Was ist der “Wille”?

BLOG: WIRKLICHKEIT

Hirnforschung & Theologie
WIRKLICHKEIT

In diesem Blogpost frage ich nach der letztlichen Quelle unseres faktischen Verhaltens. Was bewegt mich letztlich, z.B. doch noch eine Schokolade anzubrechen, obwohl ich eigentlich gar keinen Hunger habe? Was ist ein “Motiv”? Was ist der Wille (Volition)? Was ist Willenskraft bzw. Willensschwäche? Sind das alles vielleicht nur mentalistische, introspektivistische Termini, die man schleunigst aus einer wissenschaftlichen Psychologie verbannen sollte?

Beginnen wir mit einem kleinen Experiment: Tippe mit Deinem Zeigefinger fortlaufend auf den Tisch. Sprich dabei immer wieder zu dem Finger: “Finger, bewege Dich *nicht*!” – während der Finger sich trotzdem weiter bewegt. — Baue auch ein visuelles Vorstellungsbild von Deinem *ruhenden* Finger auf, und schau auf den sich bewegenden Finger, während Du Dir diesen Finger visuell in Ruhe vorstellst. — Schließlich baue auch ein Vorstellung davon auf, wie es sich anfühlen würde, wenn der Finger in Ruhe wäre (was er nicht ist).

Kurz: Dein Finger bewegt sich, während Du Dein gesamtes Bewusstsein mit der gegenteiligen Vorstellung anfüllst, er möge das lassen.

Einige Beobachtungen:

Obwohl ich den Finger *bewusst* nicht bewegen, sondern in Ruhe halten will, empfinde ich seine fortgesetzte Bewegung nicht als unkontrolliert oder dissoziiert (wie das Zucken bei einem einfach-fokalen epileptischen Anfall): nach wie vor habe ich das Gefühl, ich bin es, der diesen (meinen) Finger bewegt. Und ich bewege den Finger, weil ich es *im Grunde* eben doch will – was immer dann dieser “bewusste Wille” auch sein mag.

Etwas in mir entkräftet die bewusst-gedanklichen Intentionen, verhindert, dass diese im Verhalten wirksam werden – ohne dass ich mir diese “Unterbrechung” vom Bewusstsein zum Willen wiederum gedanklich explizit instruiert hätte.

Oder aber ganz anders herum: Bewusste Intentionen sind ohnehin niemals ursächlich wirksam. Allenfalls stimmen sie mit tiefer liegenden Willensregungen (Impulsen) glücklich überein, sodass wir unsere bewussten Intentionen in illusionärer Weise für die eigentliche Ursache unseres Verhaltens halten – während wir letztere *im Grunde* aber überhaupt nicht kennen.

Schlussfolgerungen?

Von diesem kleinen Experiment her scheint mir klar, dass eine Selbststeuerung des Verhaltens per ausdrücklicher Gedanken illusionär ist – es mag sein, dass die gedankliche Selbstinstruktion mit meinem eigentlichen Willen übereinstimmt, aber sie trägt ihrerseits nichts Eigenes mehr zum Willen (und zum Verhalten) bei. Würden die Gedanken beispielsweise von meinem Willen abweichen, könnten sie nichts erreichen: Gedanken sind nicht der ursprüngliche Wille, sie sind nicht einmal dessen zuverlässiger Ausdruck.

Was aber ist dann die ursprüngliche Kraft in mir, die will? Ist sie überhaupt meinem Bewusstsein zugänglich? Oder kommt das Bewusstsein immer schon zu spät? Ist es überhaupt *meine* Kraft – oder lediglich irgendeine “Kraft”, die ich mir im Nachhinein gedanklich aneigne (was bei epileptischen Anfällen oder dissoziativ-hypnotischem Verhalten nicht mehr gelingt)?
Bin ich – wirklich ich – am Ende dasselbe wie “mein Wille” (und mein Verhalten)? Und eben nicht das, was ich weiß und denke, wer ich sei? Fahren wir im Grunde stets und ausnahmslos auf Autopilot – selbst dann, wenn wir über unsere Handlungen reflektieren, Vorsätze generieren usw.?

Wenn Gedanken weit von der das Verhalten letztlich steuernden Kraft (“Wille”) entfernt wären – (wie) ist dann eine Beeinflussung des Willens und des Verhaltens Anderer durch Gedanken möglich?

Konkreter gefragt: Wie gelingt es dem Hypnotiseur, ganz normale Menschen “gegen ihren Willen” zu einem ungewöhnlichen Verhalten zu verführen (z.B. sexuellen Handlungen auf der Bühne)? Wie gelingt es einer Frau, einen Mann “gegen seinen Willen” zu verführen? Wie kann eine Psychotherapeutin das Verhalten ihres Klienten effektiv in eine neue Richtung lenken (kann sie das?)?

Gelingt in all diesen Fällen lediglich die Anknüpfung an den eigentlichen Willen, der knapp unter der Oberfläche des gedanklich geäußerten Pseudo-Willens verborgen liegt, knüpfen die Verführer nur daran an – oder manipulieren sie diesen Willen aktiv in ihrem eigenen Sinne? Ist das Ich des Manipulierten deshalb so willenlos, weil Gedankenkraft gegen Willenskraft nichts auszurichten vermag?

Können nur die Instruktionen Anderer mein Verhalten wirksam beeinflussen, nicht aber meine eigenen? Sind wir, wenn wir im Alltag wie auf Autopilot durchs Leben fahren, vielleicht in Rapport mit dem Willen anderer Menschen, die unseren Willen in ihrem Sinne und zu ihrem Gunsten manipulieren, ohne dass uns dies überhaupt noch auffällt?

Ich freue mich auf Anregungen, Gedanken, Einwände, Weitergedachtes, usw.!

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Veröffentlicht von

Geboren 1967 in Emsdetten/Westfalen. Diplom kath. Theologie 1993, Psychologie 1997, beides an der Universität in Bonn. Nach einem Jahr am Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung (1997-98) bin ich seit Oktober 1998 klinischer Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn. Ich wurde an der Universität Bielefeld promoviert (2004) und habe mich 2015 an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert (Venia legendi für das Fach Neuropsychologie). Klinisch bin ich seit vielen Jahren für den kinderneuropsychologischen Bereich unserer Klinik zuständig; mit erwachsenen Patientinnen und Patienten, die von einer schwerbehandelbaren Epilepsie oder von psychogenen nichtepileptischen Anfällen betroffen sind, führe ich häufig Gespräche zur Krankheitsbewältigung. Meine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen klinische Neuropsychologie (z.B. postoperativer kognitiver Outcome nach Epilepsiechirurgie im Kindesalter) und Verhaltensmedizin (z.B. Depression bei Epilepsie, Anfallsdokumentation). Ich habe mich immer wieder intensiv mit den philosophischen und theologischen Implikationen der modernen Hirnforschung beschäftigt (vgl. mein früheres Blog WIRKLICHKEIT Theologie & Hirnforschung), eine Thematik, die auch heute noch stark in meine Lehrveranstaltungen sowie meine öffentliche Vortragstätigkeit einfließt.

87 Kommentare

  1. Der Wille

    oder das Wollen ist das, was nach einer Tat oder eine Folge von Taten zu dieser Tat oder zu dieser Folge von Taten festgestellt wird.

    D.h. der Wille ist eine Art Hilfsgröße.

    MFG
    Dr. W

  2. Wille ist der Reflexion zugänglich

    Als Wille wird nur etwas bezeichnet, worüber man reflektieren und sprechen kann. Also etwa: “Warum willst Du das?” oder “Ich möchte aufhören zu Rauchen, aber mein Wille ist zu schwach”. Der Antrieb der hinter diesem bereits ins Bewusstsein hinaufgehoben Bestreben steckt, ist naturgemäss weniger klarer Genese, weniger einer rationalen Durchleuchtung zugänglich als der bereits kristallisierte Wille. Es gibt Leute, die alles begründen können. Doch das sind wohl nur gute Rationalisierer und überzeugende Verbalisierer auch von Dingen, die unklare Konturen haben.

    Warum gibt es überhaupt einen Willen? Für das psychische Wohlbefinden scheint das Bewusstsein, einem Willen zu folgen, wichtig zu sein. Nur wer einem Willen folgt ist ein bewusster Gestalter, also jemand der die Welt bewusst formt, dessen Handlungen nicht nur physische Spuren hinterlassen sondern eine Geschichte begründen, an die man sich gern erinnert. Ich weiss von mehreren Politikern, die als Motiviation für ihren Beruf angaben, in der Politik könnten sie gestalten. Für die Gestalteten, die wie Lehm Geformten dagegen tönt das weniger attraktiv. Gestalten können hat etwas mit Macht zu tun und Macht bedeutet mindestens, dass man seinen Willen durchsetzen kann.

    Immerhin bleibt dem Ohnmächten noch, dass er seinen Willen kundtun kann. Auch wenn dieser nicht gehört wird.

  3. Psychotherapie

    Ein Phobiker kann sich tatsächlich willentlich wünschen seine Phobie zu überwinden, aber willentlich kann er negative Emotionen in angstbesetzten Situationen eben nicht beeinflußen. Das hat wiederum Einfluß auf sein konkretes Verhalten. Man könnte ihm dann vorwerfen er wölle ja gar nicht, aber eigentlich kann er es eben nicht..

  4. @Holzherr

    Sind Sie sicher? Man spricht doch durchaus von einem unbewussten Willen … Wir sind im Willen oft sehr ambivalent – der erklärte bewusste Wille ist dann meist wohl der sozial verträglichere, aber das muss keinesfalls der eigentliche, sprich: verhaltenswirksame Wille sein.

  5. @all

    Man könnte sogar argumentieren, dass der Wille ausschließlich bei einer Ambivalenz verschiedener, miteinander unverträglicher Verhaltensoptionen ins Spiel kommt. Zum Beispiel beim Luft anhalten: Ich will nicht atmen, ich will sehr wohl atmen. (Beim normalen Atmen würde ich dagegen kaum sagen, dass ich atmen will.)

    Dem Willen ist die Überwindung eines Widerstandes durch andere Verhaltenstendenzen zugunsten einer bestimmten Alternative (gewählt oder nicht gewählt!) zu eigen.

  6. @Hoppe: Unbewusster Wille ist verdrängt

    Wille will Kontrolle ausüben, will steuern, und wird gerade deshalb bewusst, weil es oft auch ohne Kontrolle ginge. Zum Versuch zu kontrollieren und zu steuern gehört die Bewusstwerdung. Wenn man vom unbewussten Willen spricht, meint man meist den verborgenen, nicht geäusserten Willen. Einen Willen, den man hat, aber nicht realisieren kann – z.B. aus sozialen Gründen.

  7. Qualia-Problem

    Ist das Wollen etwas grundsätzlich Neues, eine Kraft, oder ist der (freie) Wille einfach das Quale, das dem Handeln auf die gleiche Art zugeordnet ist wie die Empfindung “lecker” dem guten Essen?
    Ist die Beeinflussung des Willens etwas anderes als die Beeinflussung einer Wahrnehmung durch Priming?

  8. Der Wille

    , der ja eine Art Zielbestimmtheit voraussetzt, ist realiter so nicht gegeben. U.a. daran leidet jener Diskurs über den ‘freien Willen’.

    In den Wirtschaftswissenschaften behilft man sich dann auch mit den Präferenzen, so können Individuen oder Gruppen Präferenzmodelle zugeordnet werden.
    Der eine oder andere ‘zieht’ eben ‘vor’, gibt bestimmte Muster sein Verhalten betreffend.
    So zu argumentieren trifft es besser.

    MFG
    Dr. W

  9. Wille und Selbstbild

    Der Begriff “Wille” ist zentral für unsere Kultur, die das Individuum in den Mittelpunkt stellt. Er ist nämlich verbunden mit Begriffen wie Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen, bewusstem und selbstbestimmtem Leben, Zielorientiertheit, Motivation. In diesem Menschenbild entscheidet sich das Individuum als Ausdruck seines Willens für etwas und kämpft dann dafür anstatt sich passiv in die Verhältnisse einzufügen. Vorbilder oder gar Helden sind in diesem Menschenbild Personen, die ihr Leben einem uneigennützigen Projekt widmen und jeden Tag an der Erreichung ihres Ziels arbeiten – was sehr viel Willen benötigt. Damit verbindet sich auch die Vorstellung eines bewusst gestalteten, “gewollten” Lebens, womit erst Sinn geschaffen werden und was dem Leben Intensität gebe.

  10. Empfehlung

    Ich empfehle, das hervorragende Buch “Mythos Determinismus” von Brigitte Falkenburg zu lesen.

  11. @Holzherr

    Der Begriff “Wille” ist zentral für unsere Kultur, die das Individuum in den Mittelpunkt stellt.

    Das Kulturelle und Konstruierte ist die eine Sache, bedient in diesem Fall eher den intellektuellen Feinschmecker, hilft aber nicht i.p. Erkenntnis den Willen oder das Wollen betreffend.

    MFG
    Dr. W (der um diese Nachricht sozusagen abzurunden vom Lesen des o.g. Buchs abrät)

  12. @ HF Qualia-Problem 13.03.2013, 18:20

    Zitat:
    Ist das Wollen etwas grundsätzlich Neues, eine Kraft, oder ist der (freie) Wille einfach das Quale, das dem Handeln auf die gleiche Art zugeordnet ist wie die Empfindung “lecker” dem guten Essen?
    Ist die Beeinflussung des Willens etwas anderes als die Beeinflussung einer Wahrnehmung durch Priming?

    -> Das Priming beeinflusst nicht die Wahrnehmung, sondern nur die Vision/Version davon im Bewusstsein. Die Wahrnehmung durch die dazu nötigen Sinne ist eigendlich erst einmal gleich.

    Die Rekonstruktion dieser Wahrnehmungen im Bewusstein werden durch das Priming beeinflusst.
    An dieser Problematik entscheidet sich chon die “Freiheit” dessen, was wir Willen nennen und uns zusschreiben. Denn, welcherart “Willen” sei es denn, wenn wir gar nicht unabhängig von externen Einflüssen und deren Priming einen Sachverhalt einordnen und erfassen können?
    Aber das Problem besteht ja in allen Lebensbereichen und Phasen. Erziehung ist eine solche Situation – zumindest spätestens dann, als es um die antiautoritäre Erziehung ginge.

