Der schnelle Geselle US 708

BLOG: Clear Skies

Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Nur sehr wenige Sterne sind bekannt, deren Geschwindigkeit so groß ist, dass sie das gravitative Feld unserer Heimatgalaxie verlassen können. Von diesen “Hyperschnellläufern” [1] (“hypervelocity stars”, HVS) kennt man 10 Exemplare. Um der Milchstraße den Rücken kehren zu können, muss die Fluchtgeschwindigkeit mindestens 320 km/s betragen.

Seit einigen Tagen liegt der Artikel eines internationalen Forscherteams um Stephan Geier von der Europäischen Südsternwarte in Garching über einen besonders schnellen HVS vor: US 708. Mit einer Geschwindigkeit von 1157 ± 53 km/s [2, S. 4] und einer Rotationsgeschwindigkeit von 115 ± 8 km/s [2, S. 5] führt US 708 zwei Rekorde an, jenen des relativ zur Milchstraße schnellsten Sterns, und jenes Sterns mit der größten Rotoationsgeschwindigkeit.

Nun kann man über diesen Rekordstern US 708 (bzw. nach der bislang umfangreichsten systematischen Himmelsdurchmusterung “Sloan Digital Sky Survey” (SDSS) als “SDSS J093320.86+441705.4” katalogisiert), der zur Untergruppe der Weissen Zwerge, nämlich den “heißen Unterzwergen” des Spektraltyps O zählt, so einiges nachlesen; einige Links finden sich unter diesem Text. An dieser Stelle will ich ganz simpel auf die Geschwindigkeit von US 708 schauen, die weit außerhalb unseres Vorstellungsvermögens liegt. Wie schnell würde dieser Stern Distanzen zurück legen, die wir glauben einschätzen zu können?

Für die Strecke Erde – Mond bräuchte US 708 weniger als 6 Minuten. Das ist wahrlich flott. Die Apollo-Missionen benötigten rund drei Tage. Wie ich in meinem Blogpost vom 5. Februar “Wie weit ist es bis zum Mond? – ein Blogpost für Kinder” [5] schrieb, wäre der Mensch mit seinen Verkehrsmitteln schon recht lange unterwegs, um die Strecke Erde – Mond zurückzulegen: Mit einem Passagierflieger mindestens 20 Tage.

Auf der Strecke Sonne – Erde (1 AE), für die das Licht rund achteinhalb Minuten “braucht”, wäre US 708 schon anderthalb Tage unterwegs.

Unser Nachbarplanet Mars ist heute, am 9. März 2015, 2.27 AE [6], also fast 340 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Die Lichtlaufzeit Mars – Erde beträgt heute 18 Minuten und 53 Sekunden. Wer ihn heute Abend am Westhimmel erspäht, sieht den roten Planeten folglich so, wie er vor 18 Minuten und 53 Sekunden war. Unser flinker Stern US 708 würde diese Distanz Erde – Mars in etwas mehr als 78 Stunden, also dreieinviertel Tagen, überwinden. Marssonden schicken wir dann auf den Weg, wenn die Distanz Erde – Mars möglichst gering ist. Aber selbst dann ist eine Raumsonde gute 9 Monate unterwegs. Hoffen wir übrigens, dass diese Überlegung Fiktion bleibt und kein Stern unserem Sonnensystem nahe kommt oder es gar kreuzt (wie Michael Khan vor ein paar Jahren in einem meiner Lieblingsposts darlegte “Zwerg mischt Sonnensystem auf” [7]).

Wir warten gespannt auf den 14. Juli, da die Sonde New Horizons sehr nahe an Pluto und seinen Monden vorbei fliegen wird [8]. Noch 127 Tage… Diese Sonde ist die schnellste Raumsonde, die der Mensch je auf die Reise brachte. Gestartet wurde sie am 19. Januar 2006. Derzeit ist die Sonde etwa 31,8 AE von der Sonne, 32,3 AE von der Erde und noch knapp mehr als 1 AE von Pluto entfernt [9]. Um vom Mittelpunkt unseres Sonnensystems zur derzeitigen Position Plutos zu gelangen, bräuchte US 708 rund 60 Tage.

