… discuss
BLOG: Con Text
Ich kümmere mich nebenher wieder ein wenig um meine Kenntnisse in formaler Logik. Dafür besorgte ich mir
L.T.F. Gamut (1990), Logic, Language, And Meaning, University of Chicago Press.
eine zweibändige, sehr dichte Einführung, geschrieben von einer Gruppe niederländischer Philosophen, Mathematiker und Linguisten. Trotz einiger Layout-Schwächen ist das Werk durchaus empfehlenswert. Zur Verfestigung des Stoffes sind Übungen enthalten [und anders als es in einigen Kundenrezensionen zu finden ist, gibt es dazu auch Auflösungen].
Wer noch gar nichts mit formaler Logik zu tun hatte, sollte sich darauf einstellen, sehr genau lesen – das heißt mitdenken – zu müssen. Ein Grund dafür ist die hohe Informationsdichte, ein zweiter …
aus dem Buch [S. 26; P = Prämisse, C = Conclusio]:
(38) Old men and women take priority [P1] – My mother is a woman. [P2] = My mother takes priority [C]
The validity of (38) depends on the reading given to its first premise. Only if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid.
Was und zum Titel dieses Blogbeitrags bringt: Discuss.
Da fehlt ein ‘not’ im letzten zitierten Satz, fast egal wo.
The validity depends
“Da fehlt ein ‘not’ im letzten zitierten Satz, fast egal wo.”
Valider wäre:
Da fehlt ein “,” im letzten zitierten Satz! (Vergleiche Bild und Text)
Dann permutiere ich mal:
1) Not only, if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid.
2) Only not, if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid
3) Only, not if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid
…
20) Only, if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is not valid.
21) .
Und schließe: da ist ein “fast egal wo” zuviel im letzten zitierten Satz.
Wenn man selbst im Alter ist, sich tiefer mit Philosophie oder Logik zu beschäftigen, ist die eigene Mutter i.d.R. schon alt. 😉 Braucht (und sollte) man vielleicht nicht hinzuzufügen.
Syllogismus
(P1) Frauen und Kinder zuerst.
(P2) Frauen sind keine Kinder, Kinder sind keine Frauen.
(C) Ich zuerst.
Ist natürlich Quatsch. Ich wollte nur die Vermutung äussern, dass man selbst noch die formalste Logik zur Magd seiner Absichten machen kann.
Und, ja, ich denke auch, dass dem letzten zitierten Satz ein “not” fehlt.
@ Ping
“[Dass] die eigene Mutter i.d.R. schon alt [ist, b]raucht (und sollte) man vielleicht nicht hinzuzufügen.”
Gerade das, dass die eigene Mutter schon alt ist, sollte man vielleicht hinzufügen.
Es gibt viele Möglichkeiten, aus dem Beispiel etwas Sinnvolles und Richtiges zu machen – Sprache ist so vielfältig. Wobei das Einfügen eines “not” in den Text, mich an keiner Stelle wirklich überzeugt hat. Man könnte vielleicht sogar mit versteckten Prämissen arbeiten, wie z.B. der, dass alle Mütter alt sind. Um Streit mit Feministinnen zu vermeiden, empfehle ich allerdings für die nächste Auflage des Buches, in die zweite Prämisse einfach ein “old” einzufügen vor “woman”. Der potentielle Konflikt wäre dann zumindest auf die niederländischen Autoren und ihre Familien beschränkt.
Der ConText könnte immerhin unverändert bleiben.
Es bleibt aber auch hier die Frage, ob das Beispiel nicht immer noch etwas unverständlich bleibt, wegen weiterer versteckter, allgemein anerkannter Prämissen ( z.B.: alte Frauen sind Frauen).
einschließlich Frisör; außer Totengräber
Der Ruhm der antiken Philosophen und Literaten ist gleichermaßen unsterblich.
Dierk Haasis ist kein antiker Literat.