    Und sogesehen entsteht ein Wille also auch nur (in der Folge der Systematik der Erziehung / Vormachen und Vergegenwärtigen) … kann nur entstehen, wenn ein Priming irgendeiner Art vorrangegangen ist. Ansonsten ist eine Vision um eine Thematik gar nicht möglich – oder it erheblich von sogenannten “niedere” Instinkten und Triebstrukturen geleitet – die aber auch wieder eine Mindestpräsenz an Vision davon erfordern.

    Ein Wille ist also tendenzeil nur dann existent, wenn eine konstistente Vorgeschichte zur Bildung einer Vision bestanden hat (und vom Willenträger wahrgenommen wurde).

    Andere Vision:

    Ein Mensch, der seinen Willen zu sehr priorität einräumt, wird in der Psychiatrie als psychotisch/neurotisch eingestuft und seine Willenbildung als unfrei und fehlerhaft erklärt.

    Umgekehrt (wenn im Individuum wenig/kein “eigener” Wille erkannt wird) ist keine offensive Maßnahme systematisch auf der Tagesordnung.
    Weniger Wille bedeutet also höhere Akzeptanz.

  13. Ich bin überrascht, hier solche Bearbeitung des (freien) Willens zu lesen.
    wie kommts?

  14. Rückfrage Hypnose

    zu “Wie gelingt es dem Hypnotiseur, ganz normale Menschen “gegen ihren Willen” zu einem ungewöhnlichen Verhalten zu verführen”
    Ich kannte es bisher nur so, daß auch unter Hypnose nichts erzwungen werden kann, was der Proband “tatsächlich” nicht will. Andersherum, er macht nur das, was er tun würde oder möchte, es sich aber sonst nicht “traut”.
    Ist deshalb “gegen ihren Willen” in Anführungszeichen gesetzt und wir müssen Wille und “willig” unterscheiden.
    Erst bei “bist Du nicht willig” braucht’s Gewalt.

  15. Entscheidungen

    Der Wille manifestiert sich doch nur in den Entscheidungen, die er trifft.
    Reden wir also lieber von den Entscheidungen. Die werden offensichtlich so getroffen, dass das Glück maximiert wird.
    Hier kann aber keine Wahl stattfinden, denn das Glück kennt wohl i.d.R nur ein Maximum. Also hat man höchstens die “Wahl”, seine optimale Entscheidung zu finden, was aber eher eine Messung oder eine Suche ist.
    Mal eine andere Frage, wenn ich darf: Warum gibt es bewusste Intentionen überhaupt, wenn sie doch nichts bewirken? Sie treten doch eigentlich nur zusammen mit Sprache auf…

  16. Gefühlter Autopilot

    Das Experiment scheint mir für die eigentlichen Fragen wenig aussagekräftig – denn dort ‘will’ das Bewusstsein ja beides, die Bewegung des Fingers und die Vorstellung seiner Ruhe. Dort verwirklicht sich also eher das, was wir als bewussten Willen bezeichnen.

    Wille selbst scheint mir nur eine (notwendige) menschliche Konstruktion zu sein. Während die Kraft, die uns antreibt, ein Autopilot sein dürfte, aus dem Bewusstsein emergiert – so wie man bewusste Erlebnisse zu Tagebucheinträgen verdichtet. Und dieser Autopilot dürfte ursprünglich von Bedürfnissen und Gefühlen abstammen – was uns erhält und gefällt wird eher wiederholt, als was uns missfällt.

    Das Bewusstsein (und mit ihm der Wille) können wohl nicht direkt zurückwirken, sondern nur vermittels der über sie erzeugten Gefühle. Gedanken und Handlungen anderer Menschen uns nur bewegen, wenn wir zu ihnen in einer Beziehung stehen – ob nun negativer oder positiver Art. Was wir nicht verstehen, wozu wir also keine Gefühle entwickeln können, das bewegt uns nicht.

    Der Psychotherapeut oder der Hypnotiseur dürften also irgendwo gefühlsmäßig am historisch entwickelten Autopiloten anknüpfen. Aber sie können das oft direkter als der Betroffene, denn der kennt nur seinen rationalen Willen, seine Rationalisierung der Welt. Die vielfältigen oft widersprüchlichen Gefühle kann er nur nach länger Übung an sich wahrnehmen = in seine Rationalisierung integrieren. Geübte Therapeuten hingegen nehmen diese nicht nur intuitiv wahr, sondern reagieren auch intuitiv auf deutlich mehr Details – sie haben ja auch die ganze Bandbreite der Gefühle vor ihren Augen und nicht nur das Bewusstsein zur Informationsverarbeitung.

    Kurz: Das Netzwerk der Gefühle kann der Fühlende selbst wohl nicht spontan überlisten, während es von Dritten manipuliert werden kann; umso leichter, umso direkter der Zugang zur Gefühlsebene ist (Stichwort Frauen). Die eigenen Instruktionen (Intentionen, Gedanken etc.) aber sind auch nicht erfolglos – sie können das Netzwerk der Gefühle langfristig formen.

  17. @alle

    @Holzherr: “Wille will Kontrolle ausüben, will steuern, und wird gerade deshalb bewusst, weil es oft auch ohne Kontrolle ginge.”

    Finde ich unlogisch. Im Gegenteil, die meisten Handlungen werden erst dann so richtig gut, wenn sie in hohem Maße automatisiert – sprich: der willentlichen Kontrolle entzogen – ablaufen (z.B. Klavier spielen).

    Überhaupt ist eine wichtige Methode, das zu tun, was man wirklich will, seinen Willen zu delegieren. Beim Sport etwa bewähren sich Timer: 3 Minunten lang Kniebeugen und nicht eher aufhören, bis das Ding piept. Ich gebe meinen Willen an den Timer ab – damit ich tue, was ich wirklich will (und nicht zwischendurch wegen Unlust u.ä. abbreche).

    @HF: Wille als verhaltensbegleitendes Quale

    Nette Idee, müsste man mal ventilieren …

    @Dr. Webbaer: “Der eine oder andere ‘zieht’ eben ‘vor’, gibt bestimmte Muster sein Verhalten betreffend.”

    Also ist der Willensdiskurs im Grunde ein subjektiver, “mentalistischer” Diskurs, der zu nichts führt, weil er zu uneindeutig bleibt. Die Beschreibung des faktischen Verhaltens von außen und evtl. erkennbarer Verhaltenstendenzen kommt dagegen zu greifbaren Ergebnissen.

    @Martin Holzherr: “Der Begriff “Wille” ist zentral für unsere Kultur, die das Individuum in den Mittelpunkt stellt.”

    das Subjekt – und den subjektiv angelegten Diskurs einschließlich des Appels an das Subjekt, es möge seinen Willen bitteschön betätigen.

    “Vorbilder oder gar Helden sind in diesem Menschenbild Personen, die ihr Leben einem uneigennützigen Projekt widmen und jeden Tag an der Erreichung ihres Ziels arbeiten – was sehr viel Willen benötigt.”

    Das ist die subjektivistische Deutung des Phänomens “Held” – aber wie sähe dessen Lebensgeschichte aus einer objektiven Perspektive aus, ohne Rekurs auf seinen “übermenschlichen Willen”. Meinen Sie nicht, dass sich so ein CV sehr wohl aus den Randbedingungen rekonstruieren lässt? So manch einer ist nur deswegen zielstrebig, weil ihm nichts anderes einfällt …

    “Damit verbindet sich auch die Vorstellung eines bewusst gestalteten, “gewollten” Lebens, womit erst Sinn geschaffen werden und was dem Leben Intensität gebe.”

    Die Last dem Leben Sinn zu geben, liegt also in der Person – die sich dieses Leben und den Ort, wo es lebt, nicht ausgesucht hat. Das ist vielleicht etwas zu einfach gedacht, oder? Die Wirkmacht des Willens könnte eben eine gesellschaftlich opportune Illusion sein, die unterm Strich entpolitisierend wirkt.

    @Ralf: “Ich empfehle, das hervorragende Buch “Mythos Determinismus” von Brigitte Falkenburg zu lesen.”

    Warum? Schieben Sie mal einige Häppchen herüber!

    @chris: “… Wille … Priming … Vision … “niedere” Instinkte und Triebstrukturen”

    Dem Willen wäre also ein intentionaler Anteil zu eigen, eine “Vision”, eine “Zielstellung”. Das Was des Willens wäre ein Ziel, das erreicht werden soll. Zum Beispiel die Befriedigung eines Triebs oder eines “höheren” Bedürfnisses? Der Wille baut sozusagen eine Ist-Soll-Spannung auf, indem er in der Vorstellung die Erfülltheit des Bedürfnisses antizipiert?

    “Ein Mensch, der seinen Willen zu sehr priorität einräumt, wird in der Psychiatrie als psychotisch/neurotisch eingestuft und seine Willenbildung als unfrei und fehlerhaft erklärt.”

    Sie meinen: ein zu sehr “triebgesteuerter” Mensch? Oder fehlt hier die Fähigkeit zu einem inneren, handlungswirksamen Diskurs über Wollen und Sollen/Nichtsollen?

    “Ich bin überrascht, hier solche Bearbeitung des (freien) Willens zu lesen.
    wie kommts?”

    Der stark erkenntnistheoretisch bzw. metaphysisch angelegte bisherige Diskurs hier auf dem Blog “Wirklichkeit” verkennt die Dimension des Wollens – und bleibt daher theoretisch; praktische Aspekte bleiben unberücksichtigt. Theologisch gesprochen ist Gott die absolute und notwendige Einheit von Sein (das ist zur Genüge behandelt), Wollen und Tun (= actus purus). Diese Einheit erfahren wir ansatzweise in den seltenen Momenten, wo wir ganz in das Jetzt eintreten und ganz von dem “absorbiert” werden, was wir gerade tun und/oder denken, also völlig darin “aufgehen”. Der Normalfall scheint dagegen zu sein: Wir wollen nicht die sein, die wir sind, wir wollen etwas anderes, als das was wir wirklich tun, usw. …

    @Herr Senf: “Ich kannte es bisher nur so, daß auch unter Hypnose nichts erzwungen werden kann, was der Proband “tatsächlich” nicht will. Andersherum, er macht nur das, was er tun würde oder möchte, es sich aber sonst nicht “traut”.”

    Tja, das stimmt schon irgendwie. Aber wenn Sie mal auf Youtube nach “hypnosis show” suchen, werden Sie sich schon sehr wundern, was die Leute “eigentlich” wollen (es sich aber normalerweise nicht auszuleben trauen). – Nein, ich glaube, das wollen sie so nicht, und das hypnotische Ritual verführt sie zu diesen Handlungen, setzt ihren Willen so gesehen außer Kraft – bzw. verdeutlicht nur, dass dieser Wille schon immer illusionär und wirkungslos war und dass diese Illusion vielleicht sogar diejenigen äußeren Kräfte verdeckt, die unser Verhalten eigentlich steuern, indem sie den Autopiloten kontrollieren.

    @Torsten Eckern: “Reden wir also lieber von den Entscheidungen. Die werden offensichtlich so getroffen, dass das Glück maximiert wird.”

    Na ja, das hat ja verschiedene zeitliche Dimensionen, das Glück. Kurzfristig macht einen Schokolade glücklich, langfristig stört der Schwabbelbauch bei verschiedenen beglückenden Tätigkeiten …

    “Mal eine andere Frage, wenn ich darf: Warum gibt es bewusste Intentionen überhaupt, wenn sie doch nichts bewirken? Sie treten doch eigentlich nur zusammen mit Sprache auf…”

    Guter Punkt. Hier ein neuer Input: Für William James ist Wille dasselbe wie Aufmerksamkeit! Die Aufmerksamkeit auf einem handlungsbezogenen Gedanken halten können, heißt willensstark sein. Das Gegenteil des starken Willens ist Zerstreuung, die Unfähigkeit sich auf eine Sache zu konzentrieren.

    Allerdings legt mein kleines Experiment nahe, dass es nicht um “Gedanken” geht, sondern darum die ursprüngliche Absicht eine Etage tiefer – und irgendwie ungreifbar – aufrecht zu erhalten, auch gegen gegenteilige gedankliche Einflüsse.

    @Noït Atiga: “Das Experiment scheint mir für die eigentlichen Fragen wenig aussagekräftig – denn dort ‘will’ das Bewusstsein ja beides, die Bewegung des Fingers und die Vorstellung seiner Ruhe. Dort verwirklicht sich also eher das, was wir als bewussten Willen bezeichnen.”

    Richtig, aber der *INhalt* der Gedanken ist ein anderer und daher erscheint mir die eigentlich wirksame Ebene, die mir auch bewusst ist und die das Verhalten tatsächlich in meinem Sinne kontrolliert, irgendwie ungreifbarer, weniger zugänglich und teilweise meinem Zugriff entzogen. In bestimmten Dingen kann ich gedanklich “schreien”, wie ich will – das Verhalten läuft einfach so ab, wie immer, meist in unbemerkten Augenblicken (sh. oben William James).

    “Wille selbst scheint mir nur eine (notwendige) menschliche Konstruktion zu sein.”

    Im Grunde wären wir also dann am “willensstärksten” und wohl auch am “authentischsten”, wenn wir dem Autopiloten ungestört das Ruder überlassen würden und keine innerpsychischen Konflikte herauf beschwören, die nur Intereferenz auslösen (z.B. Wollen vs. Sollen). Die leidenschaftliche Existenz …

    “Der Psychotherapeut oder der Hypnotiseur dürften also irgendwo gefühlsmäßig am historisch entwickelten Autopiloten anknüpfen.”

    .. und der Klient lässt es geschehen – er könnte es nicht selbst, er braucht die Außenperspektive/-ansteuerung, aber diese muss er freiwillig auf sich einwirken lassen. Er überlässt sich der Führung durch sein Gegenüber – und kommt dadurch in völlig neue Gefilde seines Verhaltens- und Erlebensrepertoires. Das gilt wohl auch für andere situationen der (angenehmen) Verführung. Aber dieses Anknüpfen – in der Hypnose spricht man von “Rapport” – ist eine äußerst delikate Angelegenheit: ein einziges “Nein”, einmal Widerstand provoziert – und die Sache ist schon fast verloren … Ein feiner Faden, der sanft auf Spannung gehalten wird und mit dem man den anderen zu sich hinüber zieht … Der Klient will auch nicht einfach selbst in die Richtung laufen, sondern er will gezogen werden (ebenso die Angebetete). Wir betreten hier die Wunderwelt der psychischen Dissoziation, der Trance!

