• Von Ludwig Trepl
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Läßt sich die Ausrottung einer Art rückgängig machen? Teil 1

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Unter Naturschützern ist die Überzeugung verbreitet, daß einmal ausgestorbene bzw. ausgerottete Arten endgültig verschwunden sind; weder auf natürlichem Wege noch künstlich können sie wieder entstehen. Manchmal meint man allerdings, durch moderne Biotechnik könnte die Wiederherstellung möglich werden. Wie es auch sein mag – warum es so oder so ist, darüber herrschen falsche Vorstellungen. Entscheidend ist, was man mit „Art“ meint.

In Wikipedia (und mehr oder weniger wörtlich an zahlreichen anderen Stellen im Internet auch) steht: „Unter Dedomestikation versteht man die Umkehrung der Haustierwerdung (Domestikation), also das Entstehen einer Wildart aus einem Haustier.“[1] Der Begriff Dedomestikation sei „bei Fällen wie dem Quagga, in den ein ausgestorbenes (nicht domestizierte) Wildtier aus artverwandten Rassen phänotypisch ‚wiederbelebt’ werden soll nicht sinnvoll.“[2] In solchen Fällen, so heißt es, „ist der Begriff Abbildzüchtung weniger problematisch“. Letzteres meint man, weil die Züchtung „zwar in einem der Stammform womöglich in vielen Aspekten sehr ähnlichen Tier resultieren kann“, aber  „der ursprüngliche Genpool dieser [Art oder Rasse?] dennoch mit ihrem Aussterben verloren ging und nicht wiederherstellbar ist.“

Doch soll dieser Pessimismus offenbar nur im Falle der Verwendung herkömmlicher Methoden gelten. Denn an anderer Stelle im selben Artikel heißt es: „Dass dabei die Ursprungsform in genotypischer und phänotypischer Hinsicht komplett erreicht wird, ist jedoch ohne das Hinzuziehen von genetischen Methoden praktisch ausgeschlossen.“ Mit „genetischen Methoden“ sind offensichtlich nicht die der üblichen Züchtung gemeint (die natürlich auch „genetische Methoden“ sind), sondern solche der modernen molekularen Gentechnik. Darauf hofft man auch anderswo. In einem im Internet stehenden Skript einer Vorlesung an einer ökonomischen Fakultät fand ich: „Ein möglicher Präferenzwandel (Abnehmendes/steigendes Interesse an der Natur) und technische Entwicklungen (Möglichkeit zur Wiederherstellung von Arten durch Biotechnik) können nicht berücksichtigt werden“. Doch nicht alle sind so optimistisch: „Dies führt im Ergebnis aber nicht dazu, die ausgestorbene Rasse wieder zum Leben zu erwecken, sondern dazu, dass man Tiere erhält, die im Phänotyp dieser Rasse ähnlich sind. Genetisch gesehen wird immer ein Unterschied vorhanden bleiben. Das heißt, eine einmal ausgestorbene Rasse bleibt ausgestorben und ist somit unwiederbringlich verloren!“[3] (Man beachte, daß hier von Rassen die Rede ist, nicht von Arten!)

 

In diesen – zufällig im Internet aufgelesenen – Zitaten geht einiges durcheinander. Das liegt vor allem daran, daß man mit „Art“ kategorial Verschiedenes meint (siehe z. B. Willmann 1985).

 Versteht man unter „Art“ das, was damit alltagssprachlich und auch in der Logik gemeint ist, dann ist das Aussterben nicht irreversibel. Arten sind prinzipiell wiederherstellbar.

„Art“ ist die Bezeichnung für einen durch bestimmte, kennzeichnende Eigenschaften („Merkmal“) festgelegten Teilbereich der nächsthöheren Gattung („Genus proximum – Differentia specifica“). Dieser Artbegriff kann auf alle Gegenstände (der Rede, des Denkens) angewandt werden, keineswegs nur auf „Arten“ von Lebewesen, sondern z. B. auch auf Arten von Häusern, Steinen, Texten, Gefühlszuständen oder Rechenaufgaben. Alles Einzelne kann mit Hilfe dieses Begriffs Arten, das heißt bestimmten logischen Klassen zugeteilt werden. Wenn man nun in der Lage ist, an einem Lebewesen einer bestimmten Gattung die Merkmale einer ausgestorbenen Art A wiederherzustellen, dann gibt es wieder ein „Element“ oder „Mitglied“ der logischen Klasse „Art A“.

Diese Klasse, also diese Art, war genau genommen nie nicht-existent, denn sie existiert sowieso nicht in der empirischen Welt, sie ist vielmehr sozusagen eine gedankliche Schublade, in die wir die individuellen Objekte stecken. Die Klasse war nur, wie man es nennt, eine Zeitlang leer. Das, was in der wirklichen Welt existiert, die dieser Klasse zugehörigen Individuen, gab es nicht mehr, und man sagt, die Art war ausgestorben. Sie kann aber (wenn man diese Redeweise akzeptiert) wieder entstehen (die Klasse kann sich wieder füllen), genauso wie es eine durch ein bestimmte Verzierung definierte Art von Möbelstücken, die es nicht mehr gab, wieder gibt, wenn jemand ein der Gattung zugehöriges Möbelstück mit dieser Verzierung versieht.

