• Von Dierk Haasis
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In den Fängen der Serie

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Wörter brauchen Gesellschaft.
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Der Erfolg eines literarischen Werkes bemisst sich auch daran, wie oft man sagen kann ‘eine Ära geht zu Ende’ – besonders bei serialisierten Werken, wie wir es heute gewohnt sind. Ich weiss nicht, wie oft viktorianische Leser es gesagt haben, veröffentlichten doch Romanautoren damals oft zuerst in Magazinen, machten aus den einzelnen Folgen später ein Buch. Charles Dickens fällt den meisten sofort ein, aber auch Anthony Trollope oder William Makepeace Thackeray sollten einem bekannt vorkommen. Für die Leser vorwiegend deutscher Literatur: Karl May. Ein Fan-Aufschrei aus alter Zeit kam auf, als Arthur Conan Doyle seine Schöpfung Sherlock Holmes sterben liess. Das Ende einer Ära. Bis er ihn einige Jahre später wieder auferstehen liess.

Nachdem erst Radio und Kino1 die Serie übernommen haben, um Kunden und Einnahmen zu halten, lernten auch TV-Macher, wie wichtig Wiedererkennung für einen kontinuierlichen Erfolg ist. Zuerst waren es Hauptfiguren, deren Geschichte am Ende jeder Folge wieder auf Null gestellt wurde, es gab keine oder nur sehr wenig Entwicklung. Auch Plots und Stories liefen nach einem Schema ab, dem der Zuschauer leicht folgen konnte und das den Autoren Freiraum für kleinere Überraschungen bot.

Heute ist das anders, mit Ausnahme von Sitcoms und sogenannten Anthology-Serien wie Black Mirror, benutzt man heute übergreifende Geschichten, nicht nur im Englischen bekannt als story arcs. Die Figuren entwickeln sich, der Zuschauer bekommt Cliffhanger und bleibt gespannt. Ein Schelm, wer hier ökonomische Hintergründe vermutet. Ganz neu ist das nicht, die echten Soap Operas der 1960-er und 1970-er machten es vor – zu jedem Werbeblock hin musste der Zuschauer einen kleineren Schock bekommen und sicj fragen müssen, wie es wohl weiter geht. Dasselbe dann, etwas grösser, noch einmal am Schluss.

Die britische TV-Serie Doctor Who ist in ihrer klassischen Phase sprichwörtlich für ihre Cliffhanger gewesen. Auch wenn die BBC werbefrei ist, so wollte man Zuschauer doch an das Programm fesseln. Zuerst um zu beweisen, wie wichtig man sei, später, als Konkurrenz aufkam, um Bester bei den Einschaltquoten zu sein. Selbstverständlich gibt es eine ganze Reihe weiterer Elemente, die Doctor Who seit 1963 mit einer Unterbrechung von 1989 bis 2005 zur längst laufenden Sci-Fi-Serie der Welt macht.

Wie oft konnten Kritiker ‘das Ende einer Ära’ nach einer Folge Doctor Who schreiben? Nun, oft. William Hartnell verliess die Hauptrolle. Patrick Troughton ging, John Pertwee ging, Tom Baker, Peter Davison … Und immer wieder widmeten Produzenten oder Script Editor neuen Aufgaben. Zu Weihnachten 2017 hatte Peter Capaldi seinen letzten regulären Auftritt als Doctor, mit ihm geht der Mann, der die Geschicke der Serie die letzten 8 Jahre äusserst erfolgreich geleitet hat, Steven Moffat. Das Ende einer Ära. Oder zweier. Denn – ausserhalb Moffats eigener Parodie The Curse of the Fatal Death – wird der Doctor das erste Mal weiblich sein.

Noch bevor Jodie Whittaker auch nur eine Szene abgedreht hatte, gab es typisch wütigen Fan-Protest, dass man nun nicht mehr schauen würde, dass der Doctor ja keine Frau sein könne, dass es völlig unrealistisch sei, eine Geschlechtsumwandlung …. Yo. Vergessen wir nicht, dass ‘Fan’ von ‘fanatic’ kommt. Es war ursprünglich nicht nett gemeint. Im britischen Fussball wurde das Wort vor einigen Dekaden von ‘Hooligan’ abgelöst.

Zum Fan-Problem gibt es in den Doctor-Who-Reviews von Richard D. Carrier ein paar Anmerkungen; er beschreibt dort den Unterschied zwischen jenen, die ein Werk anerkennen und geniessen wollen, gerade wegen der Ideen der Macher, und jenen Fans, die meinen, ihnen gehöre ein Werk und niemand dürfe es anders interpretieren, als sie selbst. Wir kennen das aus vielen Fandoms, z.B. auch aus Star Wars, wo selbst der ursprüngliche Autor nicht vor Häme und Anschuldigungen, er läge falsch und hätte alles zerstört, sicher ist.

Interessanterweise findet Carrier in einem seiner Videos das erste gute Argument für einen männlichen Doctor: Als Junge fand er im Doctor ein männliches Vorbild, das anders war, als die üblichen. Er verlässt sich nicht auf Muskeln und Gewalt, sondern benutzte Kommunikation, Konsens, möglichst friedliche Mittel – er verlässt sich auf Charakteristika, die oft als weiblich angesehen werden.2 Ich warte gespannt, was wir ab 2019 mit Jodie Whitaker zu sehen bekommen, aber kann Carriers Argument gut nachvollziehen. Andererseits: Auch Mädchen dürfen Vorbilder bekommen.

Notes:
1. Das erste Mal in den 1930-ern, als Abenteuer, Western und Sci-Fi als Serials in Matinees liefen,
2. Bereits in seinem einleitenden Video.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?