Die Landschaftsökologie erforscht nicht Landschaften

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Kürzlich ist in Landscape Research ein Aufsatz von Thomas Kirchhoff, Vera Vicenzotti und mir erschienen mit dem Titel „What is Landscape Ecology“.[1]

Unter „Landschaftsökologie“ wird heute sehr Verschiedenes verstanden. Wer behauptet, die Bedeutung dieses Begriffs sei selbstverständlich, zeigt damit, daß er lediglich einen Ausschnitt dessen kennt, was Landschaftsökologie genannt wird. Ist die Landschaftsökologie überhaupt eine Wissenschaft? Manche Definitionen liegen so weit auseinander, daß die Landschaftsökologie geradezu entgegengesetzten Enden der Systeme zugewiesen ist, nach denen man die Wissenschaften üblicherweise klassifiziert. Das gilt, wenn die Klassifikation methodologische Kriterien zugrunde legt, so daß man Gruppen erhält wie „empirisch-analytische“ und „hermeneutische Wissenschaften“, aber auch, wenn man nach Gegenständen klassifiziert (wie physische Dinge einerseits, Symbole andererseits). Insbesondere handelt es sich nicht bei allem, was Landschaftsökologie genannt wird, um einen Teil der Ökologie, zum erheblichen Teil nicht einmal um eine Naturwissenschaft.

Diese Situation hat zu einer umfangreichen Diskussion darüber geführt, wie Landschaftsökologie zu definieren sei. Der Aufsatz ist ein Versuch, zu dieser Debatte über Gegenstand und Methode der Landschaftsökologie beizutragen, und zwar bezogen auf zwei Fragen: (1) Was sind faktisch die Gegenstände (und Methoden) der verschiedenen Forschungsprogramme, die unter der Bezeichnung Landschaftsökologie laufen? (2) Was kann berechtigterweise als Gegenstand der Landschaftsökologie bezeichnet werden?

Sechs verschiedene Auffassungen von Landschaftsökologie werden vorgestellt. Das sind nicht alle, die es gibt, doch dürften die vorgestellten das Spektrum einigermaßen repräsentieren.

Bezüglich der vorhandenen Auffassungen unterscheidet man oft eine kontinentaleuropäische oder auch zentral- und osteuropäische von einer angloamerikanischen Tradition. Vor allem in letzterer wird heute unter Landschaftsökologie meist ein Teil der Ökologie (im Sinne eines Teils der Biologie) verstanden, und zwar wird sie als der Teil aufgefaßt, der die Topologie betont: Organismen und deren Umwelt werden im Hinblick auf räumliche Heterogenität, d. h. auf die Muster ihrer Raumverteilung und auf deren Folgen hin betrachtet. Dieser ökologischen, also biologischen und damit naturwissenschaftlichen Auffassung lassen sich die ersten zwei Typen zuordnen:

Typ 1 “Topological ecology not tied to a specific scale” (z. B. John Wiens),

Typ 2 “Topological ecology at landscape scale” (z. B. Richard Forman).

In den folgenden vier Typen ist die Landschaftsökologie nicht Teil der Biologie:

Typ 3 “Physiognomic and objective-functionalist analysis of natural landscape individuals” (z. B. Carl Troll).

Typ 4 “Subjective-functionalist link between ecology and other natural sciences” (z. B. Teile der Neef-Schule).

Typ 5 “Objective-functionalist link between ecology and humanities” (z. B. Zev Naveh). 

Typ 6 “Ecology Guided by Cultural Meanings of Lifeworldly Landscapes“.

Der sechste Typ ist der von den Autoren vertretene. Er basiert auf einer Anerkennung des kulturellen Kontexts, in dem die Idee der Landschaft sich entwickelte. Zurückgewiesen werden erstens Definitionen, für die der Begriff Landschaft ein naturwissenschaftlicher ist, zweitens die zunehmend populäre Sicht, daß Landschaftsökologie eine inter- oder transdisziplinäre Wissenschaft ist (oder sein sollte), die nicht nur Naturwissenschaften, sondern auch Sozial- und Geisteswissenschaften umfaßt. Als Alternative (Typ 6) wird auf ein Forschungsprogramm hingewiesen, das weit verbreitet ist, aber noch nicht explizit definiert wurde: Landschaftsökologie wird verstanden als ein Teil der Ökologie. Es ist derjenige Teil, dessen Forschungsgegenstände und -fragestellungen durch die Praxis des Schutzes, der Entwicklung und der Gestaltung von Objekten bestimmt werden, die man alltagssprachlich „Landschaft“ nennt. Das hat eine Reihe von Implikationen, darunter diese:

(1) Landschaftsökologie ist keine interdisziplinäre, Natur-, Geistes und Sozialwissenschaften umfassende Wissenschaft, sondern, als Ökologie, eine Naturwissenschaft. Damit ist Landschaftsökologie, anders als in manchen anderen Definitionen, nicht normativ.

(2) Die Landschaftsökologie kann, als Naturwissenschaft, keine Landschaften untersuchen.

(3) Die Landschaftsökologie untersucht statt dessen ökologische Systeme, insbesondere Ökosysteme, in den räumlichen Ausmaßen von Landschaften und mit Konzentration auf die Aspekte des ökologischen Gegenstands, die aus „landschaftlicher“ Perspektive von Interesse sind.