  18. @Hoppe

    Also ist der Willensdiskurs im Grunde ein subjektiver, “mentalistischer” Diskurs, der zu nichts führt, weil er zu uneindeutig bleibt. Die Beschreibung des faktischen Verhaltens von außen und evtl. erkennbarer Verhaltenstendenzen kommt dagegen zu greifbaren Ergebnissen.

    Zum ersten Satz: korrekt.
    Zum Folgenden:
    Und das macht man eben [1] mit Modellen wie denjenigen, die -möglichst begründet- eine Präferenz unterstellen.

    MFG
    Dr. W

    [1] wenn ein allgemeiner Nutzen entstehen soll, klar, bspw. Geschichtswissenschaftler oder Rechtspfleger versuchen eine Art von Wahrheitsfindung (die aus systemischer Sicht gerne versucht werden darf, aber nicht den Kern (des “Willens”) berührt)

  19. @all: conclusio

    Das mündet in die paradoxe Frage:

    Kann ich willentlich bestimmen, von wem oder was ich meinen ursprünglich handlungswirksamen Willen (eine Etage tiefer als meine Gedanken) bestimmen lasse?

    Mir scheint, wenn man diese Frage verneint, steht es schlecht um unsere Freiheit und Autonomie …

  20. zur Frage

    Kann ich willentlich bestimmen, von wem oder was ich meinen ursprünglich handlungswirksamen Willen (eine Etage tiefer als meine Gedanken) bestimmen lasse?

    Mir scheint, wenn man diese Frage verneint, steht es schlecht um unsere Freiheit und Autonomie …

    Die erste Frage verneinend würde der Schreiber dieser Zeilen darin die Bestätigung der Freiheit als (günstiges) politisches Konstrukt sehen wollen.
    Weil es eben keine Eigengesetzlichkeit gibt, die (in zeitgenössischen Systemen) oktruyiert werden kann.

    MFG
    Dr. W

  21. Ontologische Fragen sind unfruchtbar

    Wenn dieser Beitrag wieder auf die Frage herausläuft

    “Kann ich willentlich bestimmen, von wem oder was ich meinen ursprünglich handlungswirksamen Willen (eine Etage tiefer als meine Gedanken) bestimmen lasse?

    Mir scheint, wenn man diese Frage verneint, steht es schlecht um unsere Freiheit und Autonomie”

    dann muss man sich wirklich fragen ob gewisse Menschen und Berufsgruppen unter Zwangsstörungen leiden und zum Durchkauen der immer gleichen Fragen verdammt sind.

    Das Bild von Sysiphos, der trotz Vergeblichkeit, den Stein immer wieder den Berg heraufstemmt, drängt sich hier auf. Diejenigen, die etwas positiver eingestellt sind, werden den Spruch von Heraklit bereit haben:
    “Man kann nie zweimal in den gleichen Fluss steigen”. Doch auf den ersten Blick ist es eben wieder der gleiche Fluss.

    Fussnote: Mit ontologischen Fragen habe ich die Frage nach dem ontologischen Determinismus gemeint.

  22. @Holzherr

    Sich erkenntnissubjektunabhängig auf die Gegebenheiten oder die Welt selbst zu beziehen, wird hier wohl -verschlüsselt in Willenshandlungen- nicht versucht worden sein, oder?

    Geben Sie bitte ein Zeichen, falls doch.

    MFG
    Dr. W

  23. @Holzherr: Logik statt Ontologie

    Die Formulierung der Frage nach der (Willens-)Freiheit erfolgt hier aber logisch, nicht ontologisch: Macht es logisch Sinn von der willentlichen Bestimmung des eigenen Willens, von Selbst-Bestimmung (Bestimmender und Bestimmter sind identisch), oder vom Wollen des Wollens zu sprechen?

    Jenseits der Ontologie und Logik interessiert mich hier eigentlich mehr Eure persönliche Erfahrung: Kann man sein Verhalten ändern, indem man sein Wollen von neuen Faktoren bestimmen lässt?

  24. Wollen und so

    Kann man sein Verhalten ändern, indem man sein Wollen von neuen Faktoren bestimmen lässt?

    Ja, das geht. Zudem gilt: Konsequenz ist keine Tugend.

    Zufriedenheit entsteht bekanntlich im Vergleich, dasselbe gilt für das Wollen oder die Zielsetzung.

    Nehmen Sie ein gedankenexperimentell erstelltes Kind, dass sich eine Carrera-Bahn (sofern es sowas noch gibt) wünscht. Bieten Sie ihm eine Carrera-Bahn höherer Ausbaustufe an und ziehen dann das Angebot zurück.

    Was passiert? A: Jenau! – Das Kind wird unzufrieden, wenn es das einstmals anvisierte Ziel, den einstigen Wunsch erfüllt bekommt, aber eben nicht das quälenderweise für unsere gedankenexperimentellen Zwecke in Aussicht Gestellte.

    MFG
    Dr. W (der btw die Logik, also die Sprachlichkeit, hier nicht berührt sieht)

  25. Glaubens- und Bewußtseinsschwäche

    “… der willentlichen Kontrolle entzogen – ablaufen (z.B. Klavier spielen).”

    🙂 empfehle dir mit Savants zu sprechen, bzw. ihnen zuzusehen.

    Der Wille ist in dieser Realität des geistigen Stillstandes seit der “Vertreibung aus dem Paradies eine Illusion. Erst wenn Mensch, also alle, das Schicksal / die Vorsehung der “göttlichen Sicherung” überwindet, also vom “Individualbewußtsein” zum geistig-heilenden Selbst- und Massenbewußtsein, mit allen daraus menschenwürdig resultierenden Konsequenzen und Möglichkeiten, wird der Wille wirklich-wahrhaftig und frei / im “Ebenbild” sein. Es ist schon alles da, wir müssen es nur wollen! 😉

  26. @Christian Hoppe

    Im Grunde wären wir also dann am “willensstärksten” und wohl auch am “authentischsten”, wenn wir dem Autopiloten ungestört das Ruder überlassen würden und keine innerpsychischen Konflikte herauf beschwören, die nur Intereferenz auslösen (z.B. Wollen vs. Sollen).

    Am authentischsten sicher. Denn wenn wir mit allen Fasern unseres Körpers im Einklang sind, dann realisiert sich ursprüngliches Glück.

    Willensstark nicht unbedingt, denn Willen würde ich eher mit dem Kondensat aus vermittels Autopiloten gewonnenen Erfahrungen gleichsetzen. Aber dieses rationale Kondensat wird beim reinen Laufen unter Autopilot nur (vorübergehend) ausgeschaltet oder zurückgedrängt. Willensstark meint dann eher, dass die Differenz zwischen Autopiloten und Kondensat nicht zu groß wird, also die innerpsychischen Konflikte nicht zu bedeutend.

    Den meisten Menschen gelingt das wohl auch darum, weil automatische Erfahrungen und gesellschaftliche Rationalisierung nicht allzu weit voneinander entfernt sind. Unterschiede gibt es immer, aber die müssen in der Rückwirkungsschleife aufgearbeitet werden, also Gefühl und Ratio koordiniert – und sei es mit falschen Rationalisierungen. Problematisch wird es, sobald diese Differnz zu groß wird – dann kommt es zu psychischen Problemen bis hin zur Schizophrenie, weil eben die Kapazität nicht mehr oder akut nicht zur Koordinierung von gefühltem Autopiloten und dessen rationalem Kondensat reicht.

    Aber die innerpsychischen Konflikte sind ihrerseits notwendig für die Entwicklung des Autopiloten, nur so kann sich das Individuum (selbst)gestaltend an wechselnde Umwelten anpassen – und das ist das eigentlich Menschliche, unsere Fähigkeit aus Ratio wieder Gefühl werden zu lassen.

    [D]aher erscheint mir die eigentlich wirksame Ebene, die mir auch bewusst ist und die das Verhalten tatsächlich in meinem Sinne kontrolliert, irgendwie ungreifbarer, weniger zugänglich und teilweise meinem Zugriff entzogen.

    Mir daher auch – aber ich glaube nicht, dass das Bewusstsein kontrolliert. Es gibt eher Impulse, die vom Autopiloten angenommen werden müssen. Darum gelingt die Kontrolle den Willensstarken entsprechend besser – ihre Dissonanz zwischen Autopiloten und Ratio ist ja geringer und ersterer kann daher besser auf letzeren reagieren. (Wobei die Willensstärke durchaus auch auf Alternativlosigkeit beruhen kann.)

    Was die Gedanken angeht, so werden die wohl nur wenig für die Verhaltens-Ebene relevant – denn sie senden ja gerade keine absichtlichen Signale an den aktiven Teil des Autopiloten, sondern nur an den repräsentierenden.

    .. und der Klient lässt es geschehen – er könnte es nicht selbst, er braucht die Außenperspektive/-ansteuerung, aber diese muss er freiwillig auf sich einwirken lassen.

    Mit dem freiwillig bin ich nicht ganz sicher. Vielmehr glaube ich, dass die Anknüpfung gerade beim Klienten durchaus auch sehr unfreiwillig sein kann – etwa bei paradoxen Interventionen. Viel wichtiger scheint mir, dass sein Wille (= die bewusste Repräsentation) das eigentliche Ziel der Intervention nicht soweit zu durchschauen vermag, dass er selbst dem Autopiloten wirksamere gegenläufige Anweisungen geben kann. Dazu muss er aber meist sehr willensstark im klassischen Sinne sein, denn nur diejeinge Ratio, die ihren Autopiloten umfassender als der Therapeut verstanden hat, dürfte überhaupt eine Chance haben. Sonst düfte immer der Autopilot reagieren – wenn auch nicht zwingend in der vom Therapeuten gewünschten Form.

    Bei der Hypnose scheint mir das etwas anders, denn dort wird die eigene Ratio mehr oder weniger von der fremden Ratio ersetzt. Die ‘Ansteuerung’ ist also rational und muss damit auf empfängliche Autopiloten treffen – was die eigene Ratio aber effektiv verhindern kann, wenn sie denn sich wieder melden kann (etwa im Widerstand).

    Kann man sein Verhalten ändern, indem man sein Wollen von neuen Faktoren bestimmen lässt?

    Ja – aber nur wenn diese Faktoren von Gefühlen begleitet sind. Und auch dann nur langfristig oder durch sehr starke Gefühle.

  27. Wille, Freiheit, Macht

    Freiheit bedeutet seinem Willen nachkommen können ist also zu einem grossen Teil Handlungsfreiheit. Seinen Willen realisieren können zeugt auch von gewisser Macht. Falls man selber Handlungen ausführen muss um seinen Willen zu realisieren ist es Macht über einen selber (andernfalls gilt man als willsensschwach); sonst ist es Macht über die anderen, die nun das tun müssen, was man selber will. Eine andere Bezeichnung für Macht die man durch die Realisierung des Willens ausübt ist eben diejenige der Kontrolle. Kontrolle bedeutet nicht, dass man zu jedem Zeitpunkt alles kontrollieren will. Flow-Momente, wo man beispielsweise mit dem Klavier verschmnilzt oder als Jogger in ein Runner’s High kommt sind gefühls- und erlebnismässig viel lohnender/belohnender als die Erfüllung des eigenen Willens. Doch der Wille spielt auch bei diesen beglückenden Tätigkeiten im Hintergrund eine Rolle. Nichts empfindet der Pianist quälender als das Gefühl er müsse Klavier spielen, weil er sonst ohne die zugehörigen Einkünfte die nächste Miete nicht zahlen könne. Dann stellt sich das Gefühl des Müssens ein, des Gezwungen-Seins, wo etwas gegen den Willen läuft.

    Sein Wollen von neuen Faktoren bestimmen lassen kann man, wenn man etwas Grundsätzlicheres will. Denn nicht alle Bestrebungen haben die gleiche Priorität. Wenn ein Mann unbedingt mit einer Frau zusammenleben will, nimmt er aucht etwas in Kauf dafür. Er stellt seine Wünsche und seine Handlungsfreiheit in gewissen Bereichen zur Disposition, solange er das grössere Ziel erreichen kann. Erkennt der Mann beipielsweise, dass seine Frau immer wieder das Gespräch sucht und über Gefühle sprechen will, ihm selbst das aber zuwider ist, so wird er einen Weg suchen sich selbst zu ändern, sich so zu beeinflussen, dass er das Gleiche was seine Frau will ebenfalls will. Dazu muss er sich selbst manipulieren und hin und wieder gelingt ihm das und er will schliesslich was der andere (die andere) will.

  28. @Holzherr

    Erkennt der Mann beipielsweise, dass seine Frau immer wieder das Gespräch sucht und über Gefühle sprechen will, ihm selbst das aber zuwider ist, so wird er einen Weg suchen sich selbst zu ändern, sich so zu beeinflussen, dass er das Gleiche was seine Frau will ebenfalls will.

    Das sind ja Sätze wie aus Stein gemeißelt.

    Ansonsten: Sie scheinen hier ‘Freiheit’ mit ‘Glück’ zu verwechseln. Glück bedeutet aber nicht (primär) das zu tun, was man mag, sondern das zu mögen, was man tut; Freiheit ist etwas anderes.

    MFG
    Dr. W (der sich nun ausklinkt)

  29. Wille ist kein einheitlicher Begriff

    Ich denke “Wille” als Terminus muss weiter gesplittet werden, da ja klar ist, dass wir nicht nur einen Willen haben.

    Nehmen wir an, jemand ist unzufrieden mit seinem Beruf. Die Psyche strebt nach Kontinuität und so entsteht der Wunsch so lange im Beruf zu bleiben, wie es geht. Doch andererseits gibt es vernünftige Gründe für einen Berufswechsel. Hier entsteht aus einem tieferliegenden psychischen Muster ein “Wille” nach Bestandserhalt. Doch auch die Raionalität formt einen Willen: Veränderung. Hier streben zwei “Willen” gegeneinander. Beides kann man durchaus als “Wille” bezeichnen, wenn sie bewusst geworden sind.
    (So wie bei dem Fingerexperiment auch)

    Bisher kann man die meisten Kommentare mit “Wille ist eine nachträgliche Konstruktion zum Wohlbefinden” zusammenfassen.
    Doch Wille als Folge der Rationalität birgt die Möglichkeit Datenautobahnen des Gehirns umzuformen. Vorausgesetzt der bewusste Wille wird trainier und schlägt sich neurologisch nieder.

