Kurzer Einwurf zu eBooks

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Kindle Overlay FussnoteVor einigen Wochen las ich irgendwo eine Einschätzung, einen Kommentar oder …

Auf jeden Fall ging es darum, dass eBooks nicht so recht liefen, gerade die Mode der kurzen, bei Amazon ‘Singles’ genannten, schon wieder vorbei sei, und selbst Zusatzfeatures in enhanced eBooks nichts retten. Jemand kommentierte, dass es gerade diese Zusatzfeatures seien, die abschreckten, ‘man möchte doch nur ein Buch lesen’.

Doch so einfach ist es nicht. Neben Büchern, die man einfach so liest, gibt es – auch gedruckt – Bücher, die mehr vom Leser verlangen und von denen der Leser mehr verlangt. In der Schule sprachen meine Lehrer gerne vom ‘aktiven Lesen’. Das bezieht sich nicht nur auf Lehrbücher, auch auf Belletristik.

In der Kürze liegt – ein literarisches Geschäftsmodell

Über ein Jahrhundert wurden Leser dazu erzogen, dass es Bücher gibt. So richtige, dicke. Mit mindestens 150 Seiten. Kürzere Formen wie Kurzgeschichten, Essays, Gedichte, fanden die Leser in Magazinen und [später] gesammelt als Buch. Wenn ich die letzten 30 Jahre so ansehe, habe ich den Eindruck, Bücher werden nach Gewicht gekauft, nicht so sehr nach Gehalt. Der Umfang nahm stetig zu.

Mit den neuen Möglichkeiten zur Publikation, mit oder ohne Verlag, können wir uns wieder daran gewöhnen, dass Literatur auch kürzer daherkommt. Nicht nur in 1000-Seitern lässt sich eine Geschichte erzählen, George R.R. Martin, oder?

Vielleicht braucht es ein gutes Flatrate-Modell [früher sagte man Subskription dazu], sauber gerechnet, um kleinere Stücke zu vertreiben? Vielleicht sind die Erwartungen der Verlage noch zu hoch?

Enhanced eBooks

Kindle Overlay Wörterbuch… scheinen mir schlicht noch nicht gut durchdacht. Für Belletristik müsste erst einmal jemand ein gutes Multimedia-Modell entwickeln – es bräuchte experimentierfreudige Multitalente als Autoren sowie Verlage, die einen möglicherweise langjährigen Schreib-/Produktionsprozess bezahlen. Auch hier muss der Rezipient erst einmal lernen, dass es auch anders geht – natürlich nur, wenn die enhanced features nicht nur Gimmick sind, sondern notwendig für die Erzählung.

Ganz anders sehe ich das für Non-Fiction. Lehrbücher, Sachbücher, Fachbücher sind prädestiniert, vernünftig enhanced umgesetzt zu werden. Fussnoten, die als kleines Fenster direkt über dem Text aufgehen 1, skalierbar Bilder, möglichst als Overlay 2, Tonbeispiele 3, kurze Videos 4 und so fort. Nicht zu vergessen eines der nützlichsten Instrumente überhaupt, das glücklicherweise von Anfang an dabei war: die Wörterbuchfunktion.

Da ist viel möglich, was bisher bestenfalls halbherzig umgesetzt wird. Und genau da liegt für den potenziellen Kunden die grösste Schwierigkeit: halbherzige Umsetzung schreckt ab.

Notes:
1. ePub 3, aktuelle Kindle
2. Kunstgeschichte, Kulturgeschichte, Pflanzenbestimmung
3. Vogelbestimmung, Wörterbücher, Linguistisches, Dichterlesung. Es gibt Tondokumente u.a. von Dylan Thomas, dessen Vortrag zu seiner Zeit sehr geschätzt wurde.
4. Militärgeschichte, Fahrtechnik

