• Von Dierk Haasis
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Endstation für Serien

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Vor kurzem stiess ich im durchaus unterhaltsamen, wenn auch oberflächlich albernen Listen-YouTube-Kanal WatchMojo auf das Video

Top 10 Disappointing TV Show Finales

Im üblichen Stil werden zehn TV-Serien mit enttäuschendem oder schwachem Finale aufgezählt. Dazu gibt es ein paar Ausschnitte aus Serien, die es nicht geschafft haben. Zumindest implizit haben wir es auch bei denen mit nicht besonders guten Abschlussfolgen zu tun. Darunter die in den 1980er höchst beliebte Familien-Sitcom ALF, die ausserirdischen Anarchismus im geregelten US-Vorstadtfamilienidyll landen liess. Inklusive Katzenjagd. Am Ende hofft der Ausserirdische Gordon Shumway, von seinen Freunden abgeholt zu werden, wird dann aber vom US-Militär festgenommen.

Was genau soll daran enttäuschend sein? Wo hat die Serie hier ein künstlerisches Ziel nicht erreicht? Ich weiss es nicht. Mag sein, dass manch’ Zuschauer ein Happy End wollte, in dem der kleine Wuschel friedlich verschwindet damit Familie Tanner und die Zuschauer mit einer Träne im Auge nostalgisch werden können. Ein aus meiner Sicht laues, vorhersehbares Ende. eines, das nicht mehr in die Zeit – die Serie endete 1990 – passte.

Art offers a glimpse into the minds and imaginations of the people who create it. 1

Ich habe mir ein paar Notizen zu den Begründungen im Video gemacht [s.u.]. Hauptsächlich geht es um die Fans, die etwas Anderes erwartet haben, als sie dann bekamen. Immer wieder scheint es um eine Form von Happy End zu gehen, wenn z.B. im Falle Battlestar Galactica [die neue Serie] das unbefriedigende Ende eines Bösewichts beklagt wird. Dahinter steckt zumindest die Idee, dass Fiktion, ihre Charaktere sowie Plots abgeschlossen sein müssen, dem Rezipienten seine Fragen beantworten muss. Jedoch gibt Kunst keine Antworten, sie stellt Fragen. Dabei kann sie erfolgreich sein, schlecht, anregend, abschreckend, ekelerregend 2, sie bleibt immer Kunst. Der Betrachter oder Leser ist dabei im besten Falle aktiver Teil des Werkes, soweit er die Fragen aufnimmt, sie weiter spinnt, eigene Antworten sucht.

Seinfeld – Eine postmoderne Serie, deren Kern immer Metakommentar auf Personen und Handlungen der Serie selbst war. Es ging nicht um nichts, wie oft gesagt, es ging um TV-Personalities und den Konsum von Shows, in der Hauptdarsteller wichtiger sind als Figuren oder Plot und Story. Das Finale geht einen Schritt weiter und sagt das klar dem Zuschauer ins Gesicht. Auch, dass er sich mit Figuren identifizierte, die nicht gerade nett handelten.

St. Elsewhere – Auch wenn das Ende dieser Krankenhaus-Serie heute ein wenig klischiert aussieht, es war eine der ersten prominenten, realistischen Shows, die einen Kommentar auf sich selbst und das Medium abgaben.

Quantum Leap – OK, hier lässt sich streiten. Auf der einen Seite sind die Idee, alles wäre Gottes Plan, und der Versuch eine weitere Staffel offen zu halten, ziemlich lau, wenn auch aus geschäftlichen Gründen nötig 3. Andererseits sehen wir eine Hauptfigur, die lange Zeit einfach nur nach Hause wollte, zurück in seine Zeit, seinen Körper, sein Leben. Doch am Schluss haben ihn seine neuen Erfahrungen verändert und er entscheidet sich weiter zu machen. Kein schlechtes Ende, finde ich.

Dexter – Wäre der Tod Dexters oder seine Verhaftung und eine ordentliche Gerichtsverhandlung hier wirklich das bessere Ende? Ist Dexter auf der Flucht, versteckt als normaler Arbeiter unter vielen anderen Arbeitern nicht eine viel schlimmere Strafe? Zumindest sieht er alles andere als glücklich aus 4

How I Met Your Mother – Yo, das war nicht gut. Das war sogar regelrecht schlecht. Mag sein, dass die Macher von Beginn an meinten, Robin sollte Teds Liebe des Lebens sein. Mag auch sein, dass viele Fans das lange wollten. Es bleibt aber die platteste, vorhersehbarste, uninteressanteste Lösung.

Sopranos – Ich bin verwirrt. Hier haben wir einen der grossen TV-Romane unserer Zeit, mit einem Abschluss, der besser nicht sein kann – und die Fans finden das langweilig? Wer will denn wirklich ein grosses Blutbad sehen und warum?

Alias – Sicherlich lässt sich das Ende dieser Serie als real ansehen, aber ist es das? Handelt es sich nicht eher um einen Traum [keinen sonderlich originellen, ja], den die Hauptfigur hat? Auch hier ein Kommentar auf die herkömmliche Erzählweise im US-TV. Und auf die Idee, dass feministische Vorbilder gewalttätige Frauen sein müssen.

Roseanne – Ich war nie ein Fan von Roseanne, trotz einer guten Besetzung, gefiel sie mir nie. Aber das Ende ist wunderbar – wieder ein Kommentar auf Sehgewohnheiten, Erzählweisen und die Romantisierung des Lebens im US-TV.

Die meisten der ‘disappointing endings’ sind künstlerisch weit über dem, was ihre Serien vorher geschafft haben – und beinahe alle nutzen den Brecht’schen Verfremdungseffekt, der dem Zuschauer verdeutlicht, dass alles, was er sieht, Fiktion ist. Es sind Traumsequenzen oder ganz direkte ‘alles eh erfunden’-Szenen. Enttäuscht können nur jene sein, die TV-Serien als Dokumentationen aus ihrer Nachbarschaft missverstehen. Zuschauer, die noch in einer naiven Vormoderne zu konsumieren scheinen; einer Ideenwelt, in der Realismus nicht Stilmittel ist, um auch die fantastischsten Erzählungen real wirken zu lassen, sondern journalistisch verstanden wird, als neutral-objektive Beschreibung echter Vorkommnisse dieser Welt.

Der Grad der Enttäuschung und Verzweiflung ist direkt abhängig vom Grad der Erwartungen. 5

Notes:
1. Roff Smith
2. Ich verweise auf Pasolinis Film Salo, der nicht dafür gedacht ist, ihn zu geniessen, sondern den Zuschauer auch vor sich selbst, als Voyeuer, ekeln möchte.
3. Eine Serie, die ganz offen das Konzept des allmächtigen, allgegenwärtigen, abrahamischen Gott aussen vor lässt oder gar angreift, hat im US-Markt wenig Chancen.
4. Ähnlichkeiten zu den mittleren Folgen der letzten Staffel von Breaking Bad sind nicht zu übersehen.
5. D.A. Wien

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?