Hier irrte Freud: Deutung eines Labyrinth-Traums

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Mit folgender Deutung hat sich der Begründer der Psychoanalyse ziemlich blamiert. Das ist mehr als nur “an den Haaren herbeigezogen” – das ist schlicht und einfach wilde Spekulation, ja peinliches Geschwätz.

(Ergänzung vom 08. Juli 2013: Hier irrte Jürgen vom Scheidt (und die Redaktion von Freuds Gesammelten Werken). Freud hat (mindestens) noch ein zweites Mal die Labyrinth-Sage zitiert – nachzulesen im “Mann Modes und die monotheistische Religion” und hier im Blog unter Sintfluten, oder: So begann das Schreiben.)

Eine Bemerkung vorab: Ich schätze Sigmund Freuds Studien und seine Psychoanalyse aus vielen Gründen sehr. Auch wenn beide in der Gegenwart kein so hohes Ansehen mehr haben wie in der Nachkriegszeit (warum wohl?), so leuchtet mir vieles in dieser Tiefenpsychologie nach wie vor ein, erscheint es mir plausibel. Die Kritik an Freud wie an seiner Lehre kommt oft von Leuten, die keinerlei praktische Erfahrung in dieser Richtung zu haben scheinen. Und Pillen sind nun mal billiger als Hunderte von Analysestunden.Kein Wunder, dass das Interesse an der Psychoanalyse nachzulassen scheint. Aber wer kann das schon überprüfen, oder wie der Bayer sagt: “Nix G´wias´ woas ma net.” (Für Preußen übersetzt: “Nichts Gewisses weiß man nicht.”

Freud hat bei der Deutung von Träumen viel Geschick und Einfühlungsvermögen bewiesen. Seine Sexualtheorie war dabei ein Leitmotiv, dessen Anwendung oft überzeugt, auch heute noch. Dafür sind Übersexualisierung einerseits und extreme Prüderie andrerseits wichtige Belege an den Extremen eines breiten Spektrums von Möglichkeiten. Aber bei aller Wertschätzung meinerseits für Freuds Arbeit: Mit seinen Deutungen von Traumsymbolen hat er gelegentlich ziemlich danebengegriffen. Auf das folgende Zitat stieß ich im Rahmen meiner Recherchen zu den vorangehenden Beiträgen über Plagiat und Kryptomnesie und einen Fall von  Kryptomnesie bei Sigmund Freud. Das Zitat ist hier im Blog zitierenswert, weil es laut Gesamtregister die einzige Labyrinth-Nennung in den kompletten Gesammelten Werken Freuds ist (und die sind mit ihren 17 Bänden plus Gesamtregister und Nachtragebänden recht umfangreich). Zumindest taucht das Stichwort “Labyrinth” im Gesamtregister nur ein einziges Mal auf. Im betreffenden Band XV, wo das Zitat steht, haben es die Herausgeber nicht mehr angeführt; es war ihnen wohl nicht wichtig genug. Dafür findet man dort den Ariadnefaden – der wiederum im Gesamtregister fehlt.

Soviel, als kleine Nebenbemerkung, zur Zuverlässigkeit von Registern. Und hier Freuds persönliche Meinung (und um mehr handelt es sich nicht) zur Labyrinthsymbolik in Träumen:

Im manifesten Inhalt der Träume kommen recht häufig Bilder und Situationen vor, die an bekannte Motive aus Märchen, Sagen und Mythen erinnern. Die Deutung solcher Träume wirft dann ein Licht auf die ursprünglichen Interessen, die diese Motive geschaffen haben, wobei wir aber natürlich nicht an den Bedeutungswandel vergessen dürfen, der im Laufe der Zeiten dieses Material betroffen hat. Unsere Deutungsarbeit deckt sozusagen den Rohstoff auf, der häufig genug im weitesten Sinne sexuell zu nennen ist, aber in späterer Bearbeitung die verschiedenartigste Verwendung fand. Solche Zurückführungen pflegen uns den Zorn aller nicht analytisch gerichteten Forscher einzutragen, als ob wir alles, was sich an späteren Entwicklungen darüber aufgebaut, leugnen oder geringschätzen wollten.
[. . .]  ich kann es mir nicht versagen zu erwähnen, wie häufig gerade mythologische Themen durch die Traumdeutung Aufklärung finden. So läßt sich z. B. die Labyrinthsage als Darstellung einer analen Geburt erkennen; die verschlungenen Gänge sind der Darm, der Ariadnefaden die Nabelschnur.”

