Zwerge auf Zwergplaneten

BLOG: Clear Skies

Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Wie korrekt sollte ein Kinderbuch zur Astronomie sein? – “Alles, was du wissen willst”. Dieses nicht gerade tiefstapelnde Versprechen gibt der Hamburger Carlsen Verlag den jungen Leserinnen und Lesern seiner “Explorer-Reihe”. Der Band “Planeten und Sterne” weckte nun mein Interesse, versucht doch die Autorin Brigitte Hoffmann auf knapp 30 Seiten, Kindern das Universum zu erklären. Brigitte Hoffmann hat in derselben Reihe Hefte über Dinosaurier und Autos vorgelegt. Laut Verlags-Website ist sie “ausgebildete Ingenieurin”.

Schon die Titelseite des Heftes, das etwas kleiner als DIN A4 ist, zieren einige Merkwürdigkeiten: Da finden sich Fragen wie die beiden Kalauer “Wohnen auf Zwergplaneten Zwerge?” und “Wie laut war der Urknall?” Und dann steht da – neben einem Foto eines Radioobservatoriums – die Frage “Weshalb schicken wir Röntgenstrahlen ins Weltall?” Aha, “wir” senden also Röntgenstrahlen ins All?????

 

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Mein erster Eindruck des Hefts, das mit 4,99 Euro nicht die Welt kostet: knallebunt und proppevoll. Auf zumeist farbigem Grund sind kurze Texte eingebettet zwischen vielen Fotos und Illustrationen. Dazwischen eingestreut sind kleine Kästen zu knapp erläuterten Stichworten. Den Abschluss bildet gar ein kleines Glossar. Jede Doppelseite erscheint wie eine große Pinnwand, an der Bilder – natürlich durchweg schräg – mit Klebestreifen befestigt sind. Allein damit ist jede Ordnung vermieden. Es wäre sonst vielleicht nicht kindgerecht genug, oder? Mit dieser Art überladener Kinderbücher habe ich meine Probleme.

Aber nun ein Blick auf die Inhalte. Mal habe ich den Eindruck, hier wird zu stark vereinfacht, dort werden Nebensächlichkeiten zu breit ausgewälzt. Anschaulichkeit und Verständlichkeit leiden unter dem überladenen Layout. Und an manchen Stellen ist reinster Kokolores zu lesen, beispielsweise dann, wenn die Autorin von “Brocken” schreibt, was sie in unterschiedlichen Zusammenhängen tut. So steht auf der ersten Doppelseite zum Urknall und zur Entstehung des Sonnensystems (S. 5): “… An manchen Stellen verklumpt das Gas zu festen Brocken. Einige von ihnen werden viel riesiger und schwerer als die größten heutigen Planeten. Diese Brocken beginnen durch ihr eigenes Gewicht zu brennen: Die ersten Sterne leuchten auf! …” Oh weiha, der Prozess der Kernfusion wird hier mit “brennenden Brocken” umschrieben?!

Auf Seite 11 lesen wir: “Der Astronom und Mathematiker Johannes Kepler bewies, dass die Planeten die Sonne nicht auf einer kreisförmigen, sondern auf einer annähernd Ei-förmigen Bahn umrunden. …” Nein, eine Ellipse ist nicht Ei-förmig, auch nicht annähernd. Solcherlei Vereinfachungen funktionieren nicht. Eine Ellipse ist eine Ellipse, Punkt. Das versteht schon ein Erstklässler. Wenn man solche leicht verständlichen Tatsachen zu umschreiben versucht, aber gar Unvorstellbares wie den Urknall als triviale Selbstverständlichkeiten darstellt, dann ist das schlicht unpräzise. Es ist in diesem Zusammenhang auch kein Fehler, in einem Kinderbuch einfach mal zu schreiben: “Das ist jetzt eine Theorie”. Es überfordert ganz gewiss selbst einen Grundschüler nicht, wenn man etwa zur Entstehung des Erdmondes (S. 13) nicht allein die Kollisionstheorie erwähnt. Nein, es gibt eine ganze Reihe anderer Theorien zur Entstehung des Erdtrabanten und nicht nur diese eine, die zwar etabliert, aber keinesfalls unumstritten ist.

