Wie kommt das Thema Primatenversuche ins Spektrum-Heft?

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Fünf Fragen an Hartwig Hanser, Redaktionsleiter »Spektrum der Wissenschaft«.

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© Spektrum der Wissenschaft

1.) Wie kommt das Thema Primatenversuche ins Spektrum-Heft?

Hartwig Hanser: In Nature fiel mir ein Artikel auf, der die Situation in der Europäischen Union im Hinblick auf eine neue Richtlinie beschreibt, die unter strengen Auflagen Versuche mit Primaten genehmigt. Die Autorin hat sich die Umsetzung in verschiedenen Staaten angeschaut und geht auch auf die Rolle mancher Tierschutzvereinigungen ein. Im nächsten Nature-Heft erschien dann ein Kommentar zum Thema von Professor Andreas Kreiter. Der forscht seit über 15 Jahren an der Universität Bremen mit Primaten. Bei seinen Versuchen geht es um höhere kognitiven Funktionen wie Aufmerksamkeit, die sich nur mit relativ menschenähnlichen Tieren machen lassen. Kreiter beschreibt im Text die Widerstände aus Politik und Gesellschaft bis hin zu Todesdrohungen gegen seinen dreijährigen Sohn durch militante Tierschutzverbände. Im Frühjahr erging dann endlich ein Gerichtsurteil, das besagte: „Er darf das machen. Die lokalen Behörden haben nicht das Recht, die EU-Richtlinie auszuhebeln“. Im aktuellen Spektrumheft sind nun beide Beiträge, übersetzt und redaktionell bearbeitet, zusammen abgedruckt (Primatenforschung in Europa, PDF).

2.) Wie geht man als Wissenschaftsjournalist oder Redakteur an so ein umstrittenes Thema heran?

Hartwig Hanser: Ich persönlich habe versucht, dabei Emotionen weit gehend auszublenden und möglichst sachlich und ausgewogen heranzugehen. Diese Sichtweise hat mir auch an dem Nature-Artikel gut gefallen. Wir wollen keine der beiden Parteien provozieren. Aber wir scheuen auch nicht vor dem Thema zurück. Es ist und bleibt wichtig.

3.) Du bist selbst promovierter Biochemiker. Was sind Deine eigenen Erfahrungen?

Hartwig Hanser: Ich habe ganz bewusst nicht Biologie, sondern Biochemie studiert, unter anderem weil ich nicht unbedingt viel direkt mit Tieren zu tun haben wollte. Trotzdem musste ich im ersten Semester einen kleinen zoologischen Praktikumskurs belegen. Allerdings ging es dabei in erster Linie um Würmer und andere niedere Tiere; die letzte Stunde mit einer (bereits toten und in Formalin eingelegten) Ratte habe ich damals, ich gebe es zu, ganz einfach geschwänzt. Meine Diplomarbeit habe ich in Pflanzengenetik verfasst und es war eher Zufall, dass ich meine Doktorarbeit in einem Labor für Neurobiologie machte. Eigentlich sollte es eine rein molekulare Arbeit sein; erst gegen Schluss stellte sich heraus, dass Versuche an Herzmuskelzellen von Mäusen nötig sind. Die kann man aber leider nur aus neugeborenen Tieren erhalten. Deshalb sah ich mich gezwungen, ganz junge Mäuse für meine Versuche zu töten. Die Versuche mit den so gewonnenen Zellen waren allerdings sehr spannend. Wenn diese Zellen nämlich in Kulturschalen gut wachsen, fangen sie an wie im Herz zu fusionieren und sogar in der Petrischale zu „schlagen“. Dennoch war ich sehr froh, als dieser Abschnitt vorbei war.

4.) Im Editorial beschreibst Du Deine Gefühle bei Versuchen mit Mäusebabys. Dabei bist Du sonst eher zurückhaltend mit persönlichen Bekenntnissen. Wieso dieses Mal?

Hartwig Hanser: Beim Thema Tierversuche kam unwillkürlich diese Erinnerung stark hoch. Dabei handelte es sich aber natürlich um eine ganz andere Art von Versuchen als jene, um die es in den Artikeln geht.

5.) Unterscheidest Du in ethisch vertretbare und nicht vertretbare Experimente mit Tieren? Wenn ja, wo laufen die Trennlinien?

Hartwig Hanser: Versuche, in denen Tieren längere Zeit große Schmerzen zugefügt würden, lehne ich persönlich ab. Grundsätzlich glaube ich aber, dass es in der Ethik sehr wenige absolute Grenzen gibt. Wichtig ist bei der ethischen Beurteilung immer auch, was mit einem Experiment bezweckt wird. Wenn jemand überzeugt ist, mit bestimmten Tierversuchen ein wichtiges Medikament für die Menschheit zu gewinnen, dann sieht er die Sache möglicherweise in einem ganz anderen Licht als jemand, der nur mal etwas spielerisch schauen will, wie etwas funktioniert. Und auch ein neutraler Beobachter wird die beiden Situationen vielleicht unterschiedlich einschätzen.