Der Unterschied zwischen Rasse und Art ist hier nur einer der willkürlichen Grenzziehung, so wie der zwischen Art und Gattung, Gattung und Familie usw. auch. Das Argument, daß eine Wiederherstellung ausgestorbener Arten, anders als das von Rassen, unmöglich ist, weil das gesamte Genmaterial verloren ist, kann hier nicht angebracht werden. Denn es ist nur Konvention, ob man eine Gruppe von Individuen Art oder Gattung nennt oder aber Rasse.

Es ist hier auch ohne Bedeutung, ob es sich bei der Wiederherstellung von Merkmalen um phänotypische oder genotypische handelt. Eine Art kann durch Eigenschaften wie das Vorhandensein bestimmter DNS-Sequenzen definiert sein oder durch das Vorhandensein bestimmter morphologischer oder ethologischer oder ökologischer Eigenschaften: Das sind alles gleichermaßen definierte Artmerkmale. In dem obigen Zitat, wo behauptet wird, daß „genetisch immer ein Unterschied“ bleiben wird zwischen wiederhergestellter und ausgestorbener Art, ist offenbar gemeint, daß wir Exemplare der wiederhergestellten Art phänotypisch nicht von denen der ausgestorbenen unterscheiden können, aber doch Unterschiede in der DNS-Sequenz bestehen, die wir erkennen können. Das ist jedoch falsch. Bei hinreichend genauer Untersuchung der phänotypischen Eigenschaften werden sich ebenfalls Unterschiede erkennen lassen. Es gleicht nun einmal kein einziger empirischer Gegenstand vollkommen einem anderen.

In diesem Sinn (d. h. weil die Elemente der Art, die individuellen Organismen, nicht vollkommen den früheren gleichen oder weil hinsichtlich der Gesamtheit der Gene Unterschiede bestehen) von einer Nicht-Wiederherstellbarkeit ausgerotteter Arten zu sprechen, ist trivial. Auch ein Flußlauf kann nicht genau so wiederhergestellt werden, wie er einst war. Kein Staubkorn kann in genau den gleichen Zustand versetzt werden, den es vor einer Sekunde hatte. Die Behauptung bzw. Frage der Nicht-Wiederherstellbarkeit von Arten hat mit diesem trivialen Sachverhalt gar nichts zu tun.

Für diese Frage ist es unerheblich, ob der genaue geno- und phänotypische Zustand wiederhergestellt werden kann, den die Art (d. h. hier: die Gesamtheit der ihr angehörenden Individuen) einst, vor dem Aussterben, hatte; beides ist selbstverständlich unmöglich. Es kommt im Falle von Arten (im Sinne logischer Klassen) nur darauf an, ob wir aufgrund des Vorhandenseins der definierten Merkmale gezwungen wären, bestimmte neu entstandene oder erzeugte Individuen der ausgestorbenen Art einzuordnen, d. h. in eine bestimmte gedankliche Schublade zu stecken. Ist das der Fall, dann gibt es die Art wieder oder besser: Es gibt wieder Exemplare der Art,  denn die Art, die gedankliche Schublade, kann gar nicht aussterben.

Daß sich nicht die gesamte genetische Variationsbreite wiederherstellen läßt, weil viele Gene verlorengegangen sind und sich das ähnliche Aussehen vielleicht einer anderen genetischen Basis verdankt, berührt jene Frage gar nicht. Die verlorenen Gene könnten, bei hinreichend langer Zeit, durch Mutation wieder entstehen und durch geeignete Selektionsbedingungen erhalten werden, sie könnten mit gentechnischen Mitteln in Zukunft vielleicht auch künstlich hergestellt werden. Doch ob das geschieht oder nicht – darauf kommt es nicht an. Eine geographisch isolierte Population mit einem Genpool, der von dem der anderen Populationen der Art (Art im Sinne von logischer Klasse verstanden) stark abweicht, gehört dennoch dieser Art an, wenn sie nur die definierten (bzw. die Art definierenden) Merkmale hat. Bleibt allein diese isolierte Population übrig, würde man ja auch nicht davon sprechen, daß die Art verschwunden ist; nur einige Rassen sind verschwunden. Wenn alle Populationen  der Art verschwunden sind, ist deren Wiederherstellung ein biotechnisches Problem, heute in der Regel noch ein unlösbares, aber prinzipiell unmöglich ist sie nicht.  (Fortsetzung folgt)

 

Literatur

Ghiselin, M. T. 1966: On psychologism and the logic of taxonomic controversies. Syst. Zool. 15: 207–215.

Hull, D. L. 1978: A matter of individuality. Philosophy of science 45: 335–360.

Trepl, L. 2007: Allgemeine Ökologie, Band 2 – Population, Frankfurt a. M., Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien: Peter Lang. (Kapitel 7.1)

Willmann, R. 1985: Die Art in Raum und Zeit. Das Artkonzept in der Biologie und Paläontologie. Berlin, Hamburg: Parey.


[1] Wikipedia, Stichwort Dedomestikation.

[2] Orthographische Fehler im Original.

[3] http://turba-delirantium.skyrocket.de/tiere/rueckzuechtung.htm

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl