Der Konservativismus entdeckt die Wildnis. Jungbrunnen, Asphaltdschungel und Betonwüste

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Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
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Die Wildnis haben die Aufklärer und die Romantiker entdeckt – als erhabene Natur die einen, als angenehm schaurige die anderen.[1] Den Konservativen war sie ein Greuel. Schöne Landschaft war für sie Kulturlandschaft. In der unbeeinflußten Natur ist zwar das Potential zur Schönheit enthalten, denn sie ist von Gott erschaffen. Aber dieses Potential ist noch nicht entfaltet, die landschaftliche Vollkommenheit und damit Schönheit noch nicht wirklich, nur angelegt. Zunächst – d. h. zur Zeit der Entstehung des modernen Konservativismus etwa um 1800 – kann die schöne Landschaft auch nicht Wildnis enthalten. Das wurde erst möglich in einem späteren Schritt im Rahmen des konservativen Denkens: Der Gedanke der Wildnis als „Jungbrunnen“ des degenerierenden Volkes tauchte auf. Vera Vicenzotti hat das in ihrer Diplomarbeit dargestellt, und zwar anhand des Werks des einflußreichen Konservativen Wilhelm Heinrich Riehl.[2]

Riehl interessiert sich weniger für die Wildnis als für ihre Bewohner, die Wilden, die er freilich nicht so nennt. Sein Beispiel für eine Wildnis in unserer kultivierten Landschaft ist der Westerwald. Die „Westerwälder Waldbauern“ beschreibt er so, wie man in jener Zeit im Allgemeinen eine bestimmte Variante der „Wilden“ beschrieb. „In unseren Walddörfern […] sind unserem Volksleben noch die Reste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht bloß in ihrer Schattenseite sondern auch in ihrem naturfrischen Glanze.“ (Riehl 1954, 31) Hier sind „die Gegensätze von gut und böse auf unschuldige Weise vereint“ (Vicenzotti 2005: 110). Die Waldbauern leben also wie vor dem Sündenfall, und doch leben sie nicht im Paradies, nicht wie die glücklichen Wilden der Südsee. Sie sind stattdessen roh und grob und sie müssen hart arbeiten. Damit stehen sie den überzivilisierten und verweichlichten Großstädtern als dem anderen Extrem gegenüber. Es wäre fatal, gäbe es nur dieses: „Ein durchweg in Bildung abgeschliffenes, in Wohlstand gesättigtes Volk, ist ein todtes Volk.“ (Riehl 1854, 31) Das Leben in dieser Wildnis steht aber auch dem in der harmonischen Kulturlandschaft gegenüber. Sowohl „(d)er ausstudirte Städter“ als auch „der feiste Bauer des reichen Getreidelandes […] mögen die Männer der Gegenwart seyn“, jedoch „der armselige Moorbauer, der rauhe, zähe Waldbauer, das sind die Männer der Zukunft“ (ebd.). Die Bedeutung der Wildnis ist, dass sie der Degeneration der Kultur und der Menschen durch die Kultur den kraftvollen Anfang vor Augen hält.

Wir sollen nach Riehl nicht zurück zur Wildnis, nicht Waldbauern werden. Anzustreben ist vielmehr ein Gleichgewicht. Nur wenn „die verschiedenartigen Entwicklungen“ – d. h. Städter, kultivierte Bauern des „Feldlandes“ (Riehl) und wilde Waldbauern – gleichzeitig präsent sind, ergibt sich eine unerschöpfliche „Lebensfülle“ (Vicenzotti 2005: 96 ff. ). Die Idee der Harmonie, die der konservativen wie der aufklärerischen – kaum der romantischen – Landschaft an sich wesentlich ist, wird gleichsam um das Disharmonische erweitert; ohne das Rohe der Wildnis, das immer wieder die Kraft des Ursprungs erneuert, fehlt etwas zur wahren Ausgewogenheit Wesentliches:

 „Alle Wildniß und Wüstenei ist eine nothwendige Ergänzung zu dem cultivierten Feldland.“ „Wann die Mittagssonne der Civilisation die Ebenen bereits versengt hat, dann wird von den culturarmen Berg- und Hochländern der Odem eines ungebrochenen naturwüchsigen Volksgeistes wie Waldesduft wieder erfrischend über sie hinwehen.“ (Riehl 1854: 202) „Wie die See das Küstenvolk in einer gewissen Ursprünglichkeit frisch hält, so wirkt gleiches der Wald bei den Binnenvölkern. Weil Deutschland so viel Binnenland hat, darum braucht es so viel mehr Wald als England.“ (Ebd.: 31)