Was mich an mehreren Stellen im Heft stört, ist die Bezeichnung von optischen Teleskopen als reinen “Vergrößerungsinstrumenten”. Auch das liegt haarscharf daneben. Nein, die primären Funktionen eines optischen Teleskops bestehen in seiner lichtsammelnden Wirkung und seinem Auflösungsvermögen. Leider bewerben manche Hersteller von Amateurteleskopen ihre Instrumente mit aberwitzig hohen Vergrößerungen, die angeblich mit ihnen erzielbar seien. Und manch ein Käufer (oder Schenker) zieht nur diesen einen Faktor dann zur Abschätzung der Leistungsfähigkeit eines Amateurteleskops heran – das dann oft nach kurzer Frist im Keller landet.

Ich will nicht alle Ungenauigkeiten in diesem Heft ansprechen, die mir bei der Lektüre aufgefallen sind. Doch folgenden Fehler will ich klar benennen, der sich sich auf der Doppelseite zum Lebenszyklus von Sternen findet: Auf Seite 19 schreibt die Autorin verkürzt – und damit falsch: “… Wenn ein sonnenähnlicher Stern stirbt, dann wird er erst zu einem Roten Riesen. Nach einer Weile explodiert er und es bleibt ein Weißer Zwerg zurück. …” Nee, zwischen der Phase “Roter Riese” und “Weißer Zwerg” liegen ein paar Jahre; durchaus 100 Millionen Jahre oder mehr. Über dieses Thema schrieb ich in den SciLogs mal ein paar Zeilen: “Die Zukunft der Erde“.

Man könnte gerade ein solches Kinderbuch zur Astronomie bestens zum Anlass nehmen, beim jungen Leser das Gefühl für astronomische Zeiträume und Entfernungen zu schärfen, die unser Vorstellungsvermögen übersteigen. So wird etwa ebendiese Chance vertan im “Gespräch” zwischen dem kleinen, wissbegierigen “Explorer” und der im September 1977 gestarteten Raumsonde Voyager 1, die inzwischen weiter von der Erde entfernt ist als alle anderen bisherigen Raumfahrtmissionen – und die noch immer Daten zur Erde sendet! Die Idee eines Gesprächs mit der einsamen Raumsonde ist nett, jedoch dürfte sich durch die inzwischen auf fast 127 AE gewachsene Distanz ein solches “Gespräch” recht zäh gestalten, lägen doch immerhin Signallaufzeiten von gut 17,5 Stunden zwischen den Gesprächspartnern. Das bedeutet: Eine Antwort von Voyager 1 erreicht den Erdbewohner erst nach frühestens 35 Stunden, eine schnelle Reaktion der Sonde vorausgesetzt. Eben diese Tatsache der großen Entfernung (die in kosmischen Maßstäben winzig ist) ist aus dem Gespräch selbst aber nicht erkennbar.

An welche Altersgruppe sich dieses Heft nun wendet, ist mir nach eingehender Lektüre eher unklarer geworden. Der Verlag schreibt: “Ab 8”. Manche Passagen unterfordern die Intelligenz eines Erstklässlers; andere kann auch der Gymnasiast nicht auf Anhieb verstehen. Und manche Dinge versteht gar kein Mensch. So etwa die eingangs erwähnte – und mit dem Bild eines Radioobservatoriums illustrierte – Frage “Weshalb schicken wir Röntgenstrahlen ins Weltall?”, auf die im Heft selbst übrigens nicht mehr eingegangen wird. Welch abstruse Idee der Autorin, Röntgenstrahlen ins All zu senden! Soll man über derlei Dadaismus in einem Kinderbuch nun lachen oder weinen?

