Die Leichtigkeit des Seins und die Schwere des Schicksals
BLOG: Das Sabbatical

Liz lacht. Und wenn sie das tut, dann geht die Sonne auf. Dabei hat das kleine Mädchen ein so schweres Schicksal hinter sich, dass die Meisten von uns es sich gar nicht vorstellen können (Danke für das Foto, Dennis Beckmann). Aber wenn Liz lacht oder gar tanzt, dann ist so viel Leichtigkeit in ihr, als würde ein Schmetterling schweben. Fast scheint es, als würde der kleine Kobold mit den schwarzen Haaren von innen leuchten. Ihre Unbeschwertheit steckt an, sie hüpft auf meinen Rücken und gemeinsam hopsen wir durch den Raum, selbstvergessen zum Rhythmus der peruanischen Musik, bis wir vor lauter Lachen nicht mehr können.
Liz ist nicht das einzige Kind aus dem Kinderheim Casa Verde mit der Fähigkeit, ganz im Hier und Jetzt zu genießen: das salzige Popcorn, die pappsüße Limonade, das Zusammensein mit Freunden, die Musik, das Kuscheln in der Armbeuge, der Blick zu den Sternen. Diese speziellen Kinder sind nicht weniger sensibel und empfindsam als die anderen, aber irgend etwas an ihnen scheint stärker, robuster zu sein.
Ist es nicht seltsam, dass Fröhlichkeit und sogar Zufriedenheit in keinem direkten Verhältnis zur Schwierigkeit des Lebens stehen? Das fällt mir hier in Peru immer wieder auf. Mit wie viel Leid, Entbehrung und Angst viele hier leben müssen, aber es hindert sie nicht an der Zuversicht. Die Psychologen nennen das Resilienz, die psychische Widerstandskraft, die bei den Menschen so unterschiedlich ausgeprägt ist wie der Fingerabdruck (http://www.spektrum.de/news/fehlende-hirnrezeptoren-machen-anfaelliger-fuer-stress/1306948).
Ich würde platt sagen, manche sind zum Glück begabter als andere. Aber das stimmt so nicht. Wer über mehr Resilienz verfügt, durchlebt auch Krisen, kann sie jedoch konstruktiv bewältigen. Dieser Mensch kennt seine Ressourcen besser und kann eher akzeptieren, dass auch mal etwas nicht wie gewünscht läuft, Mit Entscheidungen hadert so jemand weniger, dafür kann er Glaubenssätze besser hinterfragen. Liebevolle Selbstreflektion ist sein Thema. Dieser Mensch sorgt besser für sich und manchmal nimmt er sich selbst in den Arm wie ein kleines Kind.
Ich glaube, ein kleines Pflänzchen Resilienz steckt wohl in jedem von uns. Und das Gute ist, wir können es nähren: mit Sonne auf der Haut, lieben Menschen um uns herum, guten Büchern und harmonischer Musik, hervorragendem Essen und der Achtsamkeit für all das Wunderbare, das uns widerfährt. Ein vor Jahren verstorbener Freund hat mir kurz vor seinem Tod die Aufgabe gegeben, jeden Tag einmal von Herzen Danke zu sagen. Das habe ich in letzter Zeit ein wenig vergessen und will es wieder einführen.
Danke für Liz und die anderen Kinder, die zeigen, was für Freude auch bei schlechten Startbedingungen möglich ist.
Danke für die Wärme in Arequipa, der Stadt des ewigen Frühlings.
Danke für das Sabbatical und die Muße herauszufinden, was mir wirklich wichtig ist.
Danke für die Menschen hier, die mich lehren, dass Hektik und Effizienz nicht alles sein dürfen und was Familie und Freunde bedeuten.
Danke für Edelsteine der Erinnerung, die mich ein Leben lang begleiten werden.
Danke für das Kloster Santa Catalina, ein so wunderbarer Ort der Ruhe inmitten der Stadt (daher stammen diese Fotos).
