In der letzten Bastion der Inkas
BLOG: Das Sabbatical
Der Machu Picchu nervt und das in der Regel schon lange vor der Reise. Offiziell erreicht man das Weltwunder nur mit dem Zug. Die Fahrpreise sind wie der Eintritt für Ausländer astronomisch und das Internet für die Buchung nur bedingt nutzbar. Jeden Tag teilt man sich das Inka-Wahrzeichen mit mindestens 2500 anderen Touristen, der Rummel ist atemberaubend. “Warum mögen Touristen eigentlich keine Orte, wo andere Touristen sind?”, frage ich den 32-jährigen Javier Amanqui Cordova, der mich und drei junge Amerikaner zum Choquequirao, der Alternative zum Machu Picchu, führt. Er lächelt sein ein wenig gefährlich anmutendes Quechua-Lächeln und sagt: “Das ist eine moderne Form des Kannibalismus”.
Wie dem auch sei. Wir sind auf jeden Fall eine überschaubare Gruppe, die sich auf den Weg zur “Wiege des Goldes” macht, so die Übersetzung des Namens der Ruinenstadt. Sie ist Ziel einer insgesamt viertägigen Wanderung, vom etwa 160 Kilometer nordwestlich von Cusco gelegenen Cachora aus, über knapp 50 Kilometer und etlichen Tausend Höhenmetern; meine zweite Reportagereise im Auftrag von Adventoura aus Freiburg und der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung.
Hier nun wieder ein paar Geschichten hinter der Geschichte, die im Magazinteil der RNZ erscheinen wird: Ich habe mir sehr gewünscht, diese Tour machen zu dürfen, zum einen, weil der Trekkingtrip zum möglicherweise letzten Rückzugsort der Inkas, bevor die Spanier sie endgültig besiegten, nur zu Fuß zu erreichen ist, und zum anderen, weil Pack-Maultiere mit von der Partie waren.
Die haben mich in ihrer Zähigkeit und Zugewandtheit untereinander schon immer fasziniert, so dass ich gleich intensiv in die Muli-Recherche eingestiegen bin. Hier im Moment nur so viel: Es stimmt, dass die Allermeisten weiblich und unfruchtbar sind, was ihr Liebesleben aber nicht weiter beeinträchtigt. Sie sind fast so schnell wie ihre Mamas, die Pferde, und fast so zäh und ausdauernd wie ihre Papas, die Esel. Sie haben aber viel weniger Fluchtinstinkt als die Rösser und gucken sich unheimliche Dinge lieber erst einmal in Ruhe an, außerdem kommen sie mit weniger Futter aus und haben eine dickere Haut, die sie gegen Hitze und Kälte, aber auch und vor allem gegen lästiges Stechgetier nahezu immun macht.
Es gibt sie in allen Farben und Formen, sogar gelockt. In der Regel weisen sie längere Ohren auf, harte Hufe – und eine Trittsicherheit, die mich neidisch macht in meinen Wanderschuhen. Für die Maultiereigner stellen sie ein kleines Vermögen dar. Der Umgang ist pragmatisch, aber selten laut. Manche werden einfach “Mulas” (spanisch für Maultier) genannt, andere haben Namen wie “Täubchen” oder “Stern”. Zum Aufpacken der bis zu 40 Kilo Gepäck wird ihnen in der Regel eines der bunten Perutücher um den Kopf gebunden. In Deutschland wäre ich empört, aber hier heiligt der Zweck die Mittel: Das Maultier steht ruhig und die Packerei ist schnell vorbei.
Eigentlich logisch, das eine solche Wanderung nur mit dem Zelt vonstatten gehen kann. Die dazu gehörigen Plätze sind “basico”, wie es so nett heißt. Die Feinheiten der “Trockentoilette” am Ausgangspunkt behalte ich für mich. Nur so viel, für jemanden, der schon mit norwegischen Kompostklos so seine Probleme hat, eine echte Herausforderung. Dafür sind die Duschen nicht nur kalt, sondern eisig, weil das Wasser in der Regel direkt aus dem Berg schießt. Dafür sind sie mit Fantasie und Tatkraft erbaut und haben sogar eine Seifenablage.
Für unser sonstiges Wohl ist vor allem Fortunato, der Koch zuständig. Wie er es schafft, vier Tage lang, ohne Kühlschrank, mit einem transportablen Gaskocher und bei mindestens zweimal täglichem Aufpacken auf die Mulis, dreigängiges Menüs aus frischen Zutaten zu zaubern, ist mir ein Rätsel, das er in seinem Küchenzelt für sich behält.
Egal, es stärkt Leib und Seele und macht uns so schläfrig, dass unsere Nächte im Zelt unter den Sternen schon mal von 20 Uhr bis 6 Uhr morgens dauern. Die Zeit ist auch notwendig, um die Anstrengung (laut Javier deutlich härter als auf dem viel berühmteren Inkatrail) und die umwerfenden Eindrücke zu verdauen.
Noch hat man die Schönheit fast für sich. Doch das könnte sich ändern. Die ehrgeizigen Pläne der peruanischen Regierung sehen eine Seilbahn von der anderen Seite des Flusses Apurimac vor. Dann würde hier schnell ein Inka-Disneyland entstehen. Menschen wie Javier graut es davor. Gleichzeitig sieht er das Ganze gelassen. In den letzten Jahren hat sich im 2000 Hektar großen Choquequirao, von dem nur etwa 30 Prozent überhaupt erschlossen sind, wenig getan. Die Handvoll Arbeiter beschränkt sich im Wesentlichen darauf, das Entdeckte frei zu halten.
Deshalb ist man mit den Konodoren und Kolibris fast alleine, wenn man durch die Tempel und Weberhäuser streift, die Aquädukte und Terrassen besichtigt und sich von den Lama-Mosaiken beeindrucken lässt.
Doch auch das kann sich ändern. Denn seit wieder eine Brücke über den Fluss zur Verfügung steht, erhöht sich die Zahl der Besucher ständig. Also sollte sich ausnahmsweise beeilen, wer die geheimnisvolle “Wiege des Goldes” noch in ihrer Ursprünglichkeit erleben will.
Hier im Übrigen noch der so eben erschienene Artikel über den Colca-Canyon.
Gute Frage, die südamerika-unabhängig gilt, mögliche Antwort, das mit dem Kannibalismus scheint auch nicht schlecht:
‘Touristen mögen Touristen nicht, letztlich sich selbst nicht.’
Für einen “Tourie” wird ein Beobachtungsobjekt anteilsmäßig ungeiler zu betrachten, je mehr “Touries” mitglotzen.
Der Tourismus ist eine Bewunderungstätigkeit, die zivilisatorisch erst aufkam, vor vielleicht 150 Jahren, als es einigen zu gut zu gingen schien. Zudem kommt das “Erst” hier ins Spiel, die Erstbesteigung bspw. oder die Erstumrundung (von was auch immer).
Letztlich auch männlich, der (bevorzugt: männliche) Primat besteigt den Berg bereits nur deshalb, weil er da ist.
Einschränkung:
Die Gesellschaft ist allgemein so weit, dass es genug zu futtern gibt.
HTH
Dr. W
* zu gut zu gehen