Folglich hat Dierk Haasis solch unsterblichen Ruhm höchstens als antiker Philosoph, falls überhaupt.
Im Übrigen fehlen dem letzten zitierten Satz neben einem Komma auch Kursivsetzungen;
und gewissen Einführungen in formale Logik offenbar die nachvollziehbaren Beispiele.
Für den Hausfrieden
Wie wäre es mit:
(P1) Old men and women take priority
(P2) My mother is not an old woman
Das würde zunächst für den Hausfrieden sorgen. Bis man dann, je nach Lesart, zum Schluß käme,
(C) My mother takes no priority
(Streng logsich scheint mir das allerdings auch nicht.)
My mother takes no prisoners.
Vorschlag zur Güte:
Only young women or men should apply for the job.
My father isn’t young anymore.
Therefore my father should not apply for the job.
Literatur und Zweideutigkeiten
Nicht nur Alltagssätze, sondern gerade literarische Texte sind voller (bewusster) Mehrdeutigkeiten. Die Logik spielt implizit eine Rolle, indem wir mit ihrer Hilfe Zweideutigkeiten auflösen bezugsweise als solche erkennen.
Die natürliche Herangehensweise an obige Textstelle aus dem Buch Logic, Language and Meaning ist die, dass wir den Text selbst zuerst einmal nicht in Frage stellen, also nicht gleich behaupten, ein Wort (wie “not”) fehle, sondern dass wir uns fragen unter welchen Umständen der Text Sinn macht und aufgeht. Doch dieser Text macht es uns tatsächlich schwer:
” (38) Old men and women take priority [P1] – My mother is a woman. [P2] = My mother takes priority [C]
The validity of (38) depends on the reading given to its first premise. Only if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid.”
Warum macht er es uns schwer. Weil [P1] ja nur die Aussage macht, dass meine Mutter eine Frau ist. Eigentlich eine überflüssige Aussage, denn eine Mutter ist immer eine Frau. Die eigentlich wichtige Aussage, ob die Mutter alt oder jung ist, fehlt dagegen. Würde anstelle [P1] stehen: “Meine Mutter ist alt.” würde eine allfällige Zweideutigkeit von [P1] gar keine Rolle spielen.
Die Aussage “Only if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid.” scheint Humbug zu sein. Nehmen wir einmal die umgekehrte Interpretation an, also “Alte Männer” oder “Frauen im allgemeinen” haben Vorrang. Dann ist es nicht mehr wichtig zu wissen ob die eigene Mutter alt oder jung ist. Dann stimmt die Schlussfolgerung in jedem Fall. Denn hier gilt die Regel: Über das was man nichts weiss (das Alter zum Beispiel) kann man nichts folgern.
Die Passage ist also im höchsten Grade unlogisch. Egal wie man es biegt, etwas stimmt damit nicht. Wie schön in einem Buch über Logik.
Ich habe mich schon mit formaler Logik befasst. Wohl deshalb konnte ich entspannt feststellen, dass ich mir die Auflösung beim Lesen selbst gedacht haben.^^
Mal im Ernst: Die Frage besteht ja wohl darin, ob “alte Männer” und “alte Frauen” oder “alte Männer” und “Frauen überhaupt” gemeint ist. Hier besteht wirklich eine Mehrdeutigkeit der natürlichen Sprache, die es so in den Kunstsprachen nicht gibt.
Dafür gibt es in selbigen keine Aphorismen.
@Jocker
Ihre Schlussfolgerung ist falsch. Diese würde nämlich nur gelten, wenn nur und ausschließlich ältere Personen (egal ob Männer oder Frauen) Priorität hätten. Das geht aber aus obiger Prämisse überhaupt nicht hervor. Sie sagt lediglich darüber aus, welche Gruppen Priorität haben, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit (kein “only”).
Ich kann ja auch sagen “3, 5 und 11 sind Primzahlen” ohne damit andere Primzahlen auszuschließen.