Die Waldwildnis ist der Jungbrunnen des deutschen Volkes, das heißt, sie hat eine Bedeutung für das Volk. Wildniserleben kann darum kein Sich-Ausleben sein, keine lustvolle Befriedigung irgendwelcher Neigungen des Individuums, wie das im Rahmen liberalen Denkens typischerweise der Fall wäre und heute auch typischerweise ist. „Sie dient vielmehr der Stabilisierung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung und ist somit ein Dienst am Ganzen“. (Vicenzotti 2005: 107)

 

Wildnis wird für die konservative Zivilisationskritik notwendig, weil sie die Kraft des Ursprungs fordert und erhält. Die Kulturentwicklung, also das Leben in der Kulturlandschaft wie auch das Leben in der Stadt, verweichlicht. Die Großstadt aber ist nicht nur ein Schritt weiter auf dem Weg der Kulturentwicklung. Sie steht vielmehr für Überzivilisierung. Das aber führt dazu, daß Wildnis einen neuen Ort bekommt und daß eine neue Art von Wildnis entsteht – eine Wildnis, die keineswegs als Jungbrunnen taugt wie die Reste ursprünglicher Wildnis in der Kulturlandschaft, im Gegenteil, sie vor allem ist es, die die ursprüngliche Wildnis als Jungbrunnen notwendig macht. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in Deutschland erstmals systematisch und mit großer Wirksamkeit von Riehl, wurde die Wildnis-Idee auf die moderne Großstadt übertragen. Nicht die Verweichlichung, sondern die Zügellosigkeit, die Verderbnis der Sitten steht nun im Mittelpunkt der Kritik. Das Wesentliche der Wildnis war immer schon, als die Gegenwelt zur moralischen Ordnung der Kultur zu gelten (Kirchhoff und Trepl 2009). Eine solche Gegenwelt war die Stadt vor dem 19. Jahrhundert kaum. Klein- und Reichsstädte waren eher Inbegriff moralischen Lebens, Inbegriff von Bürgerfleiß und Sittsamkeit, ja deren Karikatur: Sie waren die Welt der Spießbürger.[3] Nur bestimmte Städte, nämlich die Residenzstädte und die wenigen Großstädte, die es gab (Wien, London, vor allem aber Paris) standen für das Gegenteil, die Sittenlosigkeit. Mit der Entstehung der modernen Großstadt im Industriezeitalter wurde eine Kritik an ihr allgemein üblich, in der sie als Wildnis erscheint oder richtiger, als Verwilderung. Die modernen Städte, schreibt Riehl, erstrecken sich „in’s Ungeheuerliche und Formlose“ (Riehl 1854: 77). Er „spricht von der ‚Monstrosität’ der Großstädte, die als Ausdruck widernatürlicher und (damit) krankhafter Kultur-Natur-Verhältnisse interpretiert wird“ (Vicenzotti 2005: 62).

