Religion und Magie im neuen Epoc

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Die aktuelle Ausgabe des Geschichtsmagazins Epoc hat wieder ein Titelthema, das hervorragend zu Natur des Glaubens passt: Religion und Magie im Mittelalter. Denn wie diese Phänomene zusammen hängen, ist eines der alten und bleibenden Themen der Religionswissenschaft! Und das schon lange vor Harry Potter und sicher auch nach ihm.

Das Epoc-Heft 05/2009 zu Religion und Magie im Mittelalter. 

Fangen wir mit der Definitionsfrage an, über die natürlich unter Experten keine Einigkeit herrscht. So lässt sich Religion beispielsweise beschreiben (arbeits-definieren) als Verhalten zu übernatürlichen Akteuren (behavior towards supernatural agents). Magie lässt sich dagegen erfassen als Verhalten zur Kontrolle übernatürlicher Mächte (behavior in order to control supernatural powers). Dem Glaubenden geht es also um den Dialog mit den Übernatürlichen, dem Magier um die Machtausübung. Sehr schön dazu das Zitat des Ethnologen Leander Petzoldt, Innsbruck auf S. 16: "Der Zauberer fordert, der Gläubige bittet."

Magie – Teil europäischer Alltagskultur

Sehr schön stellt Jan Dönges in seimem Artikel "…und dreimal Vaterunser" dar, wie lang und tief auch christliches Alltagshandeln von magischen Vorstellungen geprägt war (und teilweise noch ist). Zwischen überlieferten Zaubersprüchen und neuen, wirkmächtigen Symbolen wurde lange hin und her übersetzt. Erst mit der fortschreitenden Systematisierung der kirchlichen Theologie(n) und der Entstehung der modernen Naturwissenschaften geriet die Magie in den Ruch des pauschal Rückschrittlichen.

Ein Papst als "Gelehrter Teufelskerl"

Hakan Baykal stellt Papst Silvester II. vor, der nicht nur an einer Zeitmarke (um 999 n.Chr.) sein Amt antrat, sondern von dem die Zeitgenossen auch flüsterten, er sei ein mächtiger Magier. Warum? Nun, der Papst – aufgeweckter Sohn einfacher Franzosen – sprach, las und schrieb mehrere Sprachen, war zutiefst an den entstehenden Wissenschaften interessiert – und kannte also nicht nur die antiken Klassiker, sondern lernte bereitwillig auch von den (damals wissenschaftlich-kulturell deutlich überlegenen) Muslimen in al-Andaluz. Womöglich hatte er sogar an einer islamischen Universität studiert! Aus der Sicht der meisten Zeitgenossen waren Wissen und Gebaren dieses Papstes – unheimlich, wenn nicht magisch…

Nicht nur von gestern – Die "Fromme Zauberei"

Der Historiker Johannes Dillinger greift schließlich wieder das Eingangsthema aus und schmückt es nicht nur an vielen reich bebilderten Beispielen bis ins 18. Jahrhundert hinein aus, sondern räumt mit einem beliebten Irrtum auf: Bei Magie handelt es sich NICHT nur um Überbleibsel vormonotheistischer Traditionen. Diese beliebte Vorstellung hat sich schleichend aus der Annahme eines wissenschaftlichen oder religiösen Fortschritts entwickelt, nach dem Magie nur ein Relikt bald verschwindender Vergangenheit sei.

Denn wenn natürlich durch die Systematisierung von Theologie(n) und die Entwicklung der Wissenschaften auch ein Zurückdrängen eingesetzt hat – so einfach Aussterben wird das Phänomen auch in Zukunft nicht. Denn magische Vorstellungen werden von Menschen immer wieder neu konstruiert und in die Kulturen eingespeist: Denken wir an Maskottchen, Horoskope, Harry Potter, Glückszahlen oder den Glauben an Finanzjongleure, die uns mittels geheimnisvollem Kauderwelsch vorgaukeln, sie könnten die Marktkräfte vorhersagen, ja kontrollieren… Als langjähriger Rollenspieler nahm ich Dungeons & Dragons eigentlich nur übel, dass das Zaubersystem von Priestern und Zauberern angeblich ähnlich funktionierte. (*Grummel*) Und egal ob uns das Thema je interessiert hat: Ein paar Hilfsmittel gegen Vampire kennen wir alle – das ist längst Teil unseres vorbewußt präsenten, kulturellen Wissens. Und wenn Ihnen dabei die "Abwehrwirkung" des Kreuzes einfällt, so haben Sie gleich ein weiteres, wunderbares Beispiel, wie fließend Glaubens- und Zauberwirkung nebeneinander gestellt werden.

