Auf der Sandhügelkette
BLOG: Das Sabbatical

Eigentlich sind mir patriotische Gefühle eher fremd. Doch in Bolivien kommt der Nationalstolz mitunter so unverkrampft daher und mein Wanderführerin Elda hat die Flagge die ganze Zeit über die Dünen geschleppt, so dass ich bei den “Lomas de Arenas” (auf Deutsch: Sandhügelkette), etwa 15 Kilometer südlich von Santa Cruz, im tobenden Wind die Fahne ihres Heimatlandes hochhalte.
Dieses mehr als 130 Quadratkilometer große Stückchen Erde hat es in sich. Drumherum und mittendrin Kakteen, tropische Bäume, Gras, Kühe und Pferde, Lagunen und dann diese, bis zu 50 Meter hohen, riesigen Sanddünen, die der meist wehende Nordwind im Jahr so etwa 15 Meter vor sich her treibt.
Schon die Anfahrt hat es in sich. Keine Ahnung, wann ich zum letzten Mal Sozia auf einem Motorrad war. Es muss bei meinem verstorbenen Freund Charles gewesen sein, als der die Höllenmaschinen noch journalistisch testete. Schon damals habe ich erkannt, dass ich es hasse, die Kontrolle zu verlieren und einem Menschen ausgeliefert zu sein, dem ich so dicht auf die Pelle rücken muss und mich nur an seinem Bauch festhalten kann. Aber es hilft ja nichts, ich möchte die Dünen sehen, die Lagunen mittendrin, die Störche und Flamingos sowie, das Spiel von Sand und Wind. Und dazu gehört die Anfahrt über eine etwa fünf Kilometer lange Sandpiste auf einem Motorrad.
Glücklicherweise fahren die beiden von Elda angeheuerten Motorradtaxifahrer, als hätten sie rohe Eier geladen. Manchmal steigen wir auch bereitwillig ab, wenn die Maschinen im Sand sonst steckenbleiben würden, nach und nach finde ich mein Gleichgewicht und mein Vertrauen in den umsichtigen Fahrstil.
Und es tut gut, dem wuseligen Santa Cruz ein wenig den Rücken zu kehren. Die relativ wohlhabende Tropenstadt im östlichen Tiefland, in der manche davon träumen, unabhängig vom Rest des Landes zu sein, zählt jetzt schon 1,5 Millionen Menschen, die sich in Ringen um die Altstadt ansiedeln. Die Temperaturen liegen derzeit bei 35 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit ist eher moderat. Aber Santa Cruz ist “Boomtown” und eher interessant als reizvoll. Zwar wurde sie schon 1561 gegründet und hat viele Künstler hervorgebracht, aber heute ist es vor allem der schnöde Mammon in Form von Öl und Gas, dem sie ihren Ruhm verdankt. Hier schlägt klar das wirtschaftliche Herz Boliviens.
Und jetzt also der Kontrast in Form der Lomas de Arena: Der Anstieg auf die weißen Riesen ist anstrengend, Der scharfe Wind lässt die feinen Sandkörnchen fliegen und verschafft mir ein Ganzkörperpeeling. Leider meiner Kamera auch und im Gegensatz zu mir kann sie sich später nicht mit einer Dusche davon befreien. Sie braucht einen kundigen Reparateur, der sie herausoperiert. Glücklicherweise herrscht hier noch keine Wegwerfmentalität und die Sache ist in ein paar Stunden für wenig Geld erledigt.
Doch noch ist es nicht so weit, vielmehr stapfen Elda, meine Gästeführerin mit den drei Studienabschlüssen und überzeugte Singlefrau, und meine Wenigkeit über die Dünen, rutschen die Hänge hinunter und beobachten die Wolkenformationen, die abenteuerliche Schatten werfen und die Tiere. Meine Seele atmet noch einmal durch, als ich die Hände ins kristallklare Wasser tauche, und dämpft den Abschiedsschmerz, denn Morgen nacht geht es auf die allerletzte Etappe meines Sabbatjahres – nach Uruguay.