Harald Lesch/Jörn Müller: Weißt du, wie viel Sterne stehen?

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Astronomie mit eigenen Augen
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In der aktuellen "Sterne und Weltraum" 6/2009 findet sich eine Rezension aus meiner Feder, die ich – entgegen meiner bisherigen Praxis – bereits jetzt in den KOSMOlogs bringe, da das Heft noch druckfrisch ist. Der Grund: Leider sind in der Druckversion aus Platzgründen mehrere Sätze entfallen, weshalb sowohl die Überschrift ("Per aspera ad astra") als auch die Einleitung des vorletzten Absatzes reichlich sinnfrei erscheinen. 😉  Hier nun die vollständige Version meiner Rezension über ein äußerst empfehlenswertes Buch:

Der einflussreichste deutsche Dichter der Aufklärung, Gotthold Ephraim Lessing, schrieb als Vierzehnjähriger an seine Schwester: "Schreibe wie du redest, so schreibst du schön." Ein Großmeister dieser Stilform des Schreibens ist der Astrophysiker Harald Lesch. Auch sein neuestes Werk zur Physik der Sterne strotzt vor Füll- und Flickwörtern, die manchem Deutschlehrer den kalten Angstschweiß auf die Stirne treibt, weil er das gar nicht schön findet. Die geschätzte Hälfte des Buchs besteht aus dieser hemdsärmligen Sprechsprache. Nun ist diese Sprache bei Harald Lesch – und seinem Koautoren Jörn Müller, mit dem zusammen er bereits drei Werke verfasste – ein Weg zum Verständnis: Den beiden Autoren gelingt es auch in diesem Buch, komplexes Wissen auf sehr verständliche Weise zu vermitteln.

Doch ehe die Autoren in medias res – und zu den Sternen – gehen, muss sich der Leser über steiniges Gelände bis zur Seite 25 vorarbeiten. Erst dort endet ein philosophisch angehauchter Rundumschlag über die Ursprünge astronomischer Forschung der letzten 6000 Jahre. Ab der ersten Zeile des zweiten Kapitels kommen sie zur Sache und entführen den Leser auf eine spannende Reise, eine Reise zu den Sternen.

Kinder trällern das im Buchtitel genannte Lied gerne und laut "Weißt du, wie viel Sterne stehen?" Natürlich bleiben auch Lesch und Müller die letzte Antwort auf diese Frage schuldig, die sie zu Beginn des zweiten Kapitels erörtern. Zumindest nennen sie eine grob geschätzte Zahl, nämlich 7*1022. Eine Sieben mit 22 Nullen ist freilich eine große Zahl, die selbst die großen Geldmengen, welche die Zentralbanken im Rahmen der derzeitigen Weltwirtschaftskrise eifrig drucken, in den Schatten stellt.

Was ist ein Stern, woraus ist er aufgebaut, weshalb leuchtet er, wie entsteht er, wie endet er? Das sind nur einige der Fragen, welche die beiden Astrophysiker mit Tiefgang behandeln. Anschaulich zeigen sie, wie Sterne als Kernfusionskraftwerke funktionieren, chemische Elemente "erbrüten" und ganz unterschiedlich vergehen. Fast nebenher lernt der Leser die unterschiedlichen Sterntypen kennen und wie unterschiedlich die Entwicklung von Sternen verläuft, in Abhängigkeit ihrer Masse. Viele didaktisch gute Illustrationen – Abbildungen, Fotos, Grafiken und Diagramme – erläutern und vertiefen den Text.

Im vorletzten Kapitel bringen die Autoren einen, wie sie selbst schreiben, "Hammer". Sie diskutieren einen sehr exotischen Sterntyp der ersten Generation, der rein theoretisch denkbar, aber nicht nachgewiesen ist: "Dunkle" POP-III-Sterne, die anstelle von Kernfusionsprozessen durch die Vernichtung Dunkler Materie existieren. Lesch und Müller wagen in ihren Büchern stets Spekulationen, laufen dabei aber nie Gefahr, auf reines Glatteis zu schlittern.

Sehr gut gelungen ist eine Sammlung grundlegender Formeln und Gleichungen im Anhang des Buchs. Diese mit kurzen Erläuterungen versehene Synopsis verdeutlicht beziehungsweise vertieft viele der im Text behandelten Themen. Abgerundet wird das Sterne-Buch durch ein prägnant formuliertes Glossar, eine Zusammenstellung brauchbarer Internet-Adressen sowie ein Literaturverzeichnis, das relativ viele Vorlesungsskripte enthält.

Auch im letzten Kapitel philosophieren die Autoren, so wie im ersten. Wie ist die Zukunft des Universums? Die Geschichte unserer Sonne, die ihre Midlife-Crisis noch vor sich hat, wird nach etwa 10 Milliarden Jahren beendet sein. Die Autoren wagen einen Ausblick, der einige Zehnerpotenzen weiter reicht, als das Leben der Sonne: Demnach knipst der letzte verlöschende Stern in etwa 100 Billionen Jahren das Licht aus.

Letztlich bleibt der Schreibstil von Harald Lesch und Jörn Müller Geschmackssache. Vielleicht ist dieses Buch aber gerade deshalb so überaus lehrreich, spannend und unterhaltsam? Ein hervorragendes Werk, das eine glatte Eins erhält, weil es die Physik der Sterne strahlend klar erklärt. Wir dürfen gespannt sein auf weitere wortreiche Lehrstücke dieses Autoren-Duos, die letztlich zeigen, wie schön die Astronomie und das Wissen über diese Wissenschaft sind.

Clear Skies! Stefan Oldenburg

Harald Lesch, Jörn Müller: Weißt du, wie viel Sterne stehen? Wie das Licht in die Welt kommt. C. Bertelsmann Verlag, München 2009. 316 Seiten mit vielen Abbildungen und Grafiken. ISBN 978-3-570-01054-9. Gebunden. 19,90 €.

Diese Rezension erschien in "Sterne und Weltraum" 6/2009

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

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