Verwechslung – Auch heute noch in der Wissenschaft

Und auch die Verwechslung von Religion und Magie ist nicht "von gestern", sie greift auch heute noch hin und wieder in die Wissenschaft hinein. Das gilt beispielsweise für viele der so genannten "Gebetsstudien", deren wissenschaftliches Design auf die Frage hinaus läuft, ob sich eine "Gebetswirkung" auf Knopfdruck herstellen lässt. Aber das wäre dann eben Magie, nicht mehr Religion.

Ein schönes Thema (auch grafisch) schön bearbeitet, liebe Epocler! Gerne hin und wieder solche Berichte aus anderen Zeiten und Kulturen. Denn gerade aus evolutionärer Perspektive gilt natürlich: Im vermeintlich "mittelalterlichen" (oder kulturell fremden) Menschen begegnen wir "Modernen" uns letztlich leicht verfremdet immer wieder selbst…

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

17 Kommentare

  1. Leben wir im Mittelalter oder in Logik

    Hallo Herr Dr. Blume,

    nachdem hier die “Natur des Glaubens” erneut als Frage nach einem zauberwirkenden un/-übernatürlichen Akteur nachgezeichnet wird, stellt sich mir die Frage, ob das die zeitgemäße Glaubensnatur bzw. -logik sein kann.

    Wenn in Bezug auf die aktuelle Ausgabe des Geschichtsmagazines epoc der Eindruck erweckt wird, als ginge es in der Religion wie selbstverständlich um den Glaube an Magie und übernatürliche, mystische Kräfte, dann mag das für das mittelalterliche Weltbild zutreffen. Schöpfungswirklichkeit wurde damals auf diese Weies gedeutet. Und damit war dies damals sicherlich auch die zeitgemäße Glaubenlogik.

    Doch heute wird die Welt auf logisch-wissenschaftliche Weise erklärt. Was erscheint hier tauglicher, der vergangenen Magie nachzutrauern, den Menschen Märchen und Mythen als Glaubensnatur darzustellen oder in zeitgemäßer Weise im Wissen der Welt und des natürlich-evolutionären Werdens die Grundlage der Glaubensnatur zu hinterfragen?

    Entschuldigen Sie, wenn ich erneut die Religionswissenschaft auffordere, auf neue Weise nach der Grundlage, Begründung bzw. Natur des Glaubens zu fragen. Doch wo Religionswissenschaft die mittelalterliche Magie als gültigen Glaubensgrund nachdenkt, muss das erlaubt sein.

    Viele Grüße

    Gerhard Mentzel

  2. @ Mentzel: Glaubensgrund

    Lieber Herr Mentzel,

    vielen Dank für Ihren Beitrag, auf den ich gerne eingehe. Erlauben Sie mir, diesmal am Schluss anzufangen.

    Doch wo Religionswissenschaft die mittelalterliche Magie als gültigen Glaubensgrund nachdenkt, muss das erlaubt sein.

    Abgesehen davon, dass sowohl Epoc wie auch der Beitrag hier zwischen Religion und Magie ja gerade differenzieren (um dann aufzuzeigen, wo und wie sie sich im Alltag begegnen): Die Religionswissenschaft denkt nicht über Glaubensgründe nach – das tun Theologien und Philosophien – sondern erforscht, warum und wie Menschen über Glaubensgründe nachdenken! Was wir da von Horoskopen, Tarot-Karten oder Beschwörungen halten ist da erst einmal völlig unerheblich – die real existierenden Phänomene sind zu erforschen.

    Doch heute wird die Welt auf logisch-wissenschaftliche Weise erklärt.