  30. Das Finger-Beispiel

    Nach dem, was ich möglicherweise nicht verstehe, ist, wenn Sie vorgeben, man solle mit dem Finger auf den Tisch Tippen, als experiment, dann ist doch die zugrunde liegende Volition hier klar der Wille, dieser Aufforderung nachzukommen bzw. das Ergebnis des Experiments zu beobachten. Wenn ich nur in meiner Vorstellung und nicht mit meinem Willen den Finger anhalte, passiert genauso wenig, wie wenn ich in meiner Vorstellung den Bus nehme, statt mich tatsächlich zur Bushaltestelle bewegen zu wollen. Man kann ja viel sagen, aber der Wille dahinter, den Finger nicht anzuhalten, ist doch in diesem Experiment allein deshalb gegeben, weil die Vorgabe, den Finger tatsächlich anzuhalten, nicht gemacht wurde, sondern lediglich, sich vorzustellen, er würde anhalten. Vorstellung und Wille sind daher verschiedene Dinge. Ausdrückliche Gedanken führen se sind, da stimme ich zu, noch nicht zur Willensbildung. Zu der Frage, warum wir zur Schokolade greifen, obwohl wir nicht hungrig sind, würde ich viel mehr das Kapitel zu unerwünschten Gewohnheiten in Dan Arielys Buch “Denken hilft zwar, nützt aber nichts” empfehlen und vermuten, dass es auch mit Konditionierung und/oder der Unterbewussten Erwartung von anderen Effekten zu tun hat – das würde ich auch auf die Verführung von Männern beziehen. Zumindest halte ich Schokolade essen, wie auch Treppensteigen, für eine Art Gewohnheitsbildung, die durch Wiederholen mit positiven Reizen entstanden ist, wie bei der Konditionierung. Das nimmt dem Bewusstsein viele entscheidungen ab, wenn es nach Möglichkeit ins Unterbewusste ausgelagert werden kann. Freunde von mir haben es mit Hypnotherapie versucht, aber nur aus Spaß und Tollerei, um zu sehen, ob es auch gelänge, wenn man sich eigentlich nicht hypnotisieren lassen will. Bei ihnen hat es nicht funktioniert. Man muss den Willen haben, sich auf das Experiment Hypnose einzulassen, schätze ich. Wenn man den menschlichen Charakter als Freuds Einheit aus Ich, Über-Ich und Es betrachtet und davon ausgeht, dass bei alltäglichen Entscheidungen alle Drei etwas zur Entscheidungsfindung beisteuern, wobei die Partei mit den schlagkräftigsten ‘Argumenten’ entscheidet, wäre das mit der Hypnose dadurch erklärbar, dass Hypnose zumindest das Über-Ich lahm legt. Aber ich bin kein Psychologe. Diese Sichtweise ist möglicherweise längst vom Tisch.

  31. @Hoppe

    “Kann man sein Verhalten ändern, indem man sein Wollen von neuen Faktoren bestimmen lässt?”

    Man kann, wenn man sich auf die “neuen Faktoren” einlassen kann. Dabei wird es einem aber klarer was schief läuft in dieser Welt- und “Werteordnung”, was somit mehr Erfahrung / Erkenntnis von Leid, Bewußtseinsbetäubung und Ohnmacht / Bewußtseinsschwäche des “Einzelnen” zur Folge hat – das WILL der Mensch dieser Welt- und “Werteordnung” aber meist NICHT, denn der Kraftaufwand kann allein enorm sein!

    Aber deine Frage beinhaltet bezüglich der “neuen Faktoren” wohl auch wieder nur die Funktionalität / “Vernunft” in Systemrationalität?

  32. @Horst

    Nein, mir schwebt ein andere Gedanke vor. Der Glaube beinhaltet, sich von einer erkannten Möglichkeit bestimmen zu lassen; jeder glaubt. Im christlichen Glauben ist die erkannte Möglichkeit die geschwisterliche Existenz, Liebe. — Der Glaube setzt aber dann voraus, dass wir unseren Willen von gewählten Faktoren bestimmen lassen können, sodass er uns (gewohnheitsmäßig) zu dem bestimmt, was wir in diesem Glauben sein und tun wollen.

    Ich glaube nicht, dass dieser Glaube System stabilisierend wirkt oder dass er zweckrational wäre, ehrlich gesagt …

  33. Die Bedingungen für eine gelingende Hypnose sind leider ganz andere, als in Reichweite eines “Willens” zur Hypnose des zu hypnotisierenden. Mutmaßlich geht hier ein Einfluß des Zielobjektes nur umgelehrt; nämlich mit Willen dazu, sich nicht hypnotisieren zu lassen.

    Die Hypnotisierungen, welche populär bekannt sind, sind öffentlichkeitswirksame Shows. Viel Tamtam um wenig besondere Technik, die auch noch nur wenige Menschen tatsächlich bewusst effektiv anwenden können.
    Was nicht heisst, dass es eine auf Shows begrenzte Technik sei, die da möglich macht, was keiner an sich selbst im Alltag wünschte. Aber da haben wir gar keine Zeit, um hier willendlich gegen funktional gleichwertigen einfluß auf uns abzuwehren. DieseZeitnot ist bedingt durch die begrenzte Bandbreite unserer Aufmerksamkeit und unserer Willenskraft. Die Aufmerksamkeit ist also Bedingung für einen Willen. Ohne sie wird es keinen Willen im Kontext der Situation geben, weil der Situationskontext gar nicht in unser Bewusstsein gelangt ist.
    Aber unsere Aufmerksamkeitsbandbeite ist eben beschränkt. Da hilft auch viel Übung wenig, wenn nicht das Individuum schon von klein an darauf konditioniert wird. Dann aber ist er zu nichts anderem mehr zugebrauchen, als für “Aufmerksamkeit” und bewusste Wahrnehmungsbandbreite.

    Die Dialoge hier sind leider sehr naiv und zeugen von erheblich begrenztem Denken und Visionen von Realität. Aber das soll kein Vorwurf sein, denn das ist ja statistisch keine Besonderheit. Und evolutionär bedingt – und kulturell und zivilisatorisch auch notwendig. Wir sind notwendigerweise alle stark durchs Leben in Kultur und Ideologie geprimend/voreingestellt. Und diese Vorinstellung zwingt uns bestimmte Visionen von realität zu denken. Anders ist unsere heutge Lebenssituation nicht denkbar. So gesehen ist selbst der Dümmste noch hochspezialisiert und also Blind für reale Tatsachen ausserhalb der Kultur-Ideologien. Hier sind Deutungshoheiten das Brett vorm Kopf und unüberwindbare Grenze zur Erkenntis über grundlegende Realitäten abseits der ideolgischen Thesen und Konstrukte.

    Den “freien” Willen gibt es nur in einer eingebildeten Vision in unserem ebenso eingebildeten Bewusstsein. Über die Gründe dafür wurde schon öfter in den Kommentaren zu entsprechenden Beiträgen berichtet. Aber das ist kein Grund sich dem Thema anzunehmen und “liebgewordene” Weltbilder zu ersetzen, die ich durch keinerlei Beweise gestützt werden – aber reichlich Lücken unbesprochen lassen und unplausibel die Welt beschreiben.
    In solchen Auseinandersetzungen mit dem Thema wird ich ausschliesslich selbst beweihräuchert und gelobt, weil man ja doch irgendwo frei sei oder den Drang dazu verspürt.
    Es gibt jedoch ausschliesslich Freiheitsgrade, die niemals 100 % erreichen können und schon gar nicht für immer und auch immer ansteigend seien. Man kann hierfür in der Relativitätstheorie Intentionen für eine Verhältnismäßigkeit und deren Kontraounkte finden. Unterm Strich steht: es ist alles relativ zum jeweils anderen in einem Verhältnis. Wie man nie (immer) der schnellste an der Ampel (oder bei der Tour de France) sein kann, so ist man nie der freieste unter “uns” – oder überhaupt vollkommen frei. Und so ist es auchmit unserem Willen – geschweige denn schon mit unseren Gedanken. Die sollen ja “frei” sein, sagt ein “schönes” Sprichwort. Was aber meint es damit? Frei zu denken? Oder frei wahrzunehmen? Freisei auch etwas, dass für alle zugänglich sei – freeware sozusagen. Freie Ware. Und wenn etwas derart “frei” sei, dass es andere sogar wahrnehmen können, wie kann dann ein Wille frei sein, wenn diese Wahrnehmungen uns logischer weise beeinflussen? Es sind Wahrnehmungen, die uns nichtals solche erscheinen. Aber sie sind da – und das möglicherweise strukturel zwingend, sonst wir auf der Stelle tot umfallen würden.

  34. @Andreas

    Ok, das finde ich jetzt sehr klar. Das bringt uns deutlich weiter als die Weltbilder, die wir Ihrer Ansicht nach alle als Brett vor dem Kopf tragen. — Ich könnte jetzt nicht genau wiedergeben, was Sie zu sagen versuchen, aber Sie haben sicher Recht. Wenn Sie das meinen.

  35. Funktion des Willen

    Ich vermute, wir handeln im Alltag, in Situationen, die besondere, körperliche Koordination verlangen und in der Regel mit dem Autopiloten. Das Bewusstsein diente vermutlich ursprünglich vor allem der langfristigen Reflektion über zukünftige Tätigkeiten, z.B. Vorsorge für den Winter zu treffen. Wer viele Alltagssituationen automatisieren kann, hat wiederum mehr Kapazität für bewusste Reflektionen. Weil unser Ich nicht den Eindruck haben soll, das es denkt, während ein “anderer” unseren Körper lenkt, haben wir in der Regel nicht den Eindruck von Dissonanz zwischen “Wollen” und “Tun”. Muss man den Willen deswegen als Illusion bezeichnen? Ich denke nicht, es ist jedenfalls nicht mehr eine Illusion wie die Farbe Rot oder blau, die wir wahrnehmen. Es ist ja unsere Person, die handelt, keine andere, das Bewusstsein hat nur nicht zu allen “Dateien” und Ebenen des Denkens einen freien Zugang. Es kommt vor, dass bei Träumenden die Verbindung zum Körper nicht unterbrochen ist bzw. aufgenommen wird und diese Menschen dann schlafwandeln. Das Bewusstsein ist vielleicht wie der Chef einer großen Firma, der nicht alles erfährt, nicht alles entscheidet und ab und zu die Weichen für die Zukunft stellen kann und dabei das großartige Gefühl, der wichtigste im Laden zu sein.

  36. @ Paul Stefan

    Zitat:

    “Das Bewusstsein diente vermutlich ursprünglich vor allem der langfristigen Reflektion über zukünftige Tätigkeiten, z.B. Vorsorge für den Winter zu treffen.,,,”

    -> Dann müsste aber das Bewusstsein vom Breitengrad abhängig sein…!? Vielleicht…

    Diese angedeutete Reflektion funktioniert natürlich auch in die Vergangenheit. Das Prinzip ist das Selbe. Mit der Vergangenheitsreflektion wird es jedenfalls begonnen haben und mit der Übung darin die Möglichkeit der Zukunftsplanung.

    Das Chefbeispiel ist gelungen. Es beschreibt gut die Wahrnehmungssituation.

    Und weiter nähmen wir an, der Chef ist unangefochten und hat nicht viel zu tun – eigendlich nichts. Dann hat er Zeit in einem besonderen Überfluß. Er hat die Möglichkeit, sich in der Zeit (die frei von Pflichten sei) treiben zu lassen. Dabei kommen sonderbare Situationen und Erfahrungen herraus, die ein “vollbeschäftigter” nicht wahrnimmt. In dieser “Freizeitsituation” bestehen keine Verbindlichkeiten, keine Termine, keine zwingenden sozialen Interaktionen und auch sonst keine Bindungen.
    Er tut einfach, was ihm gerade in den Sinn kommt.
    Dabei kommt das zum Vorschein, wovon einer redet, wenn er sagt, es gäbe keinen “freien” Willen. Das Individuum hat dabei genug Zeit und Bandbreite, sein Verhalten nahezu in Echtzeit zu reflektieren. Mit ein wenig Übung darin kommt man auf völlig unbekannte (weil bisher nicht wahrgenommene) Begebenheiten.

    Der “Wille” ist ja keine Illusion, sondern dessen Freiheit – also die Individualität und Selbstbestimmtheit.

  37. Wollen, Bewusstsein, Individualität

    Der “Wille” ist ja keine Illusion, sondern dessen Freiheit – also die Individualität und Selbstbestimmtheit.

    Der individuelle Wille ist erst einmal ein Konstrukt mit dem es sich prima arbeiten lässt, der ‘freie’ Wille ist ein Konstrukt über das sich prima philosophieren und sogar Geld verdienen lässt.

    Im wirtschaftlichen Betrieb nennt man diesen Willen dann Präferenz, unterstellt den wirtschaftlich Handelnden Voreinstellungen.

    Das Bewusstsein, also das sich darüber im Klaren sein, dass existiert wird, dass aus sich heraus hingestellt oder dargestellt wird, dient wohl dem Selbsterhalt. Eine Katze hat anzunehmenderweise Bewusstsein. Kollektivistische Lebensformen benötigen kein Bewusstsein.
    Aber auch diesen kann ein Wille unterstellt werden.

    Aber warum sich der Schreiber dieser Zeilen noch einmal meldet: So, wie der hiesige Inhaltegeber bekannt ist, trägt er anzunehmenderweise bei seinem Experiment bzw. dessen Schilderung einige Hintergedanken, die er nun -mit einigem zeitlichen Versatz- gebeten ist zu erläutern, sofern es sich lohnt.

    MFG
    Dr. W

  38. @ Dr. W

    Bei der Betrachtung bitte völlig auf die explizite wahrnehmung von wirtschaftlichen/kaufmännischen Inhalten verzichten / übersehen. Relevant sind nur Wahrnehmung, Bewusstwerdung und eigene (und die Anderer) Reaktion in der jeweiligen Interaktion.

