Emanzipation bei Füchsen

BLOG: Con Text

Wörter brauchen Gesellschaft.
Con Text

Als jemand, der schon ein paar Jahrzehnte hinter sich gebracht hat, wundert mich die Haltung vieler [junger] Menschen zu einem einfachen Satz, den wir u.a. im Grundgesetz finden doch immer wieder:

Männer und Frauen sind gleichberechtigt.

Es ist ja nicht so, als sei das etwas ganz Neues, über das noch ausführlich diskutiert werden müsste. Der Satz und was dahinter steht, sollte nicht nur Allgemeingut sein, er sollte selbstverständlich sein. Ist es aber nicht. Und ich kann mich anstrengen, so viel ich will, ich verstehe nicht weshalb. Ich verstehe auch nicht, wieso ausgerechnet Deutschland ein so großes Problem damit hat.

Als jemand, der Mitte der 1960er geboren wurde – mitten hinein in die große gesellschaftliche Umwälzung, die weltweit auf allen Ebenen stattfand –, bin ich stark geprägt vom Fernsehprogramm der 1970er. Die erste Erinnerung, die ich habe, war die Übertragung der Mondlandung 1969. Die noch nicht in Deutschland gefertigte Version der Sesamstraße kommt bald danach; der Start der Sendung mit der Maus. Und natürlich britische Serien.

Während 1964 die Produzenten der James-Bond-Filme sich noch über die Beatles lustig machten, erreichte die Realität Mitte der 70er auch das eher konservative britische Fernsehen. Wegweisend war die Krimiserie The Sweeney, die bei uns später unter dem seltsam passenden Namen Die Füchse lief.[1]

Gestern stieß ich beim Wiederanschauen der Serie auf Folge 8 der ersten Staffel, von 1975. Die ist also bereits fast 40 Jahre alt, mehr als 13.000 Tage. Genug Zeit, in der wir die Emanzipation der Frau eigentlich mal vollendet hätten können. Aber nein, wir laborieren immer noch mit denselben Problemen.

On the job

In Cover Story sieht Detective Inspector Jack Regan ein unvorteilhaftes Foto von sich, begleitend einen Artikel, der ihn und die englische Polizei als ungeschliffen und brutal darstellt – Männer, die Zeugen jenseits der Gesetze unter Druck setzen, durchaus auch mit Gewalt. Die Magazinstory stammt von Sandy Williams und enthält ein Detail über die laufenden Ermittlungen, das Regan veranlasst Sandy Williams aufzusuchen.

Obwohl der Mann, der ihm die Tür öffnet, ihn weder vom Ansehen noch nach Nennung des Namens erkennt, hält Regan ihn zunächst für die gesuchte Person – und ist höchst überrascht, als ihm eine junge Frau als Sandy Williams vorgestellt wird. Natürlich hatte er einen Mann erwartet, schließlich sind Frauen Bedienungen und Krankenschwestern.

Im weiteren Verlauf kommen sich Regan und Williams näher; was als gegenseitiges Aushorchen beginnt, endet als Liebesbeziehung. Immer wieder geraten die beiden über ihre unterschiedlichen Berufe aneinander, wobei immer mitschwingt, dass Regan als Mann arbeiten muss, während die liebende [Ehe]Frau zu Hause sitz und Abendessen zubereitet.

Einer der großen Vorteile des Drehbuchs liegt, wie so oft bei britischen Serien, darin, dass die Dialoge glaubwürdig und echt bleiben, nicht in Tiraden und Predigten abgleiten. Die Drehbuchautoren überlassen es den Schauspielern, Enttäuschung, Freude, Trauer, Wut etc. zu spielen. Auch die gesellschaftspolitischen Botschaften – von denen es in The Sweeney viele gibt[2] – werden nicht mit dem Holzhammer aus dem Fernseher geprügelt, sondern unterhaltsam verpackt.

Nachdem Regan überzeugt ist, dass Sandy Kriminellen Informationen zuspielt, entspinnt sich folgender Dialog:

JR: … and my career is finished.

SW: What about my career?