    Ist das so? Gerade aus evolutionärer Sicht erscheinen mir da massive Zweifel angebracht, ist doch der mittelalterliche Homo sapiens in seiner biologischen Grundausstattung vom heutigen so gut wie überhaupt nicht verschieden. Und wenn wir irgendeine Zeitung aufschlagen, finden wir über Horoskope und Berichte über Feen und Unglückszahlen bis hin zu Sportlern mit Maskottchen und Börsenspekulanten, die behaupten, Marktmächte kontrollieren zu können, so ziemlich das gesamte Spektrum menschlichen Verhaltens weiterhin vor.

    Was erscheint hier tauglicher, der vergangenen Magie nachzutrauern, den Menschen Märchen und Mythen als Glaubensnatur darzustellen oder in zeitgemäßer Weise im Wissen der Welt und des natürlich-evolutionären Werdens die Grundlage der Glaubensnatur zu hinterfragen?

    Wer trauert denn hier irgendetwas hinterher? Logisch, dass sich jede empirische und gerade im Bezug auf die Evolution forschende Wissenschaft mit bereits Geschehenem auseinander setzt und es zu beschreiben versucht. Sollte ich aber jemals z.B. einen Beitrag über die Menschenopfer bei den Maya schreiben, so werden Sie doch wohl hoffentlich nicht annehmen, ich würde dem nachtrauern?

    Wenn wir ein “natürlich-evolutionäres Werden” auch nur einigermaßen erfassen wollen, dann geht das logischer- und vernünftigerweise ja gerade nicht ohne einen Blick auf die Geschichte. Nur aus Vergangenheit -> Zukunft lassen sich ja Evolutionsprozesse erfassen.

    Herzliche Grüße!

  3. Ist der Magier nicht eher ein irrender Wissenschaftler, der versucht die Gesetzmäßigkeiten von Machtquellen zu erforschen und zu manipulieren, während der Religiöse den Anforderungen übernatürlicher Autoritäten gerecht werden will?

  4. Aus welcher Geschichte lernen

    Wenn wir ein “natürlich-evolutionäres Werden” auch nur einigermaßen erfassen wollen, dann geht das logischer- und vernünftigerweise ja gerade nicht ohne einen Blick auf die Geschichte. Nur aus Vergangenheit -> Zukunft lassen sich ja Evolutionsprozesse erfassen.

    Hier stimme ich Ihnen voll und ganz zu. Und genau daher auch mein Kommentar.

    Ich will das Mittelalter, Glaube aufgrund von Mythen, Magie, heutigem Horoskopglaube… nicht ausblenden. Auch ist mir bewusst, dass Sie wie epoc zwischen Magie und Religion differnzieren und Religionswissenschaftler im Gegensatz zu Theologen und Philosophen nicht für die Glaubensgrundlage zuständig sind.

    Doch wenn in epoc der Eindruck entstehen sollte, dass Glaube ganz selbstverständlich auf Magie, Mythen, Unerklärlichkeiten, Übernatürlichkeiten… gründet, dann befürche ich, wird dies der Geschichte des Glaubens nicht ganz gerecht. Vielmehr sehe ich die Gefahr, die evolutionäre Entwicklung des Glaubens bzw. der Erkenntnis, bei der wir gerade als Christen den Wandel vom Mythos zum Logos feiern, in die falsche Richtung zu lenken.

    Die Probleme, die gerade durch den neuen naturalistischem Atheismus zutage treten und bei den Tagungen der kirchl. Bildungseinrichtungen auch unter ihrer Mitwirkung gewälzt werden, vertiefen sich m.E. so nur noch. Da helfen dann alle Beteuerungen nichts, dass Glaube und Vernunft einen Nenner haben bzw. das natürliche Werden als Schöpfungswerk zu verstehen ist, das in gemeinsame Verant”wort”ung nimmt.

    Aber erst werde ich mir die vorgestellte epoc doch mal genauer anschauen. Ich bin sicher auch dort Spuren zu finden, die auf den Logos allen natürlichen Lebensflusses bzw. die “schöpferische Vernunft” als zeitgemäße Begründung bzw. Natur des Glaubens hinweisen.

