Franz M. Wuketits zu Gott, Gene und Gehirn

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Zu den schönsten Erfahrungen mit dem Buch "Gott, Gene und Gehirn" gehören die sehr erfreulichen Reaktionen aus der Fachwelt – so auch von Franz Wuketits. Der Evolutionsbiologe und Wissenschaftsphilosoph bekannte sich in einem munteren Streitgespräch mit dem Theologen Richard Schröder in Gehirn & Geist 04/2009 zu einem persönlichen Atheismus, gehört dem Beirat der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung an – und diskutiert (im Gegensatz zu manchen Nichtfachleuten im Bereich der Evolution und/oder Religion) doch auch seriös, fair und v.a. interessiert über die Evolutionsforschung zur Religiosität. Im Folgenden seine Rezension zu "Gott, Gene und Gehirn. Warum Glaube nützt. Die Evolution der Religiosität."

Gott, Gene und Gehirn (GGG) von Rüdiger Vaas & Michael Blume

Franz M. Wuketitis in: Universitas März 2009, S. 313 f.

Die beim Menschen universelle Verbreitung religiösen Glaubens fordert aus evolutionstheoretischer Sicht zwei Fragen heraus: Woher kommt Religiosität? Welchen Nutzen hat sie? Charles Darwin sah in der "religiösen Ergebung" eine sehr komplizierte Gefühlserregung und meinte: "Trotzdem sehen wir einen wenn auch schwachen Anklang an diesen Gemütszustand in der treuen Liebe eines Hundes zu seinem Herrn, die ebenfalls mit der vollständigen Unterordnung, einiger Furcht und vielleicht noch anderen Gefühlen verknüpft ist." Damit wäre die Entstehung und Entwicklung von Religiosität in die Evolution emotionaler, psychischer und geistiger Fähigkeiten einzufügen – und fiel nicht vom Himmel.

In den letzten Jahren haben sich Evolutionspsychologen und Hirnforscher wiederholt den Phänomenen Religiosität und Spiritualität gewidmet. Das Postulat von den "Gottes-Genen" hat dabei für besondere Aufregung gesorgt und auch durchaus berechtigte Kritik erfahren. Keine Frage, mit der naturwissenschaftlichen Untersuchung jener Phänomene betritt man ein wenig gesichertes Feld. Das vorliegende Buch ist ein meiner Meinung nach gut gelungener Versuch, zum einen den aktuellen Stand der Forschung aufzuzeigen, zum anderen aber auch die prinzipiellen Möglichkeiten auszuloten, religiösen Glauben aus dem Blickwinkel der Naturwissenschaften zu erklären. Dabei ist klar, dass die Frage, warum Menschen an Gott glauben, nicht mit der Frage verwechselt werden darf, ob Gott existiert.

Der Untertitel des Buches, "Warum Glaube nützt", darf daher auch nicht als religiöse Propaganda fehlgedeutet werden. Es geht vielmehr darum, welchen Anpassungsvorteil Religiosität unter bestimmten Rahmenbedingungen haben kann. Religiosität ist, so könnte man ein Ergebnis des Buches zusammenfassen, einer selektionstheoretischen Deutung durchaus zugänglich.

Aber: "Noch ist", wie die Autoren am Schluss bemerken, "die ‘Biologie der Religiosität’ ein unübersichtlicher und komplexer Wissenschaftszweig." Allerdings haben sie mit ihrem Buch -anhand verschiedener Fallbeispiele, Diagramme und Tabellen- durchaus Licht ins Dunkel einer Materie gebracht, die für gläubige Menschen tabu sein mag. Aber in der Wissenschaft kann es keine Tabus geben.

Ich kann mir vorstellen, dass dieses Buch sowohl unter religiösen Menschen als auch unter Agnostikern und Atheisten Kontroversen verursachen wird – die den Autoren jedenfalls zu wünschen sind.

Franz M. Wuketits

Anmerkungen: Der Wunsch des Rezensenten nach munteren Kontroversen hat sich erfüllt! Allerdings erlebe ich mit einigem Erstaunen, dass gläubige Menschen auf diese Forschungen durchschnittlich viel offener und interessierter reagieren als viele Atheisten und Religionskritiker. Für manche scheint es ein massives Tabu zu sein, überhaupt für möglich zu halten (geschweige denn seriös zu prüfen), dass auch religiöses Verhalten über Erfolg evolvierte – und evolviert. Wie schon in den 70er Jahren wenden sich auch wieder einige (nicht alle!) Atheisten gegen Befunde der Evolutionsforschung – wohl aus Furcht, auch die eigenen Welt-anschauungen und Überlegenheitsgefühle wissenschaftlich reflektieren zu müssen. Sehr ehrlich hat zum Beispiel Andreas Müller im humanistischen Pressedienst hpd entsprechende, atheistische Ängste dargestellt – er benennt unter der Selbstbezeichnung Krawallatheist die Evolutionsforschung zur Religiosität als "die dunkle Bedrohung", samt Anti-Evolutionsforschung-Karrikatur. Umso erfreulicher, dass sich in der Fachwelt und Öffentlichkeit unter Religiösen, Agnostikern und Atheisten gleichermaßen die nicht ideologisch festgelegten, sondern neugierig an Wissenschaft & Erkenntnis interessierten Stimmen zunehmend durchsetzen. Ihnen ist dieser Blog gewidmet.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

40 Kommentare

  1. Gar nicht erstaunlich!

    Ich halte die Skepsis der Religionskritiker gar nicht für erstaunlich. Die Aussage, dass “auch religiöses Verhalten über Erfolg evolviert” ist ja letztlich auch eine Rechtfertigung für den Glauben. Das ist nicht wertneutral, auch Du bist ja ein gläubiger Mensch, nicht wahr? So ist der Verdacht schon gegeben, dass mit dieser Forschung etwas bezweckt werden soll, eine Art der Bekehrung mit den Mitteln der Wissenschaft. Dass religöse Menschen dies freudig zur Kenntnis nehmen wundert nicht und es wundert nicht, dass sich die freiheitsliebenden Menschen fürchten.
    Wenn ich beispielsweise statistisch beweisen könnte, dass Gesellschaft mit Todesstrafe weniger Kriminalität aufweisen (was nicht stimmt, aber egal), wäre das zwar auch wissenschaftliche Erkenntnis, aber irgendwie keine, bei der ich mich wohl fühle.

  2. Anpassungsvorteil Religiosität

    Wenn religiös, bzw. Transzendens etwas mit außer- oder übernatürlich, wie auch immer zu tun haben soll, kann es meines Erachtens nicht gleichzeitig als Teil der Natur, naturwissenschaftlich erforschbar sein. Außergewöhnliches und Fremdartiges kann ggf. untersuchen.

    Shalom

    Shalom

  3. @ Stefan Taube: Wissenschaft

    Lieber Stefan,

    danke für Deinen Beitrag, auf den ich gerne eingehe!

    Ich halte die Skepsis der Religionskritiker gar nicht für erstaunlich. Die Aussage, dass “auch religiöses Verhalten über Erfolg evolviert” ist ja letztlich auch eine Rechtfertigung für den Glauben.

    Sehe und schreibe ich nicht so. Ein Atheist kann doch einfach sagen, es ist nur eine nützliche Illusion. Wenn wir die Musik evolutionswissenschaftlich erforschen – zwingt das dann alle Menschen, musikalisch zu werden? Und vor allem: Sollten wir wirklich akzeptieren, dass Menschen Evolutionsforschung dann ablehnen sollten, wenn ihnen die Schlussfolgerungen nicht passen? Ist es nicht genau das, was wir religiösen Kreationisten immer vorgeworfen haben?

    Das ist nicht wertneutral, auch Du bist ja ein gläubiger Mensch, nicht wahr? So ist der Verdacht schon gegeben, dass mit dieser Forschung etwas bezweckt werden soll, eine Art der Bekehrung mit den Mitteln der Wissenschaft.

    Das ist schon krass. Weil ich persönlich religiös bin, ist ein “Verdacht” gerechtfertigt? Na, vielen Dank! Dass sowohl mein Doktorvater, mein Mitautor und auch der o.g. Rezensent der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung angehören, zählt auch nicht?

    Alfred Russel Wallace, Theodosius Dobzhansky, Francis Collins u.v.m. waren/sind auch Christen – ist deshalb ihre evolutionsbiologische Forschung als “verdächtig” abzulehnen? Und dürfen zukünftig nur noch unmusikalische Menschen Musikwissenschaft betreiben – denn sonst wären sie ja “parteiisch”?