JR: Your career?!

SW: I make more money than you; you don’t have to be a policeman all your life. Why does it have to be my career instead of yours?[3]

Während Sandy redet, verdreht Regan erst die Augen, ist dann bei seiner Frage ehrlich überrascht und wendet sich bei ihrer letzten Äußerung beinahe angewidert ab.

Am Ende der Episode verlässt Sandy Williams England und Jack Regan, fliegt in die USA, hinterlässt ihm eine Tonaufzeichnung, in der sie betont, sie hätte jederzeit zugunsten der Liebe auf den Job verzichtet, Jack aber wohl kaum.

Dinosaurier

Die ganze Episode dreht sich um zwei miteinander verbundene Themen: Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für einen altmodischen, harten Knochen wie Jack Regan. Und die Emanzipation der Frau.

Die Krimistory spielt keine große Rolle, die eigentlichen Kriminellen kommen in einer Szene vor, die ein reiner Handlungsstop* ist. Da die Sendezeit beschränkt ist und damals, anders als heute, übergreifende Handlungsstränge** im TV nicht die Regel waren, musste schnell gelöst werden, wo Sandy wirklich steht. Ist sie eine Kriminelle oder eine Ausgenutzte? Regans Kollege und Freund Carter fährt wütend los, stellt die Kriminellen, lässt sich von ihnen zusammenschlagen, erfährt dabei auch, dass Sandy unschuldig ist.

Auch wenn der Gewaltgrad der Serie für damalige Verhältnisse sehr hoch ist, ist diese Auflösungszene tonal und erzählerisch völlig fehl am Platze.

Jack Regan ist immer der Dinosaurier, seine Methoden sind fragwürdig, seine Einstellungen stammen aus den 1950ern. Sein Verhalten, sein Unverständnis gegenüber der modernen Sandy Williams sind nur zu verständlich, werden von den Machern der Serie aber deutlich negativ dargestellt.

Ist es nicht verwunderlich, dass heute Menschen in Deutschland herumlaufen, die ein ebenso verdrehtes Menschenbild wie DI Regan haben?

 

[1] Der Originaltitel ist die Verkürzung von ‘Sweeney Todd’, das wiederum im rhyming slang des Cockney für Flying Squad steht, jener Londoner Polizeieinheit, der die Hauptfiguren der Serie angehören.

[2] Die Serie wurde zu einer Zeit entwickelt, in der das Ansehen der englischen Polizei sehr niedrig war. Diverse Korruptionsskandale, eine niedrige Gewaltschwelle bei Befragungen, immer wieder auftretendes Anhängen von Straftaten an Unschuldige [zumindest an den beweisbaren Taten unschuldige], die Entwicklung der London Metropolitan Police zu einem Staat im Staate, hatten die Bevölkerung damals die Polizei als wahre Bösewichte sehen lassen.

[3] The Sweeney, Ep. ‘Cover Story’, Minute 28. Originalausstrahlung bei ITV 20. Februar 1975.

 

*plot point – Eine Sequenz in einem erzählerischen Werk, die ausschließlich dazu dient, die Handlung voranzutreiben, ohne sonst etwas beizutragen. Vergleichbar rein expositorischem Dialog.

**story arc – Ein über mehrere Folgen oder sogar Staffeln laufender Handlungsstrang, in dem Charaktere und Geschehnisse detailliert entwickelt werden.

Nach dem Abitur habe ich an der Universität Hamburg Anglistik, Amerikanistik, Soziologie und Philosophie studiert. Den Magister Artium machte ich 1992/93, danach arbeitete ich an meiner Promotion, die ich aus verschiedenen Gründen aufsteckte. Ich beschäftige mich meist mit drei Aspekten der Literatur: - soziologisch [Was erzählt uns der Text über die Gesellschaft] - technisch [Wie funktioniert so ein Text eigentlich] - praktisch [Wie bringen wir Bedeutung zum Leser] Aber auch theoretische Themen liegen mir nicht fern, z.B. die Frage, inwieweit literarische Texte außerhalb von Literatur- und Kunstgeschichte verständlich sein müssen. Oder simpler: Für wen schreiben Autoren eigentlich?

