Menschen kompostieren: Ein Toast auf das Homo-Novus-Festival in Rīga
Was fangen Kunst- und Kulturleute mit dem Projektkollegen an, der behauptet, philosophische Forschung zu betreiben? Meine Mitstreitenden in dem EU-geförderten Verbund The Big Green erproben verschiedene Antworten. Die Organisierenden unseres Treffens in Lettland Ende August baten mich zunächst, einen ökologisch-philosophischen Workshop mitzugestalten. Weil die Kollegin, die den ökologischen Teil beitrug, sich jüngst damit beschäftigt hatte, wurde das Kompostieren ein Themenschwerpunkt und anschließend ein geflügelter Gedanke in der Projektgemeinschaft.
Nach unserer Einkehr auf dem Land blieben viele von uns noch in Rīga, um einen Teil des Theaterfestivals Homo Novus mitzuerleben – oder, im Fall der örtlichen Kolleg·innen vom Latvijas Jaunā teātra institūts, zu betreuen. Ich hatte ihnen außerdem zugesagt, auf der Eröffnungsfeier am Abend des 29. August eine kurze Ansprache zu halten. Die Aufgabe: aus der Erfahrung der Projekteinkehr ein paar Gedanken zu entwickeln, die auch die Festivalbeteiligten anregen könnten.
Es folgt meine deutsche Übersetzung einer englischen Textfassung, die im Festivalblog erschien.
Mit unserem Projekt The Big Green versuchen wir, die Kreativität von Kunst und Kultur in das Gespräch über Umwelt, Klima und nachhaltige Entwicklung zu tragen. Und in diesem Gespräch betrifft eine wichtige Frage den Umfang der menschlichen Wirtschaft. Dabei geht es vor allem um die Volkswirtschaften des Globalen Nordens. Wieviel Raum sollten wir auf den Landmassen, im Meer und in der Luft um diesen Planeten einnehmen? Wieviel der Materialien, Energie und Lebewesen in dieser Biosphäre sollten wir durch die Maschinerie leiten, die unsere Bedürfnisse, Wünsche und Träume bedient? Darauf antworten viele Menschen: Wir sollten weniger nehmen. Schließlich sind wir nur ein Teil von einer Generation in einer Organismenart unter so vielen.
Mit anderen Worten fordern einige Menschen Postwachstum, oder ein Schrumpfen der menschlichen Wirtschaft. Doch viele andere bestehen darauf, daß wir noch weiter wachsen müssen. Denn auf diese Weise verdienten wir das Geld, mit dem wir in eine bessere Zukunft investieren können. Und wir könnten uns weiter so schöne Dinge leisten, wie Fördermittel an Festivals fürs zeitgenössisches Theater zu vergeben oder einen öffentlich finanzierten Denker während der Eröffnungsfeier laut über unseren Platz in der Welt sinnieren zu lassen.
Damit meine ich natürlich mich. Und zum Thema Wachstum sage ich: Ja, wir müssen weiterwachsen, keine Frage, und zwar auf die richtige Art und Weise.
Zur Erklärung möchte ich euch von unserer kürzlichen Projekteinkehr hier in Lettland erzählen. Eines der Dinge, über das wir am vergangenen langen Wochenende gesprochen haben, ist Kompost, denn unser aktuelles Jahresthema heißt BODEN. Und beim Gespräch über Kompost entdeckten wir unter anderem, daß wir uns selbst in einem Kompost befanden. Was soll das bedeuten, fragt ihr? Nun, ganz allgemein gesprochen bedeutet Kompostieren, unterschiedliche Komponenten an einem Ort zusammenzubringen, günstige Bedingungen zu schaffen und sie sich zersetzen zu lassen (decompose) – wobei sie aus ihrer üblichen Gestalt ausbrechen, sich vermischen und verändern. Und wenn die Bedingungen günstig sind, dann entsteht dabei kein stinkender Haufen Verwesung. Vielmehr verwandeln sich die Komponenten in eine gut durchmischte Masse frischer, lebendiger Materie, in der Neues wachsen kann.
Wenn wir Gartenkompost machen, bekommen wir auf diese Weise neuen Boden. Wenn wir uns als eine Gruppe vielfältiger Menschen gemeinsam kompostieren, entsteht eine neue Gemeinschaft. Und jede und jeder einzelne von uns verändert sich dabei und wächst dabei – an Verständnis, an Charakter und vielleicht an Tüchtigkeit und Weisheit. Das ist die Kraft des Komposts – oder sollte ich sagen, der Kultur?
Und so macht man neue Menschen – auf lateinisch, homines novi. Man kultiviert sie im richtigen Medium.* Darum, all ihr Homo-Novus-Menschen, alle, die dieses Festival möglich machen und zum Leben erwecken, nutzt diese Gelegenheit, um Kompost zu machen, und nehmt euch die richtige Vorstellung von Wachstum zu Herzen. Wir können als Menschen nicht gedeihen und wir können uns ganz sicher nicht erneuern, wenn wir nicht wachsen.
Und gestattet mir, zum Abschluß diesen Toast auszusprechen:
Auf das Kompostmachen und auf das Wachsen, in Gemeinschaft!
Toi toi toi!
* Bei Fragen zu den Einzelheiten der menschlichen Fortpflanzung wende dich bitte an das Festivalteam.