    Übrigens gälte das Argument ja auch umgekehrt: Religiöse Menschen könnten atheistischen Evolutionsforschern absprechen, überhaupt “unparteiisch” zu Fragen des Glaubens forschen zu können. Wäre das dann auch berechtigt? Von mir her ganz klar: Nein – selbstverständlich sollen auch Atheisten und Agnostiker über Religion(en) forschen dürfen, es kommt auf die Qualität der Wissenschaft an, nicht auf die persönliche Glaubenshaltung! Vor die Wissenschaft einen “Gesinnungstest” zu stellen wäre ein gruseliger Rückfall…

    Wissenschaft ist mit Wissenschaft zu diskutieren, auf der Basis von Daten und Argumenten – und es würde ja z.B. schon völlig reichen, eine einzige, säkulare Gemeinschaft zu benennen, die über mehrere Generationen hinweg ähnlich hohe Geburtenraten wie die Amischen oder orthodoxen Juden hatte, um die These eines “reproductive benefit” von Religiosität zu schwächen!

    Dass religöse Menschen dies freudig zur Kenntnis nehmen wundert nicht und es wundert nicht, dass sich die freiheitsliebenden Menschen fürchten.

    Wieso sollten religiöse Menschen nicht freiheitsliebend sein? Die USA sind einerseits das religiöseste Land des Westens, andererseits das freiheitlichste. Und auch in Deutschland ist die inzwischen größte, demokratische Parteifamilie “christ”demokratisch. Dagegen haben Systeme wie die Sowjetunion, China, Kambodscha, Nordkorea usw. wohl mehr als eindrücklich gezeigt, dass auch atheistische Ideologien zu massiven Unterdrückungen und millionenfachen Morden fähig waren. In der ehemaligen DDR und in Polen haben atheistische Regime ihre Völker brutal und mit Folter unterdrückt, bevor sie aus vorwiegend kirchennahen Basisbewegungen heraus gestürzt wurden usw.

    Die Behauptung religiös = freiheitsfeindlich und atheistisch = freiheitlich ist schlichtweg falsch und genau so ein Beispiel religionsfeindlicher Vorurteile, das seriöse (Politik-)Wissenschaft (unabhängig von der Haltung des einzelnen Wissenschaftlers) aufklären sollte.

    Wenn ich beispielsweise statistisch beweisen könnte, dass Gesellschaft mit Todesstrafe weniger Kriminalität aufweisen (was nicht stimmt, aber egal), wäre das zwar auch wissenschaftliche Erkenntnis, aber irgendwie keine, bei der ich mich wohl fühle.

    Das ginge mir auch so. Aber ich käme nicht im Traum auf den Gedanken, deswegen die Wissenschaft oder gar die Wissenschaftler unterdrücken zu wollen, sondern würde mir die Studie genau anschauen und versuchen, die Befunde besser zu verstehen und zu vertiefen.

  4. @ Erdlicht

    Ein Befund ist ein nach einer Untersuchung oder Prüfung festgestelltes Ergebnis. Welches Ergebnis ist vorhanden?

    Die Rezension bezieht sich auf das Buch, mit Dutzenden Befunden. Viele habe ich hier auch online zugänglich gemacht.

    Wenn religiös, bzw. Transzendens etwas mit außer- oder übernatürlich, wie auch immer zu tun haben soll, kann es meines Erachtens nicht gleichzeitig als Teil der Natur, naturwissenschaftlich erforschbar sein.

    Exakt. Deswegen unterliegt die Religionswissenschaft (inkl. der Evolutionsforschung zur Religiosität) dem methodologischen Agnostizismus: Sie befasst sich nicht mit der Existenz übernatürlicher Akteure, sondern mit Funktion(en) und Auswirkung(en) religiösen Verhaltens. Und das ist selbstverständlich empirisch beobachtbar, wunderbar erforschbar – und, wie es Franz Wuketits so treffend formuliert hat, “einer selektionstheoretischen Deutung durchaus zugänglich.”

    In diesem Sinne können wir Religiosität ganz genau so erforschen wie Musikalität, als (erfolgreich) evolvierten Teil unserer menschlichen Natur.

  5. @ Stefan Taube: Übrigens…

    …hat auch schon Charles Darwin vermutet, dass Religiosität biologisch erfolgreich sein müsse – sonst wäre sie ja nicht entstanden. Und als überaus renommierter Evolutionsbiologe hat David Sloan Wilson über die erfolgreiche Evolution der Religiosität ein Buch geschrieben und Dawkins wenig fundierter “Memthese” widersprochen. Da David Sloan Wilson zugleich bekennender Atheist ist, wirst Du ihn vielleicht nicht “verdächtigen”?

    Siehe hier:
    http://www.skeptic.com/eskeptic/07-07-04.html

    Beste Grüße!

  6. Ausgangslage “Übernatürliches”

    Statistiken, mit unzureichender Überprüfungsmöglichkeit von Ursache (Über/Außernatürlichkeit) Abhängigkeit, Sachzwänge, etc., scheint mir vergleichbar der geglaubten Jungfrauengeburt.

    Shalom

  7. @ Erdlicht: Danke…

    …für diese wundervolle Demonstration des Vorurteiles, das ich meine: Ohne die entsprechenden Forschungen überhaupt zu kennen und ohne auch auf meine Erklärungen einzugehen, haust Du die Arbeit von Jahren in die Pfanne, weil Dir die Befunde nicht schmecken. So was war man doch eigentlich eher von religiösen Fundamentalisten gewohnt, ich erlebe es derzeit (immer noch erstaunt) von vermeintlich aufgeklärten Religionskritikern. Und darauf weise ich hin.

    Nur eine Frage: Hätte es der o.g. Rezensent, bekennende Atheist und Evolutionsbiologe nicht gemerkt, wenn Rüdiger Vaas und ich nur eine “Behauptung von der Jungfrauengeburt” fabriziert hätten? Ich würde mir wirklich wünschen, die Diskussion über Wissenschaft verliefe etwas ernsthafter und mit weniger Vorurteilen.

  8. Elfmeter verwandelt!

    Hallo Michael, danke für die ausführliche Antwort, Du hast den Elfmeter sicher verwandelt, den ich verursacht habe 😉 Nein, jetzt mal im Ernst: Ich bin im Großen und Ganzen durchaus Deiner Meinung und finde die religionswissenschaftliche Forschung interessant. Ich wollte in meinem ersten Kommentar schildern, warum es zu dieser ablehnenden oder skeptischen Haltung kommt, sie erstaunt mich nunmal nicht.
    Den Verdacht, nicht neutral zu sein gibt es aber nunmal oder um in Deinem Bilde zu bleiben: Nur eine Physik der Musikinstrumente wäre wohl eine musikwissenschaftliche Forschung, bei der die persönliche Musikalität des Forschers keine Rolle spielt. Sobald der Wissenschaftler musiziert, setzt er sich den Verdacht aus, uns mit seiner Musikwissenschaft sagen zu wollen, welche Musik wir hören sollten, welche die “richtige” ist. Verstehst Du diese Befürchtung? (und sorry persönlich wollte ich Dich eh nicht verdächtigen). Dazu kommt der Problemkreis, dass Glaube und Kirche vermischt wird. Unsere Gesellschaft und viele Menschen im ganz persönlichen Kampf haben sich gerade emanzipert von der Kirche und da hören sie, dass Religion ein Vorteil sein soll. Auch wenn es stimmt, kann es kontraproduktiv aufgefasst werden.

  9. @ Stefan: Danke! 🙂

    Lieber Stefan,

    danke für Dein nettes Mail! Es tut gut, auch mal etwas Freundliches zwischendrin zu hören, wirklich! 🙂

    Und, ja, selbstverständlich hat jeder (!) Wissenschaftler Vorannahmen, genau deswegen legt auch die Religionswissenschaft Wert auf Transparenz und die Zusammenarbeit über Glaubens- und Konfessionsgrenzen hinweg. Die besten Diskussionen und erfreulichsten Teamprojekte entstehen in einem kritisch-konstruktiven Klima von Vielfalt und Respekt.

    Und die gesamte Evolutionsforschung zur Religiosität ist ja längst auch Teamwork über Fach- und Weltanschauungsgrenzen hinweg. Ich bin da ja nur einer und die These des Reproduktionsvorteils durch Religiosität hat z.B. bereits der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek formuliert.

    Genau deswegen wundert mich das massive Interesse an Person oder Glaubensüberzeugungen, das ist doch uninteressant, ich bin ein total langweiliger Typ. Die Sache an sich ist doch viel spannender, die sich schnell im Wettstreit der Hypothesen entwickeldne Forschung – und das Ganze ist längst dynamischer, als es die deutsche Normalschublade fassen könnte!

    Dir, Stefan, alles Liebe, auf viele weitere, gute Debatten! 🙂

  10. @Stefan,….Gerade emanzipert
    Ja, Stephan, so ist es! Gewiss ist, dass ich, wie offensichtlich viele ander, keine Freude mehr an blinder Folgsamkeit habe. Wo eine Person über/außernatürlich “Gott” sein soll, ist Überprüfung ausgeschlossen.

    Wer in seiner Beschränktheit seinen eigenen Verstand nicht verwendet, überhaupt keine Vorurteile hat, wird auch kaum zu Wissen, Handlung, daraus erfolgter Erkenntnis kommen. Das Wissen, Handlung, Erkenntnis, sobald öffentlich nicht allein der Selbstüberprüfung untersteht, ergibt sich aus Selbigem.

