George Orwell rezensiert Adolf Hitlers Mein Kampf

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Wörter brauchen Gesellschaft.
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1940, der Krieg läuft schon ein paar Monate und George Orwell weist auf die Diskrepanz in der öffentlichen Wahrnehmung Hitlers in Grossbritannien zwischen Frühjahr 1939 und 1940 hin: http://boingboing.net/2014/08/17/orwells-review-of-mein-kampf.html

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

4 Kommentare

  1. Interessant.

    Im März 1940 schreibt Orwell: “Hitler has said to them ‘I offer you struggle, danger and death,’ and as a result a whole nationa flings itself at his feet.”

    Im Mai 1940 kommt dann Churchill mit seiner berühmten Antrittsrede: “I have nothing to offer but blood, toil, tears, and sweat”.

    Kann natürlich Zufall sein. Aber vielleicht hat sich da jemand inspirieren lassen. Lag aber vermutlich sowieso in der Luft.

  2. Hitlers Ziele waren also immer die gleichen, aber einmal wurde er dafür bewundert, mindestens aber respektiert, und später wurde er von den gleichen Leuten dafür verachtet und gefürchtet. Hier waren es nicht die Landsleute Hitlers – also die Deutschen – die diesen Sinneswandel durchliefen sondern die Briten.
    Interessant daran finde ich, dass das gleiche Phänomen bei fast allen Diktatoren des 20. Jahrhunderts festzustellen ist. Es gab ausländische Bewunderer, die ihn trotz seinen Greueltaten bewunderten, weil der Diktatur im Namen einer Ideologie in ihren Augen die richtigen Ziele anstrebte.
    Mussolini
    Zitat: Wikipedia:

    „Dieser junge Revolutionär ist nun Herz und Hirn der sozialistischen Partei. Bei den Massen, insbesondere aber beim Funktionärsnachwuchs… ist er als Redner wie als Schreiber jener, den man am meisten schätzt, verehrt und nacheifert. Beim Sozialistenkongress in Ancona war sein Wille Gesetz und seine Autorität die eines Diktators…“

    – Ivanoe Bonomi (Sozialist, der kein Anhänger Mussolinis war)

    Stalin
    Zitat TAZ:

    Die Schauprozesse hatten unter den deutschen Exilanten wie ein Enzym gewirkt, das prosowjetische Autoren wie Ernst Bloch und Bertolt Brecht und Skeptiker scharf voneinander schied. Feuchtwanger, der kein Wort Russisch verstand, versuchte die Kritiker (und auch eigene Zweifel) so zu besänftigen: “Stalin, dieser gescheite, überlegene Mann, kann unmöglich die ungeheure Dummheit begangen haben, eine so plumpe Komödie aufzuführen, nur für ein Rachefest.” Anders gesagt: Es konnte nicht sein, weil es nicht sein durfte. Feuchtwangers Loblied endete so: “Es tut wohl, nach all der Halbheit des Westens ein solches Werk zu sehen, zu dem man von Herzen Ja, Ja, Ja sagen kann.
    ….
    Begreifbar ist diese Realitätsverleugnung nur, wenn man sieht, was die Linksbürger an dem Diktator schätzten.
    ….
    Die Schuld von Bloch &Co war weniger moralischer Art. Sie haben vielmehr als Intellektuelle versagt und das Konkrete, Offensichtliche so lange umgedeutet, bis es zum Abstrakten, zur These passte. ”

    Mao
    Zitat Welt

    Dabei war Mao eine Ikone nicht nur für die harten Kämpfer der vordersten Front, unter ihnen spätere Top-Politiker wie Ulla Schmidt, Antje Vollmer, Jens Scheer oder Jürgen Trittin. Er galt weit über die engen Zirkel hinaus – bis hin zum Bundesliga-Fußballer Paul Breitner – als Sympathieträger, mit Kult-Bonus in der Größenordnung von Che Guevara, Nelson Mandela oder Angela Davis, obwohl da nichts zusammen paßte. Doch allein schon seine theoretische und praktische Begründung des Guerillakrieges machte ihn zur Ikone und seine Lehrsätze zur Leitkultur für die meisten Drittwelt-Kämpfer. Gewiß, es gab Hinweise auf Leichen, die seinen Weg nach oben pflasterten. Aber war nicht alles durch seine Theorien, durch Dialektik, durch die Lehre des Widerspruchs erklärbar, irgendwie?

    Fazit: Traue Ideologien nie und auch nicht denen, die Ideologen verteidigen.

  3. Interessant, wie Orwell die pseudo-religiöse Selbstinszenierung des (künftigen) Diktators analysiert. Seine “Bewegung” ist ja ebenfalls als Politische Religion zu bezeichnen. Übrigens erschien Eric Voegelins wegweisendes Werk hierzu 1938, also wenig früher. Vielleicht kannte Orwell es?

  4. Ich habe den Link jetzt nicht gelesen, aber ich habe vor langer Zeit die Essays gelesen, die Orwell geschrieben hat und ich muss sagen, sie sind lesenswert.
    Besonders wenn man seine Bücher verstehen will. So setzt sich Orwell z. B. mit der Positione der Kommunisten seiner Zeit zur Meinungsfreiheit auseinander (die dies wohl für “bürgerlich” halten) oder er erkennt, wie das Gedächtnis durch die politischen Wandlungen verändert wurden…
    Vielleicht sind diese als zeitgeschichtliches Dokument auch nicht uninteressant.

    Jedenfalls versteht man dann besser, wieso in 1984 ein ganzes Ministerium existiert, um die Wahrheit je nach politischer Lage zu verfälschen statt beispielsweise das Volk einfach in Unklaren zu lassen und Dumm zu halten.