Dem Leben so nah
BLOG: Das Sabbatical

Nur weil wir Eingeborene der westlichen Ländern so tun, als ob Leben und Tod nichts miteinander zu schaffen hätten, ist das noch lange nicht der Fall. Nur ein hauchfeiner Grat trennt die beiden Pole. Unser Dasein hängt – ohne, dass wir das wahrnehmen wollen – an einem seidenen Faden. Wir täten gut daran, uns ab und an selbst zu fragen, was denn wirklich wichtig wäre, wenn wir wüssten, dass der heutige Tag der letzte im Diesseits ist. Ich wette, die Prioritäten würden sich kräftig verschieben.
Wenn unser Leben so dahin plätschert, ohne große Höhe und Tiefen, dann dümpeln wir durchs Dasein, als ob das ewig so weiter ginge. Das tut es aber gewiss nicht, denn alles verändert sich stetig – nichts bleibt wie es war. Nie sind wir heute noch der Mensch, der wir gestern waren oder der wir morgen sein werden. Alles ist ein stetiges Kommen und Gehen, ob uns das passt oder auch nicht.
Deshalb ist es keine schlechte Idee, ab und zu inne zu halten, um sich dieser Dinge gewahr zu werden. In christlichen Gegenden gibt es dafür den arbeitsfreien Sonntag, andere Religionen und Kulturen haben hierfür regelmäßige Gebete und Meditationen vorgesehen.
Warum mir an einem sonnig-warmen Tag im andinischen Arequipa solche Gedanken durch den Kopf gehen? Während wir am Frühstückstisch saßen, hat kurz die Erde gebebt. Unsere peruanischen Mitbewohner waren gleich in Hab-acht-Stellung, wir haben erst noch darüber diskutiert, wieso ein Lastwagen am Sonntag durch die enge Gasse brettert.
Dem folgte dann eine kurze Beschreibung von Hausherr Paco, wie unterschiedlich Menschen sich bei Beben verhalten: da gibt es die stoisch Ergebenen, aber auch die, die in Panik auf die Straße rennen, oder die, die komplett durchdrehen und von den anderen festgehalten werden müssen und dann noch die, die sich dem Schicksal ergebenen und einfach unter einen Balken verharrend abwarten. Gestern hat in Capanaconde, wo wir kürzlich auf Tour waren, ein Erdbeben 30 Lehmhäuser zum Einsturz gebracht. Ein heißes Fleckchen Erde hier also, von den Vulkanen und dem Verkehr ist da noch gar keine Rede.
Dazu passt ein weiterer Fingerzeig der Endlichkeit, der mir gestern ins elektronische Postfach geflattert ist. Die Ex-Frau eines früheren Mitschülers schreibt allen meines Abiturjahrgangs, dass er letzte Woche mit 52 Jahren tot zusammengebrochen ist – einfach so, aus heiterem Himmel, wie es dann immer heißt. Wer indes mit Menschen spricht, die so einen Schlag doch noch überlebt haben, der bekommt oft zu hören, dass der Himmel so heiter gar nicht war. Die Anzeichen, dass mit dem Körper etwas nicht stimmte, dass die Last auf den Schultern zu schwer oder Herz und Hirn müde waren, sie wurden nur nicht beachtet.
Am Ende schreibt sie dann noch einen Satz, der mir für heute Motto sein soll: “So schnell kann das Leben zu Ende sein!! Genießt jeden Tag!!!”
Andere hingegen reden unermüdlich davon, das nicht so schnell gestorben ist. Ich vermute, es handelt sich um eine Hoffnung, die zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden soll – in bestimmtem Zusammenhang.