“Mädchen, du musst ein bisschen mehr macha sein”

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Abenteuer Auszeit
Das Sabbatical

Die Frauen Perus sind ein Phänomen. Sie arbeiten knochenhart in schlecht bezahlten Jobs und zuhause in der Familie sowieso – viele, viele Stunden lang. An ihrer Fürsorge hängen drei bis vier Generationen und ein großer Kreis von Freunden und Nachbarn. Die Anerkennung dafür hält sich in Grenzen. Hundemüde schlafen sie dann ein, wo sich eine kleine Gelegenheit bietet, im Park oder im Minibus. Das Erstaunlichste dabei ist jedoch ihre mitfühlende Wärme, deren Quelle nie zu versiegen scheint. Und eine Fröhlichkeit, die auch in schwierigen Zeiten aufmuntert.

IMG_3943Sprachliche Barrieren überwinden sie dabei ebenso mühelos wie die zwischen den Geschlechtern und dem Alter. Und manchmal, wenn alles ganz arg schwer wird, dann sagt die eine Frau zur anderen, dass sie jetzt ganz “macha” sein muss. In Abwandlung des Begriffs Machismo oder Machista ist daraus eine eigene, weibliche Form für “tapfer” oder “stark” entstanden.

Noch die Großmütter von heute hatten zehn, elf Kinder. Wenn die alle überlebt und dann vielleicht noch einen Beruf ergriffen haben, erzählt die “Abuelita” (Großmütterchen) das gerne, oft und mit großem Stolz. Was Hausfrau in Europa bedeutet, kann sie sich kaum vorstellen. Sie hat ihr Leben lang gearbeitet, ob sie nun gerade schwanger war oder nicht. Noch immer hilft sie auf dem Feld und in der Küche mit, soweit ihre Füße sie tragen. Und manchmal sitzt sie an der Straßenecke oder einem Wanderweg und verkauft heißen Tee und Kaugummis oder genießt ein bisschen die sengende Andensonne.

P1040609Ihre Tochter (heute um die 60 Jahre) hat nur noch vier Kinder zur Welt gebracht. Hart ist ihr Leben ebenfalls. Der Weg zum nächsten Arzt war vor allem in den Anden weit, wenn sie sich ihn überhaupt leisten konnte. Sie weiß viel über Gesundheit, Krankheit, Ernährung und wie man mit wenig Geld und geschicktem Einkauf auf dem Markt viele Mäuler stopft.

P1020332Mit ihrem Mann hat sie mehr oder weniger Glück gehabt, aber selbst wenn er über ein gutes Einkommen verfügte, reicht die Rente nicht zum Überleben und jede Gelegenheit, noch ein wenig Geld zu verdienen, muss genützt werden. Sie selbst war ein Leben lang zwar tätig, zum Einzahlen in die Rentenkasse hat es aber selten gereicht, genauso wenig wie zur Krankenversicherung.

Zur Sorge um die alten Eltern kommt heute oft noch die um die Kinder dazu. Vor allem die jungen, peruanischen Männer tun sich mitunter schwer, beruflich und privat auf die Beine zu kommen. Dann leben sie alle unter einem Dach, die jungen Männer steuern wenig bei und sie zur Hausarbeit heranzuziehen, hat ihre Mutter schon in jungen Jahren versäumt.

Für die jungen Frauen um die 30 sieht die Welt wieder anders aus. Sie erlebt ihre Geschlechtsgenossinnen als Präsidentschaftskandidatinnen oder Bürgermeisterinnen, weiß, dass sie in Minen arbeiten und Professorinnen sind. Aller Voraussicht nach wird sie nicht mehr als zwei Kinder bekommen. Mehr kann sich selbst eine intakte Kleinfamilie kaum leisten. Viele Beziehungen zerbrechen, Scheidungen oder alleinerziehend zu sein, sind keine Einzelschicksale mehr. Diese jungen Frauen lassen sich vieles nicht mehr gefallen. Waren es früher die Männer, die Geliebte hatte, gewalttätig wurden, aber nie Gefahr liefen, verlassen zu werden, hat sich das Blatt gewendet. Betrügt sie ihr Mann, kann er nicht mit Geld umgehen, hat er ein massives Alkoholproblem oder misshandelt er Frau und Kind, packen viele Peruanerinnen ihr Bündel und gehen. Die Großfamilie fängt sie auf und einen Beruf haben sie in der Regel auch gelernt. Auf die Hilfe des Staates zu vertrauen, wäre leichtsinnig.