    Shalom

  11. Wem nützt es?

    Guten Abend Herr Blume.
    Immer fleißig am Buch verkaufen?
    Hier eine kleine Rezession des Einbands – mehr hab ich noch nicht gelesen :-).
    Je nach Wetterlage erheitert bzw. verärgert mich der Untertitel „Warum Glaube nützt“! Wie Herr Wuketits befürchte auch Ich Fehldeutungen.
    Sie (und Herr Vaas) werden Unglaube/Ungläubige im Umkehrschluss doch nicht als nutzlos bezeichnen wollen?
    Aber das Wetter ist schön, ich nehme es sportlich und vermute mal, dass dieser „Reißer“ nur als Verkaufsfördernde Maßnahme dienen soll.
    Zur Strafe stelle ich Vaas/Blume direkt zwischen Hitchens und Dawkins ins Bücherregal! 😉

  12. @ itz: Wohl wahr! 🙂

    Lieber itz,

    ja, wir haben auch lange über den Titel diskutiert, uns dann aber für den Untertitel entschieden, die sich direkt aus der evolutionären Ausgangshypothese (Merkmale setzen sich über Nutzen durch) ergibt.

    Sie (und Herr Vaas) werden Unglaube/Ungläubige im Umkehrschluss doch nicht als nutzlos bezeichnen wollen?

    Nie und nimmer! Zum einen geht es hier ja nur um ein Merkmal unter anderen – und ich selbst habe z.B. ein anderes Merkmal, das evolutionär zweifelsfrei “nützt”, völlig unterentwickelt: Ich bin unmusikalisch und betrachte mich deswegen doch weder als Mutant noch als nutzlos, nur eben als Teil der großen Variabilität menschlichen Lebens.

    Und dass wir tapfer und verzweifelt gegen die Rezession ankämpfen und hoffen, dass die Leute neben allen Auto-Abwrackprämien auch naturwissenschaftlich orientierte Bücher und Zeitschriften nachfragen, dürfen Sie uns nicht verdenken! Ist der Haupt-Rohstoff unseres Landes nicht der Grips seiner Homo Sapiens?

    Herzliche Grüße!

  13. Religiöse Wirk-lickeit?

    Hallo Herr Dr. Blume,

    im Osterurlaub konnte ich mich etwas eingehender mit der Natur des Glaubens auseinandersetzen und veranschaulichen, welchen Nutzen die Religion für die Funktion bzw. evolutionäre Entwicklung der menschlichen Gesellschaft haben müsste.

    “Im Darwin Code” von Thomas Junker und Sabine Paul ist mir u.A. deutlich geworden, welche Rolle die Religion haben sollte, um den Menschen in seinem persönlichen Verhalten zur Vernunft (z.B. einer echt gesunden Verhaltensweise) zu bringen und wie Religion menschliche Individuen zu “Superorganismen” machen müsste, die gemeinsam Zukunft gestalten, optimieren.

    Bei Daniel C. Dennett, der wie Sie die natürliche Wirk-lichkeit heutiger Religion untersucht wurde mir wieder bewusst, dass es nichts bringt, wenn nur religiös gebellt wird, damit die Religion keine Wirk-lichkeit hat.

    Auch in “Geist, Gene und Gehirn” ist mir deutlich geworden, dass derzeitige Religiöität ihrer evolutionäre Aufgabe nicht wirklich erfüllt, trotz aller religiöser Rechnerei, derezeit Religion weder eine natürlich-vernünftige Lebensweise vermitteln, noch die Menschen zu einer entsprechenden Verhaltensweise bringen, sie im Kult befähigen kann, sich so zu verhalten, wie es für ihre Gesundheit oder die Evolution der Gesamtheit und damit auch den Einzelnen und vor allem seine Brut (unsere Enkel) tauglich wäre. (Was dann, wenn ich Evolution als Schöpfung verstehe, Gottes Wille wäre.)

    Dabei zeigt mir Ihre Darstellung der Neurotheologie sehr gut, wie unser Kopf funktioniert, warum wir als bewusste Wesen darauf angewiesen sind, nach einer gemeinsamen “schöpferischen” (echt evolutionären) Bestimmung zu fragen, die uns scheinbar nicht automatisch eingefleischt ist und die wie sich zeigte, allein mit menschlichen Ideologien nicht zu machen war.

    Interessant ist, dass durch die Evolutionsbiologie erstmals eine solche externe (kreative=schöpferische) Bestimmung/Vernünftigkeit, ein Sinn und Zweck des Lebens aus der Logik der Natur abgeleitet und offen artikuliert wird. Bisher hieß es immer, die Wissenschaft könne diese Fragen nicht beantworten, dafür wäre der Glaube zuständig. Und da der seit der Aufklärung keine “natürliche” Wirk-lichkeit mehr zu haben schien, ein Eigenleben führt, war der Sinn (die daraus abzuleitende Lebenslogik=schöpferische Vernunft)jedem selbst überlassen.

    Ostern ist zwar vorbei. Doch es gibt noch viel zu tun, um aus der Evolutionslehre eine echte Auf-verstehung des gemeinsamen Sinnes und seiner schöpferisch vernünftigen Umsetzung mit Hilfe der altbekannten religiösen Praktiken zu machen.

    Ich empfehle daher in “Gott, Gene und Gehirn” nicht nur zu lesen, was Religiösität nützt, sondern was und wie ihre Wirk-lichkeit sein sollte.

    Gerhard Mentzel

  14. schöpferische Wirk-lichkeit Gottes

    Selbst die Nützlichkeit einer personalen Vorstellung des Vätergottes lässt sich m.E. im Licht der Evolutionslehre und der Funktionsweise menschlichen Kultur-Kopfes bzw. kollektiver Kreativität belegen. Was keineswegs bedeutet, dass die Gottesvorstellung unserem Kopf enspringt, nur Mittel zum Zweck ist.

    Bevor wir jetzt wieder ins Fahrwasser der Diskussionen kommen, die m.E. vor 2000 Jahren waren, als über das Wesen des schöpferischen Logos (Jesus), das Verhältnis der Vernunft zum Gott der Väter heftig gestritten wurde. (Eine Dikussion, die sich letztlich auch heute nachvollziehen lässt.)

    Wenn neben dem gemeinsamen Lebenszweck durch die Evolutionslehre die Logik einer weiterhin personal anzusprechenden externen kreativen Lebenskraft nachgewiesen wird, dann haben wir genau das, was christliche Lehre ist: Der Sohn/Logos hat den Vater, den Gott der Väter offenbart.

    Auch wenn der dann kein über/unnatürlich wundersamer Aufpasser bzw. sondern eine ganz natürliche Macht ist, wie sie derzeit selbst Dawkins noch monistisch nachdenkt.

    Schicken Sie ihm doch mal “Geist, Gene und Gehirn” als Anregung, den Weg vom naturalistischen Monismus zum Monotheismus wieder aufgeklärt bzw. evolutionsgemäß weiterzugehen. (Genau wie vor 2000 Jahren.)

    Gerhard Mentzel

  15. @ Gerhard Mentzel: “Bestimmung”

    Lieber Herr Mentzel,

    herzlichen Dank für Ihr hohes Interesse und Ihre theologischen Reflektionen, die ich mit großem Interesse gelesen habe.

    Lassen Sie mich jedoch erneut darauf hinweisen, dass evolutionäre Religionswissenschaft empirisch und historisch arbeitet und also keine letzten Wahrheitsaussagen oder “Bestimmung” ableiten kann.

    Jederzeit könnten die wissenschaftlichen Hypothesen durch noch Bessere abgelöst werden (und werden dies sicher auch). Zudem könnten sich die Rahmenbedingungen des menschlichen Lebens dramatisch ändern, beispielsweise durch die wirtschaftlich-technologische Entwicklung (bis hin zur Gentechnik), den Klimawandel oder den Einschlag eines Asteroiden.

    Wie bereits in unserem Buch und auch gegenüber @Stefan Taube betont: Ein Atheist kann die gleichen Befunde auch als weiteres Indiz deuten, dass Religiosität nur eine nützliche Illusion sei, wie Sie diese als Hinweis auf eine “schöpferisch/kreative Vernunft”. Die Evolutionsforschung & Religionswissenschaft hat diese und weitere religiöse oder weltanschauliche Deutungen mit Respekt und Interesse zur Kenntnis zu nehmen, kann sie allerdings selbst nicht abschließend entscheiden. Darauf hat in obiger Rezension auch Franz Wuketits zu Recht hingewiesen!

    Herzliche Grüße!

  16. @ Michael: Religiosität als Anpassung

    Lieber Michael, warum distanzierst Du Dich denn plötzlich von Deiner Überzeugung, dass Religiosität einen (natürlichen und sexuellen) Selektionsvorteil hat, also adaptiv ist?!