    Mein Hintergedanke sei, das Unmögliche zu versuchen (Beobachter dritter Ordnung zu sein)und dabei seine Wahrnehmungen zu beschreiben.

    Solche “Experimente” lohnen sich zuweilen immer mal aufs Neue.
    Es könnte sein, dass festgestellt wird, dass Menschen miteinander interagieren, ohne zu Kommunizieren und ohne wenigstens einseitig Kenntnis vom anderen zu haben (über die 5 Standartsinne).
    Das würde bedeuten, dass schon bei Anwesenheit einer Person ohne weitere Wahrnehmung derselben aller anderen, alle anderen davon beeinflusst werden. Das Individuum hat keine Kenntnis von Anwesenheit anderer Personen, empfindet und verhält sich aber unwissendlich wegen der Anwesenheit anders.

    Eine etwas andere Situation, aber der Systematik angemessen vergleichbar: Das Kaffeekassen-Phänomen. Wenn ein bild eines Gesichts über eine Kaffeekasse hängt, wird verlässlich mehr in die Kasse eingezahlt.
    Die Situationen sind dahingehend gleich, dass einmal eine Anwesenheit suggeriert wird (durch das Bild) und andererseits eine Anwesenheit besteht, aber keine Kenntnis davon besteht. Eine Reaktion auf die Tatsachen erfolgt jedoch trotzdem (in etwa) gleich.

  39. Zu beachten sei, dass dieses Experiment snderbarerweise nicht bei allen Menschen die in Aussicht gestellte Wirkung hat – und möglicherweise sogar auch von einer sogenannten “Tagesform” der Beteiligten abhängt.
    Möglicherweise ist in der sich darin befindlichen Systematik auch die Bedingungen für den Freiheitsgrad von Willen, Entscheidung und Souveränität zu vermuten.

    Es gibt auch andere Begebenheiten, welche einen Einfluß existent sein lassen.
    Etwa ein Gefühl/Empfindung im Rücken spüren und es damit begründen, dass einem selbst jemand in den Rücken schaut.

    Solche phänomenale Wahrnehmungen haben nichts mehr mit den Informationsdarbietung für die 5 Standartsinne zu tun. Nicht Sehen, nicht Hören, nicht (er)Tasten, nicht Schmecken, nicht Riechen. Die Empfindung ist eine Art Halluzination – stellt aber eine Reaktion auf Wahrneung anderer dar.

  40. Anmerkungen

    @ Dr. Webbaer:

    Das Präferenzmodell halte ich für ein reduktionistisches Konstrukt, mit dem es sich prima Geld verdienen lässt. Selbstverständlich dient das Bewusstsein (auch eines eigenes Willen) zum Selbsterhalt, aber auch diese Erklärung ist wenig spezifisch.
    Spezifisch für den Menschen ist es, über Vergangenheit und Zukunft zu reflektieren. Dass heißt, er konnte wahrscheinlich aus seinen Erfahrungen der Vergangenheit in größerem Maße lernen, als Tiere mit eingeschränktem oder keinem Bewußtsein.
    Damit konnte sich der Mensch am Besten auf zukünftige Situationen vorbereiten.

    @ Chris: Ja, das Winterbeispiel ist gefährlich. Unwirtlich gewordene Lebensbedingungen können aber die Ausprägung geistiger Anlagen vorangetrieben haben. Die plastische hardware Gehirn entwickelt sich mit ihrem Gebrauch.
    Ein Vergleich von Vorstellungen über den “Willen” bei verschiedenen Kulturen könnte, helfen, den Spielraum und Geltungsbereich dieses Konzeptes zu klären. In individualistischen Kulturen tritt der Wille des Einzelnen natürlich stärker hervor als in “kollektivistischen” Kulturen, wo zum Selbsterhalt des Einzelnen auf das Gruppeinteresse nicht verzichtet werden kann.

  41. @chris, @Paul Stefan: Chefbeispiel

    Das Chefbeispiel ist wirklich gelungen. Nicht nur kann der Chef nicht alles wissen und entscheiden. Sondern er weiß auch nur aus gewissen (Mitarbeiter)Perspektiven – es kommt auf die Güte des Unternehmens an, wie gut diese Chef-Perspektive mit der ‘Wirklichkeit’ übereinstimmt. Und wo der Chef entscheidet, hängt es von den Einstellungen der Mitarbeiter ab, ob und wie sie diese Entscheidung verstehen und umsetzen. Das umso mehr, als der Chef im Kopf keine Möglichkeit zur Entlassung hat und auch Zwangsmittel recht eingeschränkt verfügbar sein dürften. Da bleibt dann wohl nur der intensive Dialog zur besseren gegenseitigen Abstimmung…

  42. Einwände

    Du freust dich über Einwände, schriebst du, dann also einmal meine Meinung, warum ich denke, dass dieses Gedankenexperiment nicht zum Ziel führt:

    Kurz: Dein Finger bewegt sich, während Du Dein gesamtes Bewusstsein mit der gegenteiligen Vorstellung anfüllst, er möge das lassen. … Obwohl ich den Finger *bewusst* nicht bewegen, sondern in Ruhe halten will, empfinde ich seine fortgesetzte Bewegung nicht als unkontrolliert oder dissoziiert …

    Amina B. hat hier ja schon zum Unterschied zwischen Wille und Vorstellung geschrieben; dieser Kritik schließe ich mich an.

    Ferner denke ich, dass noch aus jeweils mindestens einem weiteren psychologischen und philosophischen Grund das angestrebte Beweisziel nicht erreicht wird:

    Erstens ist der psychische Prozess später nicht mehr derselbe wie der am Anfang willentlich initiierte. Durch die vielen Wiederholungen kommt es zu einer Automatisierung, für die tatsächlich kein Bewusstsein und auch kein “bewusster Wille” mehr erforderlich ist.

    Ähnliches haben wir beim Erlernen des Autofahrens erlebt – mit einiger Übung geht alles Kuppeln, Schalten, Lenken usw. wie von alleine. Sprich: Selbst wenn wir am Ende ohne bewussten Willen den Finger bewegen, war er am Anfang allem Anschein nach eben doch wichtig.

    Nichts deutet darauf hin, dass es nicht doch einen Kontrollprozess gäbe. Es bräuchte wahrscheinlich nur etwas Unerwartetes passieren – sagen wir, eine Ameise krabbelt unter den Finger – und schon sind wir wieder mit vollem Bewusstsein beim Finger.

    Zweitens, selbst wenn das Fingerbeispiel zum Beweisziel führen würde, wäre es doch ziemlich verfrüht, von so einer Willens-Illusion auf umfassende Willensentschlüsse zu schließen. Auch unser Wahrnehmungsapparat täuscht uns manchmal; dennoch zweifelt kaum jemand daran – und am wenigsten evolutionäre Erkenntnistheoretiker –, dass er allgemein zuverlässig funktioniert. Per Analogie gilt dieser Einwand dann auch für Willens-Täuschungen.

  43. @all

    Danke für die vielen Beiträge, die übers Wochenende reingekommen sind.

    @Stephan, @Amina B. – Eure Kritik ist ja genau der Inhalt meines Posts: Wille und Vorstellung sind verschieden. Was aber ist dann der Wille, wenn er nicht zu einer Vorstellung wird? Inwiefern kann der Wille “bewusst” genannt werden, wenn er sich nicht in Form eines Gedankens oder Vorstellungsbildes ausdrückt? Zumindest das, *was* wir wollen, muss doch ein Vorstellungsinhalt, ein Gedanke sein! Der Zugriff auf unsere Vorstellungsinhalte scheint viel einfacher zu sein als der Zugriff auf das, was wir Wille nennen und was das Verhalten am Ende tatsächlich steuert.

    Möglicherweise ist es deswegen so schwierig, den Willen selbst zu steuern, weil er eben nicht ohne Weiteres über bewusste Gedanken und Vorstellungsbilder erreichbar ist. Oder weil bewusste Vetos im Tageslauf einfach die Ausnahme bleiben – normalerweise liegt alles in den Händen des Autopiloten.

    [Die philosophische Frage der Willensfreiheit fragt nicht nach empirischen Fällen eines freien Willens, sondern nach dessen prinzipieller Denkmöglichkeit. – Der Wille könnte frei sein, obwohl sich faktisch noch nie ein Mensch wirklich frei verhalten hat.]

    Die Dimension automatisch-kontrolliert (und damit Aspekte der Konditionierung etc.) dürfte tatsächlich eine sehr wichtige Rolle spielen. Die Fähigkeit zu *bewusstem* Handeln wäre dann die Fähigkeit, Routinen zu unterbrechen und dann situationsadäquatere Routinen zu etablieren; die dann wieder automatisch laufen können. Freiheit wäre dann vor allem die verhaltenswirksame Möglichkeit, dem Zwang derjenigen Routinen ausweichen zu können, die normalerweise unser Handeln wie automatisch steuern; d.h. letztlich: Freiheit ist kognitive Flexibilität.

    Das Chefbeispiel ist spannend – aber nicht neu: der Reiter auf dem Pferd oder der Steuermann auf einem Schiff sind klassische Bilder des Dualismus. Wenn das Zusammenspiel mit dem Pferd klappt, muss der Reiter fast nichts machen – alles läuft in seinem Sinne und weil er es so will.

    Innerhalb des materiellen Gehirns “Ebenen” anzunehmen, die Veto-Funktionen für untergeordnete, automatisch geregelte Systeme übernehmen können, ginge wohl an; diese “höchste physische Ebene” könnte dann auch das spezifische Korrelat unserer Bewusstseinsinhalte sein (und nur dessen Aktivität wäre bewusstseinsfähig). — Aber dem Bewusstsein als solchem diese Chef- bzw. Kontrollfunktion zuzuschreiben (wie im klassischen Bild von Pferd und Reiter, Kapitän und Schiff), wäre meines Erachtens gewagt.

    Vermutlich müsste man auch für die höchste Kontrollebene, die unseren bewussten Willen (vielleicht unser Ich) konstitutiert, wiederum annehmen, dass sie auf Basis bestimmter vorgegebener Algorithmen reguliert wird – also unter vorherbestimmten Bedingungen einschreitet oder aber die Dinge laufen lässt; die “Schwellenwerte” könnten genetisch fundiert und erlernt sein. Die möglichen “Grundtypen” der Regulierung der obersten Kontrollfunktion wären dann vielleicht das, was wir Persönlichkeit nennen (z.B. “willensschwache” Laissez-faire-Typen vs. auf Selbstwirksamkeit bedachte Kontrollfreaks).

  44. Chefbeispiel ist kein Dualismus

    Zumindest das, *was* wir wollen, muss doch ein Vorstellungsinhalt, ein Gedanke sein!

    Da bin ich nicht so sicher. Es gibt gewiss gedankliche Vorstellungen (für bewusstes Handeln), aber das dürfte wiederum nur ein kleiner Ausschnitt unserer Vorstellungen sein. Schließlich hat die Psychologie dargelegt, dass der größte Teil unserer Steuerungsmechanismen unebwusst ist – und damit auch der Vorstellungen dessen, was wir wollen.

    Das Chefbeispiel ist spannend – aber nicht neu: der Reiter auf dem Pferd oder der Steuermann auf einem Schiff sind klassische Bilder des Dualismus.

    Das Chefbeispiel ist mir kein Ausdruck von Dualismus und deutlich umfassender als Steuermann oder Reiter. Anders als letztere ist der Chef ja ein Teil der zusammenwirkenden Menschen – und er kann nicht direkt auf seine Mitarbeiter einwirken, sondern nur mit diesen kommunizieren. Ausführen müssen die Mitarbeiter selbst.
    Und diese Einwirkung ist deutlich weniger direkt als die des Reiters – der Chef kann seine Mitarbeiter nämlich allenfalls metaphorisch an die Kandarrre nehmen und auch seine Wahrnehmung ist von dem Mitarbeitern anders als beim Reiter vorgeformt. Und selbst sein Veto muss von den Mitarbeitern freiwillig akzeptiert und umgesetzt werden.

    In diesem Bild scheint es mir auch weniger problematisch, dem Bewusstsein die Kontrollfunktion zuzuschreiben. Das was wir Persönlichkeit nennen ist dann einfach der Führungs- und Organisationsstil des Unternehemens – und da kennen wir durchaus sehr verschiedene, mit je nach Umweltlage durchaus verschiendenen Vor- und Nachteilen. Unternehemen mit abgestimmter Laissez-faire-Politik sind kreativer und gerade in wandelndem Umfeld deutlich flexiber als streng kontrollierte, die aber in (wert)konstantem Umfeld geschlossener agieren und damit dominieren.

  45. @Agitation rückwärts

    Ich hatte ungenau formuliert: Zumindest das, *was* wir *bewusst* wollen, ist eine Vorstellung.

    Chef vs. Reiter/Steuermann: ja, das Bild ist etwas subtiler, aber die Grundstruktur bleibt (ein Pferd müsste z.B. auch nicht müssen, wenn es überhaupt nicht will, was der Reiter von ihm will). Reiter und Pferd bilden ebenfalls eine materielle Einheit – schwierig würde es aber, wenn man das Bewusstsein des Reiters dessen Körper und dem Pferd gegenüber stellte.

  46. @Christus anghörender Reiter: Zu einfach

    Agitation rückwärts ist deutlich zu einfach – wie Hoppe mit Hoppe-Hoppe-Reiter zu assoziieren (es kommt ja vom Hopfenbauern bzw. -händler). Zur Herkunft von Noït Atiga suche man einfach mal bei einer der entsprechenden Maschinen nach Noït, Atiga oder ATIGA. Dann werden sich deutlich nuancenreichere Verknüpfungen finden…

    Auch das Chefbeispiel wird zu einseitig analysiert. Pferd und Reiter haben jeweils überwiegend unabhängige Eindrücke vom Weg – und der Reiter hat materiellen Kontakt zum Pferd, er kann dieses also deutlich führen. Der Chef ist mit seinen Mitarbeitern keine materielle Einheit, sondern nur ein Netzwerk. Er hat fast keinen unabhängigen Eindruck vom bzw. Einfluss auf den Weg – könnte er es doch dann auch ganz selber machen (und er braucht auch heute nicht mehr nur die Muskelkraft seiner Mitarbeiter wie der Reiter die des Pferdes). Ziel eines Unternehmens ist ja gerade die wahrnehmerische und durchführerische Arbeitsteilung. Und das dürfte bei Bewusstsein und Un(ter)bewusstsein ebenso sein…

  47. @subtile Agitation rückwärts

    :o)

    Christus angehörender Reiter gefällt mir – Sie Scherzkeks!

