Evolution der Offenbarung – Offenbarung der Evolution von Ulrich Lüke und Georg Souvignier

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Der Sammelband zur interdisziplinären Tagung in der katholischen Akademie Aachen 2002 hieß “Gott und Darwin. Das Verhältnis von Evolution und Religion” – eine Sonderausgabe erschien 2011. Ich verschlang ihn über Jahre hinweg mehrfach und fand auch über ihn zu Perspektive und Thema in der Evolutionsforschung zur Religion, die mich seitdem begeistern. Umso größer war die Überraschung und Freude, als mich 2010 selbst eine Einladung zu ebenjener Tagungsreihe der Bischöflichen Akademie und der Kölner Stiftung Theologie und Natur erreichte. In den drei sehr intensiven Fach-Diskussionstagen wurde erkennbar, welche Fortschritte der Forschungsbereich inzwischen gemacht hatte – und wie spannend er für die Zusammenarbeit von Natur-, Kultur- und Geisteswissenschaftlern, Erkenntnistheorie, Philosophie(n) und auch Theologie(n) wurde. Aus den daraus hervor gegangenen Beiträgen der teilnehmenden Naturwissenschaftler (v.a. Biologen), Theologinnen und Theologen, Philosophen und eines Religionswissenschaftlers entstand der Sammelband “Evolution der Offenbarung – Offenbarung der Evolution” im Herder Verlag, der heute morgen hier ankam. 

Der Band versammelt Beiträge von Georg Souvignier, Reinhold Bernhardt, Ulrich Lüke, Christina aus der Au, Hans-Joachim Sander, Andreas Beyer, Hans-Dieter Mutschler, Christian Hoppe, Ludwig Huber, Josef Quitterer und von mir. Sie gliedern sich in die drei Oberkapitel “Das Verhältnis von Evolution und Offenbarung”, in “Wissen über die Natur und Glauben an den Schöpfer” und “Evolutive Religion und theologische Implikationen”.

Zu letzterem Thema hatte ich den Artikel “Die Emergenz des Mythos. Evolutionsforschung zur Religion und ihre erkenntnistheoretischen Folgen” beigetragen. Darin stellte ich die Befunde in den Kontext der Emergenztheorien und meinte, noch ohne die faszinierende Arbeit von Patrick Spät über “graduellen Panpsychismus” zu kennen: (S. 234/235)

Insofern die Befunde zu Evolution und Emergenzen anerkannt werden, ergibt sich die Beobachtung, dass die Materie bereits in sich verborgen jene Eigenschaften enthält, die dann im evolutionsgeschichtlichen Geschehen über die Verbindungen zu Systemen zutage treten: Von Wasser über Leben bis zu Kultur und Religion. Dass hierbei immer wieder vermeintliche Grenzen überschritten und vermeintlich feste Gesetze in neue Dimensionen hinein erweitert wurden, lässt sich kaum mehr leugnen und durchaus als Transzendenzgeschehen (von lateinisch transcendere = überschreiten) beschreiben. Und schon weil wir überhaupt nicht vorhersagen können, welche weiteren Systeme sich bilden und welche Eigenschaften diese hervorbringen werden, ist erkenntnistheoretische Demut angemessen. Ob schließlich doch nur ein Nichts oder eine Gottesschau der sich selbst in immer weiteren Verbindungen verwirklichenden Materie im Sinne etwa Teilhard de Chardins steht, kann nur geglaubt, nicht aber abschließend geklärt werden. So stellte Lüke zu Recht fest: “Religiosität entzieht sich dem vollständigen naturalistischen Umklammerungs(be)griff. Sie ist eher zu verstehen als eine nicht auf pure Biologie reduzierbare Verhaltensanpassung an die umfassende Realität, die wir allenfalls ahnen und mit der Chiffre Gott nur vage benennen oder anrufen.”