    Das ist zwar, wie betont, nicht erwiesen. Aber auch nicht ehrenrührig, wenn man es als Hypothese (und nicht als unumstößliche Tatsache) vertritt. Zumal Du in unseren Diskussionen sowie in Publikationen und zahlreichen Vorträgen den Adaptationismus immer wieder betont und stark gemacht hast.

    Und Du vertrittst den Adaptationismus doch auch dezidiert auf Deiner Homepage:

    Gleich zu Beginn unter der Überschrift “Religiosity is adaptive”.
    Und dann ebenso unmißverständlich im ersten Satz, incl. Fettdruck, wenn Du schreibst:
    “My key observations about Religiosity & Fertility: Religiosity (defined as behaviour toward supernatural agents) is clearly adaptive”.
    (Und begründest das mit demographischen Studien).

    Siehe:
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/….html

  17. @ Rüdiger: Tja… 🙂 (auch hier)

    Lieber Rüdiger,

    da siehst Du mal, dass unsere Diskussionen bei mir tieferen Eindruck hinterlassen haben, als vielleicht auch von Dir vermutet.

    Religiosität ist derzeit durchschnittlich adaptiv, sie stärkt in vielen (sicher: den meisten, vielleicht gar fast allen) Gesellschaften den Reproduktionserfolg. Aber das reicht noch lange nicht, um sie als Adaptation zu klassifizieren. Lesen und Schreiben sind ja ebenfalls situativ adaptiv, aber deswegen (m.E.) noch keine eigenständige Adaptation. Zwar ist religiöses Verhalten natürlich älter und (im Gegensatz zu Lesen & Schreiben) auch in allen Menschengesellschaften zu finden, aber solange nicht klar bestimmt ist, ab wann ein Merkmal nicht mehr nur Nebenprodukt, sondern Exaptation oder Adaptation ist, halte ich mich an das, was ich belegen kann: Glaube nützt (oft), aber die Adaptationsthese ist derzeit noch nur “nicht widerlegt”.

    Du siehst also: Unsere Zusammenarbeit hat (auch?) bei mir mehr als Formelkompromisse hinterlassen! 🙂

    Aber danke, dass Du noch einmal klarstellst, dass es natürlich auch überhaupt kein Problem wäre, wenn wir hier unterschiedliche Hypothesen verträten!

    Beste Grüße!

  18. christliche Wissenschaftler

    Es muss doch möglich sein, Forschungsergebnisse unabhängig vom Glauben des Autoren zu kritisieren. Wenn religiöse Menschen per se keine Wissenschaft betreiben können – wie konnte da überhaupt irgendwelches Wissen in den christlich geprägten Regionen Europas in den Jahrhunderten des Mittelalters überleben? Oder war das in Wirklichkeit nur ein Informations-Verwesungsprozess, weil die Mönche in ihren Klöstern nur einen Teil des antiken Wissens bewahrten, der Rest verloren ging und die Menschen der damaligen Zeit gar nichts Neues hervorbrachten? Anders ausgedrückt: Haben die Mönche eine ruhige Kugel geschoben oder konnte man sich von ihnen eine Scheibe abschneiden?

  19. @ Kunar: Danke!

    Es scheint in der Tat so zu sein, als ob sowohl religiöse wie atheistische Extreme Evolutionsforschung mit Atheismus gleichsetzen. Dabei unterliegt jeder naturwissenschaftliche Ansatz dem methodologischen Agnostizismus, der Falsifizierbarkeit und der stets nur auf die Vergangenheit bezogenen und immer unvollkommenen Erkenntnisfähigkeit.

    Auch in Zukunft wird es also (wie schon bisher) atheistische, agnostische und auch religiöse Evolutionsforscher geben und es ist zu hoffen, das sich zunehmend statt Gesinnungstests und antiwissenschaftlichen bzw. antireligiösen Vorurteilen ergebnisoffene Erkenntnissuche durchsetzen werden.

    Die Rezension von Wuketits, Stimmen wie von Dir oder auch Stephan Taube machen da durchaus Hoffnung! 🙂

  20. @ – Michael Blume: Inkonsistenz

    Wie Rüdiger, so muss auch ich eine gewisse Inkonsistenz bei Dir feststellen:

    “Und die gesamte Evolutionsforschung zur Religiosität ist ja längst auch Teamwork über Fach- und Weltanschauungsgrenzen hinweg. Ich bin da ja nur einer und die These des Reproduktionsvorteils durch Religiosität hat z.B. bereits der Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich August von Hayek formuliert.”

    Dies soll doch wohl heißen, dass Du in der Tradition von Friedrich August von Hayek stehst und, genau wie er, davon ausgehst, dass die Religiosität adaptiv ist.

  21. @ – Andreas Müller:

    Offenbar haben wir nahezu zeitgleich denselben Einwand vorgebracht!

    Ich bin nämlich gerade Michael Blumes Link zur “dunklen Bedrohung” nachgegangen und konnte dort beim besten Willen nicht fündig werden.

    Ist die erwähnte Radio-Debatte eigentlich online zugänglich?

  22. Es muss doch möglich sein, Forschungsergebnisse unabhängig vom Glauben des Autoren zu kritisieren.

    Ist es dann eigentlich auch für einen Atheisten möglich, argumentativ darzulegen, warum er Religiosität nicht für eine biologische Adaption hält, ohne sich den Vorwurf einzuhandeln, er würde ‘aus weltanschaulichen Gründen’ die ‘Befunde der Evolutionsforschung’ ignorieren? Links dazu, wie oft ich das schon lesen musste, kann ich mir wohl ersparen. Oder geht das nur für ausgesuchte Atheisten, möglichst mit Professorentitel und/oder eigener Wikipedia-Seite?

  23. @ Edgar: Adaptiv / Adaptation

    Lieber Edgar,

    Du fragtest:

    Dies soll doch wohl heißen, dass Du in der Tradition von Friedrich August von Hayek stehst und, genau wie er, davon ausgehst, dass die Religiosität adaptiv ist.

    Selbstverständlich kann Religiosität adaptiv sein! Du brauchst nur die demografischen Daten oder den Kinderreichtum von Amischen, orthodoxen Juden, Hutterern usw. ansehen (wie ihn keine säkulare Gemeinschaft je dauerhaft erreichte), um zu sehen, dass Religiosität hochgradig adaptiv sein “kann”! Aber kein Merkmal ist überall adaptiv (Lungen z.B. nicht unter Wasser oder im All) und es gibt in der Biologie keine klaren Definitionen für Begriffe wie Spezies, Epiphänomen oder Adaptation.

    Also erforsche ich, ob und wo sich Religiosität auf den Fortpflanzungserfolg auswirkt und halte mich aus den essentialistischen Scheindebatten heraus. Ein Merkmal ist dann (d.h. in der jeweiligen Situation) adaptiv, wenn es den Fortpflanzungserfolg des Organismus erhöht. Kiemen z.B. im Wasser, Lungen im schmalen Ausschnitt unserer Atmosphäre. Wenn Du uns sagen könntest, wie Du “Adaptation” definierst, können wir darüber diskutieren, ob Religiosität darunter fällt.

  24. @ Andreas Müller: Dunkle Bedrohung

    Lieber Herr Müller,

    Sie schildern in Ihrem Beitrag sehr eindrücklich, dass Sie befürchten, die Religionskritik würde ihre Basis verlieren, wenn Religiosität als erfolgreicher Teil unserer Natur erwiesen würde – und entsprechend (also nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus weltanschaulichen Gründen!) würden “Antitheisten” die “Nebenprodukt-These” bevorzugen. Eine Anti-Evolutionsforschung-Karikatur legen Sie noch oben drauf, wie es auch schon atheistisch Bewegte in den 70er Jahren gegen die damaligen Soziobiologen “leisteten”.

    Ich halte, um Sie zu zitieren, sowohl die Adaptations- wie die Epiphänomen-Thesen längst für “Schwachsinn”. Auch die Vorgänger der Vogelfeder haben bei den Dinosauriern als Balz- und Wärmeobjekt fungiert – sind deswegen Flügel nur Nebenprodukte? Oder ist ihre adaptive Wirkung widerlegt, weil sie unter Wasser nicht taugen? Merkmale sind stets nur situativ adaptiv und das ist für Religiosität längst sehr stark nachgewiesen. Mehr behaupte ich nicht.

    Religiöse Menschen kooperieren weltweit durchschnittlich erfolgreicher und sie pflanzen sich (zumindest in freien Gesellschaften) durchschnittlich erfolgreicher fort. Die Datenbasis dazu ist inzwischen Legion, hier allein die frei erhältlichen Religion-Demografie-Studien (von den nur offline oder kostenpflichtig zugänglichen ganz zu schweigen…):
    http://www.blume-religionswissenschaft.de/….html

    Auch erweist sich Religiosität als genetisch ebenso heritabel wie Musikalität, was auch Edgar Dahl einräumte. Was auch sonst, wenn es ein (wie auch immer benanntes) Merkmal unseres Gehirns ist?