Hier ist offenbar etwas Merkwürdiges geschehen. Die Wildnis, und das heißt die Natur in ihrer Ursprünglichkeit und Ungezähmtheit, kehrt wieder in ihrem extremen Gegenteil, der Überzivilisation der modernen Großstadt. Diese wiederkehrende Natur wird aber als widernatürlich aufgefaßt. Wie ist das möglich? Wenn der Begriff der Natur nicht mehr, wie im frühen Rationalismus, primär mit der Vorstellung einer mathematischen Ordnung verbunden wird (sichtbar in den geometrischen Gärten jener Zeit), sondern mit Leben, entsteht eine fundamentale Zweideutigkeit. Leben ist die Harmonie des Organismus, in dem eines ins andere greift, in dem jedes Organ für jedes andere und fürs Ganze sorgt und dieses für das Einzelne. Leben hat aber immer auch eine „gleichgültige, verschwenderische, zerstörerische, feindselige, sich unaufhörlich selbst produzierende“ Seite, schreibt Judith Praxenthaler in ihrer Diplomarbeit (Praxenthaler 1996). In der liberalen Vorstellung vom Naturzustand des Menschen als eines Krieges aller gegen alle, dessen Basis zwar die Überlebensnotwendigkeit, aber auch die Unersättlichkeit der menschlichen wie jeder Natur ist, hat man diese Seite in den Vordergrund gestellt. Sie taucht auch im konservativen Denken wieder auf als die dunkle Seite der Wildnis. Schon bei Herder – wie bei den verschiedensten Strömungen der Aufklärungszeit – ist Wildnis immer ambivalent. Es gibt zweierlei Arten von Wildnis und von Wilden. Für die eine stehen die, deren Welt eher als Paradies denn als Wildnis zu bezeichnen ist; Paradebeispiel sind die Tahitianer. Das andere Extrem sind die eher als wilde Tiere denn als Menschen gezeichneten Feuerländer. Am südlichsten Ende Amerikas liegt „der arme kalte Rand der Erde, das Feuerland, und in ihm die Pescherähs, vielleicht die niedrigste Gattung der Menschen. Klein und häßlich und von unerträglichem Geruch“[4]. Ihre Welt ist reine Wildnis und hat nichts Paradiesisches. Nun ist es in gewissem Sinne eine leicht kultivierte Variante dieses letzteren Typs, die, wie Vera Vicenzotti am Beispiel von Riehl zeigt, im 19. Jahrhundert als Jungbrunnen wichtig wird. An der Härte des Lebens in der rauhen Natur, der Rohheit, die es erzeugt und mit der ihm begegnet wird, wird vor allem die Kraft hervorgehoben, an der Sittenlosigkeit die Unschuld, die Sitten nur noch nicht kennt. Die Geschichte der Zivilisierung hat aber eben diesen Charakteristika der Wilden auch ein ganz anderes Gesicht gegeben. Die Maßlosigkeit des wilden Lebens ist von der liberalistischen Variante der Aufklärung zum Prinzip des Fortschritts gemacht worden. Dieser Fortschritt ist eben darum in konservativer Sicht kein weiterer Schritt auf dem Weg der Kultivierung, die für Riehl von der „Waldwildnis“ zum „Feld“ und schließlich zur Stadt des alten (mittelalterlichen) Typs geführt hat. Er stellt „keine Höherentwicklung der Kultur dar, so wie noch die ‚Stadt’ eine höhere Stufe des ‚Feldes’ ist. Der maßlose Fortschritt zerstört im Gegenteil die Kultur“ (Vicenzotti 2005: 86 f.). „Denn Maßlosigkeit bedeutet ja, dass nicht etwa andere Maßstäbe für die Kulturentwicklung gelten, sondern gar keine. Und ohne Maßstäbe, ohne Bindung kann es keine Kultur geben. Bindungslose Entwicklung ist keine Kultur, sondern hemmungslose Triebbefriedigung.“ (Ebd. 87) Die moderne Großstadt ist also „kein Ort der Kultur“, sondern der „Unkultur“, des „Rückfall[s] hinter die Kultur, eben ein Ort der ‚Verwilderung’. Diese ist der Rückfall auf eine mit der Kultur längst überwundene Stufe, die Rückkehr zu einem ursprünglichen Zustand, aber ohne dessen gute, unschuldig-kindliche Seite.“ (Ebd.) „Die in Frivolitäten hemmungslos ausgelebte Sinnlichkeit und Genusssucht wird von Riehl als Verwilderung empfunden. Er sieht in der großstädtischen Verfeinerung des Geschmacks keinen kulturellen Fortschritt, sondern sie erscheint vielmehr als die Ursache der Verwilderung, so dass sie ihm als eine Form von Barbarei gilt (die von der ursprünglichen Barbarei, die auch gute Seiten gehabt hat, zu unterscheiden ist […]).“ (Ebd., 71)

Der Inbegriff für diese Art von Wildnis, in der das Triebhafte regiert, ist der Dschungel. Er ist maßloses und chaotisches Wuchern, Wimmeln und unkontrolliertes Produzieren. (Hoheisel et al. 2005, Schwarzer 2007) So wird die Großstadt zum Dschungel. „In Form einer als Dschungel gedachten ‚zweiten’ Natur, in die sich die Angst vor der ermächtigten, alle Ordnung verschlingenden Triebnatur[5] projizieren lässt, kann eine neue ‚Wildnis’ entstehen“, der „Asphaltdschungel“. (Praxenthaler 1996: 93)