Auf die Titel-Frage nach den Bewohnern von Zwergplanten habe ich, so glaube ich, eine Antwort gefunden: Ich vermute, auf Pluto & Co. leben inzwischen jene Lektoren, die einst bei Carlsen tätig waren. Wie sie dort hingekommen sind, und wie es ihnen dort ergeht, erklärt der Carlsen Verlag ja vielleicht in einer weiteren Folge seiner “Explorer-Reihe”? Für dieses Heft jedenfalls war dem Verlag ein Lektor offenkundig nicht verfügbar. Schon einem gemeinen Amateurastronomen wäre es ohne jeden Aufwand möglich gewesen, Fehler und Knaller im Manuskript zu erkennen. Um nun abschließend die Eingangsfrage zu beantworten: Nein, ein Kinderbuch zur Astronomie sollte Kinder ernst nehmen und auf Fehler der beschriebenen Art verzichten. Manch eine Ungenauigkeit oder gar Fehler bleibt vielleicht länger im Gedächtnis haften als erwünscht. Einem Kind kann ich dieses Heft “Planeten und Sterne” daher nicht empfehlen. Und mein Exemplar, das ich als Geschenk – voreilig und ohne im Buchladen genauer hinzusehen – kaufte, wandert ins Altpapier.

Clear Skies! Stefan Oldenburg

Brigitte Hoffmann (Text) und Jochen Windecker (Illustrationen): Explorer, Band 1: Planeten und Sterne. Carlsen Verlag, Hamburg. 32 Seiten. ISBN-13: 978-3551250810. Preis: 4,99 EUR.

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

15 Kommentare

  1. Und mein Exemplar … wandert ins Altpapier.

    Das ist aber ein hartes Urteil für das Heft. Kann man das Papier nicht noch zum Basteln benutzen? Zumindest die Bilder könnten doch noch zu irgendwas taugen (ausschneiden, aufkleben,…) auch wenn der Text es nicht tut. – Vermute ich jetzt jedenfalls mal so.

    • “Das ist aber ein hartes Urteil für das Heft. …”

      Mein Urteil an sich ist leider zutreffend, wenngleich ich meinen letzten Satz heute weglassen beziehungsweise streichen würde. Das ist unschöne Polemik.

  2. Oje. Schon wieder ein vermurkster Versuch, Kindern astronomische Bildung zu vermitteln. Ich glaube auch nicht, dass das problem mit dem Lektorat des Verlages ztu lösen gewesen wäre. Es hätte gereicht, einen Astronomen um das Korrekturlesen zu bitten. Wie bereits an anderer Stelle diskutiert, ist das ein durchaus üblicher Prozess. Ich selbst habe zahlreiche solcher Texte vorgelegt bekommen und mir immer sehr viel Mühe damit gegeben, dass Korrekturen, wenn sie notwendig wurden, auch verständlich formuliert und trotzdem nicht allzu grob vereinfacht waren.

    Vielleicht sollten wir mal versuchen, einige der empfehlenswerten Werke zu nennen. Das ist weniger deprimierend, als wenn wir nur auf die eingehen, bei denen es in die Hose ging.

    • Ich denke da an Deinen Blogpost zum “Was ist Was”-Buch über den Mond. Dort finden sich die ersten Knaller ja ebenfalls schon auf dem Titelbild – ganz ähnliche wie bei “Sterne und Planeten”.

      Jeder Autor sollte seine Manuskripte gegenlesen lassen, am besten von mehreren Leuten. Ich mache das schon seit Studienzeiten gerne in beide Richtungen, weil kein Mensch davon frei ist, mitunter Kokolores zu schreiben.

    • Die Idee einer Positivliste ist in der Tat gut. Drei Astronomiewerke für Kinder und Jugendliche kann ich direkt nennen:

      Rainer Köthe: Astronomie ganz einfach. Kosmos Verlag, Stuttgart, 2007. 90 Seiten, 9,95 EUR. Für “Astronomie heute” rezensierte ich es damals; sehe gerade, dass es wohl leider nur noch antiquarisch zu haben ist. Ein Buch für Kids ab etwa 8 Jahren, sehr informativ, modern gestaltet, aber nicht so übertrieben und bewusst chaotisch wie “Sterne und Planeten”.

      und:

      Klaus M. Schittenhelm: Sterne finden ganz einfach. Kosmos Verlag, Stuttgart, 2012, zweite Auflage. 96 Seiten, 9,99 EUR. Die erste Auflage von 2005 rezensierte ich für “Sterne und Weltraum”. Eignet sich zum Kennenlernen des Sternenhimmels hervorragend.

