Ein Meer aus Salz und Sand
BLOG: Das Sabbatical

Uyuni heißt die größte Salzpfanne der Erde. Rund 160 Kilometer lang und 135 Kilometer breit ist sie und zwei bis sieben Meter dick. Die Einheimischen in Bolivien nennen sie “weißes Meer” und sie haben Recht damit. Eine dreitägige Tour führt uns nicht nur tief in den Salar, der einmal ein riesiges Anden-Binnenmeer war, sondern auch zu rauchenden Vulkanen, Salzlagunen, Geysiren, Flamingos und zu uns selbst.
Fausto ist ein großer Schweiger. Nicht einmal unser aus der Schweiz stammende Reisegefährte mit dem wunderbar-melodischen Spanisch entringt ihm ein paar mehr Worte als unbedingt notwendig. Nicht die ideale Voraussetzung für einen Reiseführer, aber hervorragend für einen Fahrer in diesem unwegsamen Gelände. Wir bleiben nicht liegen, der Riss in der Scheibe vergrößert sich auch nicht, das Nachtquartier ist kalt, aber sehr passabel und wir lernen einiges. Beispielsweise, dass das “weiße Gold”, das in Blöcken herausgeschlagen und zu Speisesalz verarbeitet wird, noch weit mehr in sich hat – Lithium nämlich. Das Vorkommen des silberweißen Alkalimetalls, das unter anderem als Legierungszusatz für Batterien Verwendung findet, wird auf neun Millionen Tonnen geschätzt – etwa 75 Prozent des Weltvorkommens. Unter anderem Forscher der Universität Freiberg arbeiten daran, wie der Schatz zu heben wäre.
Aber zunächst geht die Fahrt zu einem Friedhof. Dem der Eisenbahnen, zwei Kilometer außerhalb der Stadt Uyuni, die von den nahe gelegenen Minen, dem Militär und dem Tourismus lebt. Letzterer ist auch verantwortlich dafür, dass aus dem Abstellplatz für ausrangierte Dampfloks ein Tummelplatz für alte Stahlrösser wurde und damit ein sehr attraktives Fotomotiv.
Doch dann geht es weiter in die unendlich scheinende Salzwüste. Während der Regenzeit überflutet das himmlische Nass die Fläche und sie ist nicht befahrbar. Reisende müssen sich dann mit faszinierenden Spiegelbildern vom Rand aus begnügen. Doch auch jetzt steht das Wasser nur ein paar Zentimeter unter der Kruste, die die schweren Geländewagen so scheinbar mühelos trägt. Doch es gibt auch die “Ojos”, die Augen, wo blubbernd, glucksend das Quellwasser durch die Kruste bricht. Und da ist die netzartige Struktur aus unregelmäßigen Fünf- und Sechsecken, wo die Salzausblühungen zeigen, dass hier das Wasser immer wieder durchdrückt.
Am meisten beeindrucken uns die Inseln, die aus diesem weißen, starren Meer auftauchen und auf denen abgestorbenen Korallen die steinerne Oberfläche bilden und riesige, bis zu über tausend Jahre alte Kakteen den Bewuchs. Uyuni ist eine gewaltige Urlandschaft, die uns die Kleinheit unseres Seins und die Kraft der Natur bewusst macht.
Der Mensch ist nur ein Wicht zwischen den Vulkanen und den Salzlagunen, die wir am nächsten Tag sehen. An der Grenze zu Chile und Argentinien liegen diese Landschaften, die wie aus einer anderen Welt scheinen. Laguna Colorada nennt sich dieser blutrot scheinende See. Das Rot scheint von kupferhaltigen Mineralien zu stammen, das bizarr kontrastiert mit dem Grün der Algen, dem Blau des Himmels und dem Weiß des Borax, das hier ebenfalls entsteht. Wir knipsen wie die Wilden und wären gerne Maler, die diese Eindrücke später umsetzen können.
Zuhause sind hier auf über 4000 Meter Höhe gleich drei Arten seltener Flamingos. Sie gründeln am Boden der Laguna nach Nahrung und lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Ansonsten gibt sich die Tierwelt eher bescheiden. Klar, ein paar Lamas werden gezüchtet, ein Wüstenfuchs schnürt durch unseren Weg und eine Art andinischer Pfeifhase beteiligt sich an unserem Picknick und futtert meine Möhren. Allerdings verblüfft mich doch, dass auf knapp 5000 Meter sogar noch Schmetterlinge flattern und Mücken umher tanzen.
Die erste Nacht verbringen wir in einem aus Salzsteinen gebauten Hotel und bilden uns ein, dass uns die ionengeschwängerte Luft neue Kräfte verleiht. Die zweite Nacht in der Sammelunterkunft auf über 4000 Meter Höhe ist schon deutlich ungemütlicher. Gut, dass wir uns die dicken Schlafsäcke geliehen haben. Für das frühe Aufstehen um 5 Uhr entschädigen die nahe gelegenen Geysire im ersten Sonnenlicht.
Schweflig blubbert hier alles aus der Erde, die Dampfwolken sind gewaltig und die Touristen leichtsinnig nah an den Austrittslöchern. Warum die Bolivaner allerdings auch noch einen künstlichen Geysir installiert haben, bleibt uns ein Rätsel. Ebenso wie die Entstehung der unglaublichen Gesteinsformationen, die wir auf dem Rückweg nach Uyuni sehen.