Und dann gibt es noch eine ganz neue Spezies wie Karol.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA“Eine eigene Familie? Nun ja, wenn es sich ergibt, ist es ganz schön”, meint die 25-jährige Absolventin eines Studiums von Tourismus und Hotelmanagement lächelnd bei einem Espresso. Wichtiger als das sind ihr Auslandserfahrungen, ein erfüllender Beruf und natürlich ihre Nichten, ihre Schwester, ihre Eltern und ihre Freunde. Abhängig zu sein von einem Mann, ist für sie unvorstellbar und das macht denen ein wenig Angst. Auch wenn sie das mit großem Charme tut, verletzt sie damit über Jahrhunderte gepflegte Stereotypen in einem stockkonservativen Land.

Sie sieht bei vielen ihren Freundinnen, wie spätestens Ende 20 dann doch noch der Nesttrieb ausbricht, auch wenn zuvor mit Bravour ein Studium absolviert wurde. Aber mit ihrem Ansinnen, möglicherweise keine eigenen Kinder zu haben, riskiert Karol nicht mehr, ausgestoßen zu werden. Dazu kommt, dass für immer mehr der jungen, ehrgeizigen und erfolgreichen Peruanerinnen ihre männlichen Altersgenossen nicht sonderlich attraktiv sind. Jahrzehntelang von der Mutter verwöhnt, sind sie nicht nur schlechte Lebenspartner, sondern auch nicht sonderlich engagierte Väter. Einige von ihnen weigern sich schlicht, erwachsen zu werden und pflegen noch mit weit über 40 das Image eines Berufsjugendlichen. “Eine Frau von heute will so eine Art Baby nicht”, formuliert Karol kategorisch, “dann lieber ein echtes Kind!” Kein Wunder, dass die peruanischen Männer einen gewissen Druck verspüren, sich an die modernen Zeiten anzupassen. Zumal auch im Beruf die weibliche Konkurrenz auf dem Vormarsch ist.

Wie wird Karols Leben aussehen, wenn sie doppelt so alt ist wie heute und es ist gut gelungen? Sie neigt ein wenig den Kopf und dann kommt die Antwort: “Dann habe ich einiges von der Welt gesehen und etwas Wichtiges für mein Land gemacht”.

So viele verschiedene Landschaften Peru aufzuweisen hat, so viele verschiedene Gesellschaftsschichten gibt es auch. Und es wäre fatal, diese Tendenz absolut zu setzen. Oben hoch in den Anden oder unten tief im Urwald sind diese Veränderungen noch nicht angekommen. Und fast alle kleinen Mädchen geben bei Tanz und Theater gerne die kokette Prinzessin.

P1050271Auch wenn schon die Allerkleinsten sehr plastisch klar machen: Von den Kerlen wollen sie sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Das machen sie dann schon lieber selbst. Wir dürfen gespannt sein.

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

2 Kommentare

  1. Nur ergänzend:

    Die Fertilitätsrate Perus ist seit 1960 von ca. 6,5 auf heute ca. 2,5 herabgekommen, wobei sich die ca. 1998 nach unten durchstoßen habende Rate von ca. 3,0 Richtung “unzureichender Bestandserhalt” entwickelt, zurzeit eben bei ca. 2,4 oder 2,5 liegt, die genannte Entwicklung betreffend nicht mehr fern von der bestandserhaltenden Rate von ca. 2,1.

    ‘Machismo’ oder ‘macha’ meint das Maskulinum, portugiesisch oder spanisch verfärbt, auch der (griechische) Ismus ist hier womöglich im Spiel, bundesdeutsch-sprachlich übersetzt könnten einige insofern aufgefordert worden sein ‘burschikos’ oder schlicht ‘männlich’ zu sein, ‘tapfer’ oder so wäre anders zu übersetzen ins Deutsche.

    MFG
    Dr. W

  2. Interessante Einsichten und mMn wieder einmal ein Beleg für die simple Erkenntnis, dass man den positiven Entwicklungsstand einer Kultur nicht zuletzt an der “Freiheit” des weiblichen Bevölkerungsteils und den für ihn daraus resultierenden Gestaltungsmöglichkeiten bemessen kann.

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