Vom Odenwald ins Universum

BLOG: Clear Skies

Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Da ja nun kein Zweifel mehr besteht, dass die Tage unseres Heimatplaneten gezählt sind – zumindest, wenn man diesem Kommentator Glauben schenken mag 🙂 – nutze ich die verbleibende Zeit noch intensiver, zum Beispiel für einen Spaziergang über den herbstlich-winterlichen November-Sternhimmel:

Bereits ein paar Tage vor Neumond wird heute Nacht kein weißes Mondlicht den Sternhimmel aufhellen. Die paar Altocumulus am Nordwesthimmel jucken mich nicht; sie werden sich bald auflösen. Das Seeing scheint trotz des Windes o.k. zu sein, klare Sache, mein Dobson geht heute Nacht auf Tour, und ich mit ihm. Auf in den (relativ…) finsteren Odenwald!

Dieselbe Spannung ist da wie immer vor meinen Ausflügen ins Universum. Es herbstet kräftig und ist kalt. Im Auto ist es trotz warmer Kleidung ungemütlich, die Heizung bleibt aus. Der Hauptspiegel meines Newtons soll am Beobachtungsplatz nicht kochen. Per aspera ad astra, heute ist es sprichwörtlich wörtlich. Heidelberg liegt schon ein ganzes Stück hinter mir, die Straßen werden schmaler, die Orte verlassener, längst bin ich im tiefen Odenwald und mein Lieblingsbeobachtungsplatz ist nicht mehr weit. Das letzte Stück führt eine ganze Weile über verbotene Pfade, ich quere einen Wald, immer höher schlängelt sich der Weg, dann bin ich am Logenplatz angelangt, der mir nahezu komplette Rundumsicht aufs Firmament bietet. Zwar muss ich beim ersten Anblick des Sternhimmels nach dem Aussteigen nicht um Atem ringen, so atemberaubend zeigte sich die Milchstraße noch vor 10-15 Jahren. Doch dunkel genug ist es auch an diesem Plätzchen und verheißungsvoll prächtig leuchtet das Band der Milchstraße.

Als erstes steht der Dobson und ich lasse ihm ein paar Minuten. Wie immer beginne ich meinen Sternausflug mit dem Fernglas, heute ist mein hoch geschätztes 10×70-Glas auf schwerem Stativ zur Stelle, mit dem ich bequem im Stehen durchschauen kann, bis in den Zenit. Kaum schweifen meine ersten Blicke übers Firmament ist es gleich wieder da, dieses großartige Gefühl, mit eigenen Augen ins Universum abtauchen zu können! Ich hänge das Fernglas in die Milchstraße und drifte erst mal ein wenig planlos durch die Sternfluten. Übrigens ein lustiger Sport für Amateurastronomen, der den Orientierungssinn schult: Nur im begrenzten Gesichtsfeld eines Feldstechers zu erspähen, "wo bin ich", "was sehe ich"… Nun gut, ich lande direkt im Garten der dereinst schönen Königin Cassiopeia, der Angetrauten des Cepheus. Hier gibt es eine Reihe offener Sternhaufen, die im Fernglas besonders gut erscheinen. Allein zwischen Epsilon und Delta Cassiopeia wimmelt es vor Sternhaufen, NGC 654, natürlich M 103, aber eigentlich noch schöner NGC 663, der allerdings nach einem Teleskop ruft, um aufgelöst zu werden und seine locker 70 Sterne zu zeigen. Stock 2, der merkwürdiger Weise nicht im NGC-Katalog auftaucht, findet sich gut 2 Grad nordwestlich des Doppelsternhaufens NGC 869 und NGC 884 (Ha und Chi Perseus), der im Fernglas natürlich besonders grandios erscheint. Stock 2 ist ein kleines Sternwölkchen, das immer auch gut dafür herhält, die Qualität des Sternhimmels zu checken. Ist er mit bloßem Auge sichtbar, freut sich der Sterngucker, ist er es nicht, stimmt entweder das Seeing nicht und/oder es ist an der Zeit, in Sachen Lichtverschmutzung aktiver zu werden. Der Witz an Stock 2 (nach Jürgen Stock benannt, der diesen Sternhaufen im Jahre 1954 katalogisierte) ist, dass die Sterne mit etwas Einbildungskraft die Form eines kleinen Männchens ergeben, der kraftvoll seine Arme nach oben reckt, daher der Name "Muskelmännchen". Es gibt so unendlich viele Figuren, die sich beim Blick durch das Okular erahnen lassen; ich entdecke für mich in eigentlich jeder Beobachtungsnacht neue, unbekannte, unbenannte… 🙂