Hartwig Hanser studierte Biochemie an der Universität Tübingen und an der ETH Zürich, promovierte 1997 an der Universität Basel. Anschließend erstellte er das Lexikon der Neurowissenschaft von Spektrum Akademischer Verlag. Ab September 2001 war er als Redakteur bei „Gehirn und Geist“, ab 2010 bei „Spektrum der Wissenschaft“, seit 2011 ist er dort Redaktionsleiter. Privat ist Hartwig Hanser verheiratet und hat zwei Kinder. Er liebt Orchideen, Kinofilme und klassische Musik. Als Geiger und Bratschist ist er in Kammermusikensembles aktiv.

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

2 Kommentare

  1. Die Meinungen darüber ob Versuche an Menschenaffen erlaubt sind, gehen auch auf scilogs weit auseinander.
    Der scilogs.de-Autor Joe Dramiga schliesst aus der engen abstammungsmässigen und genetischen Verwandtschaft von Menschen und Menschenaffen, dass Menschenaffen viele Rechte erhalten sollten, die sonst nur Menschen zustehen, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit
    In
    Taxonomische Fragen, christliche Antworten und bioethische Probleme
    und zwar im Unterkapitel The Great Ape Project liest man

    Wenn auf breiter Linie so viel Gleichheit vorgefunden wird, dann kann die Grenze zwischen Mensch und nichtmenschlichen Großen Menschenaffen nur artifiziell sein. Die Kategorien „menschlicher Großer Menschenaffe“ und „nichtmenschlicher Großer Menschenaffe“ haben keine andere Basis als das menschliche Bedürfnis nach Abgrenzung von „der Tierwelt“. Das haben die InitiatorInnen des Great Ape Project erkannt: Sie finden die „moralische Grenze, die wir zwischen ihnen und uns ziehen, unhaltbar“.1993 initiierten die Philosophen Paola Cavalieri und Peter Singer das “Great Ape Project”, es beinhaltet die Forderung, die anderen Großen Menschenaffen – Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans -aufgrund ihrer großen genetischen Ähnlichkeit mit dem Menschen und ihren ähnlich komplexen kognitiven, affektiven und sozialen Fähigkeiten bestimmte Grundrechte zuzuerkennen, die bislang dem Menschen vorbehalten sind: Das Grundrecht auf Leben, auf individuelle Freiheit und auf körperliche wie psychische Unversehrtheit, wodurch praktisch alle Fälle erfasst sind, die Menschenaffen in Bezug auf Menschen betreffen können: Jagd, Wildfang, Zirkus, Zoo, Tierversuche.

    Der scilogs.com-Autor Kausik Datta dagegen veröffentlich unter
    Urgent Help Requested By Belgian Scientists eine Petition, welche genau das verhindern will was sich aus Joe Dramigas Überlegungen ergibt: Nämlich ein Verbot von Versuchen an Primaten. Man liest in dieser Petition:

    The Petition

    Dear minister, dear member of parliament,

    Recently, the Belgian government, in particular the ministry of Health, has asked the European Commission to permit them to be more restrictive than the Directive 2010/63/EU by allowing them to forbid addiction research on nonhuman primates (NHP) in Belgium and possibly even to stop all nonhuman primate research in Belgium. This question is currently under investigation by the EU commission.

    Numerous scientific reports state that progress in biomedical research necessitates experiments on nonhuman primates (monkeys). As acknowledged by the recent Directive 2010/63/EU on animal experimentation, this includes basic (fundamental) research as well as more applied research. Therefore we ask that the Belgian authorities comply with the 2010 EU Directive, allowing basic and clinical research peer-reviewed projects that involve nonhuman primates and that adhere to the animal welfare regulations stipulated in that Directive, and refrain from more extreme and restrictive actions that will impair scientific and medical progress.

    Persönlich denke ich, dass Tierversuche nötig sind und da gerade das, was den Menschen ausmacht, nur bei höheren Primaten zu finden ist, sind gewisse Versuche auch bei Primaten sinnvoll und nötig. Wie weit diese Versuche aber gehen dürfen, darüber kann man sich streiten. Einen “Verbrauch” an Primaten sollte es meiner Meinung nach nicht gegen, das heisst Primaten sollte man nicht verbrauchen wie Labormäuse. Man sollte also nicht sagen können und dürfen: Für die Entwicklung dieses Medikaments oder die Erforschung dieser Fähigkeiten haben wir 100 Schimpansen verbraucht.

  2. Interessant, dass Mitglieder von sektiereischen Tierschutzorganisationen gegen missliebige Menschen auf viel bösartigere Weise vorgehen als diese Menschen, die Tierversuche durchführen je mit Tieren umgehen Dies zu:

    Kreiter beschreibt im Text die Widerstände aus Politik und Gesellschaft bis hin zu Todesdrohungen gegen seinen dreijährigen Sohn durch militante Tierschutzverbände.

    In solchen Fällen hilft wohl nur der Weg über das Gesetz. Hier zeigt sich schon ein Unterschied zwischen selbst hochentwickelte Primaten – also Affen – und dem Menschen. Der Mensch übertrifft in Gemeinheit und Grausamkeit jedes Tier mühelos.

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