Martinstag oder die Auswahl des Kindsnamens

BLOG: Vergangenheitsstaub

Die Zukunft hat schon begonnen
Vergangenheitsstaub

Gestern sah man an manchen Orten, Kinder mit ihrer Laterne durch die Gemeinde singend ziehen. Nicht ohne Grund, denn gestern war Martinstag, neben dem Nikolaus- oder Valentinstag wohl einer der heute noch bekannteren Namenstage des christlichen Kalenders. Der 10. November ist der Gedenktag an den heiligen Martin von Tours, der der Legende nach seinen Mantel mit einem Schwert teilte und die eine Hälfte einem Bettler gab. Zahlreiche Bräuche gibt es an diesem Tag: die Martingans, der Martinsritt, das Martinsfeuer oder das Martinssingen. 

Gestern feierten wir auch den 529. Geburtstag von Martin Luther. Der Reformator ist nämlich an diesem Tag 1483 in Eisleben als Sohn eines mansfeldischen Bergarbeiters geboren. Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wurde ein Kind häufig nach dem Tagesheiligen genannt, wie eben Martin Luther nach seinem Heiligen. Fast jeder Tag im christlichen Kalender ist einem Heiligen zugeordnet. Darüber hinaus waren Namen der Apostel für die Jungen wie Johannes bzw. der Mutter Jesu (Maria) oder der Johannes des Täufers (Elisabeth) für Mädchen beliebt. Man erhoffte sich durch die Namenswahl besonderen Schutz für das Kind.

Weiterhin wuren Namen, die mit Wünschen, besonderen Eigenschaften oder Segnungen konnotiert waren, ebenfalls gerne gewählt. Als Beispiel sei Eberhard genannt. Der so benannten Sohn sollte hart wie ein Eber sein.

Schaut man sich die Genealogie von Adelsfamilien an, so tritt das Phänomen auf, das Teile des Vaternamens weitergegeben werden. Eine Kontinuität des eigenen Adelsgeschlechts und seines Herrschaftsanspruches wurde so schon durch den Namen aufrecht erhalten. In extremer Form tritt dies bei den von Reuß auf. Im 12. Jahrhundert vom Staufenkaiser Heinrich VI. zu Vögten von Weida, Gera und Plauen erhoben, erhielten alle männlichen Nachfahren zu seinen Ehren den Vornamen Heinrich. Zwar wurden die Heinrichs durchgezählt, jedoch verkomplizierte mehrere Teilungen des Geschlechts die Zählung. Teilweise sind Geburts- oder Todesdaten nicht eindeutig historisch gesichert, so daß es noch mehr Verwirrung gibt. Historiker, die sich mit denen von Reuß beschäftigen, haben es wirklich nicht einfach! Übrigens haben die von Schwarzburg sich ähnlich bei der Namenswahl ihrer männlichen Nachfahren verhalten. Dort ist der Name Günther sehr beliebt gewesen. Glücklicherweise wählten die Schwarzburger noch andere Namenskombinationen, so daß zumindest in dieser Hinsicht die Arbeit der Historiker erleichtert wurde.

Übrigens spielen Heiligennamen nicht nur bei der Wahl des Kindsnamens eine Rolle, sondern auch zur Datumsbezeichnung in Urkunden oder anderen Schriftquellen. Mediävisten können davon ein Lied singen. Nicht umsonst wird im Studium der Geschichtswissenschaft der “Grotefend” ausführlich behandelt. Der Archivar und Historiker Hermann Grotefend veröffentlichte 1891 sein Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, mit dem man historische Datumsangaben in moderne umrechnen kann. Ich durfte im Studium noch mit dem blauen Büchlein arbeiten, heute gibt es eine Online-Version. Weitere Datenbanken für verschiedene Kalender- und Kirchenjahre listet Mediaevum.de auf.

Wie feiern Sie den Martinsbrauch? Ist Ihr Vorname bewußt von Ihren Eltern gewählt worden bzw. haben sie dies bei Ihren Kindern getan?

Veröffentlicht von

digiwis.de/

Wenke Bönisch, 1981 in Dresden geboren, studierte Mittlere und Neuer Geschichte sowie Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Die Frühe Neuzeit, vor allem die Reformations- und Bildungsgeschichte, ist ihr historisches Steckenpferd. Zur Zeit promoviert sie an ihrer Hochschule über die Bildungslandschaft Mitteldeutschlands und arbeitet freiberuflich im Verlagswesen. Im Netz findet man sie auch unter den Namen „Digiwis“. Webseite: http://digiwis.de/ Blog: http://digiwis.de/blog/ Twitter: http://twitter.com/digiwis Facebook: http://www.facebook.com/Digiwis Google+: https://plus.google.com/109566937113021898689/posts

5 Kommentare

  1. Namensgebung

    > Ist Ihr Vorname bewusst von Ihren Eltern gewählt worden bzw. haben sie dies bei Ihren Kindern getan?

    Die Namensgebung erfolgte immer an Hand der Bedeutung des Namens und wegen bestimmter auch persönlich bekannter Menschen, die diesen Namen bereits trugen.

    MFG + schönen Sonntag noch!
    Dr. W

  2. Wie feiern Sie den Martinsbrauch? Ist Ihr Vorname bewußt von Ihren Eltern gewählt worden bzw. haben sie dies bei Ihren Kindern getan?

    Ich feier kein Martinsbrauch. Ist eher etwas katholisches, oder?

    Ich kann leider nicht sagen, weshalb ich diesen Namen bekam. Ich sollte wohl zuerst Matthias heißen, aber kurz vorher wurde ein Matthias geboren und dann gab es einen anderen Namen für mich.

  3. Ist nicht eigentlich heute erst der Martinstag?

    Mein Name war wohl aus einem Streit zwischen meiner Mutter und meiner Schwester hervorgegangen, jede wollte einen anderen Namen für mich.
    Mein Vater, salomonisch wie er war, schlug dann vor, beide Vornamen zu nehmen. 🙂

  4. Nicht in Stein gemeißelt

    Einmal mehr werden Indizien dafür geliefert, dass die gesamte mittelalterliche Chronologie nicht in Stein gemeißelt, sondern mehr Spekulation und Konstruktion ist.

  5. @Martin Huhn

    In meinem tief evangelischen, pietistisch geprägten Heimatort war und ist der Martinstag eine große Sache, die v.a. mit Laternenumzügen und Darbietungen der Martinsszene gefeiert wird. Die Martinskirche stammt noch aus vorreformatorischer Zeit – als Schutzheiliger der Franken gehört St. Martin bis heute zu den bekanntesten, “ökumenischen” Heiligen in Württemberg.

    Hier Impressionen und Geschichtliches zur Sielminger (evangelischen) Martinskirche:
    http://www.ekg-sielmingen.de/…/martinskirche.htm

Schreibe einen Kommentar