    Solange es keine klaren Definitionen von Epiphänomen oder Adaptation (oder gar, besonders absurd, “Memen”) gibt, sind entsprechende Diskussionen kindisch. Selbstverständlich sind Sie herzlich eingeladen, die inzwischen Dutzenden Studien zu Religion-Demografie und Religion-Kooperation (z.B. auch schon von Ara Norenzayan in der “Science”) kritisch-konstruktiv zu prüfen. Und zu erklären, wie sich ein komplexes Verhaltensmerkmal beim Menschen ohne biologischen Erfolg (den wir heute, wie gesagt, weltweit sowohl im Freiland wie experimentell beobachten können) hätte entwickeln sollen. Wir sind alle sehr gespannt!

  25. @ kamenin: Selbstverständlich!

    Lieber Sven,

    Du fragtest:

    Ist es dann eigentlich auch für einen Atheisten möglich, argumentativ darzulegen, warum er Religiosität nicht für eine biologische Adaption hält, ohne sich den Vorwurf einzuhandeln, er würde ‘aus weltanschaulichen Gründen’ die ‘Befunde der Evolutionsforschung’ ignorieren?

    1. Auch ich behaupte doch gar nicht, dass Religiosität eine “biologische Adaptation” sei, weil dieser Begriff nirgendwo eindeutig definiert ist. Sage uns, was Du unter “Adaptation” genau verstehst – und wir können drüber diskutieren.

    2. Etwas prekärer wird die Lage natürlich schon, wenn geleugnet werden soll, dass Religiosität nachweisbar häufig mit einem “reproductive benefit” (Fortpflanzungsvorteil) einher geht, wie es u.a. besagter Friedrich August von Hayek bereits vermutet hat.

    Die Flut sowohl an empirischen Studien wie auch an Fällen wie den Amischen, Hutterern, orthodoxen Juden, Mormonen usw., deren hohe Fertilität gar nicht ohne ihre Religionszugehörigkeit erklärt werden kann, widerspricht dem klar. Auch gibt es keine einzige nichtreligiöse Gemeinschaft, die über mehrere Generationen hinweg auch nur annähernd so hohe Reproduktionsraten erreicht hat wie die genannten Religionsgemeinschaften. Wer das alles einfach ignoriert und stattdessen Sprachspiele veranstaltet, muss sich tatsächlich fragen lassen, ob ihm die wissenschaftlichen Befunde vielleicht aus weltanschaulichen Gründen nicht in die Wahrnehmung passen?

    Oder geht das nur für ausgesuchte Atheisten, möglichst mit Professorentitel und/oder eigener Wikipedia-Seite?

    Die erfreuliche Resonanz mag Dich ja ärgern, das verstehe ich ja. Aber es stellt sich eben tatsächlich heraus, dass wirkliche Fachleute der Evolutionsforschung mit den Befunden und Möglichkeiten auch evolutionärer Religionswissenschaft meist kein Problem haben! Wuketits Rezension findest Du ja oben. Eckard Voland hat religionsdemografischen Studien sogar in sein sehr lesenswertes “Natur des Menschen” (erschienen bei Beck) übernommen. Und Volker Sommer hat schon Jahre vor uns allen in “Die Gene der Urgöttin” eine eigene, sehr pfiffige These zur sexuellen Selektion von Religiosität formuliert, die sich in Teilen durchaus bewährt. Ganz abgesehen von David Sloan Wilson, der zu adaptiven Effekten von Religiosität das großartige “Darwins Cathedral” verfasste und Dawkins & Co. aufgefordert hat, ihre obskuren Mem-These doch bitte empirisch zu unterfüttern. (“Bring on the legwork!”). Was diese bis heute nicht schafften.

    Die Liste ließe sich lange fortsetzen (z.B. Jesse Bering, Thomas Bouchard etc.). Denn wenn die Schreier auf religiöser und atheistischer Seite auch stets die Lauteren sind: Es gibt eben erfreulicherweise sehr viel mehr Menschen, die sich für wissenschaftliche Erkenntnis auch dann interessieren, wenn sie eigene (in diesem Fall: religionskritische) Annahmen in Frage zu stellen scheint. Deswegen ist es auch in der Vergangenheit weder religiösen noch atheistischen Ideologen gelungen, die Evolutionsforschung dauerhaft auszubremsen. Und ich bin da Optimist, dass dies auch zukünftig nicht gelingt! 🙂

  26. Aus: Die dunkle Bedrohung

    …von Andreas Müller.
    http://hpd.de/node/6201

    Was bedeutet das für die Religionskritik?

    Sollte die adaptionistische Theorie wahr sein, dann werden die Menschen für immer übernatürliche Wesen anbeten. Einige Religionskritiker machen sich hier Illusionen und meinen, die Kultur wäre vielleicht stärker, aber das einzige, was die Aufklärung in diesem Fall tun könnte, wäre die schlimmsten Auswirkungen der Religion zu dämpfen, indem sie das Gottesbild besänftigt. Mit Hilfe unserer Kultur könnten wir unsere Religiosität so wenig überwinden wie unsere Musikalität.

    Und entsprechend stellt Herr Müller dann auch fest, dass Antitheisten… eher zur Nebenprodukt-Theorie neigen. Es folgen Vermutungen z.B. über einen weiteren Memplex, der uns einreden möchte, dass wir unser Weltbild gar nicht hinterfragen können, weil wir stattdessen Sklaven finsterer Mächte sind.

    Und so weiter…

    Darf ich einfach nach einer Definition von Memen und Memplexen fragen? Nach einer einzigen, wissenschaftlich seriösen Studien zu diesen spukhaften Existenzen? An verschwörerische Meme glaubt doch keiner, weil irgendein wissenschaftlicher Befund dafür spräche! Es ist schlicht ein (weiterer) Versuch, sich ernsthafte, empirische Forschung vom Leib zu halten – weil, wie oben geschrieben, befürchtet wird, die Wissenschaft könnte andere als die erwarteten Befunde erbringen!

    Das gleiche gilt für ein Festhalten an Schubladen wie der “Nebenprodukt-These”, ohne überhaupt eine klare Definition von Nebenprodukt vs. Adaptation benennen zu können!

    Ernsthaft an Wissenschaft orientierte Menschen suchen sich evolutionsbiologische Thesen nicht entlang ihrer Weltanschauung, sondern nach Prüfung der vorliegenden Befunde aus. Wer sich vor Daten fürchtet, weil diese die Religionskritik gefährden, und stattdessen aus der Luft gegriffene Sprachspiele ohne jede empirische Basis bevorzugt, zeigt genau das Vorurteil, das so gerne (und oft mit Recht) auch religiösen Menschen unterstellt wird.

    Fazit: Sowohl religiöse wie atheistische Bewegte hatten und haben bisweilen Probleme mit ernsthafter Evolutionsforschung. Das fand ich überraschend, gewöhne mich aber auch dank der Diskussionen in Natur des Glaubens zunehmend daran. 🙂

    Beste Grüße!

  27. Immernoch Falschdarstellungen

    Hallo Herr Blume,

    zu meinen obigen Vorwürfen muss ich noch den der selektiven Zitatauswahl hinzufügen. Außerdem haben Sie die Argumente aus meinem Artikel falsch miteinander verknüpft.

    Antitheisten neigen zwar schon zur Nebenprodukttheorie, aber nicht, weil sie ihnen besser ins weltanschauliche Konzept passt, sondern weil Religiösität (im Sinne von Glauben an übernatürliche Wesen) nicht adaptiv ist! Hier eine relevante Ergänzung aus dem Artikel:

    Antitheisten, die eher zur Nebenprodukt-Theorie neigen, existieren für Adaptionisten eigentlich gar nicht, wie der Religionswissenschaftler Michael Blume ausführt: „Religiöses Verhalten ist eine Universalie. Sie lässt sich nicht unterdrücken und ist auch in Gesellschaften zu finden, die sich für atheistisch halten.“ Er weist zum Beispiel auf Begräbnisrituale hin, die es auch bei Atheisten gibt, umschreibt die Religiosität sogar mit der „Freude am Ritual“. Meiner Einschätzung nach kann man auch ohne Gott Tote vergraben, aber das ist offenbar kein Konsens in der Forschung. Herr Blume meinte allerdings, dass ich kein Mutant sei, also muss ich in meinem Unterbewusstsein insgeheim übernatürliche Wesen verehren, was ich allerdings bezweifle.

    Wenn Religiosität in der Natur des Menschen liegt, dann ja wohl auch in meiner! Das ist aber nicht der Fall.

    Ich habe auch schon ausgeführt, dass ich die Memetik im philosophisch-metaphorischen Sinne und nicht als Naturwissenschaft gebrauche. Ich meine mit “Memen” einfach Ideen und “Memplexe” sind Ideenbündel.

