Aus die Maus oder die Freiheit der Wissenschaft

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Wenn die Bürgerinnen und Bürger die Qual der Wahl haben, wie vor rund einem Monat für den Bundestag, dann wird „Gehirn und Geist“-Redaktionsleiterin Christiane Gelitz stets an einen merkwürdigen Vorgang erinnert. Ereignet hat er sich im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl im vergangenen Herbst. Da recherchierte sie für das Magazin, welche Rolle psychologische Faktoren bei der Wahlentscheidung spielen. „Wer dominanter und kompetenter erscheint“, lautete eine Erkenntnis, „hat in der Regel die Nase vorn.“ Und dabei spiele auch die Stimme eine große Rolle. Genauer noch der Frequenzbereich, in dem jemand spricht, lasse auf seine Gewinnchancen schließen.

Das hatte erstaunlicherweise im Hinblick auf Barack Obama und Mitt Romney noch niemand untersuchen lassen. Die Macher von „Gehirn und Geist“ griffen die Idee also auf und stießen im Zuge der Recherche auf einen Forscher aus dem englischsprachigen Raum, der just solche Phänomene untersuchte.

Christiane Gelitz nahm Kontakt zu ihm auf, und ein reger Email-Verkehr entspann sich. „Klar könne er das machen“, beschied der Wissenschaftler, sie müsse ihm nur möglichst geeignete Stimmschnipsel der Kontrahenten schicken. Leichter gesagt als getan. Die Psychologin und ihr Mann verbrachten ein halbes Wochenende damit, aus Youtube-Videos passendes Material zusammenzuschneiden und dem Experten zu schicken.

„Klasse! Wir sind weltweit die Ersten, die das haben“, freute sich die passionierte Journalistin schon, dann kam die kalte Dusche des Forschers: „I am very sorry. I am unable to comment any further on this matter“. Aus, die Maus, kein weiterer Kontakt war möglich. Ob ihn eine übervorsichtige Pressestelle zurückgepfiffen hat oder ein Chef intervenierte, ist bis heute ungeklärt.

Solche Maulkörbe sind der GuG-Redakteurin vor allem aus dem Zeitungsgeschäft geläufig. Doch auch im wissenschaftlichen Magazinjournalismus gibt es mehr und mehr Minenfelder, die Redeverbote nach sich ziehen. Die Bildungspolitik gehört dazu. „Lehrer und Schulpsychologen zum Beispiel dürfen fast nie frei von der Seele reden“, hat sie erlebt. Ausgerechnet in Forschung und Bildung stößt das Recht auf freie Meinungsäußerung offenbar an seine Grenzen.

Wahlverhalten und beeinflussende Faktoren

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Ich bin von Natur aus neugierig, will Menschen und ihre Beweggründe verstehen und ich liebe gute Geschichten über alles: Das macht mich zur Journalistin. Ich möchte aber den Dingen auch auf den Grund gehen und verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält: Das erklärt meine Faszination für Wissenschaft und Forschung. Nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft habe ich als Zeitungsredakteurin für viele Jahre das Schreiben zum Beruf gemacht. Später kamen dann noch Ausbildungen zur zertifizierten Mediatorin und zum Coach hinzu, die mich in meiner Auffassung bestärkt haben, dass das Menschliche und das Allzumenschliche ihre Faszination für mich wohl ein Leben lang nicht verlieren werden. Das Organisieren habe ich als Büroleiterin einer Europaabgeordneten gelernt, bevor ich im Juli 2012 als Referentin des Chefredakteurs bei Spektrum der Wissenschaft begonnen habe. Von dieser Tätigkeit bin ich nun erst einmal ab 1. Januar 2015 für ein Sabbatical beurlaubt. Und ganz gespannt, was das „Abenteuer Auszeit“ für mich bereithalten wird.

6 Kommentare

  1. Die Freiheit der Forschung steht erst einmal nur auf dem Papier.

    Dass nach den hochschulpolitischen Umwälzungen der letzten zehn bis zwanzig Jahre gerade die Universitäten beziehungsweise Universitätsprofessoren dank des Evaluationswahns und Drittmittelzwangs viel von ihrer Freiheit eingebüßt haben, ist kein Geheimnis.

    Freiheit setzt entsprechende freimachende Strukturen voraus.

  2. “Christiane Gelitz nahm Kontakt zu ihm auf, und ein reger Email-Verkehr entspann sich..”

    Das war wohl der Hauptfehler. Aber natürlich im Informationszeitalter ist für Journalisten und Redakteure etc. postalischer Verkehr nahezu unvorstellbar, ….manchmal jedoch die bessere Wahl oder gar die einzig mögliche. 🙁

    “…dann wird „Gehirn und Geist“-Redaktionsleiterin Christiane Gelitz stets an einen merkwürdigen Vorgang erinnert.”

    In der Tat ein bemerkenswerter Vorfall angesichts der zu testenden Stimmen, wenn man bedenkt, dass die bei denen ja immer per Mikrofon und über Lautsprecher transportiert wurden. Und da lässt sich unbemerkt bezüglich Stimmungsmache in Menschenmassen Wirkungsvolles auf den Frequenzen aufmodulieren. Fachkundige könnten das eventuell identifizieren.

    “Solche Maulkörbe sind der GuG-Redakteurin vor allem aus dem Zeitungsgeschäft geläufig. Doch auch im wissenschaftlichen Magazinjournalismus gibt es mehr und mehr Minenfelder, die Redeverbote nach sich ziehen.”

    Na ja, das war dann ja wohl ein ganz spezielles.

    • Bin hoch erstaunt, dass niemand auf diese Infos reagiert. Ist das allseits längst bekannt(…eher unwahrscheinlich) oder noch so fern allgemeinen Bewusstseins, dass man die Brisanz noch nicht einmal registriert. Oder wird verdrängt?

      Offenkundig wissen erst noch die wenigsten, dass wir bereits kräftig im Übergang vom Informationszeitalter zum Frequenzzeitalter sind, während wir die Tücken des Ersteren, der Mediengesellschaft und der Allroundinformation noch längst nicht im Griff haben.

  3. Die Bildungspolitik gehört dazu. „Lehrer und Schulpsychologen zum Beispiel dürfen fast nie frei von der Seele reden“, hat sie erlebt. Ausgerechnet in Forschung und Bildung stößt das Recht auf freie Meinungsäußerung offenbar an seine Grenzen.

    Für diese Art der Meinungsäußerung hat man eben, gerade im Bildungsbereich und dort wo es um das praktisch Soziale geht, Wissenschaftler, deren Meinung letztlich auch mit denen der politischen Entscheider konveniert.

    MFG
    Dr. W

  4. Weit verbreitetes Phänomen: “…dass nicht sein kann, was nicht sein darf”. Anderes Beispiel: Für den Umstand, dass Krippenbetreuung schädlich ist, gibt es inzwischen genügend belastbare wissenschaftliche Hinweise. Seitens der Politik wird ungebremst das glatte Gegenteil behauptet.

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