Eben das ist auch der Gegenstand der Landschaftsökologie nach Formans Definition (Typ 2) – nur daß Forman diesen Gegenstand „Landschaft“ nennt. Aber mehrere nebeneinanderliegende und interagierende Ökosysteme ergeben zusammen nicht etwas anderes als ein Ökosystem, das einen anderen Begriff – eben Landschaft – erforderte, sondern wieder ein Ökosystem, nur eben ein größeres. Eine Landschaft ist etwas, was als Gegenstand der symbolischen Welt unter eine andere Kategorie gehört als Ökosysteme, sie kann sich nicht durch Zusammenfügung von Ökosystemen ergeben. Die Landschaftsökologie untersucht Ökosysteme und andere ökologische Gegenstände, z. B. Populationen. Was aber die räumlichen Grenzen der untersuchten Ökosysteme, damit den Maßstab angeht und was die von der Landschaftsökologie ausgewählte Menge heterogener physischer Gegenstände innerhalb dieser Grenzen zu einer Einheit macht, die als der Untersuchung wert erachtet wird, ist nichts Physisches und darum auch nicht Gegenstand der Ökologie, es ist der „landschaftliche Blick“. Der Landschaftsökologie, als einer anwendungsorientierten, wenn auch nicht angewandten Wissenschaft ist ihr Gegenstand also disziplinextern, von der „Lebenswelt“ und bestimmten akademisierten Praxisfeldern (Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur) vorgegeben: Die Ökologie kann, mit ihren eigenen Mitteln als Naturwissenschaft, z. B. die Grenzen eines Wassereinzugsgebietes bestimmen, aber nicht die einer Landschaft. Und sie kann zwar mit ihren eigenen Mitteln, als Naturwissenschaft, z. B. feststellen, daß Räuber-Beute-Beziehungen in einem Ökosystem zu den Fragen gehören, die in ihre Zuständigkeit gehören, aber nicht, wieso die Ökosysteme „See“ und Wald“ ihr Interesse finden sollten, nicht aber die Ökosysteme der Mikroorganismen im Verdauungstrakt eines Insekts: See und Wald sind „landschaftsprägend“, sie fallen einem in bestimmter Weise kulturell konditionierten Blick als Teile von Landschaft ins Auge.


[1] Thomas Kirchhoff, Ludwig Trepl and Vera Vicenzotti 2012: What is Landscape Ecology? An Analysis and Evaluation of Six Different Conceptions. Landscape Research (http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01426397.2011.640751)

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

2 Kommentare

  1. @ Geoman

    Offensichtlich haben Sie den Aufsatz nicht gelesen, sonst wäre es ganz unmöglich, auf den Gedanken zu kommen, das, was wir schreiben, hätte auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit dem Unsinn, den Sie (und wir nicht weniger) „aus unzähligen Debatten über die Frage ‘Was ist Geographie?’ kenne[n]“. Aber den Blogartikel haben Sie doch gelesen? Da würde mich schon interessieren, welche Sätze Sie zu ihrer Auffassung veranlaßt haben.

    „Von der Landschaftsökologie weiß man sicher nur, dass sie ist kein räumlicher Ableger der Biologie, sondern ein dubioses Kind der diffus volkswissenschafflichen, also eben so dubiosen Mutterdisziplin Geographie ist.“

    Ja, die Geographen glauben immer, daß „die“ Landschaftsökologie (sie glauben, daß es “die” Lök im Sinne einer Disziplin gibt) ein Kind der Geographie ist. Aber es gibt viele – ob die Mehrzahl, weiß ich nicht, es würde mich aber nicht wundern –, die Biologen sind, sich Landschaftsökologen nennen und gar nicht auf den Gedanken kommen, daß das, was Sie tun, etwas mit Geographie zu tun haben könnte. Und vor allem gibt es noch viel, viel mehr, die genau das gleiche tun wie die meisten derer, die sich Landschaftsökologen nennen, aber gar nicht auf den Gedanken kommen, sich Landschaftsökologen zu nennen. Von der Ausbildung her sind sie meist Biologen, und was sie tun, ist ganz gewöhnliche Biologie, und sie sind im allgemeinen auf Naturschutz als Anwendungsfeld ihrer Arbeit orientiert.

  2. Wieder aufgewärmter Unsinn

    Um es auf den Punkt zu bringen, mich wundert, dass Sie hier den Unsinn wiederholen und wiederaufwärmen, den ich aus unzähligen Debatten über die Frage ‘Was ist Geographie?’ kenne und den Sie nun nur wenig reflektierter auf die Frage ‘Was ist Landschaftsökologie? übertragen.

    Von der Landschaftsökologie weiß man sicher nur, dass sie ist kein räumlicher Ableger der Biologie, sondern ein dubioses Kind der diffus volkswissenschafflichen, also eben so dubiosen Mutterdisziplin Geographie ist.

    Sie schreiben, die Landschaftsökologie beschäftigt sich mit Fragen lebensweltlicher Größenordnung, also z. B. nicht mit Bakterien im Verdauungstrakt eines Insekts.

    Glauben Sie das wirklich? Und sind Sie wirklich davon überzeugt, dass Sie so eine Teildisziplin einer Naturwissenschaft also der Ökologie abgrenzen und definieren können?