Zugleich wird die Großstadt eine Wildnis anderen Typs. Denn es gibt zwei „grundsätzlich mögliche […] Formen, in denen die Natur als etwas Mächtiges und Starkes eine bedrohliche Wildnis neu hervorbringen kann“ (Schwarzer 2007: 83): Dschungel und Wüste. Verdammenswert für den Konservativismus ist nicht nur die Maßlosigkeit der liberalen, sondern auch die in seiner Sicht „lebensfeindliche“ Rationalität der demokratischen Aufklärung. Man denke an die Polemik der Konservativen gegen die das Leben erstickende Bürokratie, die mit der demokratischen (bzw. sozialistischen) Gesellschaft notwendig verbunden sei. Wird das und nicht das Chaotische, Triebhafte an der Großstadt betont, so wird sie zur Wüste, zur „Betonwüste“.

  

Literatur

Herder, Johann Gottfried (1965): Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, Bd. 1 und 2, herausgegeben von Heinz Stolpe, Berlin,Weimar: Aufbau-Verlag (Orig. 1784-1791).

Hoheisel, Deborah / Trepl, Ludwig / Vicenzotti, Vera (2005): Berge und Dschungel als Typen von Wildnis, in: Berichte der ANL, 29. Jahrgang, S. 42-50.

Kirchhoff, Thomas / Trepl, Ludwig (2009): Landschaft, Wildnis, Ökosystem: zur kulturell bedingten Vieldeutigkeit ästhetischer, moralischer und theoretischer Naturauffassungen. Einleitender Überblick, in: Dies. (Hg.) Vieldeutige Natur. Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene, Bielefeld: Transcript, S. 13-66.

Marquard, Odo (1987): Transzendentaler Idealismus, Romantische Naturphilosophie, Psychoanalyse, Köln: Dinter.

Praxenthaler, Judith (1996): Wildnis. Vom Ort des Schreckens zum Ort der Sehnsucht nach Vergöttlichung. Die Idee der Wildnis vor dem Hintergrund der Veränderungen des Naturverständnisses in der Neuzeit. Diplomarbeit am Lehrstuhl für Landschaftsökologie der Technischen Universität München.

Riehl, Wilhelm Heinrich (1854): Land und Leute, in: Ders.: Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik, Bd. 1, Stuttgart, Tübingen: Cotta’scher Verlag.

Schwarzer, M. (2007): Wald und Hochgebirge als Idealtypen von Wildnis. Eine kulturhistorische und phänomenologische Untersuchung vor dem Hintergrund der Wildnisdebatte in Naturschutz und Landschaftsplanung. Diplomarbeit am Lehrstuhl für Landschaftsökologie der Technischen Universität München.

Vicenzotti, Vera (2005): Stadt und Wildnis. Die Bedeutung der Wildnis in de konservativen Stadtkritik Wilhelm Heinrich Riehls. Diplomarbeit am Lehrstuhl für Landschaftsökologie der Technischen Universität München.

 


[1] Veränderter Auszug aus Ludwig Trepl, Die Idee der Landschaft, Bielefeld: transcript-Verlag, 2011.

[2] Eine englischsprachige Kurzfassung dieser Arbeit ist veröffentlicht: Vicenzotti, Vera / Trepl, Ludwig 2009: City as Wilderness: The Wilderness Metaphor from Wilhelm Heinrich Riehl to Contemporary Urban Designers, in: Landscape Research 34 (4), S. 379–396.)

[3] Locus classicus: der „Reichsmarktflecken Kuhschnappel“ in Jean Pauls Siebenkäs.

[4] Herder 1965, Bd. 1: 242.

[5] Dieser Begriff ist von Marquard 1987. 

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

7 Kommentare

  1. @Trepl

    Nochmals danke, klar, Sie haben es so gemeint wie nun erklärt.
    Die dritte Welt kennt der Schreiber dieser Zeilen zwar nicht, aber er will auch nicht widersprechen.

    Korrigierend also: Ein auch diesem Kommentator hilfreicher Inhalt.