 

Verwirrung und Ängste

Nun, wenn ich, der Blogger, einen Traum deuten sollte, in dem ein Labyrinth vorkommt, würde ich zunächst einmal schauen, wie es beim Träumer aussieht

° mit Verwirrung
° und mit Ängsten, sich (wo und wie auch immer) zu verirren.

Den Labyrinth-Traum einer Haschischraucherin habe ich bereits am 3. Juni 2008 hier im Blog vorgestellt. Nachdem Freud im erwähnten Zitat (s.oben) nicht auf die Umstände des Traums eingeht, auf den er sich bezieht, lässt sich leider seiner kühnen Deutung nichts sinnvoll anderes entgegenhalten. Außer vielleicht diese allgemeine Bemerkung:

Von Freud, und zwar speziell aus seiner Deutung des (eigenen) “Irma-Traums” in seiner Traumdeutung, sollten wir gelernt haben, dass man ohne genauere Kenntnis des Lebens und der Umstände, in denen geträumt wurde, nichts Sinnvolles über einen Traum aussagen kann – und schon gar nicht über den Träumer. (Was übrigens schon sein Vorgänger Artemidor Mitte des 2. Jhts. wusste.)

Einen Labyrinth-Traum auf Anales und die Nabelschnur einzuengen, ist sogar nicht nur wenig hilfreich, sondern ausgesprochen platt.

Quellen
Freud, Sigmund: Die Traumdeutung (1900). Ges. Werke Bd. II/III. 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1967, Kap 6: “Der Traum von Irmas Injektion”.
ders.:
Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933). Ges. Werke Bd. XV. 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1967, S. 25/26
ders.: Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1937-1939). Ges. Werke Bd. XVI (London 1950)
. 4. Aufl. Frankfurt a.M. 1967, S. 175

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem Willkommen im Labyrinth des Schreibens und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs. .

 

Aktuelle Informationen zu meinen Schreib-Seminaren. Die nächsten Seminare sind SUCHE NACH DEM SCHATZ IN DER TIEFE   (12.-14. Juki 2013) aus dem Jahreskurs Minotauros-Projekt: Roman schreiben und und SCIENCE FICTION ODER FANTASY? (19.-21. Juli 2013) Der Titel des Seminars verweist auf eine wichtige Station der Heldenreise – die gewissermaßen den Roten Faden dieses Kurses darstellt.

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BloXikon: Traumdeutung, Labyrinth im Traum
v2-3
Letzte Aktualisierung: 08. Juli 2013/12:52

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

6 Kommentare

  1. Und

    was Ihr Kommentatorenfreund immer schon einmal anmerken wollte: Sie müssen von der farbenfrohen Auszeichnung Ihrer Texte weg, die Farbgebung erfüllt anzunehmenderweise nicht den von Ihnen intendierten Zweck.

    Auch diese Kästchensetzung…

    Immerhin haben Sie von der permanenten Großschreibung und dem wilden Verbau von Satzzeichen Abstand gehalten. Danke.

    MFG
    Dr. W

  2. Platt -vielleicht die ganze Traumdeutung

    “Und Pillen sind nun mal billiger als Hunderte von Analysestunden.”
    Es wäre ja schlimm, wenn es nur die beiden Optionen gäbe!
    Das klingt außerdem nach Klischee: Die bösen Pillen (die bei manchen Erkrankungen unerlässlich sind, um mit einer Psychotherapie zu beginnen) und gerade das Ausufernde von Therapien ist auch kritikwürdig – da es in der Wirksamkeitsforschung als Qualitätsmangel gilt, wenn eine Therapie nicht in einem angemessenen Zeitraum wirkt.
    Freud hat aus dem Verständnis seiner Zeit und seiner kulturellen Umgebung (wäre er in London, Paris oder New York zu ähnlichen Ergebnissen gekommen?), er hat Breschen für das Psychische geschlagen, aber ich vermute mal, dass die Traumdeutung wenig fundierten Hintergrund besitzt.

  3. Traumdeutung

    Sigmund Freud ist zu sehr auf Kindheitserlebnisse und Sexualität fixiert. C. G. Jungs Traumdeutung ist mehr ganzheitlich. Mehr dazu auf meinem Blog (bitte auf meinen Nick klicken).