Winderosion erklärt uns Fausto die irren Gebilde, die allein oder in Gruppen so einfach in der Wüstenlandschaft stehen. Und tatsächlich, selbst jetzt bläst der Wind kräftig und wir sehen gleich Dutzende von Windhosen durch die Ebene ziehen. Im Juli und August erreichen sie Tornadostärke und selbst erfahrene Fahrer trauen sich dann nicht mehr in ihre Nähe. Wieder eine Urgewalt, die uns zutiefst beeindruckt und deutlich macht, wie klein wir doch eigentlich sind. Als wir dann erschöpft und sandig-klebrig in Uyuni ankommen, erreicht uns trotz der schlechten Internetverbindungen und der Abgeschiedenheit die Nachricht vom Terror in Paris und zieht uns zurück in die westliche Welt.
1kg Lithium kostet 270 Dollar,Uyuni’s Lithiumvorkommen haben also einen Wert von 2400 Milliarden US-Dollar. Wenn diese Vorkommen ausgebeutet werden, wird dies alles ändern für die jetzt 50’000 Bewohner dieser Salzwüste. Es wird das Wohnen und Leben in der Uyuni-Wüste unmöglich oder gefährlich machen, es kann aber auch jedem Uyuni-Bewohner einen fast unermesslichen Reichtum bescheren, denn wenn auch nur 1% des Erlöses an die 50’000 Uyuni-Bewohner verteilt wird, ist jeder anschliessend mehrfacher Millionär.
Die Uyuni-Bewohner sind damit in einer ganz ähnlichen Situaiton wie die Bewohner Grönlands. Nur mit dem Unterschied, dass Grönland den Grönländern gehört, die Uyuni-Wüste aber gehört wohl Bolivien und nicht den Uyuni-Bewohnern. Ein Besucher Grönlands hat mir erzählt, die Grönländer spürten, dass eine andere Zeit auf sie zukomme und dass die Rohstoffvorkommen Grönlands das Leben für die 50’000 Grönländern vollkommen ändern werde. Bei den Uyuni-Bewohnern wird das Bewusstsein für die bevorstehenden Veränderungen wohl geringer sein, denn sie sind nur Wüstenbewohner und nicht Bewohner eines eigenen Territoriums mit eigenen Behörden.
Bolivien ist mit seinem Lithium das Rohstoffeldorada der nahen Zukunft. Seine Bewohner werden von den Parias, die sie heute sind zu Empfängern staatlicher Renten, so wie das Michael Blume im Artikel Warum fließt Blut für Öl? Die Rentierstaatstheorie zum Fluch des schwarzen Goldes schreibt, allerdings auf die Ölstaaten des Nahen Ostens gemünzt.
Der unverhoffte Reichtum durch die fast untermesslichen Rohstoffe in Form von Lithium, wird in Bolivien voraussichtlich ähnliche Auswirkungen haben wie in Saudi-Arabien. Die herrschende Schicht oder im Fall von Bolivien Evo Morales wird sich mit den Einkommen durch die Rohstoffe die Gunst der Bevölkerung kaufen können und ewig am Regieren bleiben. Das Leben von Rohstoffeinkünften und von Geldtransfers von der Regierung zum Volk hat aber nicht nur positive Folgen, es wird die boliviansiche Bevölkerung wohl auch abhängig machen und die Entwicklung zu einer vollen Demokratie verzögern.
Heute gehört Bolivien noch zu den ärmeren Ländern. Das BIP pro Kopf beträgt 2700 Dollar womit Bolivien an der 128. Stelle von 186 Positionen in der BIP-Länderskala ist. Schon in 20. Jahren könnte bei dann voll entfaltetem Lithiumboom das BIP pro Kopf 10 Mal grösser sein und ein Bolive pro Kopf gleich viel “verdienen” wie ein Grieche heute. Bolivien wird sich also voraussichtlich in kurzer Zeit sehr stark verändern.
Bolivien besitzt Lithium im Wert von 2400 Milliarden US-Dollar. Die Saudis Öl im Wert von 10’000 Milliarden US-Dollar, wenn man einen Barrel-Preis von 50 Dollar annnimmt.
Das scheinen im ersten Moment gewaltige Schätze zu sein. Sind es auch. Trotzdem können Rohstoffvorkommen allein keinem industrialisierten Land als Basis seines Einkommens dienen. Das zeigt sich, wenn man beispielsweise das Jahres-BIP Deutschlands kennt. Es beträgt 3700 Milliarden US-Dollar, eine Zahl die grösser ist als der Wert allen Lithiums, den es in Bolivien gibt. Von Rohstoffen allein können nur wenig bis mittel entwickelte Länder leben, nicht aber fortgeschrittene Länder. Die Ausnahme sind Länder mit kleiner Bevölkerung und grossen Rohstoffvorkommen. Solch ein Land ist Katar. Katar hat 2 Millionen Einwohner und 25 Milliarden Barrel Rohöl sowie 25,5 Billionen Kubikmeter Erdgas. Das Pro-Kopf/BIP von Katar ist mit 100’000 Dollar das grösste der Welt. Man bedenke: Jeder Katararer, auch jeder Säugling und Jugendliche erwirtschaftet 100’000 Dollar pro Jahr. Das entspricht in etwa einem Durchschnittseinkommen von 100’000 Dollar und ist mehr als doppelt so viel wie in Deutschland.