2 Kommentare

  1. @Dierk: so what?

    Artikel, die in der einen oder anderen Weise das Gender-Thema berühren, kommen in letzter Zeit recht oft auf SciLogs vor – wenngleich kaum noch mit Verve darüber diskutiert wird.

    Wenn ich nun versuche, deinen Artikel auf seinen rationalen Kern zu reduzieren, dann erzählst du eine Geschichte über eine Serie, in der ein an Alterschwäche vor sich hinsiechendes Rollenbild ausgebreitet wird und fragst dann?

    “Ist es nicht verwunderlich, dass heute Menschen in Deutschland herumlaufen, die ein ebenso verdrehtes Menschenbild wie DI Regan haben?”

    Nun ja … es wird immer Menschen mit exzentrischen Meinungen geben – Männer wie Frauen. Und in vielen anderen Hinsichten ist die Gesellschaft da extrem tolerant: Daß z.B. Männer Frauen gegenüber als gentlemen auftreten sollen, ist so ein extrem, und es wird praktisch nie kritisiert.

    Insofern versteh ich noch nicht ganz, welchen Punkt dein post machen will. Sicher – es wird einige Frauen geben, die sich über Männer freuen, die sich für den Profit von Frauen einsetzen. Aber ansonsten hat sich mir die Pointe deines Artikels nicht erschlossen.

    Beispiele für solche Pointen habe ich viele auf Lager. Ich denke da weniger an Statistiken, die ja im Einzelfall ohnehin nicht helfen, sondern an ganz praktische Dinge, die uns helfen, die tägliche Soziologie, in die wir gleichsam eingewickelt sind, zu verstehen.

    Beispiel: Wenn Alice Schwarzer behauptet, daß Prostitution ein Fall von Männerherrschaft in der Sexualität ist, dann kann ich das ohne Statistik überprüfen, indem ich nachsehe, mit welchen Texten Bordelle Werbung für sich machen.

    Beispiel: Die soziale Rolle, die Prostitution ausübt, muß zeitlich nicht invariant sein. Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der der Bordellbesuch primär ein Statussymbol war, aber vielleicht geht der Trend woanders hin? Viele Prominente aus Sport, Film, Politik oder Society gehen z.B. zu Prostituierten, weil sie Angst haben, daß eine Frau/ein Mann, die/den sie auf normalem Weg kennenlernen, diese Geschichte hinterher an eine Illustriete verkaufen und ihnen so nachtäglich auf egoistische Weise schaden – das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Statistiken darüber wird es kaum geben, aber vielleicht hast du eine Idee, wie man sich das ganze qualtitativ überlegen kann?

    Artikel, die Pointen solcher Art liefern, sind informativ und hilfreich. Dein Artikel läßt eigentlich alles offen:

    Wenn jemand diese Serie sieht, wie empfänglich ist er für die Botschaft? Kopiert er sie nur oder reagiert er via Nachdenken vielleicht entgegengesetzt darauf? Gilt das für Männer und Frauen gleichermaßen? Welche anderen Einflüsse werden bei der Formung künftigen Verhaltens oder künftiger Meinungen eine Rolle spielen? Spielt hier das Alter der Zuschauer eine Rolle? Wenn ich mir die Serie nur ansehe, weil ich action will, gibt es dann trotzdem einen unterschwelligen Einfluß und wie habe ich mir dessen Einfluß vorzustellen?

    Leider bleibt dein Artikel im populistischen complaining-modus stecken, bevor du dazu kommst, diese Fragen zu stellen.

    Und vielleicht hast du ja jetzt Lust bekommen, einen zweiten Artikel zu schreiben? 🙂

  2. Ist es nicht verwunderlich, dass heute Menschen in Deutschland herumlaufen, die ein ebenso verdrehtes Menschenbild wie DI Regan haben?

    nö. solange es solche gibt:

    sie hätte jederzeit zugunsten der Liebe auf den Job verzichtet

    ist das kein wunder.