    “Religiöse Menschen kooperieren weltweit durchschnittlich erfolgreicher und sie pflanzen sich (zumindest in freien Gesellschaften) durchschnittlich erfolgreicher fort.”

    Eben nicht! Laut Ihren eigenen Erkenntnissen sterben die allermeisten Religionsgemeinschaften schnell wieder aus, weil sie nicht genügend Wert auf Kinderförderung in Lehre und Praxis legen. Offensichtlich sind die Religionen, die gleich wieder verschwinden, nicht erfolgreicher in der Fortpflanzung als atheistische Gemeinschaften, die 100 Jahre überstehen! Zwar mögen Religionsgemeinschaften insgesamt stabiler sein und mehr Nachkommen erzeugen, nur ist es klar, dass dies nicht an der Natur ihrer Mitglieder liegen kann (zudem müssten Atheisten ja auch insgeheim religiös sein nach Ihrem Modell, sonst steckt die Religiosität bei Ihnen nicht in den Genen).

    Was Sie nun auch schon ewig wiederholen, ist die Idee, der Atheismus wäre für den Marxismus verantwortlich und untrennbar mit diesem verknüpft. Zum weltanschaulichen Widerstand der 1970er an der Soziobiologie ist eindeutig festzustellen, dass er marxistisch motiviert war, nicht atheistisch. Die Soziobiologie erschien nicht kompatibel mit der marxistischen Position, der Mensch wäre unbegrenzt formbar, ein “unbeschriebenes Blatt”. Mit Gott hat das gar nichts zu tun.

    Ihr Ad-Hominem-Argument, dass ich kein Experte sei und nur darum nicht mit Ihnen übereinstimme, wollte ich eigentlich ignorieren, aber auch das führen Sie immer wieder an. Experten wie Richard Dawkins, Pascal Boyer und Rolf Degen halten auch nichts von der Adaptivität der Religiosität, egal, ob Sie dieses Konzept nun umbenennen oder nicht.

  28. @ Andreas Müller 🙂

    Lieber Herr Müller,

    schauen Sie, genau das meine ich:

    Antitheisten neigen zwar schon zur Nebenprodukttheorie, aber nicht, weil sie ihnen besser ins weltanschauliche Konzept passt, sondern weil Religiösität (im Sinne von Glauben an übernatürliche Wesen) nicht adaptiv ist!

    Würden Sie diesen Satz noch einmal selbst lesen? Ein religiöser Fundamentalist würde ihn vielleicht schreiben: “Religiosität kann kein Produkt der Evolution sein, weil die gesamte Evolutionstheorie nicht stimmt!” Und das Ignorieren von Bergen von Befunden dann ebenso für ein wissenschaftliches Argument halten wie Sie gerade eben…

    Zum einen definiere ich Religiosität als Verhalten zu übernatürlichen Akteuren (das ggf. aus Glaubensannahmen folgen mag, aber diese lassen sich empirisch kaum beobachten) und zum zweiten schließen Sie gut belegte Hypothesen aus weltanschaulichen Gründen aus, ohne die Berge von Befunden geprüft bzw. widerlegt zu haben.

    Religiosität soll nicht adaptiv sein, lieber Herr Müller? Nie? Eine sehr starke These!!! Was ist mit dem Reproduktionsvorteil religiös vergemeinschafteter Menschen, den wir weltweit messen und zusätzlich in Dutzenden Fallstudien belegt finden? Hätten Sie eine einzige belastbare Hypothese für all diese Befunde anzubieten, die ohne den Faktor Religiosität auskommt?

    Und wenn, wie Sie glauben (!), Religiosität niemals adaptive Wirkungen hätte (nicht haben “darf”, schon klar), sondern nur Kosten verursachen würde: Warum zeigt sich das dann nicht in den Daten (in einer niedrigeren Fertilität), warum ist Religiosität nicht ausgestorben, sondern global verbreitet? Warum sterben die Amischen trotz ihrer intensiven, kostspieligen Religiosität nicht aus, sondern vermehren sich sehr erfolgreich? Wie sollte ein so komplexes und energetisch teures Verhaltensmerkmal kostenneutral sein, wenn es nicht mindestens einige adaptive Effekte hätte? Das widerspricht jeder evolutionären Logik!

    Einmal kommen Sie der Sache durchaus schon nahe. Sie schreiben:

    Offensichtlich sind die Religionen, die gleich wieder verschwinden, nicht erfolgreicher in der Fortpflanzung als atheistische Gemeinschaften, die 100 Jahre überstehen! Zwar mögen Religionsgemeinschaften insgesamt stabiler sein und mehr Nachkommen erzeugen, nur ist es klar, dass dies nicht an der Natur ihrer Mitglieder liegen kann (zudem müssten Atheisten ja auch insgeheim religiös sein nach Ihrem Modell, sonst steckt die Religiosität bei Ihnen nicht in den Genen).

    Lieber Herr Müller, die “Trennung” zwischen Natur und Kultur, die Sie hier vorzunehmen versuchen, ist widersinnig. Kultur ist Teil der menschlichen Natur und wirkt auf sie zurück. Sprachfähigkeit nützt nur, nachdem sich erfolgreiche Sprachen ausgebildet haben, Musikalität nützt dann, wenn sich in erfolgreichen (und immer konkurrierenden) Musiken ausgebildet wird. Die meisten Sprachen, Musiken und Religionen dieser Erde sind längst wieder untergegangen, ständig entstehen neue und die erfolgreichen Modelle setzen sich durch – und genau so (!) wirken sich Sprachfähigkeit, Musikalität und Religiosität adaptiv aus!

    Und wenn Ihres Erachtens also Religiosität gar nicht genetisch veranlagt ist (die Ergebnisse z.B. von Zwillingsstudien ebenfalls ignorierend:
    http://www.chronologs.de/…-der-verhaltensgenetik )
    – woher stammt religiöses Verhalten Ihres Erachtens denn dann? Von außerhalb unserer Natur? Von Außerirdischen? Oder von (nie gesichteten, nie definierten, nie nachweisbaren) “Memen”? Warum ist der von Ihnen vertretenen Memetik in nun 30 Jahren nicht eine überzeugende Studie gelungen?

    Gerade der von Ihnen zitierte Pascal Boyer hat sich in der April-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft klar dafür (!) ausgesprochen, Religiosität als Teil unseres natürlichen Erbes mit den Mitteln der Evolutionsforschung weiter zu erforschen – und bedauert, dass sowohl Glaubende wie Nichtglaubende bei dem Thema bisweilen massive, vorwissenschaftliche Vorbehalte hegen…
    http://www.spektrum.de/artikel/983271

    Wir hoffen übrigens, uns dazu nächstes Jahr wiedersehen zu können, denn auch Boyer wirkt in den Evolutionary Religious Studies mit. Dennett übrigens auch, wobei er leider bislang keine empirischen Arbeiten beisteuerte. Man muss also gar nicht immer einer Meinung sein, um Wissenschaft zu betreiben – man sollte halt nur Wissenschaft auch wissenschaftlich (statt ideologisch) bewerten, diskutieren und dann auch gerne durch noch bessere Hypothesen ablösen. Dazu sind Sie weiterhin eingeladen, wenn Sie es denn schaffen, über Ihren Schatten zu springen und es für möglich zu halten, dass eine ganze Reihe von Evolutionsforschern in jahrelanger Kärrnerarbeit sogar Ihren Annahmen gegenüber Recht haben “könnte”.

    PS: Zu Ihrem sehr seltsamen Argument, die menschliche Variabilität schließe Merkmale menschlicher Natur von der Evolutionsforschung aus… Da es auch unmusikalische Menschen (wie mich) gibt, sollte ich also die Auffassung vertreten, dass Musikalität keinesfalls ein Ergebnis des Evolutionsprozesses sei? Das meinen Sie doch nicht ernst, oder!? 😉

  29. @ Michael

    1. Verstehe ich nicht. Nach Deinen bisherigen Darstellungen ist Religiosität adaptiv, war es seit der frühesten Urzeit, und Religion ließe sich gar nicht erklären ohne ihre biologisch Adaptivität. Ferner sei das auch der Grund, warum Religion nie verschwinden, sondern in naher Zukunft schon wieder wachsen werde, und wir würden in dem Hinblick eben durch unsere Gene gelenkt.
    Wer so stark und allgemein das Wort Adaptivität verwendet, sollte eigentlich mit dem Wort Adaption dafür keine Probleme haben. Das erscheint nun mir wie ein Sprachspiel.

    Ich kann mir nicht helfen, ich habe nach ewig langen Diskussionen (in denen Du auch frei von Exaptation gesprochen hast), dass Du hier gerade zwei Jahre Bloggen umdeuten willst. Jetzt behauptest Du fast schon, es ginge Dir nur darum, dass Religion hier und da auch adaptiv sein könne — es ging Dir bisher immer um die evolutionäre Entstehung von Religion, die Du bisher durch die Exaptation eines ursprünglichen Nebenprodukts erklärt hast. Und nur zu der These hast Du Daten um Daten präsentiert.