    Ich bleibe dabei: letztlich beanspruchen Sie mit dem Chef-Bild irgendeine Form der “downward causation” vom Bewusstsein, das auf Hirnprozessen beruht (die Mitarbeiter machen sich ihren Chef!) in die Hirnprozesse – und das ist, vorsichtig formuliert, kritisch.

  48. Chef oder Reiter ?

    Ich hatte das Chefbeispiel gewählt, um dem Problem des Dualismus auszuweichen. Beim Reiterbeispiel mit zwei interagierenden Komponenten kann man von einem dualistischen Modell sprechen. Es ist zu einfach strukturiert. Der Chef einer Firma kann nicht alles wissen und muss nicht alles wissen, was “unter” ihm passiert. Er hat aber den Eindruck, an der Spitze zu stehen.

    Auf die Organisationsstruktur und die Arbeitsabläufe (Algorithmen) kommt es an, aber die können wir vermutlich allein nur durch Nachdenken nicht entschlüsseln, dazu braucht es Erkenntnisse zur Architektur des Gehirns und vor allem der Funktionsweise, die man z.B. bei Krankheiten oder bei Schädigungen studieren kann (sofern ethisch vertretbar) und wahrscheinlich auch Computermodelle, weil die Abläufe irgendwann zu kompliziert werden. Eine wichtige Rolle muss auch das Belohnungssystem spielen. In jedem Augenblick klopfen Wünsche an die Tür der “Direktorat” und ringen um Aufmerksamkeit. Nur wenige setzen sich in Handlungsabläufe um und nur einige scheinen bewusst entschieden worden zu sein.
    Ein großer, zeitlicher Horizont in Vergangenheit und Zukunft ist ebenfalls Voraussetzung für die Wahrnehmung einer Identität und damit eines “Willen”.
    Wenn das Bewusstsein einen evolutionär bedingten Zweck hat, dann muss es eigentlich eine Art Rückwirkung auf die automatisierten Prozesse geben, wie gering sie auch sein mag. Sonst wäre das Bewusstsein nur eine Art Kinobesucherin und eigentlich überflüssig.

  49. @Christian Hoppe: Was ist kritisch?

    … dass Bewusstsein auf Hirnprozessen beruht, dass Bewusstsein Hirnprozesse beeinflusst oder dass beides mehr oder weniger gleichzeitig passiert?

  50. Chefsache

    Ich finde auch, dass der Vergleich des Bewusstseins mit einem Chef dualistisch fundiert ist.

    (Paul Stefan: „Das Bewusstsein ist vielleicht wie der Chef einer großen Firma, der […] ab und zu die Weichen für die Zukunft stellen kann…“).

    Tatsächlich gibt es wohl nichts, womit wir etwas Immaterielles wie das Bewusstsein stimmig vergleichen könnten.

    Am besten gefällt mir da immer noch die Analogie zum Spielen eines Musikinstruments. Musiker und Instrument bilden eine materielle Einheit, und die beim Spielen erzeugten Töne entsprechen dem Bewusstsein.

    Bei diesem Bild besteht die Rückwirkung des Bewusstseins auf die Aktivität des Spielens eben im Gehörten, was der Musiker beim Musizieren hört, beeinflusst den weiteren Verlauf des Spiels.

  51. @Noït Atiga

    Kritisch ist, dass Bewusstsein Hirnprozesse beeinflussen soll (downward causation), insofern Bewusstsein (bisher) keine physische Entität ist und daher nicht einsehbar ist, wie so etwas auf Physiologie einwirken können sollte.

    (Ich glaube auch nicht, dass Physiologie auf das Bewusstsein einwirkt, sondern dass Bewusstsein warum auch immer notwendig gemeinsam mit bestimmten physiologischen Phänomenen in Erscheinung tritt – wie ein Regenbogen, der sich plötzlich unter bestimmten Bedingungen notwendig zeigt, wenn alles stimmt: Sonnenstand, eigene Position, Regenwand usw.)

  52. @Balanus

    Schönes Bild – Musik liefert überhaupt für so vieles im Leben die passenden Metaphern!

    Beim Musizieren entsteht eine sensomotorische Schleife und bei Ausfall des bewussten, sensorischen Teils würde sich die Musik sicher schlechter anhören, gestelzt, automatisch, mechanisch. Es gibt hier einen ständigen Abgleich von Erwartungen und tatsächlichen Höreindrücken im Bewusstsein des Musizierenden; kleinste Soll-Ist-Abweichungen werden (weitgehend automatisch) ausgeglichen/korrigiert (vgl. Intonation bei Gesang oder Geigenspiel). – Nun könnte man sich aber vorstellen, dass der akustische Input über die Ohren sensomotorisch verarbeitet wird, **ohne dass jemand Töne hört**, ohne Qualia, ohne subjektives Hörerleben; sprich: einfach als komplexer physiologischer Musterabgleich. Dieser ist faktisch aber nur möglich, wenn sich das Gehirn in einem Zustand befindet, der mit Bewusstsein einhergeht. Der zugrunde liegende Hirnzustand ist auf jeden Fall relevant für das absolute Fein-Tuning beim Musizieren – aber ist es das Bewusstsein?

    Und – um auf das Thema zurückzukommen – wo steckt hier der Wille: in der Setzung der Soll-Größe für den Regelkreis, in der Definition einer Erwartung?

  53. @Hoppe: Bewusstsein & Kausalität

    …insofern Bewusstsein (bisher) keine physische Entität ist und daher nicht einsehbar ist, wie so etwas auf Physiologie einwirken können sollte.

    Mein Wissen, dass die U-Bahn in zehn Minuten abfährt, beeinflusst meine Entscheidung, jetzt zu gehen (kausal); die Bedeutung des beleidigenden Wortes beeinflusst mein Befinden und meinen Blutdruck (kausal); die Warnung, dass der Bankencrash bevorsteht, beeinflusst die Entscheidung von Menschen, in Gold zu investieren (kausal) usw. usf.

    Das Wissen, die Bedeutung, die Warnung, all das sind keine (rein) physikalischen Entitäten, dennoch wissen wir sehr gut, wie sie (kausal) menschliches Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen und können dies auch messen. Darum ging es vor einiger Zeit in meinem Beitrag über Neurodeterminismus (Warum der Neurodeterminist irrt).

    Aber auch für den Physikalisten ist mentale Verursachung kein Problem, sofern er Bewusstseinsprozesse als physikalisch realisiert ansieht. Wieso sollten diese dann nicht auch rein physikalisch gesehen andere Bewusstseins- und Körperprozesse beeinflussen?

  54. Wille /@Christian Hoppe

    Wenn wir denn im Bild bleiben wollen: Musiker und Instrument bilden zusammen ein lebendes System, das Spielen entspräche dabei dem Verhalten des Systems. Ob dabei Töne (Bewusstseinsinhalte) entstehen, hängt vom jeweiligen Instrument (der Architektur des jeweiligen zentralen Nervensystems) ab.

    Der „Wille“ in diesem Bild wäre dann wohl das eingeborene autonome Bestreben, zu musizieren, bestimmte Stücke zu spielen (oder spielen zu wollen), letztlich um die eigene Existenz zu sichern und zu erhalten.

    Und wie gesagt, dabei ist es nicht nötig, dass Töne erzeugt werden.

  55. @Hoppe: Wille, Vorstellung, Handlung

    Laut der Überschrift geht es um die Frage, was der Wille ist; in dem Gedankenexperiment scheint es aber eher um die Frage zu gehen, ob und inwiefern der (ich möchte ergänzen: bewusste) Wille unser Verhalten steuert.

    Aus der Feststellung, dass Wille, Vorstellung und Handlung (psychologisch) voneinander dissoziiert werden können folgt aber nicht, dass unsere Vorstellungen und unser Wille nicht wenigstens manchmal ursächlich für unsere Handlungen sind.

    Tatsächlich nimmst du das ja in deinem Gedankenexperiment an, dass wir die Fingerbewegung erst einmal willentlich beginnen.

    Im Gegenteil: Könntest du Wille und Vorstellung nicht (psychologisch) voneinander dissoziieren, dann würde viel dafür sprechen, dass es sich dabei um ein und denselben Prozess handelt.

    Am Anfang deines Gedankenexperiments stimmen Wille und Vorstellung überein, dann geschieht die Handlung bewusst kontrolliert; am Ende laufen Wille und Vorstellung auseinander – man könnte sagen, dass der Wille sich jetzt laut deiner Instruktion auf die (gegenteilige) Vorstellung bezieht und nicht mehr auf die Handlung, die dann unbewusster und automatisch abläuft.

    M.E. alles kein Problem für den Willen und auch nicht für die Möglichkeit von Willensfreiheit, willentlich gesteurten Handlungen usw.

  56. @ Christian Hoppe @Balanus
    18.03.2013, 12:33

    -> Solche Fragen sind wichtig zu stellen – und also mal zu erklären, was “Bewustsein” haben überhaupt bedeutet.
    Auch angesichts der immer wieder zu lesenden und hörenden Gerüchte, es würden Tiere kein Bewusstsein haben (müssen – etwa oben wohl die Unterscheidung zwischen individualistischen Lebensweisen und Schwarmstrukturen).

    Bei einer Tätigkeit (gut auch beim Musizieren zu erschliessen) kann grob unterschieden werden von einem stark kognitiv kontrolliertem Handlungs – und Steuerungsablauf und einem gut eingeübten/automatisiertem und im extremfall gar rauschhaften Zustand des Bewustseins.
    Interessant dabei aber sei, wie die eigene Körperwahrnehmung sich dabei darstellt. Kann man hier zwischen den beiden (extrem)Beispielen Unterschiede ausmachen? Ist die stark kognitive Kontrolle von mehr Körperwahrnehmung geprägt? Oder umgekehrt?

    Und muß man sichtbar selbstbewusst sein, um hier anhand der Wahrnehmung des eigenen Körpers eine Einschätzung vornehmen zu können? Verhaltensweisen und die stereotypen Ableitungen daraus (etwa Dominanz bei Selbstbewusstsein) sind dabei nicht hilfreich. Ein schüchterner/passiver Mensch kann trotzdem eine hohe Körperwahrnehmung und “Kontrolle” zeigen.

    Ich fokussiere die Körperwahrnehmung deswegen, weil die landläufig Ursache von Wahrnehmen und Bestehen der eigenen Identität ist/sein soll. Aber vielleicht liegtman damit auch falsch.

  57. @Stefan / Bewusstsein

    Ok, das läuft auf die Frage raus, ob psychische Phänomene (Wollen, Wünschen, Wissen usw.) *vollständig* auf physische Prozesse im Gehirn reduzierbar sind – was der Physikalist tatsächlich annimmt, sodass er weder Schwierigkeiten mit der kausalen Geschlossenheit der physischen Wirklichkeit noch mit der epistemologischen Möglichkeit psychologischer Beschreibungen komplexer physischer Vorgänge (Verhalten) und Dispositionen eines Organismus (z.B. Wissen) bekommt.

    Mir scheint aber, dass Dir wichtig ist, dem Psychischen einen nichtreduzierbaren ontologischen Rest zu attestieren (wenn Du z.B. in Deinem Kommentar “Bedeutung” kursiv setzt), sodass psychologische Erklärungen nicht nur irgendwie handlicher, sondern auch zutreffender sind, da rein physikalische Erklärungen von Verhalten die eigentlich kausal wirksamen Faktoren methodenbedingt übersehen/ignorieren.

    Gebe ich da Deine Position richtig wieder?

  58. @Christian Hoppe, @Balanus: Chefsache

    Da gibt es aus meiner Sicht nur ein Missverständnis: Das Chefbeispiel hatte jedenfalls ich nicht über Beschreibungsebnen hinweg gedacht – sondern vielmehr psychologisch. Also der Chef ist das Bewusstsein und die Mitarbeiter sind Un(ter)bewusstes und die psychologisch beschriebenen Sinne.

    Darum habe ich auch das Dualismus-Problem nicht (gesehen), sowohl der Chef als auch die Mitarbeiter beruhen auf Hirnprozessen und was wir dort psychologisch beschreiben können, das passiert eigentlich in diesen Hirnprozessen. Nur dürfte das Bewusstsein lediglich ein kleiner Ausschnitt sein. Und dieser Ausschnitt dürfte mit seinen Ergebnissen auch auf die anderen Hirnprozesse rückwirken – wie es @Stephan schon schrieb.

    Und wo ist da der Wille – nun überall und nirgends. Der Wille entsteht immer wieder durch das Zusammenwirken aller Hirnprozesse, welcher Teilprozess dabei sich wie und wann durchsetzt, wird immer wieder neu verhandelt. Das Bewusstsein hat dabei nur eine direktive Funktion und wird selbst von den anderen Teilprozessen beeinflusst.

  59. @Stefan / Wille etc.

    “Am Anfang deines Gedankenexperiments stimmen Wille und Vorstellung überein, dann geschieht die Handlung bewusst kontrolliert; am Ende laufen Wille und Vorstellung auseinander – man könnte sagen, dass der Wille sich jetzt laut deiner Instruktion auf die (gegenteilige) Vorstellung bezieht und nicht mehr auf die Handlung, die dann unbewusster und automatisch abläuft.”

    Nein, so ist es nicht. Ich WILL weiterhin, dass der Finger sich bewegt, obwohl ich DENKE, dass er still stehen soll – der Finger bewegt sich ja gerade nicht GEGEN meinen Willen einfach weiter, sondern ganz im Sinne der Instruktion.

    Da mein handlungsbezogener GEDANKE dem WILLEN (und dem tatsächlichen Verhalten) zuwider laufen kann – und zwar willentlich – frage ich mich, was der bewusste WILLE denn dann eigentlich ist, da er ganz bestimmt nicht identisch ist mit Gedanken und Vorstellunge in meinem Bewusstsein.