@Holzherr: Ich verstehe nicht, was an den Abschnitt “unlogisch” sein soll. Sie ist nur mehrdeutig.
@Wegdenker: Argumentation unlogisch
Auch nach Beseitigung der Mehrdeutigkeit im Syllogismus ist die Argumentation des Autors unlogisch:
1. Variante
(38) Old men and old women take priority [P1] – My mother is a woman. [P2] = My mother takes priority [C]
2. Variante
(38) Old men and women (independent of age) take priority [P1] – My mother is a woman. [P2] = My mother takes priority
Offensichtlich ist die 2.Variante ein logisch gültiger Schluss, während in der 1. Variante etwas geschlossen wird für das die Information fehlt. Wir wissen nämlich nicht ob die Muter alt ist.
Die Argumentation des Autors ist aber
“The validity of (38) depends on the reading given to its first premise. Only if old is taken to apply to women as well as to men, the argument is valid.”
Damit verlangt er genau das Gegenteil von dem was verlangt werden muss. Der Autor müsste wenn schon fordern:
“The validity of (38) depends on the reading given to its first premise. Only if old is taken to apply to men, but not to women , the argument is valid.”
Fazit: Der Autor fordert das Gegenteil von dem was er fordern müsste, denn wir wissen von der Mutter nur, dass sie eine Frau ist, mehr nicht. Irgend eine Aussage muss also etwas mit der Weiblichkeit der Mutter und nur mit der Weiblichkeit zu tun haben, denn mehr wissen wir über die Mutter nicht.
Hallo Frank,
danke für dieses Fundstück, ich halte Dich zwar für einen Minderbemittelten, aber Du wirst Dir als Werbetexter schon was dabei gedahct haben.
Es ist tatsächlich recht einfach und jhermes hat das ja auch sofort erkannt: Der Erläuterungssatz ist genau falsch rum.
Die Autoren erläutern in dem Abschnitt, aus dem Satz (38) stammt, warum natürliche Sprache für eine rigide Logik nicht hinreicht, sie ist zu oft mehrdeutig. Wir kennen das von Wörtern, die oft unterschiedliche Bedeutung haben – z.B. ‘Bock’. Im gezeigten Beispiel ist es der Wirkungsbereich des Adjektivs ‘old’, der zu Problemen führt.
[P1] kann übersetzt werden ‘Women and old men take priority’, dann wäre [C] korrekt. Spracheffizienz lässt aber auch die Übersetzung ‘Old men and old women take priority’ zu. In diesem Fall reicht es nicht aus, dass meine Mutter eine Frau ist, sie müsste zugleich das Kriterium ‘alt’* erfüllen.
Offenbar ist in der Korrekturphase das Beispiel geändert worden oder der erläuternde Satz überarbeitet.
*In einem weiteren Schritt, der an dieser Stelle im Buch aber keine Rolle spielt, ist die Frage zu klären, was ‘alt’ bedeutet. Ein ußerst weicher Begriff.
Da fehlt die Konstruktionsphase …
Dierk schrieb (18.11.2012, 10:39):
> Der Erläuterungssatz ist genau falsch rum.
Oder das Beispiel ist genau falsch rum.
(Bzgl. des Erläuterungssatzes, den es ansonsten illustrieren und motivieren könnte.)
> Offenbar ist in der Korrekturphase das Beispiel geändert worden oder der erläuternde Satz überarbeitet.
Gibt es irgendwelche Hinweise (z.B. aus Manusktripten oder früheren Ausgaben des genannten Werks) darauf, dass das Beispiel und der erläuterned Satz in der im Artikel zitierten Form Resultat der Korrektur einer vorausgehenden Version sind?
Lässt sich vielleicht das Beispiel allein (für sich betrachtet, unabhängig von eventuellen Erläuterungen) schon vor 1990 nachweisen? Oder lässt sich die gegebene Erläuterung allein (ggf. bezogen auf Formulierungen aus anderen, evtl. passenderen Beispielen) schon vor 1990 nachweisen?