit der transformierten Persönlichkeit ist eine Herausforderung, die weiter wachsen lässt und wesentlich macht. Und dem Schmetterling beim Fliegen hilft. Dann gilt es nur noch, die Form zu finden, die zum Inhalt passt und die weitere Entwicklung ermöglicht. Das, so denke ich heute optimistisch, müsste doch zu schaffen sein. Und das Lachen der kleinen Liz hilft mir dabei.