Achtung, Spoiler!
BLOG: Con Text
Haben Sie schon Star Trek – Into Darkness gesehen oder Django Unchained? Falls nicht, seien Sie beruhigt, ich werde nicht erzählen, wer was wo und wie im ersten Film tut. Auch um Quentin Tarantinos noch aktuellen Film soll es nicht gehen, aber falls Sie Western nicht mögen, schauen Sie ihn besser nicht.
Das Internet ist voll von Menschen, die gerne Bücher lesen Filme und TV-Serien sehen und darüber schreiben. In einer Mischung aus ‘Ich war dabei!’ und ‘Ich weiß mehr als du!’ übertrumpfen sich Kommentaristen darin, anderen zu sagen, wie toll sie doch selbst sind. Wesentliches Element dabei: der Spoiler.
Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Spoiler in diesem Zusammenhang ist, es geht darum wesentliche Plotelemente zu verraten, so dass anderen eine mögliche überraschung genommen wird. Klassische Beispiele sind Bryan Singers The Usual Suspects und M. Night Shyamalens The Sixth Sense, deren Wirkung stark [im ersten Fall allerdings nicht ausschließlich] von einem überraschungsmoment am Schluss abhängt.
Ich kann verstehen, weshalb viele Menschen gerade diese überraschungsmomente so schätzen, vor allem bei sonst eher leeren Filmen oder Büchern. Bei frischen Werken kann ich sogar nachvollziehen, dass Rezensenten sich mit der Erwähnung von Plot Points zurückhalten. Aber das kann nicht lange gut gehen, spätestens wenn ein Film zwei Wochen auf dem Markt ist, kann niemand mehr verlangen, dass er nichts darüber erfährt.
Für eine Analyse ist es unumgänglich, wichtige Details zu nennen, z.B. Schlüsselsätze – ‘It was beauty killed the beast.’ – oder Wendungen. Einige Krimis Margaret Millars enden buchstäblich auf dem letzten Satz mit einer überraschung, die der aufmerksame Leser sich aus den gegebenen Fakten erschließen kann. Aber nicht muss.
Plot is, I think, the good writer’s last resort and the dullard’s first choice. The story that results from it is apt to feel artificial and labored. I lean more heavily on intuition, and have been able to do that because my books tend to be based on situation rather than story. [aus: Stephen King, On Writing: A Memoir of the Craft]
Situationen, Figuren, Dialoge sind wichtig, sind treibende Kraft von Roman, Film, TV-Fiktion. Dort, wo sich ein Werk allein auf den Plot und überraschende Wendungen stützt, liest man einmal und dann nie wieder, da die überraschung ja weg ist. Erst wenn die Dialoge stimmen und die Figuren eine interessante Psychologie bekommen, aus denen heraus Plots sich entwickeln, besuchen wir sie gerne immer wieder.
Das ist nicht nur so eine dumme Idee meinerseits, gestützt durch naive Empirie, das ist inzwischen auch ordentlich untersucht worden. Nicholas Christenfeld und Jonathan Leavitt von der University of California San Diego haben mal genauer geschaut, wie Plots von Lesern/Zuschauern verarbeitet werden. Welchen Schaden richten Spoiler wirklich an?
Participants (176 male, 643 female) were recruited from the psychology subject pool at the University of California, San Diego. They took part in three experiments in which they read three different sorts of short stories?ironic-twist stories, mysteries, and more evocative literary stories. For each story, we
created a spoiler paragraph that briefly discussed the story and revealed the outcome in a way that seemed inadvertent. These paragraphs were designed so that they could work as either independent text or the openings of the stories (as though the stories were intrinsically spoiled). [Jonathan D. Leavitt, Nicholas J. S. Christenfeld. ‘Story Spoilers Don’t Spoil Stories’, in: Psychological Science, August 2011]
Leider ist der Artikel in Psychological Science nur für Abonnenten zugänglich, aber eine Zusammenfassung mit grafisch aufbereiteten Ergebnissen finden Sie bei der University of California San Diego.
Wichtigste Erkenntnis: Spoiler schaden den Geschichten nicht, sie nutzen sogar. Unter den verwendeten Geschichten befanden sich auch Rätselkrimis á la Agatha Christie und Geschichten mit starkem Gewicht auf überraschenden Wendungen, wie die von Roald Dahl.
Die Autoren der Studie können nur darüber spekulieren, weshalb das so ist
Plots are just excuses for great writing. What the plot is is (almost) irrelevant. The pleasure is in the writing. Monet’s paintings aren’t really about water lilies. [Christenfeld in der Pressemeldung der Universität]
Es ist auch möglich, dass wir unsere Denkanstrengung weg von oberflächlichen Plotstrukturen – Wer war denn nun der Mörder – wenden und uns beim Lesen auf psychologische Momente sowie Details konzentrieren. Alfred Hitchcocks Idee von Spannung passt gut dazu. Statt uns mit einer Explosion zu überraschen, zeigt er uns die Bombe und die Personen. Wir wissen, dass etwas passieren wird, fiebern nun mit, ob die Figuren rechtzeitig merken, was los ist und sich aus der Situation retten können.
Interessante Daten
So hätte ich eine solche Untersuchung nicht erwartet. Zumindest nicht solche Ergebnisse.
Wenn mir jemand schon zu Beginn eines Filmes erzählt, wer denn nun der Mörder ist, oder zu Beginn einer Aufzeichnung eines Fussballspiels das Ergebnis an den Kopf wirft, dann spare ich mir eigentlich die Zeit das Ganze zu Ende zu schauen.
xYtrblk meint:: Sehr Roman-praktisch
Danke für diesen informativen Beitrag zur Praxis des Romanschreibens. Wende ich gerne in meiner nächsten Roman-Werkstatt an – und natürlich im eigenen Roman-Projekt.
Pingback:Spoilerwarnung › Con Text › SciLogs - Wissenschaftsblogs