Eher noch als den eigenen Beitrag hoffe ich aber die Zeit zu finden, einige Gedanken der Kolleginnen und Kollegen vorstellen zu können – beispielsweise die Überlegungen von Christina Aus der Au zu “Offenbarung in/neben/aus/trotz der Evolution?” oder die Reflektion von Josef Quitter über den evolutionären “Nutzen der Religion” und ihre kognitiven Grundlagen. Besonders freue ich mich auch auf das Durcharbeiten von “Christlich an Schöpfung glauben?” des Scilogs-Blognachbarn Christian Hoppe, in dem dieser Unterschiede von “Wissen” und “Glauben” herausarbeitet und bewertet.

Ein Dank zuletzt auch an den Freiburger Herder-Verlag, der sich mit diesem Sammelband in der Edition Quaestiones Disputatae aus katholischer Tradition heraus auch diesen interdisziplinären und interkonfessionellen Themen geöffnet hat. Der viel beschworene Mittelstand als Familienunternehmen – hier wird er konkret.
 

* Und bei dieser Gelegenheit allen katholischen Christen ein gesegnetes Fronleichnam – und ein Danke für den morgigen Feiertag! 🙂

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

2 Kommentare

  1. Klingt interessant, aber leider

    …ist es noch nicht lieferbar…

    Ihrem Zitat oben kann ich weitaus eher zustimmen als den Gedanken von Patrick Spät. Aus meiner Sicht haben Sie nämlich zwei Ansätze verbunden, die er ausschließt. Die aber aus meiner Sicht genau das leisten könnten, was er nicht kann. Und die aus meiner Sicht auch zukünftige Evolution zu integrieren vermögen, was er ebenfalls nicht kann.

    Sie berufen sich darauf, dass “Materie bereits in sich verborgen jene Eigenschaften enthält, die dann im evolutionsgeschichtlichen Geschehen über die Verbindungen zu Systemen zutage treten”. Damit auf Anlagen (Spät: Geistesstaub) und auf Emergenz (die Spät negiert). Doch diese Anlage kann man sowohl materialistisch lesen – dh im Sinne von Verbindungsfähigkeit. Als auch geisteswissenschaftlich als Psychismus – aber wenn man letzteren über Geiststaub versucht zu etablieren, dann brauchte man korrekterweise auch Chemiestaub, Lebensstaub, Glaubensstaub, etc. und Staub für die Funktionsweisen, dir wir uns nicht einmal vorstellen können. Auch übersieht Spät mit seiner Kontinuumshypothese die in der Teilchenphysik schon bewiesene und in der Emergenz angelegte Tatsache, dass Neuartiges in Sprüngen entsteht.

    Ihre Ansicht hingegen scheint mir mit meiner weitgehend kompatibel, wenn nicht sogar gleichartig: Entscheidend sind die Verbindungen oder Beziehungen – in denen und über die immer komplexere Kombinationen möglich sind. Allerdings nicht als Kontinuum, sondern diskret. Ein Hinweis darauf und Beispiel dafür scheint mir auch der von Lars Fischer vorgestellte erste chemische Transistor.

    Ich bin daher auf den gesamten Beitrag (und Band) gespannt.

  2. @Noit Atiga

    Vielen Dank für Ihr Interesse und die spontane, konstruktive Reaktion!

    Auf Ihre Gedanken zum Band bin ich tatsächlich sehr gespannt, da ich noch viele begriffliche Unschärfen sehe. Sowohl für die Forschenden wie für die Lesenden besteht daher m.E. immer die Gefahr, sich in Sprachspielen zu verlaufen. Deswegen versuche ich einerseits dicht an den empirischen Grundlagenforschungen zu bleiben und hoffe andererseits auf kritisch-konstruktive Diskutanten, die helfen, gangbare Wege und Sackgassen zu unterscheiden. Obwohl ich Religionsphilosophie spannend fand/finde und die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der Geisteswissenschaft sehr schätze, halte ich diese Fragen nicht für meine Stärke. Sobald Sie dann also Ihrerseits etwas dazu veröffentlichen, wäre ich wirklich sehr interessiert!

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