    Deine Überlegungen greifen insofern, als dass es mir möglicherweise viel schwerer fallen würde, eine komplexe Nicht-Routine-Handlung weiterlaufen zu lassen, wenn ich mein Bewusstsein mit andersartigen oder gar entgegengesetzten Inhalten fluten würde, während dies beim automatisierten Fingertippen möglich ist. Aber auch wenn die Fingerbewegung autmoatisch abläuf, WILL ich sie …

  60. @Christian Hoppe, @Balanus: Chefsache

    Da gibt es aus meiner Sicht nur ein Missverständnis: Das Chefbeispiel hatte jedenfalls ich nicht über Beschreibungsebnen hinweg gedacht – sondern vielmehr psychologisch. Also der Chef ist das Bewusstsein und die Mitarbeiter sind Un(ter)bewusstes und die psychologisch beschriebenen Sinne.

    Darum habe ich auch das Dualismus-Problem nicht (gesehen),sowohl der Chef als auch die Mitarbeiter beruhen auf Hirnprozessen und was wir dort psychologisch beschreiben können, das passiert eigentlich in diesen Hirnprozessen. Nur dürfte das Bewusstsein lediglich ein kleiner Ausschnitt sein. Und dieser Ausschnitt dürfte mit seinen Ergebnissen auch auf die anderen Hirnprozesse rückwirken – wie es @Stephan schon schrieb.

    Und wo ist da der Wille – nun überall und nirgends. Der Wille entsteht immer wieder durch das Zusammenwirken aller Hirnprozesse, welcher Teilprozess dabei sich wie und wann durchsetzt, wird immer wieder neu verhandelt. Das Bewusstsein hat dabei nur eine direktive Funktion und wird selbst von den anderen Teilprozessen beeinflusst.

  61. @Christian: Bewusstsein und Wille

    Fakt ist, dass wir zu psychischen Prozessen über Philosophie, Psychologie, Sprache, Verhaltens- und Selbstbeobachtung Zugang haben und gerade nicht über die Physik. Daher ist alles über die vollständige Reduktion psychischer Prozesse auf physikalische Prozesse Spekulation.

    Auch Bedeutung individuieren wir gerade nicht physikalisch, sondern über Sprachregeln und Kontexte. Darüber hatte ich vor einer Weile eine Serie in meinem englischsprachigen Blog (Science and the Search for the Soul (1): Psychology, Physics, and Metaphysics).

    Das Nichtreduzierbare muss ich daher nicht attestieren oder vermuten, sondern es bei einer Faktenanalyse zumindest einstweilen feststellen, konstatieren.

    Ein Problem kriegt derjenige, der Kausalität nur physikalisch begreift, das Psychische auf das Physikalische reduzieren will oder ein spekulatives metaphysisches Prinzip wie das der kausalen physikalischen Vollständigkeit und Geschlossenheit, gepaart mit einer Annahme über die Ausschließlichkeit dieser Kausalität, der Welt annimmt (die wahrscheinlich noch nicht einmal in der gesamten Physik gilt).

    @Wille & Vorstellung:

    Wenn ich mir Vorstelle, dass sich der Finger nicht weiter bewegen soll, was bitte ist das anderes als ein Wille, dass sich der Finger nicht mehr bewegt? Es kann daher m.E. logisch gar nicht gehen, zu wollen, dass der Finger sich weiter bewegt und sich gleichzeitig vorzustellen, dass er sich nicht weiter bewegen soll.

    Da will 🙂 ich jetzt erst noch einmal etwas unabhängige Philosophie, Phänomenologie und Psychologie, mit welchen Prozessen wir es hier bei “Wille” und “Vorstellung” eigentlich zu tun haben – und zwar unabhängig von diesem Gedankenexperiment.

  62. Zitat Schleim:

    “Fakt ist, dass wir zu psychischen Prozessen über Philosophie, Psychologie, Sprache, Verhaltens- und Selbstbeobachtung Zugang haben und gerade nicht über die Physik.”

    und das auch noch:

    “Daher ist alles über die vollständige Reduktion psychischer Prozesse auf physikalische Prozesse Spekulation.”

    -> Ersteinmal will keiner Bewusstseinszustände “vollständig” auf physikalische Prozesse reduzieren – zumindest nicht auf der philosophischen Ebene.

    Aber … die physikalischen Prozesse sind (unbestritten) Ursache von Bewustseinszuständen.
    Ohne Beachtung dieser und die Herleitung von Beweggründe/Ursachen ausschliesslich auf oberflächlicher Beobachtung des Gegenstandes / des Individuums und seine Bewusstseinsinhalte sind absolut nicht ausreichend, um hier eine Realität zu beschreiben.
    Dieser “Zugang” ist keiner … kein ausreichender, so er einzig zur Auswahl der Argumente dient.
    Wir können nicht per subjektiver Beobachtung unsere Welt begründen und dabei die Physik völlig ignorieren. Das wäre gerade so, als ob wir uns einbildeten, dass es nicht regnete, obwohl tatsächlich Wasser vom Himmel tropft.
    Anders erklärt:
    Man hat früher gerne mal glaubhaft machen wollen, dass Gott im Himmel ein Schöpfer allen Seins sei und ein Mann mit Bart und mutmaßlich weisem Gewand über die Dinge auf der Welt richtet – etwa auch darüber, dass es regnet. Die Physik erklärt aber den Prozess der Kondensation und Tropfenbildung mit ganz anderer Kausalkette.

    Im Resultat würde eine Perspektive wie oben beschrieben (Zugang zum Denken und Verhalten über Philosophie, Psychologie, Sprache, Verhaltens- und Selbstbeobachtung) völlig ignorieren, dass dieser Mensch einen Körper hat, der in sich eine komplexe Funktionsstruktur auf molekularer Ebene aufweisst, die erst zur Ausbildung von Bewusstsein und Identität führt.
    Leugnete man nun all das für uns unbewusste und nicht sichtbare im Körper, leugnete man sich selbstverständlich selbst. Und darauf läuft es herraus: Seine eigene Identität und seine Grundfunktionen zu leugnen, damit man auf der Welt gefälligst keine subjektive Rolle darstellen kann.

    Aber Gefühle, Emotionen und Empfindungen sind durchaus erwünschte Bestandteile unseres Lebens. Werden diese genommen (weil man Menschen darauf konditionieren kann – oder sie neuronal manipulieren kann), dann braucht man nicht weiter über Persönlichkeit, Individualität, Identität reden – weil dazu überhaupt keine Rechte bestehen, diese Eigenschaften zu Leben – man auch nicht die Fähigkeit besitzen darf.

    Und Emotionen, Empfindungen und Gefühle sind aber leider grundlegende Bedingungen bezüglich einer Willensbildung oder Orientierung – und vor allem der Erkenntnis über seine Identität.
    Und all diese “Empfindungen” sind ursächlich auf eine mehr oder weniger gut bekannte neuronale Grundfunktion und diverse endogene Drogen zurück zu führen – schlichtweg reinste Physik und Chemie.

    Das ist der Grund, warum ich solch Aussagen, wie oben vollends für Nonsens halte. Sie ignorieren einfach, was Lebewesen antreibt und was in deren Körpern vorgeht.
    Sie erklären ausschliesslich das Denken und die Handlungen für zugänglich und verlässlich, um Aussagen darüber zu tätigen. Aber was in deren Körpern vorgeht, bestimmt, was in deren Köpfen vorgeht.
    Dabei ist es gerade umgekehrt.
    Die ganzen Disziplinen und Strategien oben sind um Faktoren subjektiver und ideologicher, als Biochemie und neurologische Funktionen im Körper eines Lebewesens es sind. Durch solche Zugangsstrategien entsteht eine erheblich ideologische Vision/Version, als durch erfahrungsgeprüfte Messwerte.
    Bei der Betrachtung über solche Strategien (Philosophie, Psychologie, Verhaltensbeobachtung) besteht ja schon das Problem, dass man selbst nicht angemessen “objektiv” die Abläufe beobachtet und durch die Versionen der Psychologie etwa selbst schon Indoktriniert ist, das man nur in einem eng begrenzten Assoziationsraum reflektiert. Dabei kann nie etwas gescheites herrauskommen, was an Realität erinnert – oder gar eine solche darstellt.
    Sisyphus lässt grüßen. Man beobachtet das falsche Ereignis und wundert sich auch nicht darüber, dass man keine schlüssigen Erkenntnisse bekommt – ja bemerkt es nicht mal.

  63. Faktencheck /@Stephan Schleim

    »Fakt ist, dass wir zu psychischen Prozessen über Philosophie, Psychologie, Sprache, Verhaltens- und Selbstbeobachtung Zugang haben und gerade nicht über die Physik.«

    Dieses Faktum wird nicht bestritten.

    »Daher ist alles über die vollständige Reduktion psychischer Prozesse auf physikalische Prozesse Spekulation.«

    Aber eine vernünftige, vernunftbasierte, sachlogisch begründete Spekulation, zu der es wohl keine (vernünftige, vernunftbasierte) Alternative gibt.

    Denn welche Erklärung sollte es dafür geben, dass ausgerechnet das menschliche Gehirn aus der ansonsten physikalisch geschlossenen Welt herausfällt?

  64. @Balanus: Faktenfaktencheck

    Aber eine vernünftige, vernunftbasierte, sachlogisch begründete Spekulation, zu der es wohl keine (vernünftige, vernunftbasierte) Alternative gibt.

    Wovon träumst du eigentlich nachts? Die Alternative steht z.B. in meinem Blog; und die ist auch vernünftig.

    Denn welche Erklärung sollte es dafür geben, dass ausgerechnet das menschliche Gehirn aus der ansonsten physikalisch geschlossenen Welt herausfällt?

    LOL, indem du einer Spekulation eine andere Spekulation hinzufügst, hast du am Ende mehr Spekulation und nicht weniger.

    Man könnte auch sagen: Spekulation * Spekulation = Spekulation^2.

    Du teilst wohl heimlich auch durch Null, wie?

  65. @Schleim / Balanus

    Phänomenologie/Psychologie/Philosophie des Willens – volle Zustimmung, Stephan: hier ist Lektüre angesagt! (zB. Duns Scotus!)

    Reduktion: Gemeint ist z.B. in Bezug auf Chemie oder Biologie, dass dort keine Phänomene angetroffen werden, die der Physik widersprechen und dass alle physikalischen Gesetzmäßigkeit auch in der Chemie und in der Biologie ihre Geltung behalten (z.B. Energieerhaltungssatz). Reduzierbarkeit ist eine Grundannahme, die m.E. die naturwissenschaftliche Denkform begründet.

    Die Frage ist nun, ob das auch für die Psychologie und die psychischen Phänomene gilt – was die meisten im Feld Tätigen heute annehmen, gerade auch mit Blick auf das Organ, das für das Zustandekommen psychischer Phänomene von entscheidender Bedeutung zu sein scheint.

    Ich verstehe also unter “Reduzierbarkeit” hier, dass in der Psychologie keine Gesetzmäßigkeiten oder Entitäten auftreten, die mit Physik unvereinbar (physikalisch unmöglich) wären, und dass weiterhin alle Gesetzmäßigkeiten der Physik gelten (z.B. der Energieerhaltungssatz).

    Die Entdeckung paranormaler Phänomene (psi) wäre der Falsifikationsfall – denn dann gäbe es reinen, immateriellen Geist, der mit physischen Systemen wechselwirkt. Dualisten sollten einfach psi demonstrieren, dann hat die Diskussion ein Ende – ansonsten bleiben wir bei der starken Vermutung der Einheit der Natur.

    Die Einheit alles Beobachtbaren und die notwendige Verschiedenheit sinnvoller, jedoch untereinander konsistenter Beschreibungen unterschiedlichster Phänomene in dieser einen Wirklichkeit, welche wir als komplexe Beobachter (je nach Skalierung) wahrnehmen können (z.B. physisch, chemisch, biologisch, psychologisch usw.) – in diese Richtung denkt m.E. Naturwissenschaft.

  66. @Christian: Was heißt “Reduktion”

    Eben schnell – schließlich kommen morgen die ersten Gäste meiner Neurophilosophie-Tagung – eine kurze Antwort:

    Du schreibst Reduktion aber meinst meines Erachtens mehr eine Art von Kompatibilität: In der Psychologie können wir nichts finden, was beispielsweise der Physik widerspricht.

    Wir können annehmen, dass überall bestimmte Naturkräfte gelten, die wir dann in Gesetzesform gießen. Was folgt aber z.B. aus dem Energieerhaltungssatz für die Psychologie? Wieso sollte die Physik ausschließen, dass es irgendwo anders (z.B. in der Biologie, Chemie, …) bestimmte Naturkräfte gibt, die eben keine physikalischen Kräfte und in diesem Sinne genuin neue Naturkräfte sind?

    Um einen Gegeneinwand zu antizipieren: Klar müssen wir in einem Fall von mentaler Verursachung (z.B. mein Wunsch, Tee zu trinken und die Bewegung meiner Hand zur Tasse) annehmen, dass Energie ausgetauscht wird und die Bilanz null ist. Das heißt aber nicht, dass dieser Vorgang mit dem Energieaustausch identisch wäre; der Energieaustausch ist bloß ein Korrelat. Es gibt unendliche Formen von Energieaustausch aber nur eine bestimmte und kleine Untergruppe davon sind Handlungen, die Tasse zu ergreifen, um daraus Tee zu trinken.

    Das war ja der Witz meiner Serie über Reduktionismus. Der theoretische Physiker Sean Carrol selbst nannte in einem Vortrag ein Beispiel einer chemischen Reaktion, die unumkehrbar sei, obwohl die zugrunde liegenden physikalischen Gesetze alle umkehrbar seien.

    Wie sollten wir meinen, die Psychologie sei auf die Physik reduzierbar, wenn es schon nicht die Chemie oder Biologie sind? Wir brauchen keine Reduktion. Compatibility is all we need.

    Jetzt muss ich erst mal meinen Tee trinken.

  67. @Schleim: Fingerbewegung

    Das Beispiel mit dem Finger ist wohl ungünstig gewählt um die dahinter stehende Problematik zu verdeutlichen.
    Nehmen wir daher ein anderes Beispiel: Autofahren.
    Man kann stundenlang mit dem Auto herum fahren und sich dabei vorstellen, nicht Auto zu fahren.