    MFG
    Dr. Webbaer

  2. @ Webbaer

    Ich meinte das mit der Wahrheit der Mathematik anders. Es stimmt schon, daß da die Aussagen nicht von der grundsätzlichen Fallibilität sind wie ist den empirischen Wissenschaften. 3 x 3 = 9, und wenn der Schüler meint, es sei 10, dann hat er nicht recht, sondern der Lehrer, der sagt: es ist 9. Ich meine nur die Möglichkeit des banalen Irrtums. Man kann sich ver-rechnen, man kann bei der Beweisführung z. B. aufgrund von mangelnder Konzentration einen Fehler machen, und man kann sich nie vollkommen sicher sein, daß einem das nicht passiert ist. Daß die Ergebnisse unserer subjektiven Vernunfttätigkeit mit „der Vernunft“ übereinstimmen, können wir darum nur glauben, auch wenn wir noch so sehr überzeugt sein mögen, zu wissen. Wir sind als einzelne Köpfe sozusagen immer in Poppers zweiter Welt, der Satz, daß in der Mathematik Wahrheit möglich ist, bezieht sich aber auf Poppers dritte Welt.

  3. @Trepl

    Aja, danke für Ihre Ergänzungen. Man arbeitet bei den genannten Ismen ja oft mit anderen Definitionen. Besonders Ihre Ergänzungen zur Europäischen Aufklärung waren hilfreich.

    Das hier aber scheint falsch: ‘Selbst in der Mathematik glaubt man nur, daß die Lösung, zu der man gelangt ist, richtig ist, man kann es nicht mit letzter Sicherheit wissen (…)’, denn die Beweisführung erfolgt in der Mathematik durch Umformung und Rückführung auf die Axiomatik. In der Mathematik, und nur in der Mathematik und der Tautologie, ist Wahrheit möglich. – Was aber nichts zum Thema tun sollte…

    MFG
    Dr. Webbaer

  4. @ Webbaer

    „’Wildnis’ und ‘Dschungel’ sind bspw., wenn auch aus anderen Kulturkreisen stammend, fast bedeutungsgleich.“
    Stimmt nicht. Literatur dazu: http://www.wzw.tum.de/…s_wald_berg_schwarzer.pdf

    „An der Bestimmung des Konservatismus könnte genagt werden“.
    Gewiß. Unter einer ganzen Reihe von idealtypischen Konstruktionen und alltagssprachlichen Bedeutungen von Konservativismus benutze ich eine bestimmte. Sie scheint mir für meine Zwecke am meisten herzugeben. Nachzulesen z. B. in: Ludwig Trepl, Die Idee der Landschaft, Bielefeld: transcript-Verlag, 2011. (http://www.transcript-verlag.de/ts1943/ts1943.php), Kapitel Konservativismus.

    „an der des Liberalismus sowieso“.
    Dito.

    “und der L. leitet sich von der Europäischen Aufklärung ab.“
    Schief. Entweder man sagt, der Liberalismus ist ein Teil der europäischen Aufklärung, neben dem es noch einen anderen Teil gab (Demokratismus, oder „französische“, nicht „englische“ Aufklärung), oder man benutzt den Begriff Aufklärung nur für die französische und zählt die englische, also den Liberalismus, nicht dazu. Beide Redeweisen sind gebräuchlich, ich bevorzuge erstere. Ihre Formulierung ist deshalb nicht gut, weil sie suggeriert, die Aufklärung sei eine einheitliche, im Hinblick auf spätere Differenzierungen (Liberalismus, Demokratismus) undifferenzierte Bewegung gewesen. Das trifft’s aber nicht so recht, denn die Aufklärung hatte von Anfang an diese beiden Richtungen.

    „man muss aber nicht nur Religionen glauben…“
    Richtig, und das liegt an der Möglichkeit des ganz banalen Irrtums bei allem Denken. Selbst in der Mathematik glaubt man nur, daß die Lösung, zu der man gelangt ist, richtig ist, man kann es nicht mit letzter Sicherheit wissen – auch wenn man praktisch davon ausgehen kann, daß die Lösung des Lehrers richtig ist und die von Klein-Fritzchen, von der er ebenso überzeugt ist wie der Lehrer, falsch. Doch auch der Lehrer könnte einen Aussetzer gehabt haben.