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

6 Kommentare

  1. Heute helfen bei anspruchsvollen belletristischen Büchern buchzentrierte Wikis. Zu Thomas Pynchons Bleeding Edge gibt es das Thomas Pynchon: Bleeding Edge-Wiki, welches voll ist von wertvollen Referenzen zu Bild-, Video- und Tonmaterial, welches in sehr vielen Diktionäreinträgen die im Buch unvermittelt autauchende Begriffe aus der Nerd- und Geek-Welt, der jüdischen und NewYork- ischen Kultur erklärt. Auch auf eine Handvoll Rezensionen wird verwiesen.
    Ein solches Wiki ist unendlich wertvoll. Gerade auch weil es unabhängig vom Buch gepflegt und unterhalten wird. Wenn im obigen Beitrag erwartet wird, dass die Autoren der Bücher dieses Material selbst zusammentragen (Zitat: “es bräuchte experimentierfreudige Multitalente als Autoren sowie Verlage, die einen möglicherweise langjährigen Schreib-/Produktionsprozess bezahlen”), so verkennt der Autor des Beitrags, dass es das Wesen gerade guter und anspruchsvoller Literatur ist, ein Gewebe von vielen Bezügen herzustellen. Typischerweise gibt es dabei mehr als eine Interpretation und der Autor möchte auch mehrere, sich vielleicht ergänzende oder auch widersprechende Interpretationen zulassen. Thomas Pynchons Bücher beispielsweise sind eigentliche Puzzles, bei denen sich zwar schon beim ersten Lesen ein Bild ergibt, wo aber in der Art eines Palimpsests noch viele weitere Bilder durchscheinen. Ein externes Wiki ist hier der genau richtige Ansatz um dem Leser bei der Entdeckungsreise zu helfen.

    • @ Herr Holzherr :

      (…) dass es das Wesen gerade guter und anspruchsvoller Literatur ist, ein Gewebe von vielen Bezügen herzustellen.

      …und dieses ‘Gewebe’ sequentiell darzustellen, ausschnittsartig und näherungsweise, dabei gerne auch eine Nachricht unter die Leute bringend.

      Ein Autor kann keine “Wikis”, wie Sie dies nennen, bereitstellen, dies wäre dann bedarfsweise vornehme Aufgabe sich ggf. anschließender Communities.

      Es gibt im Web zwei bedenkliche Tendenzen, die eine ist das Gestammel, wie es sich bspw. bei Twitter ergibt, das Unsubstanzielle und bestenfalls im Verweis Sinnhafte, von Aphorismen einmal abgesehen, diese sind aber realiter dort eher selten, und die Überladung von Texten oder Inhalt, die sich in unzähligen Webverweisen offenbart, die vom Autor dem Leser aufgedrängt wird, weil ansonsten der Text unverständlich würde.

      Web will gelernt werden.

      MFG
      Dr. W

      • Ja, Buch-Wikis sind extern, werden also nicht vom Autor unterhalten, sondern von engagierten Lesern. Wikis werden ständig um neue Diktionäreinträge erweitert, beinhalten aber auch Rezensionen, Links zu Quellenmaterial und Hinweise auf Verfilmungen, Besprechungen etc.

        Einige erwarten solches Material wie es beispielsweise im Pynchon Wiki:Inherent Vice gesammelt ist, vom Autor des Buches selbst. Doch das ist nicht die Aufgabe des Autors. Es besteht sogar die Gefahr, dass er das eigene Buch zerredet und in einer Weise festlegt, die dem Werk widerspricht. Viele Buchautoren sagen ja selbst, sie wüssten nicht genau was sie da geschrieben hätten, sie wüssten nur, dass sie das Buch umgetrieben habe und es viele Interpretationen gebe.

  2. Vielen Dank für diese Reflexion.
    Vereinfachend und rustikal sozusagen angemerkt gibt es Schriftmedien, die sequenzieller Natur sind, die besondere Exkurse nicht benötigen, sondern beinhalten und aufdrängen, die übliche Literatur, auch die Weltliteratur ging und geht diesen Weg, und Schriftmedien, die zum Verweis-Konsum einladen, auch zum Weggehen vom O-Text, das Web ist gemeint.
    Im Artikel scheint es um eine Art Zwischenmedium zu gehen, das “featured” oder “enhanced” ohne sich gleich im Web aufzulösen.
    Hier wird’s schwierig, wer will so ein Zwischending? [1]

    MFG
    Dr. W

    [1]
    Terry Pratchett war hier vglw. lustig mit seinen Fußnoten und der dbzgl. teilweise nicht unkomplexen Verwaltung. Mehr geht wohl nicht (außer den üblichen EBook-Features wie Wörterbüchern, Copy & Paste und der Textsuche – all dies als Option).