      Vom selben Autoren gibt´s – ebenfalls bei Kosmos – ein ähnliches Buch für eher lichtverschmutzten Himmel: Sterne beobachten in der Stadt, 2011. Beide Bücher präsentieren Sternkarten, mit denen man auch ganz alleine unterm Firmament eine Menge anfangen kann. Daneben auch in diesem Buch viel brauchbares astronomisches Basiswissen.

    • Auch der bereits von Stefan angesprochene “Was ist Was”-Band zum Mond hat durchaus positive Rezensionen bekommen. Da wird sogar das Bildmaterial explizit gelobt, was ich nun wirklich nicht mehr nachvollziehen kann.

      Ist wohl halt so.

    • Aus meiner Feder wird niemand je eine Gefälligkeits-Rezension (wie diese Amazon-Rezension) lesen. Die Fehler und Ungenauigkeiten in “Planeten und Sterne”, von denen ich in meinem Blogpost schreibe, wird JEDER erkennen, der genauer hinschaut. Ich habe übrigens längst nicht über alle einzelnen Merkwürdigkeiten berichtet, die mir in diesem Kinderbuch aufgefallen sind, und auf die ich nach Lektüre des Manuskripts hingewiesen hätte.

  3. Bringt es eigentlich was, die Verlage im nach hinein darauf aufmerksam zu machen?
    Oder kriegt man da (sofern man überhaupt eine Antwort bekommt) ein freundlich verfasstes “Dankeschön-schreiben” zurück, dass man auch als “LMAA” deuten kann?

    • Meine Erfahrung zeigt: Einige Verlage registrieren Rezensionen durchaus. Direkt habe ich mich noch nicht an einen Verlag gewendet, zumal ich darin auch nicht meine Aufgabe sehe. Für die Qualität ihrer Produkte sind Verlage selbst zuständig.

      Es ist so, wie Michael schreibt: Es sollte schon für Autoren selbstverständlich sein, Manuskripte vor Abgabe gegenlesen zu lassen. Denn das ist der einfachste Weg, Fehler etc. zu vermeiden. Ich lege meine Manuskripte vor Abgabe stets mehreren Lesern vor; und das Ergebnis ist dann durchweg lesbarer, besser – und fehlerfreier.

  4. Herr Oldenberg, Ihre Skepsis gegen planetare Eier in Ehren, aber Kepler hatte zunächst eine mohrübenförmige Planetenbahn favorisiert, aber zum Glück verworfen. Das wissen die Wenigsten, und dies mit einer gewissen Berechtigung. Aber die Existenz von Lektoren auf Kleinplaneten zu propagieren, halte ich für unverantwortlich, so lange sie auf diesem Planeten auszusterben drohen! Und ja, ich finde, wir sollten auch einmal Röntgenstrahlen INS All senden. Wir können nicht immer nur nehmen, wir müssen es dem Kosmos auch mal mit gleicher Münze heimzahlen! Dennoch, eine sehr schöne Rezession! Herzlichst, Ihr Edgar Lösel

    • Werter Herr Läsel, wie sehr freue ich mich über jeden Ihrer Kommentare, zeigen sie doch überdeutlich: Sie überfliegen meine Texte nicht nur. Nein, Sie nehmen sich die Zeit, meine Zeilen vollständig zu lesen, quasi Wort für Wort! Das ist höchst ungewöhnlich in Zeiten wie diesen, da Absonderungen von mehr als 140 Zeichen kaum noch wahr genommen werden. Dafür gratuliere ich Ihnen! Herzlichst, St. Oldenhoff

      • Lieber Herr Odlenburg! Ich sehe, das sind wir uns einig, mit gerade einmal hundertvierzig Zeichen lassen sich eben keine anspruchsvollen Inh

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