    Viele Grüße
    Gerhard Mentzel

  5. Magie kommt immer dann ins Spiel wenn bestimmte Phänomene nicht erklärt werden können. Vor dem Aufkommen der Naturwissenschaften wussten die Menschen ja oft wenig über den Ursprung und die Funktion ihrer Welt. Man war der Meinung die geheimnisvollen Wirkmächte beschwören zu können, z.B. mit Gebeten oder Riten.
    Natürlich waren und sind da auch Scharlatane unterwegs, welche behaupten sie verfügten über geheimes Wissen. Im letzten Beitrag “Neurotheologie – Hirnforscher erkunden den Glauben” hat ein gewisser Luchs (der mit dem Gotteshelm) gemeint, man könne mit intensiver Meditation und Rauschdrogen eine Gotteserfahrung erleben. Sein Erlebnis hat mich etwas an die Inhalte der Bücher von Carlos Castaneda erinnert, welcher mit Hilfe von altem Indianerwissen und halluzinogen wirkenden Pflanzen übernatürliche Erfahrungen gemacht haben will.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Carlos_Castaneda

  6. @ adenosine

    Danke für den interessanten Gedanken! Ja, man könnte die Magie durchaus als Prä-Wissenschaft bezeichnen, insofern Menschen versuchten, Gesetzmäßigkeiten zu finden und zu nutzen. In vielen Fällen (z.B. Alchemie) bauten sie dabei durchaus Wissensgrundlagen.

    Andererseits gibt es aber eben auch heute noch Wissenschaftler, die Religion und Magie nicht unterscheiden können, wenn sie z.B. nach gesetzmäßigen (!) Gebetswirkungen forschen wollen – und damit eben (dialogische) Gebete mit (magischen) Zauberformeln verwechseln…

  7. @ Mona: Gotteserfahrungen

    Liebe Mona,

    hmmm… ja, da hast Du wohl Recht: In dem Glauben, mittels technischer Mittel Zugang zu einer göttlichen (personalen) Wesenheit zu finden, hat tatsächlich eher magische als religiöse Züge.

    Zur Frage eigener Religiosität schiebe ich kommende Woche noch einen Beitrag ein, und dann ist bald ja auch Deine Anregung dran. 🙂

    Herzliche Grüße!

  8. zu Gotteserfahrungen

    Das Ziel, mittels Drogen/Gotteshut ein spirituelles Gotteserlebnis zu haben, wirft die Frage nach unterschiedlichen Gottesbildern in unterschiedlichen Kulturen/Zeiten auf (Als Anregung für die langen Winterabende):

    Wer ernsthaft erwartet, dass Gott durch Meditation, Drogen oder magnetischer Stimulation sofort erscheint – sieht in ihm doch einen Hampelmann, den man Hüpfen und Springen lassen kann. Ein interessantes esoterisches Gottesbild unserer Zeit.

    Andere sahen in ihm einen alten, bärtigen Mann über den Wolken, der den Menschen gutmütig zusieht und erst beim Jüngsten Gericht furchtbar zuschlägt.

  9. @ KRichard

    Ja, und über die Frage der “Gottesbilder” hinaus darf ich auch darauf verweisen, dass die religiöse Erfahrung in den theistischen Traditionen immer auch eine gemeinschaftliche Komponente hat. Neben der individuellen steht stets auch die soziale Erfahrung, neben dem privaten das gemeinschaftliche Ritual.

    Hatte die Woche wieder Prof. Ara Norenzayan zu Besuch, der sich als Sozialpsychologe an der Uni Vancouver auf Experimente zur Evolutionspsychologie der Religiosität spezialisiert hat. Mehr zu ihm gerne hier:
    http://www.scilogs.eu/…religiosity-and-religions

  10. Andererseits gibt es aber eben auch heute noch Wissenschaftler, die Religion und Magie nicht unterscheiden können, wenn sie z.B. nach gesetzmäßigen (!) Gebetswirkungen forschen wollen – und damit eben (dialogische) Gebete mit (magischen) Zauberformeln verwechseln…

    Die einzig halbwegs seriöse Studie, die ich dazu kenne, hat nicht nach gesetzmäßigen Gebetswirkungen gesucht, sondern nur nachgeschaut, ob man doppelblind überhaupt irgendeine Wirkung feststellen kann. Und zum großen Teil wurde die mitfinanziert durch die Templeton-Stiftung. Wenn Templeton schon nicht mehr zwischen Religion und Magie unterscheiden kann, bin ich langsam ratlos, von wem man das sonst verlangen können soll; also vor einer Studie, nicht erst im Nachhinein, wenn die negativen Ergebnisse vorliegen.