Danke, dass ich diese Gedanken mit anderen teilen darf.
Es gibt auch Die Schwere des Seins und die Leichtigkeit des Schicksals, das heisst es gibt Misepetrigkeit, Unglück, gar Depression in einer Umgebung in der es keinen Grund dazu gäbe.
Wobei das Glücklichsein im Unglück und das Unglücklichsein im Glück wohl doch die Ausnahmen sind. Die Regel ist eher, dass viele Menschen mit ihrer unglücklichen Vergangenheit, zum Beispiel der ungücklichen Kindheit oder den Kriegserlebnissen nicht zurechtkommen und immer wieder darauf zurückgeworfen werden. Das scheint mir übrigens ein wichtiger Grund warum man Kriege möglichst schnell beenden sollte, wenn es sein muss auch mit Eingriffen von aussen. Denn der Krieg wirft lange Schatten in die Nachkriegszeit. Das gleiche gilt für schwierige Familienverhältnisse. Diese begleiten die Betroffenen oft ihr Leben lang. Auch hier kann ein Eingriff von aussen sinnvoll und sogar nötig sein.
Ergänzung: Traumatische Erfahrungen können über Generationen hinweg vererbt werden. Das haben Versuche an Tieren und Studien bei Menschen, die eine Hungersnot oder einen Krieg durchgemacht haben, ergeben. Vererbt werden sie epigenetisch, wie man im oben referenzierten Artikel nachlesen kann, von dem ich folgendes zitieren möchte:
Andererseits ist bekannt, dass es Leute gibt, die selbst schlimmste Erlebnisse gut verkraften und gut darüber hinwegkommen können. Trotzdem bedeutet es für mich, dass man Kriege nicht einfach hinnehmen sollte nur weil sie andere und nicht einen selbst betreffen.
Danke auch dafür, dass es “Realisten” und “Zyniker” gibt, die hierzu nicht sachnah kommentieren wollen.
MFG + viel Erfolg als “Expat”,
Dr. W
@ Herr Holzherr :
Alles ist relativ. Zufriedenheit entsteht im Vergleich. Das ‘Glücklichsein im Unglück’ wie ‘das Unglücklichsein im Glück’ sind – neben Veranlagungen, es soll ja Sanguiniker etc. geben – idR dem Vergleich geschuldet.
Derjenige, dem es in der Not besser geht als dem Nachbarn [1], und derjenige, dem es im Überfluss schlechter geht als dem Nachbarn, mag darüber nachdenken.
MFG
Dr. W
[1]
Wenn’s “mit dem Nachbarn nicht klappt”, kann auch gerne auf der zeitlichen Schiene gedacht werden.
Danke für diesen schönen Text! Ich habe durchgehend genickt. Mir haben meine Schicksalsschläge viel innere Ruhe gegeben. Das große Ganze und Äußere benötige ich nicht mehr, genieße die kleinen Momente und feiere das Leben, wenn die Schmerzen mal ein paar Stunden pausieren. Diese Intensität erleben die Meisten nie im Leben.
Kinder sind seltsame Geschöpfe: verletzlich, brutal, im einen Moment weinen sie, im nächsten wollen sie nicht aufhören zu lachen. Wie verhält es sich mit den Erwachsenen, die Du dort triffst? Ich erinnere mich, dass im mittelalterlichen Europa das Leben als “Jammertal” galt, das man am besten gottesfürchtig schnell hinter sich brachte. Heutzutage wird der Tod aus dem aufgeklärten Denken verbannt, und wer nicht dauernd Spaß hat, ist ein Looser.
Ist unser Leben zu kompliziert geworden? Sind wir zu kopmpliziert geworden?
Danke für diese schönen Zeilen. Beim Lesen erkennt man gut, wie wichtig es ist jeden Moment bewusst zu erleben.
So lässt sich das innere Kind bewahren 😉