    2. Verstehe ich auch nicht. Du behauptest immer, irgendwer würde Deine Statistiken rundweg ablehnen und nicht zur Kenntnis nehmen wollen; und wenn man zum ersten Mal davon hört, sollte man wohl auch skeptisch sein, ob alle anderen beeinflussenden Parameter da rausgerechnet sind (sind sie ja auch lange nicht bei allen Grafiken, die Du gerne zeigst). Insgesamt sehe ich aber kaum noch Ablehnung der Daten an sich, sondern Deiner Interpretation. Nur dass unterschiedliche Interpretationen und Auslegungen von Dir dann eben überwiegend als Sprachspiele unter weltanschaulichem Verdacht dargestellt werden.

    Mehr noch: Es gibt eben erfreulicherweise sehr viel mehr Menschen, die sich für wissenschaftliche Erkenntnis auch dann interessieren, wenn sie eigene (in diesem Fall: religionskritische) Annahmen in Frage zu stellen scheint.

    So schnell schaffst Du es, den Begriff wissenschaftliche Erkenntnis mit Deiner Interpretation gleichzusetzen (Kritiker also unwissenschaftlich, werden aber auch als Schreier und Ideologen diffamiert), und den Kritikern noch eine Motivation unterzuschieben. Noch mal dazu: auch wenn Vergewaltigungen in bestimmten Kulturen (situativ) adapativ wären, beeinträchtigte das keine einzige vergewaltigungskritische Annahme (und umgekehrt nicht meine sachliche Einschätzung über die biologischen Grundlagen sexueller Aggressivität). Kultur besteht immer in der Bewertung, Modulierung und Förderung/Sanktionierung von Verhalten, ob genetische Disposition oder nicht und selbst wenn Religion eine solche wäre.

    Die erfreuliche Resonanz mag Dich ja ärgern, das verstehe ich ja.

    Nöh. Was mich ärgert ist Deine Bewertung der Rezpienten als Schreihälse, Ideologen und Weltanschauler, wenn sie widersprechen, aber als kompetent, gebildet, wissenschaftlich interessiert, wenn sie Deine Meinung teilen (s. die fast schon gönnerhafte Beurteilung des Focus-Autors von Deiner Seite).
    Oder mehr: Dass Du durch Deinen Argumentationsstil erheblich zur Polarisierung in der Debatte beiträgst, Dir das aber nicht bewusst zu sein scheint. Genau wie durch die sechsundvierzigste, vollkommen anlasslose Wiederholung Deiner Angriffe am Ende dieses Posts.

  30. @ kamenin: Wie oft noch?

    Lieber Sven,

    gerne gehe ich auch auf diesen Beitrag von Dir noch einmal ein.

    Wer so stark und allgemein das Wort Adaptivität verwendet, sollte eigentlich mit dem Wort Adaption dafür keine Probleme haben. Das erscheint nun mir wie ein Sprachspiel.

    Nö, eine Erkenntnis. Selbstverständlich entwickeln sich auch die eigenen Positionen weiter – oder bei Dir etwa nicht? *Staun*

    Also, gerne auch ganz offiziell: In guten Diskussionen habe ich (auch hier in den Blogs!) viel gelernt und bin deshalb durchaus dankbar für die letzten zwei Jahre! Was ich schade finde, ist das Einigeln einiger (Nichtfachleute) in längst nicht mehr haltbaren Dogmen a la “Religiosität ist nicht adaptiv” – ohne die Berge von Befunden ganz unterschiedlicher Forscher überhaupt wahrgenommen zu haben…

    Zu den Gewinnen aus Diskussionen und Zusammenarbeit mit anderen Forschern gehörte die Erkenntnis, dass es m.E. einfach nicht möglich ist, die Zugehörigkeit eines Merkmals zur Kategorie “Adaptation” streng zu beweisen, weil dieser Begriff (wie so viele in der Biologie) nicht scharf definiert (vielleicht: nicht scharf definierbar) ist. Wie auch Edgar Dahl ja neulich vorgeschlagen hat, hielt ich auch eine Exaptation oder ein Epiphänomen für möglich – aber auch diese Kategorien sind nicht eindeutig definiert. Warum also sollen wir um unlösbare Begriffe herumplanschen, statt lieber weiter empirisch zu forschen? Warum willst Du mir unbedingt einen Begriff unterjubeln, den nicht einmal Du selbst definieren kannst? Findest Du nicht, es ist schade um die Zeit?

    Du behauptest immer, irgendwer würde Deine Statistiken rundweg ablehnen und nicht zur Kenntnis nehmen wollen; und wenn man zum ersten Mal davon hört, sollte man wohl auch skeptisch sein, ob alle anderen beeinflussenden Parameter da rausgerechnet sind (sind sie ja auch lange nicht bei allen Grafiken, die Du gerne zeigst).

    Lieber Sven, das ist der Punkt! Es geht hier doch gar nicht um “meine” Studien, ich bin nur einer von Dutzenden Forschern! Nimm mich doch nicht so wichtig! Keine Studie der Welt hat je für sich alleine alle Faktoren auch nur eines Evolutionsprozesses erfasst – genau deswegen erstellen, überprüfen und verknüpfen wir weltweit stetig neue Befunde miteinander. Über die Resonanz auf meinen kleinen, deutschen Anteil an diesen internationalen Forschungen freue ich mich natürlich, aber andere leisten sicher viel Wichtigeres. Wenn Du z.B. in der Demografie-Zusammenstellung schaust, wirst Du sehen, dass selbst auf dem kleinen Feld von Religion-Demografie längst sehr viele unterschiedliche Forscher tätig sind – und fast alle messen einen höheren Reproduktionserfolg religiöser Menschen, völlig unabhängig von der persönlichen Glaubenshaltung, Hautfarbe oder Schuhgröße der Forscher! Wenn man ernsthaft wollte, könnte man das zur Kenntnis nehmen…

    Ich wünsche mir einfach: Wer sich ernsthaft in das Thema einbringen und Hypothesen darin vertreten will, der sollte sich einen Überblick verschafft haben. Mich könnt Ihr ja ruhig ignorieren – nehmt Wilson, Sosis, Bering, Norenzayan, Boyer usw. und zwei, drei der anderen Demografen. Oder fragt halt, wenn Ihr etwas nicht kennt oder versteht. Würde ich doch im Bezug auf Physik auch tun!

    Insgesamt sehe ich aber kaum noch Ablehnung der Daten an sich, sondern Deiner Interpretation.

    Danke, das freut mich sehr! Und ich würde auch sehr gerne mit Leuten darüber diskutieren, was Befunde bedeuten und was nicht. So habe ich hier im Beitrag z.B. auch schon eine enthusiastischen Interpretation einschränken müssen, wonach die Evolutionsforschung eine religiöse Bestimmung “beweise”. Ein Wort der Anerkennung dafür gab es von Euch natürlich wieder nicht… 😉

    Selbstverständlich werden in Zukunft weitere Befunde und bessere Hypothesen auch die heutigen Positionen übergehen, teilweise auch widerlegen. Evolutionsforscher finden keine letzte Wahrheiten und meine Arbeiten wird man irgendwann (wahrscheinlich bald) überboten und vergessen haben. So what? Wer wirklich mitreden will, sollte sich einfach auch mit dem Sachstand bekannt gemacht haben und ihn nicht ideologisch abblocken.

    Was mich ärgert ist Deine Bewertung der Rezpienten als Schreihälse, Ideologen und Weltanschauler, wenn sie widersprechen, aber als kompetent, gebildet, wissenschaftlich interessiert, wenn sie Deine Meinung teilen (s. die fast schon gönnerhafte Beurteilung des Focus-Autors von Deiner Seite).

    Schon wieder wirst Du persönlich. Lieber Sven, abgesehen davon, dass ich den Focus-Autor lediglich in Schutz genommen habe, als sich Leute äußerten, die seinen Artikel nicht einmal gelesen hatten: Seit Jahren verhöhnen Atheisten mit der mißbräuchlichen Berufung auf die Evolutionsforschung religiöse Menschen – und nie habe ich Dich, Edgar, Andreas Müller etc. pp. im Namen der Ausgeglichenheit protestieren hören.