    Aber als schlechter Ex-Katholik bin ich in meinem Leben ja auch nie über monologische Gebete hinausgekommen und will mir gar nicht vorstellen, wie das dialogisch ausschauen würde 🙂

  11. @ kamenin

    Lieber Sven,

    so gräme Dich doch nicht! Wie Du weißt, ist natürlich auch eine Fehlanzeige ein Erkenntnisgewinn. Dank (auch) dieser Studie steht jetzt also mehr denn je fest, dass Gebete nicht wie magische Zauberformeln wirken…

    Und ich rechne es der Templeton-Stiftung dabei hoch an, dass sie die Studie trotz des Befundes zur Veröffentlichung frei gegeben hat. Oft ist es ja leider so, dass nur Studien veröffentlicht werden, die das gewünschte Ergebnis erbringen und so die Befundlage verzerren – ein Riesenproblem z.B. im Pharmabereich. Wenn ich persönlich einem solchen Studiendesign als Religionswissenschaftler kaum zugestimmt hätte, so rechne ich der Templeton doch an, dass sie damit wissenschaftlich seriös umging. Und so einer Menge Menschen (bis zu diesem Blog 😉 ) doch noch zu Erkenntnissen verhilft!

    Herzliche Grüße!

  12. Hallo Herr Dr. Blume.

    “Der Zauberer fordert, der Gläubige bittet.”

    „In der Praxis lässt sich diese Unterscheidung aber nicht durchhalten“, ergänzt die Literaturwissenschaftlerin M. Schulz einen Satz später.

    Und dies scheint mir auch die „Quintessenz“ der wirklich interessanten Epoc-Artikel zu sein!
    Man kann den Unterschied zwischen Religion und Magie natürlich herbei definieren. Aber damit wird weder die Magie, noch die Religion korrekt beschrieben. Ist doch die Magie ein Bestandteil der (christlichen) Religionen. Und umgekehrt besteht die Magie nicht nur aus „(magischen) Zauberformeln“ sondern auch aus „(dialogischen) Gebeten“!
    Letzteres hat mir die Hexe aus der Nachbarschaft (kein Witz!) glaubhaft versichert!

    Zur „Gebetswirkung“:
    Dank (auch) dieser Studie steht jetzt also mehr denn je fest, dass Gebete GENAUSO wie magische Zauberformeln wirken…nämlich überhaupt nicht!
    Oder doch…?

    FINITE! SALVIO HEXIA! 😉

  13. @ itz: Definitionen gestern und heute

    Lieber itz,

    danke für Ihren Kommentar! Und, ja, die Epoc-Artikel beschreiben m.E. sehr schön, wie sich die Differenzierungen zwischen Religion(en) und Magie über Jahrhunderte hinweg erst langsam heraus bildeten und nie ganz abgeschlossen waren (genau deswegen ja auch die obige Diskussion mit Herrn Mentzel – diesen Fakten sollte man m.E. ins Auge sehen, sie sind unverzichtbar zum Verständnis des Ganzen)!

    Genau der gleiche Befund unscharfer Abgrenzungen käme übrigens zutage, wenn wir “Religion und Musik”, “Religion und Staat”, “Religion und Astronomie” oder “Religion und Medizin” diskutieren – auch da setzt die funktionale Ausdifferenzierung evolutionsgeschichtlich sehr spät und selten vollständig ein, unter heutigen Jägern und Sammlern würden diese Unterscheidungen auch heute noch nicht geteilt werden bzw. kaum sprachlich ausdrückbar sein (z.B. in Ermangelung eigener Begriffe für “Religion”, “Mythologie” usw., die schlichtweg Teil des alltäglichen Lebensvollzuges sind). Insofern kann die Aussage Ihrer befreundeten Hexe vor dem Hintergrund ihrer (auch religiösen) Weltanschauung durchaus haltbar sein!