Nun markiert der Zwergplanet Pluto noch lange nicht die Außengrenze unseres kosmischen Vorgartens Sonnensystem. Schauen wir uns abschließend an, wie lange US 708 von uns aus bis zum allernächsten Nachbarstern, dem Doppelsternsystem Alpha Centauri, unterwegs wäre: Für die Distanz von 4,34 Lichtjahren Sonne – α Centauri bräuchte US 708 (der mit rund 1/250 der Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist) bereits 1085 Jahre

Clear Skies, Stefan Oldenburg

Quellen und Links:

[1] Hyperschnellläufer: http://de.wikipedia.org/wiki/Hyperschnelll%C3%A4ufer

[2] Stephan Geier et al., 2015: The fastest unbound star in our Galaxy ejected by a thermonuclear supernova. Science, vol. 347, no. 6226, pp. 1126-1128; doi: 10.1126/science.1259063: http://arxiv.org/pdf/1503.01650v1.pdf

[3] Ein Artikel von Tilmann Althaus (SuW) über US 708: http://www.spektrum.de/news/der-schnellste-stern-unserer-galaxis/1335480

[4] US 708 bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/US_708

[5] Clear Skies: “Wie weit ist es bis zum Mond? – ein Blogpost für Kinder”: https://scilogs.spektrum.de/clear-skies/entfernung-erde-mond-blogpost-kinder/

[6] Zur Distanz Erde – Mars: https://www.calsky.com/cs.cgi/Planets/5/1

[7] Michael Khan: “Zwerg mischt Sonnensystem auf”: https://scilogs.spektrum.de/go-for-launch/weisser_zwerg_trifft_sonnensystem/

[8] New Horizons: http://www.nasa.gov/mission_pages/newhorizons/main/

[9] New Horizons bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/New_Horizons

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

5 Kommentare

  1. Eine bemannte Mission zu andern Sternen müsste schneller unterwegs sein als US 708 damit die Raumfahrer oder ihre unmittelbaren Nachkommen (Mehrgenerationenschiff) dort lebend ankämen.
    Damit stellt sich die Frage, ob es auf einem hypothetischen Planeten, der US 708 umkreist lebensfreundliche Bedingungen geben könnte und wie häufig mit dem Aufprall von hyperschnellen Meteoriten zu rechnen wäre.

    Noch zur Begegnung von Sternen mit anderen Sternen wie im folgenden Text von oben erwähnt
    Hoffen wir übrigens, dass diese Überlegung Fiktion bleibt und kein Stern unserem Sonnensystem nahe komm”

    Doch solche nahen Vorbeiflüge von andern Sonnen, also quasi Begegnungen auf Sichtdistanz (der dritten Art?), scheinen viel häufiger vorzukommen als früher angenommen. Daten zu den relativen Sternbewegungen aus dem Vorgängerprojekt von Gaia ( Hipparcos) belegen das.So wird Gliese 710, der heute 62 Lichtjahre entfernt ist, in 1.4 Millionen Jahren (geologisch gesehen schon bald) die Erde in einer Distanz von 1.01 Lichtjahren kreuzen.
    HIP 85605 könnte die Erde gar im Abstand von 1/10 Lichtjahr kreuzen, was die Oortsche Wolke durcheinander bringen würde.

    In 2014, it was estimated that HIP 85605 could approach to about 0.13 to 0.65 light-years (0.04 to 0.2 pc) from the Sun within 240,000 to 470,000 years, though this assumes parallax and distance measurements to the object are correct.[2] More accurate astrometry is required to determine the distance to the star, and thus if it will pass close to the Sun. If correct, its gravitational influence will disrupt the orbits of comets in the Oort cloud and cause some of them to enter the inner Solar System.

    Heute weiss man auch, dass die Planeten, Kleinplaneten (Ceres etc.) und viele Asteroiden nicht schon immer an ihrem heutigen Platz waren sondern sich in ihrer Distanz zur Sonne und Umlaufbahn verschoben haben. Ceres könnte gar aus der Oortschen Wolke stammen. Zusammengenommen bedeutet dies, dass das Leben auf der Erde und die Menschheit geradezu unheimliches Glück gehabt haben. Mehr als 4 Milliarden Jahre gab es keine wirklich katastrophalen Ereignisse mit stellaremen oder kosmischem Ursprung. Es hätte auch anders kommen können.

  2. Befänden sich Sonne und ein anderer Stern auf Begegnungskurs, so hätten wir zumindest tausende, wenn nicht zehntausende von Jahren Vorlaufzeit, uns darauf einzustellen, selbst dann, wenn der Kollege ähnlich flott unterwegs wäre wie US 708.

    • Weder zum Durchmesser noch zur Rotationsdauer von US 708 (rund 28.000 Lichtjahre von uns entfernt…) macht der o.g. Artikel [2] Angaben. Eine Zusammenfassung der gemessenen Parameter des HVS finden Sie ebd., in der Tabelle auf Seite 5.

  3. Pingback:Der nahe, ferne Exoplanet Proxima Centauri b » Clear Skies » SciLogs - Wissenschaftsblogs

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