    Dawkins “Gotteswahn”, das Religulous-Affenplakat – alles wurde auch hier in den Scilogs schon angepriesen und bejubelt, ohne dass Du je protestiert und “Polarisierung” befürchtet hättest! Du selbst hast auf Deinem Blog schöne Stilblüten wie Beiträge über die “Lakeland-Deppen” verfasst – und darin auch gleich nette Sätze eingebaut wie: Es ist natürlich unhöflich darauf hinzuweisen, dass es so Kaputte auch in Deutschland gibt. Wenn Religion sonst nichts zustande gekriegt hat, dann doch wenigstens das Denkverbot, Religion öffentlich anzugreifen; das tut man auf eigene Gefahr, geschmacklos zu wirken oder ereifert oder gar missionarisch. Das eigentlich Bedenkliche sind hier aber nicht die, die man als sozialisationsbehindert und geltungsgestört abhaken kann. Das eigentlich Bedenkliche sind die Sympathisanten, die ansonsten vollkommen Eingegliederten und Respektierten, die guten Gläubigen der etablierten Kirche, die man damit nicht in Verbindung bringen würde — die aber nicht (mehr?) das Urteilsvermögen haben, da noch zu sagen: das ist Schwachsinn. Das ist irre. Ihr spinnt. Ihr verdient keinen Respekt.
    http://kamenin.wordpress.com/…en-in-deutschland/

    Lieber Sven, solche Beiträge wie Deine habe ich über friedliche Andersdenkende und -glaubende nie geschrieben, auch wenn mir ihre Ansichten noch so fremd waren. Und ich kann mich auch nicht erinnern, jemals dazu aufgerufen zu haben, andere Menschen und ihre Überzeugungen nicht mehr zu respektieren. Mich wundert, dass einige von Euch so gerne, arrogant und herablassend auf Andersdenkende und -glaubende herabschauen – aber dann zu wimmern anfangen, wenn ihnen mal jemand mit Argumenten und ohne (!) Aufkündigung des mitmenschlichen Respekts entgegen tritt.

    Ihr habt es halt schon schwer. “So” stark im Austeilen. Und “so” klein im Einstecken. Und am liebsten in Rudeln auftretend, wenn es gegen andere, vermeintlich Schwächere (z.B. religiöse Minderheiten) geht. Dann aber wimmern, wenn mal einer nicht klein beigibt, sondern Kontra gibt. Muss man Euch dafür bewundern, lieber Sven?

    Respektvolle Grüße!

  31. Und jetzt ist es auch gut…

    Die Osterferien sind vorbei, es gibt in Familie, Beruf & Wissenschaft wieder viel zu tun, die Blogzeit wird knapper. Nachdem ich meinen Privateblog religionswissenschaft.twoday bereits beendet habe, möchte ich auch in “Natur des Glaubens” zukünftig nur noch Zeit für ernsthafte Debatten einsetzen.

    Sachliche Fragen, Hinweise, Anregungen, Einwände etc. sind natürlich weiterhin stets willkommen! Aber Orte, in denen Menschen schon aufgrund ihrer jeweiligen Glaubenshaltungen verhöhnt werden oder in denen Leute, die z.B. noch nie eine eigene, physikalische Studie geleistet haben, meinen die Existenz von Schwarzen Löchern mal eben locker bestreiten zu können, gibt es im Internet schließlich genug. Dafür ist mir (und Ihnen sicher auch) die Zeit dann doch zu schade. Da ist Sven schon Recht zu geben: In einem Klima der Polarisierung lernen die Leute eh nichts – und wer es gerne deftig gegen religiöse Menschen und Minderheiten mag, kommt bei seinem Blog, dem von Andreas Müller und vielen anderen ja bereits voll auf seine Kosten. Viel Spaß!

    Entsprechend schließe ich hier die Kommentarfunktion und werde ab dem nächsten Beitrag (kommende Woche) streng auf Sachlichkeit hin moderieren, also Kommentare nach Feierabend freischalten oder löschen. Schließlich ist das hier mein Blog und unsere Zeit – und ich würde gerne auch die leiseren, bedächtigeren und gerade dabei oft interessanteren Stimmen zu Wort kommen lassen. So hat Gastautor Basty mit seinen sachlichen Überlegungen den derzeit meist nachgefragten Chronologs-Beitrag geschrieben! Weitere werden folgen.

    Zum Abschluss noch ein Zitat von Franz M. Wuketits, dessen ebenso sachkundigen wie aber eben auch zwischen eigener Weltanschauung und wissenschaftlichen Befunden differenzierender Arbeit dieser Beitrag gewidmet war (die Diskutanten haben ja leider auch seiner fundierten Position keiner Erwähnung gewürdigt…), aus Gehirn & Geist 04/2009, S. 46:

    Da statistischen Daten zufolge über 80 Prozent der Menschen in gewissem Sinn religiös sind, muss das Konzept evolutionär von Nutzen sein.

    Ihnen allen ein schönes Wochenende, bis nächste Woche!

  32. Natur des Glaubens

    Als gläubiger Mensch und als Erkenntnishungriger der den Evolutionsgedanken als richtig ansieht, fällt mir auf, dass das maßgebliche Biologen, die Evolution der Arten immer wieder so deuten, dass hier ein Gott keine Rolle spielt, bzw. spielen kann.
    Das halte ich nicht für haltbar.

    Nun ich denke, dass wir im Rahmen der Globalisierung (Teilhard de Chardin: Planetisation) und den neuen Möglichkeiten der Kommunikation einen ungeheuren Zuwachs an Gedankenaustausch bekommen, der wohl zu einem globalen Superstaat führen wird und der die divergierenden Ideen über das Zusammenleben unter den Völkern, ihre religiösen Formen, die Sinnfrage der Existenz und das kulturelle Leben zu einem globalen geistigen Gemeingut zusammen wachsen lässt.
    Aber zuvor kommt wohl noch die Klima-Apocalypse.

    Ich betrachte den Atheismus, der aus der Anschauung der Evolution entsteht, als eher kurzsichtige Haltung. Sorry.
    Natürlich sind die Religionen immer stärker zurück geblieben und haben immer stärker massive Probleme mit sich selbst.
    Als Katholik bin ich in vielen Dingen in der Opposition zur Kirche.
    Im Grunde, denke ich, liegt das Problem bei Religion und Atheismus darin, dass
    beide kein verbindliches naturwissenschaftliches Modell als Grundlage haben und auch so schnell nicht zu kriegen ist.
    (mehr als 90% des Universums sind rätselhafte dunkle Energie und Materie)

    Nach Relativitätstheorie und Quantenphysik ist der Stoff aus dem die Wirklichkeit gebaut ist, ewige Energie.
    (Energiekonstanz)
    Biologen interessiert das eher nicht.
    Lebewesen enthalten ihre Baupläne und werden stets in jeder Sekunde erzeugt. Stoffwechsel auf der Basis genetischer Steuerung. Jedes Individuum ist von hoher
    Komplexität und Perfektion. Die Evolution vollbringt absolute Höchstleistungen. Atheistsche Skeptiker sehen evolutionäre Überbleibsel und Fehlanpassung an Teilaspekte modernen Lebens ( wie Schreibtischarbeit usw.) als antireligöses Element – das wäre noch zu diskutieren.
    Dabei stehen wir immer mit unseren kosmischen Rahmenbedingungen in umittelbaren Zusammenhang, (Sonne, Mond etc.)
    Ich denke, man sollte zukünftig unterscheiden, zwischen statischen und evolutionären Weltbildern.
    Die Evolution des Menschen hat an Tempo zugelegt, dadurch werden viele statische Dinge offenbar. Fundamentalismus und Konservatismus in allen weltanschaulichen Lagern.
    Alles was zukunftsfähig ist, ist richtig.
    Jesus: “an ihren Werken werdet ihr sie erkennen.”

    Mit freundlichen Grüßen
    Walter Keil

  33. @ Walter Keil

    Lieber Herr Keil,

    vielen Dank für Ihren Beitrag und Ihre Anfragen. Sie schrieben: Als gläubiger Mensch und als Erkenntnishungriger der den Evolutionsgedanken als richtig ansieht, fällt mir auf, dass das maßgebliche Biologen, die Evolution der Arten immer wieder so deuten, dass hier ein Gott keine Rolle spielt, bzw. spielen kann.
    Das halte ich nicht für haltbar.

    Das ist auch nicht zwingend. In diesem Beitrag habe ich z.B. mit Theodosius Dobzhansky einen der bedeutendsten Biologen des 20. Jahrhunderts vorgestellt, der keinen Widerspruch zwischen Gottesglauben und Evolutionstheorie sah:
    http://www.chronologs.de/…im-licht-der-evolution

    Längst gibt es sogar Prediger, die den evolutionären Theismus verkünden und Gott für die Evolution danken:
    http://www.chronologs.de/…gott-f-r-die-evolution

    Mir scheint, auch in Zukunft wird es unendlich viele Denk- und Glaubensmöglichkeiten jenseits religiöser und atheistischer Fanatismen geben.

    Herzliche Grüße!

  34. Evolution

    Evolutionsforschung zur Religiosität ich kann nicht verstehen das viele immer noch nicht und gerade in der Evolution die Schöpferische Kraft der Natur erkennen ob Göttlich oder nicht…Fakten sind stärker als Legenden..und Geschichten die sich Menschen ausgedacht haben..Das ist meine Meinung…

  35. Pingback:Religionskritik, die verstanden hat - Religion als Zeitbombe? von Franz Wuketits und Anton Grabner-Haider » Natur des Glaubens » SciLogs - Wissenschaftsblogs

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