    Generell gilt: Wissenschaftliche Arbeitsdefinitionen sollten nie mit abschließenden Realdefinitionen verwechselt werden! Wenn Sie dieses erkenntnistheoretische Feld interessiert, fragen Sie z.B. einfach einmal einen befreundeten Biologen nach der trennscharfen Definition von “Art”, einen Politikwissenschaftler nach der Definition von “Politik” oder einen Chemiker, ab wann genau weltweit die (magisch gedachte) “Alchemie” aufhörte und die moderne Chemie einsetzte. Die Welt und die Wissenschaften in ihr bilden viel eher ein verwobenes, dynamisches Netzwerk als eine Ansammlung strikt getrennter Entitäten. Und Wissen um Geschichte kann uns helfen, auch das Werden unserer heutigen Weltanschauungen zu verstehen und unser Wissen nicht mit letzten Wahrheiten zu verwechseln…

    Beste Grüße!

  14. Ich halte es für falsch, Magie und Mythos, Magie und Religion etc. einfach zusammenzuwerfen.

    Ich weiß nicht mehr, wer es war, aber jemand hat mal zwischen dem magischen, dem mythischen, dem naturwissenschaftlichen und dem historischen Weltbild unterschieden und dann die beiden letzteren als moderne Fortsetzungen der ersteren erklärt:

    magisch >> naturwissenschaftlich

    denn beide Zielen auf Kontrolle uns beeinflussender Mächte ab

    mythisch >> historisch

    denn hier wird das Bestehende narrativ aus Ereignissen der Vergangenheit erklärt.

    Religion dagegen ist Rückbindung an die göttliche Sphäre – da kann Magie eine Rolle spielen, muß sie aber nicht.

    PS. Es waren nicht wirklich “die Muslime” die damals geistig überlegen waren, sondern höchstens die islamische Welt, die sich ja im Gebiet der alten Hochkulturen befand und in der gerade Juden und Christen gelehrt wirkten, weniger Muslime.

  15. @ str1977: Ja…

    Lieber str1977,

    ja, deswegen begrüße ich es auch, dass die Epoc-Autoren Religion und Magie zunächst begrifflich unterscheiden, um dann Verflechtungen im (historischen) Alltag zu schildern. Denn wie Sie geschrieben haben: Die Verbindung kann da sein, muss aber nicht.

    Etwas zurückhaltender wäre ich nur im Hinblick auf die Fortschrittserzählung (magisch -> naturwissenschaftlich und mythologisch -> historisch). Denn das ist ja wiederum eine mythologische Deutung, die wir der Geschichte auferlegen und mit der wir uns selbst zur Speerspitze des Fortschritts ernennen. Aber wieviel “magische” Überzeugungen und Handlungen beobachten wir auf Fussballplätzen und Börsenparketten? Und dass z.B. wir Europäer inmitten nie dagewesener wissenschaftlicher Bildung, Wohlstand, Freiheit etc. dennoch Schulden anhäufen, natürliche Ressourcen überbeanspruchen und mangels Kindern demografisch implodieren, lässt mich zweifeln, ob wir uns einfach zum vorläufigen Höhepunkt menschlicher Geschichte ernennen können. Vielleicht rennen wir ja in eine Sackgasse, gerade weil wir uns z.B. weitgehend von religiös-mythologischen Traditionen abgenabelt haben? Davor warnte z.B. der Wirtschaftsnobelpreisträger F.A. von Hayek:
    http://www.chronologs.de/…-glaubens/fa-von-hayek

    Meines Erachtens kann gerade der Blick in die Geschichte dazu beitragen, dass wir auch neu auf unsere eigene Situation blicken. Denn wir sind immer noch ganz überwiegend jener Homo sapiens, der einst zu den Sternen sang oder seinen Hauseingang mit Schutzamuletten “sicherte”. Und wenn es einen Fortschritt geben sollte, dann hat er m.E. sicher auch mit Selbsterkenntnis zu tun, zu dem die Wissenschaften beitragen können und sollen.

    Vielen Dank für Ihren Kommentar, beste Grüße!