Ein Schritt zurück und meine Blicke schweifen über den schon reichlich herbstlichen Sternhimmel: Dominant steht das – auch Herbstviereck genannte – Pegasus-"Quadrat" am Südhimmel. Angrenzend das Sternbild Andromeda, der Prinzessin und Tochter des Cepheus und der Cassiopeia. Gleich sind meine Augen wieder am Fernglas und bei meiner Lieblingsgalaxie M 31. Wow, das ist das tolle an Ausflügen ins Universum: Keiner ist wie der andere. Stets zeigen sich die Himmelsobjekte in anderem Gewand, lassen Details erkennen, die in anderen Nächten unsichtbar bleiben. So ist es auch beim Andromedanebel und ihren beiden Begleitern M 32 und M 110. Heute meine ich, "mehr" zu erkennen als sonst: Der ovale Zentralbereich erstreckt sich über etwa ein Grad und hebt sich klar ab von den schwächeren Randbereichen der Galaxie. Das Staubband, welches das Galaxienzentrum vom ersten Spiralarm trennt, hebt sich erst beim indirekten Betrachten als scharfe Kante ab. Ich wechsele zum Dobson und betrachte die drei Galaxien noch eine ganze Weile mit unterschiedlichen Okularen. Zuende gedacht könnte einen der Gedanke verrückt werden lassen, im Gesichtsfeld des Okulars viele 100 Millionen Sterne gleichzeitig zu "sehen". Ist ein Stern vom Typ unserer Sonne dabei, der umkreist wird von Planeten, vielleicht gar einem in der habitablen Zone? Vielleicht schaut ja "gerade" (M 31 ist etwa 2,4 Millionen Lichtjahre entfernt…) ein Amateurastronom von dort zu uns herüber, mit seinem Superteleskop, das bei uns leider noch nicht erfunden wurde… 😉

Nun gut, es ist Zeit für etwas Tee aus der Thermoskanne. Noch mit dem Becher in der Hand steuere ich mein Dobson auf M 33, die neben unserer Heimatgalaxie und M 31 dritte (und drittgrößte) Galaxie der Lokalen Galaxiengruppe ist, und ebenso ein Objekt, das sich in verschiedenen Nächten ganz unterschiedlich zeigt. M 33 im Sternbild Triangulum (Dreieck) gilt als das fernste Objekt, das wir mit bloßem Auge sehen können – rein theoretisch. Denn diese Aussage gilt für den auch fernab der Ballungszentren lichtverschmutzten Nachthimmel heute nicht mehr. Im Fernglas zeigt sich M 33 heute nur kläglich, auch im Dobson mit 35-mm-Okular, das 7,1 mm Austrittspupille bietet, ist es nichts; der Himmelshintergrund ist mit dieser Instrumenten-Konstellation bei diesem Objekt mit geringer Flächen- gleichsam großer Gesamthelligkeit zu sehr aufgehellt. Schade, zumal sich M 33 vom selben Beobachtungsplatz aus schon recht detailliert zeigte. Heute bleibt die Nachbargalaxie bei niedrigen Vergrößerungen nur ein wenig strukturiertes, nebeliges Fleckchen. Es sind eben immer zahlreiche Faktoren, die zusammenspielen, und ein Objekt besser oder schlechter erkennen lassen.

Ich muss den Dobson nicht weit schwenken und tauche ab ins Sternbild Perseus, dem listigen Helden und Retter der Andromeda. Dieses in die Milchstraße eingebettete Sternbild ist so überaus reich an Objekten, dass ich auch hier mein Spiel beginne, nicht Himmelsobjekte durch Starhopping aufzusuchen, sondern allein durch den Blick durchs Okular zu identifizieren. Ich wechsele zum 10×70 und lande etwas unterhalb von Mirphak oder Alpha Per beim Sternhaufen Melotte 20, der aus etwa 40-50 Sternen besteht und im relativ großen Gesichtsfeld meines Glases prächtig erscheint, zumal es Sterne verschiedener Helligkeiten sind, die diesen Offenen Sternhaufen bilden. Eher was fürs Teleskop ist der Offene Sternhaufen NGC 1245, südlich von Mel 20. Wesentlich unscheinbarer als Mel 20, so zeigen sich seine nur sehr schwachen Sterne im Okular bei mittlerer Vergrößerung im 10-Zoller in Reihen angelegt. Viel auffälliger ist da natürlich M 34, der sich wieder viel deutlicher im Fernglas präsentiert als im Teleskop. Auch NGC 1528  – ebenso wie M 34 ein Offener Sternhaufen – ist ein feines Objekt, allerdings eher im Fernrohr bei mittlerer Vergrößerung. Wer Phantasie hat, sieht die Form eines Pfeils. Noch ein paar weitere Himmelsobjekte im Perseus folgen; ich verweile heute länger bei einzelnen Objekten und notiere meine Eindrücke ausführlicher. Auch das handhabe ich bei jedem Sternentrip unterschiedlich, je nach Lust und Laune, zumal ich keine Lust auf Zwänge beim Ausüben meines Hobbys habe. Das Naturerlebnis steht im Vordergrund.

Inzwischen sind die Plejaden und die Hyaden im Sternbild Taurus (Stier) schon recht hoch gewandert, und Kühle zieht durch meine dicken Schuhe. Zudem ziehen von Westen her ein paar Wolken auf. Bis sich Mars zeigt, will ich nicht warten und packe das Teleskop in den Wagen. Ich wandere noch eine Weile mit dem Fernglas durch das Sternbild Orion – nicht nur an den Füßen, sondern auch am Sternhimmel wintert es zunehmend… 😉  Zumindest auf der Rückfahrt powert die Heizung im Auto und verstärkt das wohlige Gefühl, wieder einen phantastisch schönen Ausflug in unsere kosmische Umgebung erlebt zu haben.

Clear & Dark Skies! Stefan Oldenburg

P.S.: Ich werde mir Roland Emmerichs 2012 in einer der kommenden wolkenreichen Nächte dennoch anschauen, wenngleich ich Nibiru in der beschriebenen Beobachtungsnacht mit eigenen Augen leider nicht erspähen konnte… 😉  Dazu werde ich den weisen Ratschlag eines Freundes beherzigen: "Hirn am Eingang abgeben, dafür Popcorn mit in den Kinosaal nehmen".

Nachtrag 20.11.: Oh weiha, gestern siegte meine Neugierde und ich sah mir den Streifen an: Es reicht gar nicht aus, sein Hirn an der Kasse abzugeben. Selbst das Rückenmark rebelliert gegen derart viel – freilich effektreich dargebotenen – Humbug, das holperige Drehbuch, die fade Rahmenstory, die peinlichen Dialoge, die drittklassigen Schauspieler. Dafür schmeckte das Popcorn. 🙂

Avatar-Foto

Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

1 Kommentar

  1. Einfach schauen – super Sache

    In einer klaren Nacht einfach auf den Rücken legen und mit dem Feldstecher durch die Milchstraße wandern – Wahnsinn! Mitte August haben wir das gamacht, trotz unserer Teleskope auf der Sternwarte. Hantelnebel, M31 und den “Kleiderbügel” Sowas macht wirklich Spaß.

    Grüße vom Rande des Odenwaldes.
    http://www.starkenburg-sternwarte.de

Schreibe einen Kommentar