  5. Begriffbestimmungen

    Der Inbegriff für diese Art von Wildnis, in der das Triebhafte regiert, ist der Dschungel.

    So richtig fett findet der Schreiber dieser Zeilen den Artikel ja nicht, ‘Wildnis’ und ‘Dschungel’ sind bspw., wenn auch aus anderen Kulturkreisen stammend, fast bedeutungsgleich.

    An der Bestimmung des Konservatismus könnte genagt werden, an der des Liberalismus sowieso, und wenn Sie etwas sagen wollen, dann sagen Sie es doch am besten klar.

    BTW, der K. ist weitgehend unbestimmt, der Revolutionismus ebenso, und der L. leitet sich von der Europäischen Aufklärung ab, ist ein Wertesystem.

    Ja, Natur gut, muss aus verschiedenen Gründen in Reservaten erhalten bleiben, wir ja auch, und ansonsten: Ökologismus als Glaubensersatz [1] nicht gut.

    MFG
    Dr. Webbaer

    [1] man muss aber nicht nur Religionen glauben…

  6. @ Holzherr

    „Offensichtlich kann [man] kaum beeinflusste Natur erleben ohne dass man sich Gedanken zum Wildnisbegriff macht.“
    Aber selbstverständlich. Doch die jungen Männer archaischer Kulturen („Naturvölker“), die im Zuge von Initiationsriten in Wölfe verwandelt eine Zeitlang in der Wildnis leben mußten, erlebten etwas ganz anderes in ihr als z. B. mittelalterliche Eremiten oder Ritter, die ihren Glauben oder ihre Tapferkeit in der Wildnis bewähren mußten, und die wiederum etwas ganz anderes als puritanische Kolonisten in Neuengland. – Es ist doch klar, daß mit „Die Wildnis haben die Aufklärer und die Romantiker entdeckt“ etwas ganz anderes gemeint ist.

    Alexander von Humboldt lebte übrigens bereits in der von Aufklärung und Romantik geprägten Gedankenwelt, er hat mit Sicherheit die südamerikanische Wildnis durch die Brille der Literatur gesehen, die damals jeder Gebildete gelesen hatte.

  7. Wildnis entdecken und Wildnis erleben

    “Die Wildnis haben die Aufklärer und die Romantiker entdeckt” und Forscher und Abenteurer haben sie schon viel früher erfahren und erlebt – ohne dass sie den Begriff Wildnis brauchten oder benötigten. Oft kannten sie diesen Begriff gar nicht.
    Zu diesen verwegenen Forschern und Abenteuern gehörten beispielsweise David Livingstone oder viel früher schon Alexander von Humboldt, der im Amazonas-Urwald war.

    Im deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag zu Alexander von Humboldt kommt zwar das Wort Wilder vor (Bezeichnung für einen Indiander), nicht aber das Wort Wildnis, wobei ihn aus heutiger Sicht grosse Teile seiner Forschungsreise durch Wildnis führte, wie folgender Ausschnitt dokumentiert:
    ” Die erste große Expedition führte im Februar 1800 von Caracas zum Fluss Apure und auf diesem in das Strombett des Orinoco, das stromaufwärts so weit wie möglich in südlicher Richtung befahren, dann aber verlassen wurde, um über den Rio Atabapo weiter südlich zum Rio Negro, dem Amazonaszufluss, vorzustoßen. Man befuhr die Flüsse auf einer Piroge, einem mit Axt und Feuer ausgehöhlten Baumstamm von etwa 13 Metern Länge und knapp einem Meter Breite. Sie wurde von einem Steuermann und vier indianischen Ruderern betrieben. Im Bereich des Hecks war ein niedriges Blätterdach installiert, an dessen tragfähigen Teilen Käfige mit eingefangenen Vögeln und Affen hingen. Die mitgeführten größeren Messinstrumente schränkten die Bewegungsfreiheit zusätzlich ein.”
    Offensichtlich kann kaum beeinflusste Natur erleben ohne dass man sich Gedanken zum Wildnisbegriff macht.

    Auch die frühen Alpen- und Himalaja-Alpinisten wagten sich in Gegenden vor, die weit weg von Kulturlandschaften waren. Nach heutigen Begriffen wagten sie sich also in die Wildnis vor. Doch sehr wahrscheinlich dachten sie dazumal nicht in solchen Begriffen.