  16. Reli – vielschichtige Lebensstrategie

    Ist der Satz von Leander Petzoldt “Der Zauberer fordert, der Gläubige bittet.” nicht das Zeugnis sehr abenländisch-christlicher und sehr professoraler Gezähmtheit? Erinnert mich irgendwie an den Satz des Professors Bultmann, Jesus habe wohl gern ein “Gläschen Wein” getrunken. Deftiger mochte sich dieser deutsche Akademiker wohl nicht ausdrücken. Und so wohl kommt auch Petzoldt zu seiner feinsinnigen Unterscheidung.
    Aber: In Religionen ringsum ist diese Unterscheidung Fordern und Bitten doch so nicht durchzuhalten.(Da hat doch @itz Recht, wenn er das betont). Auch beispielsweise nicht in dem wichtigen Teil jüdich-christlicher Tradition: den Psalmen.
    Nun, nach meiner Lieblingsdefinition ist Religion insgesamt “Lebensbewältigungsstrategie”. (Diesen Ausdruck, von dem ich dachte, ich hätte ihn erfunden, fand ich jetzt auch bei Schnabel, Die Vermessung des Glaubens.)
    Lebensbewältigungsstrategie kann sich auf verschiedenen Ebenen äußern, auf feinere und eben auch auf grobschlächtigere Art. Und dazu gehört wohl die Magie.
    Auch ich bin nicht dafür, dem Grobschlächtigeren die Herrschaft zu überlassen. Aber aus dem Bereich der Religion lässt sich dieser Aspekt doch nicht ausblenden.
    Vergleiche ich es mit einem Vergleich in der Musik – mit einem schönen, irgendwo aufgeschnappten Bonmot: Der Músiker, mache Musík – während der Musíker Músik mache.
    Ja, der Músiker wird nicht alle auf Musikinstrumenten erzeugten Tonfolgen als Musík anerkennen. Aber es nützt ihm nichts, das von seinem feinen Gehör wegzuverweisen; die Volksfestmusik gibt es eben doch; und das Gegröle von Besoffenen.
    Wegdefinieren sollte man das nicht; aber aufpassen, dass nicht die Musik und nicht die Religion verhunzt wird.

    Auch gewisse positive oder auch negative Erwartungen an Gebete (und Untersuchungsergebnisse dazu) könnten da ein Einfallstor für gewisse Einfaltspinsel sein.

    Lebensbewältigungsstrategie (Religion) kann sich auch verschiedenste, durchaus auch wissenschaftliche, Verstehens-Möglichkeiten zu Hilfe nehmen, “wenn bestimmte Phänomene nicht erklärt werden können” (@Mona) Da kann das Interesse mit Wissenschaft streckenweise homophon sein. Allerdings hängen die Dissonanzen zwischen heutiger Wissenschaft und Religionen mit der vielschichtigen Geschichte Letzterer (und zuweilen mit pubertär anmutendem Gehabe Ersterer) zusammen, die so ganz doch noch nicht aufgearbeitet ist.
    Dass auch irgendwelche mehr oder weniger abstrusen “Gotteserfahrungen” zur Vielschichtigkeit der Religion gehören – wen wundert’s? Doch bitte: Das als Kern der Religion zu sehen – damit würde der Großteil der Anhänger verschiedenster Religionen ausgeklammert. Sage ich es mit einer jüdischen Anekdote: Ein Rabbi stand im Ruf, besondere Gotteserfahrungen zu machen (präziser und vielleicht jüdisch-scheuer ausgedrückt: den offenen Himmel wahnehmen) , besonders zur Zeit der Morgendämmerung. Ein anderer schlich ihm eines Morgens nach – sah, wie er in den Wald ging, Holz sammelte und anschließend einer armen Frau den Herd für den Tag anheizte. Ja, sagte der Beobachter zum Schluss: Das ist die wirkliche Gotteserfahrung – bzw. hier öffnete sich der Himmel.
    Und ich würde sagen: Auf der Ebene sind mehr Menschen anzusprechen als auf der Ebene mehr exotischer Erfahrungen.

    Schluss – für heute, so kurz vor Mitternacht… 😉
    Basty

  17. Osiris kommt!

    Danke für die rege und interessante Diskussion, liebe Blognutzer! Auch die nächste Epoc-Ausgabe hat ja wieder ein religionsbezogenes Thema: den ägyptischen Gott der Unterwelt, Osiris! Auch Hildegard von Bingen und ein Artikel zur interkulturellen Formation der Wissenschaft sind geplant. Siehe hier (pdf): http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1003455

    Nach dem Erfolg dieses Beitrages stelle ich das neue Heft gerne wieder vor und freue mich auf inhaltliche Diskussionen! (Wissenschaftszeitschrift 2.0, sozusagen! 😉 )

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