  4. Blamable Deutung

    Schön, Herr vom Scheidt, dass Sie den Unsinn der Freudschen Labyrinth-Deutung so deutlich als „Unsinn“ benennen!

    Lassen Sie mich noch ein Beispiel geben für Freuds Deutungs-Wahn: Er unterzieht 1907 in einer Abhandlung Wilhelm Jensens Novelle „Gradiva“ einer psychoanalytischen Deutung (seine umfangreichste und letzte „Literaturdeutung“). Er deutet dabei an, dass Neurosen, Novellen und Träume aus der Verdrängung „anstößiger“ Impulse entstünden. Nach Fertigstellung der Abhandlung bekommt Jensen ein Exemplar zugesandt. Jensen nimmt daraufhin Kontakt auf und beginnt eine kurze Korrespondenz. Parallel dazu konkretisiert Freud zusammen mit Jung seine Interpretation, die er in der Abhandlung selbst nur bei nebulöser Andeutung belassen hatte: Der Dichter müsse in eine körperlich behinderte Schwester verliebt gewesen sein. Freud ringt in seinem letzten Brief um eine Bestätigung dieser These. Jensen gibt wahrheitsgemäß Auskunft: als uneheliches Kind des Kieler Bürgermeisters Jensen und einer Dienstmagd war er früh bei der kinderlosen unverheirateten Pauline Moldenhawer in Pflege gegeben worden und ohne Verwandte aufgewachsen. Freud ist offenbar beleidigt, weil sich seine Inzest-Deutung nicht bewahrheitet hat. Jensens freundliche Einladung zu einem Treffen nimmt er nicht an. Stattdessen publiziert Freud, Jensen habe die Mitwirkung bei der Analyse seiner Novelle verweigert.

    Jensens Briefe sind seit 1929 veröffentlicht. Freuds Briefe an Jensen wurden mir erst kürzlich von Nachfahren zur Veröffentlichung überlassen. Die ganze Deutungsgeschichte belegt, wie übel Freud und seine Adepten seit nunmehr mindestens 104 Jahren mit Jensen umspringen. (Im Umgang mit der Wahrheit kann die Psychoanalyse hier locker mit dem Vatikan konkurrieren – vgl. Galilei, der 108 Jahre warten musste, bis seine realistische Sicht mit dem Segen der Kirche gedruckt werden durfte.) Entwertungen des Dichters gepaart mit völliger Ignoranz gegenüber der Wirklichkeit, der Novelle und sonstigen Dokumenten. Noch 2011 wird eine alte Lüge wiedergekäut, Jensen habe es abgelehnt, sich mit Freud zu treffen. Ein offizielles Eingeständnis, dass Freud mit seiner Deutung völlig daneben gelegen hat, fehlt bis heute. Stattdessen wird weiter nach versteckten „Perversionen“ des Dichters gesucht. Eine der vielen „Glanzleistungen“ psychoanalytischer Deutung (vermutlich entstanden in einem Prozess des „freien Assoziierens“): Die Gestalt einer aufrecht einherschreitenden jungen Frau auf einem antiken Relief (die die Hauptperson in Jensens Novelle „Gradiva“ benennt) ist nichts anderes, als … – ein Phallussymbol! (Diese geni[t]ale Deutung stammt von Franz Maciejewski, 2002.)

    Als ich mehreren großen überregionalen Zeitungen einen Beitrag zu dieser Geschichte angeboten hatte, bekam ich nur eine einzige (ablehnende) Reaktion: „Außerhalb eines engen Kreises von überzeugten Freudianern würde wohl niemand die Behauptungen, an denen Sie sich stören, so ernst nehmen, wie überhaupt die Psychoanalyse in den vergangenen Jahrzehnten sehr an öffentlicher Bedeutung verloren hat.“ Es würde mich sehr freuen, wenn dies tatsächlich einmal Allgemeingut der veröffentlichten Meinung werden würde.

  5. “Nix G´wias´ woas ma net.”

    Ähm, nein. Nix Gwias woas ma ned. Nie, nie, nie wird Dialekt mit Apostrophen geschrieben. Und mit AKZENTEN über Leerzeichen schon gleich gar nicht!

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