  68. @Stephan

    Aber die Vorstellung, dass es eine nichtphysische “psychische Kraft” gibt(z.B. Willenskraft oder einen immateriellen mentalen Agenten oder ein immaterielles “Bewusstsein” mit downward causation), die mit einem physischen System (z.B. Deinen Muskeln im Arm) interagieren können, wäre z.B. mit dem Energieerhaltungssatz der Physik gerade nicht KOMPATIBEL, während eine irreversible Reaktion in der Chemie physikalisch unerwartet sein mag, aber den Gesetzen der Physik nicht widerspricht (also damit kompatibel ist).

    Ich hatte “Reduktion” nie phänomenal verstanden (das wäre ja auch methodologisch witzlos), sondern in Bezug auf die geltenden Gesetzmäßigkeiten und auch in Bezug auf die Objekte, die es gibt. Die Physik hat bisher von der Existenz physisch wirksamer immaterieller Seelen keine Kenntnis erhalten; eine Psychologie die auf derartige Seelen rekurriert, wäre mit der [heutigen] Physik nicht kompatibel).

    Viel Erfolg bei Eurer Tagung und – ich freue mich auf Deinen Bericht auf “Menschenbilder”!

  69. Mir ist unklar, warum man paranormale Phänomene und die “Einheit der Natur” – also naturgesetzliche Begebenheiten und Vorgänge unterscheidet?

    Sollte es tatsächlich eine Begebenheit und Vorgang geben, der derzeit mit “paranormales Phänomen” beschrieben wird, dann gilt folgendes:

    Dieses Phänomen ist kein paranormales, sondern naturgesetzlich beschreibbar. Denn alles, was auf der Welt wahrnehmbar ist, ist an seine Bedingungen gebunden.

    Diese Bedingungen aber lassen sich derzeit nur nicht hinreichend beschreiben, weil dazu die “Physik” noch nicht entwickelt genug ist. Es fehlt schlichtweg noch das KnowHow.

    Mit Paranormal, Übernatürlich, Phänomenal .. usw werden Unverstandene Begebenheiten in eine sogenannte “Schublade” abgelegt (und gebranntmarkt), deren Bedingungen man nicht versteht und diese also nicht ins derzeitige Weltbild und Erkenntnishorizont einfügen lassen.

    Das ist mit der Genetik derzeit auch noch so (genetich bedingt zu x %) – wo man schnell dabei sei, es für “erblich” zu erklären, weil gerade keine andere Version über Ursächlichkeiten plausibel greifbar sei. Andernorts nennt man solches auch “Vorurteil”. Wie der “landläufige” Rassist, der aus seinen dörflichen Horizont von rassischen Eigenschaften spricht und zuschreibt, aber gleichwohl solchen nie begegnet ist. Die Eigenschaft wäre im vergleich die Schublade. Ich empfehle bei seinen Leisten zu bleiben und über die/das zu urteilen, deren Existenz in seiner Wahrnehmbarkeit liegt. Erkenntnishorizonte lassen sich nicht überlisten.

    Was hat nun wieder der Dualist mit PSI zutun? Ich habe da wieder nicht aufgepasst, sorry. Aber es ist damit zu rechnen, dass es Phänomene tatsächlich gibt, die derzeit noch “paranormal” oder “übernatürlich” geschimpft werden.
    Ist der “Geist” immateriel? Wie auch immer. Unabhängig von Materie ist der Geist nicht – und zwar jeder Geist in diesem Sinne. Wenn man so wollte, sei ja schon der “Geist”, über den jede/r sagt, er/sie hätte welchen, schon ein “übernatürliches” Phänomen. Das aber würde niemand so verstehen und erklären – und schon gar nicht so urteilen, dass dieser subjektiv in jedem wohnende “Geist” übernatürlich sei. Er ist eben jeden Tag da, wenn man aufwacht – und es scheint so, als ob er auch im Schlaf vorhanden ist (Traumerinnerungen).

    Nicht viel anders sähe es aus, wenn man diesen “Geist” als etwas von mir selbst unabhängiges, aber trotzdem präsentes erkennen wollte. Also einen solchen “großen Geist”, wie ihn viele Naturreligionen konstruiert haben. Daran anknüpfend fällt mir sofort ein, dass es auch den Vorwurf des “Kleingeistes” gibt. In Abgrenzung und leichter Assoziation möge man nun den großen Geist als bestehend aus vielen kleinen Geistern verstehen/denken. Dieses Konstrukt wäre systematisch (und logisch) widerspruchsfrei – bis auf die Tatsache, das unbekannt ist, wie die verbindung konstruiert ist und zustande kommt. Wo sich wieder der Kreis schliesst: Die Naturwissenschaften haben bezüglich noch ein Defizit an Erkenntnis.

    Zitat Hoppe:

    “Die Frage ist nun, ob das auch für die Psychologie und die psychischen Phänomene gilt …?”

    -> Diese naturwissenschaftliche Methode ist auf solche Disziplinen nicht ohne Aufmerksamkeit anzuwenden. Psychologie ist nur deswegen eine Wissenschaft, weil man andere Versionen nicht verfügbar hat oder für brauchbar hält. Psychologie ist bestrebt (wie alle anderen Wissenschaften) strukturierte Verhältnisse zu entwickeln (wo andere Disziplinen von “entdecken” sprechen), aber sie beobachtet aus einer Position, die dazu nicht geeignet ist. Der “Psychologe” ist notwendigerweise selbst ein Subjekt, welches sich nicht unabhängig denken und verhalten kann. Und da nützt es auch nichts, dass die Disziplin eine Systematik verbindlich verfügbar macht. Auch diese Systematik ist aus der Subjektive Konstruiert worden.

    Logisch nachvollziehbar sollte es auch für die Psychologie und die psychischen Phänomene gelten. Aber derart Konsistent ist died erzeitige Erkenntnisversion (noch) nicht. Es fehlt noch an Überprüfbarkeitsmöglichkeiten ausserhalb der Statistik. Das wäre dann etwa die biochemische und physikalische Methode und Systematik, die derzeit noch in den Kinderschuhen steckt.

    Wenn der Schleim hier den Energieerhaltungssatz und psychologische Phänomene verbinden will, muß man aber auch feststellen, dass die Psychologie seit langer zeit schon absolut unabhängig von Naturgesetzlichkeiten ihre Vision von Realität “entwickelt” hat. Und aus dieser “Ferne” kommt man schnell zur Erkenntnis, das der Energieerhaltungssatz mit psychischen Phänomenen (Bewusstsein) allerhöchstens entfernt einen Einfluß ausübt. Aber das wäre ja schon mal ein guter Anfang. Landläufig aber operiert der Psychologe absolut gar nicht mit solch physikalischen Naturgesetzlichkeiten. Die Disziplin reduziert ihre Funktion auf direkte Reiz-Reaktions-Formeln auf der makroskopischen Ebene und ignoriert damit vorsätzlich bedingende mikrosopische Vorgänge. Im Sinne der Zielsetzung mag man das machen dürfen und können, denn die Statistik gibt weitgehend Rechtfertigung – dabei wird aber mit absoluter Sicherheit nichts weiter zum verständnis des Organismus der Lebewesen beigetragen. Und da haperts leider noch ordentlich.

    Zitat Hoppe:

    “Die Physik hat bisher von der Existenz physisch wirksamer immaterieller Seelen keine Kenntnis erhalten; eine Psychologie die auf derartige Seelen rekurriert, wäre mit der [heutigen] Physik nicht kompatibel).”

    -> q.e.d.

    Die Einschränkung [heutigen] (Physik) benötigte [keine] eckigen Klammern. Denn auf diesen besonderen Zusammenhang mit der Zeit kommt es eben an. Das die “heutige” Physik ihren Erkenntnishorizont vor aller Psychologie (und Neurologie) positioniert hat, ist uns allen leicht erkenntlich. Im Grunde braucht die Physik hier keine Erkenntnis über Psychologie – denn das müsste Neurologie leisten. Und Psychologie ist hierbei völlig außen vor (nachrangig), da sie eh eine besondere Perspektive hat (das eine Subjekt erklärt das andere Subjekt zum Subjekt…und konstruiert dadurch Objektivität! vollumfänglich Selbstreferenziel). Sie ist also eindeutig soetwas, welches man ” weiche” Wissenschaft nennen muß. Böse Zungen sprechen auf von der Psychologie als Nachfolger der Theologie (im weitesten Sinne).

  70. Träumereien /@Stephan Schleim

    »Wovon träumst du eigentlich nachts?«

    Im Rahmen der Diskussion hier müsste die Frage eigentlich lauten, womit ich nachts eigentlich träume, bzw. wo und wie Träume generiert werden…

    In einer Antwort an Christian Hoppe schreibst Du:

    »Wie sollten wir meinen, die Psychologie sei auf die Physik reduzierbar, wenn es schon nicht die Chemie oder Biologie sind?«

    Das klingt, als ob es hier um wissenschaftliche Fächer ginge. Aber darum geht es gerade nicht.

    Es geht vielmehr um naturgesetzliche Zusammenhänge, die eigentlich in allen Fächern gelten sollten. Du fragst:

    »Wieso sollte die Physik ausschließen, dass es irgendwo anders (z.B. in der Biologie, Chemie, …) bestimmte Naturkräfte gibt, die eben keine physikalischen Kräfte und in diesem Sinne genuin neue Naturkräfte sind?«

    Wie sollte die Physik „Naturkräfte“ ausschließen können, die physikalisch gar nicht erfassbar sind? Und wie könnten Kräfte, die nicht physikalisch sind, mit den physischen Dingen wechselwirken?

    Ist es das, was Du mit „vernünftigen“ Spekulationen über die Gesetzmäßigkeiten in der Welt meinst?

    Viel Erfolg mit der Neurophilosophie-Tagung.

    (Wie stark ist unter Neurophilosophen eigentlich die Vorstellung verbreitet, dass es einen Mechanismus für die mentale Verursachung von Hirnprozessen geben könne, oder dass so etwas vernünftigerweise nicht auszuschließen sei? Werden in der Neurophilosophie solche Mechanismen überhaupt noch ernsthaft diskutiert?)

  71. @Balanus (@Schleim)

    @Schleim: »Wieso sollte die Physik ausschließen, dass es irgendwo anders (z.B. in der Biologie, Chemie, …) bestimmte Naturkräfte gibt, die eben keine physikalischen Kräfte und in diesem Sinne genuin neue Naturkräfte sind?«
    Dazu @Balanus: Wie sollte die Physik „Naturkräfte“ ausschließen können, die physikalisch gar nicht erfassbar sind? Und wie könnten Kräfte, die nicht physikalisch sind, mit den physischen Dingen wechselwirken?

    Mir scheint, dass @Balanus hier die richtige Fragen stellt, Stefan. Dass **logisch** nicht auszuschließen und es somit **denkbar** ist, dass noch ganz andere Entitäten existieren ist der These immanent, dass es diese nach Auskunft der Naturwissenschaften **faktisch** eben doch nicht gibt bzw. nicht zu geben scheint. (Denn diese These bliebe unverständlich oder nichtssagend, wenn ihre Alternative nicht wenigstens verständlich denkbar wäre.)

    Die Philosophie betont in der Leib-Seele-Frage immer wieder die Denkbarkeit von Alternativen – aber die Naturwissenschaft bezieht sich auf den recht eindeutigen, derzeitigen empirischen Befund vor dem Hintergrund alternativer Denkmöglichkeiten.

    Diese Thematik hatte auch damals unsere Kontroverse um die “Leitidee” (Geist nicht ohne Gehirn) geprägt – die ich als naturwissenschaftliche These (als starke empirisch gestützte Vermutung) verstehe und nicht als philosophische Einlassung. Wenn das Vertrauen in diese These über die Jahrhunderte weiter wächst, hätte dies sicher auch philosophische Konsequenzen.

  72. @Christian: Reduktion

    Ich finde diese Vermischung von “Physik” und “Naturwissenschaft” auf der einen und “Empirie” und “Philosophie” auf der anderen Seite irreführend und sogar etwas ärgerlich.

    Du wirfst einerseits der Philosophie vor, sich in logischen Welten zu verlieren, anstatt sich mit dem “derzeitigen empirischen Befund” auseinanderzusetzen; andererseits stellst du die Reduktionismusthese auf, die gerade kein derzeitiger empirischer Befund ist, sondern naturalistische Spekulation (gepaart mit einem gewissen Optimismus).

    Wenn der Geist (das Bewusstsein, die Psyche…) letztlich nichts anderes ist als eine bestimmte Art physikalischer Vorgänge (ontologische These) und wenn wir das auch noch erkennen können (optimistische epistemische These), dann ist das eben so. Das wissen wir aber heute noch nicht. Dies ist eine Beobachtung, keine Spekulation.

    Ein vollständiges und schlüssiges Argument dafür, wieso zum Beispiel Energieerhaltung prinzipiell die Möglichkeit mentaler Verursachung ausschließt, das hast du meines Wissens nicht vorgelegt – dies ist eine Beobachtung, keine Spekulation. Ferner lassen sich schon die meisten naturwissenschaftlichen Prozesse nicht rein physikalisch ausdrücken – auch dies ist eine Beobachtung, keine Spekulation, und genau deshalb brauchen wir ja so viele Disziplinen (wie die Biologie, Chemie, Neurowissenschaften usw. usf.).

    Vor diesem Hintergrund zu behaupten, es müsse so und nicht anders sein und alles andere sei logische Spekulation und dann auch noch so zu tun, als ob dies ein empirischer Befund sei, keine philosophische Spekulation, das ist wirklich ein starkes Stück.

  73. @Stephan

    Mir liegt es fern, irgendjemanden verärgern zu wollen – ich versuche noch einmal eine Klärung:

    “… andererseits stellst du die Reduktionismusthese auf”

    Ich behaupte nur, dass geistig-seelische Phänomene ausschließlich in Verbindung mit Hirnprozessen beobachtet werden, was nahelegt, dass physische Realisierung in Gehirnen ein wesentliches Merkmal psychischer Phänomene ist. Nicht mehr, und nicht weniger. – Ich habe immer den Eindruck, dass Du mir eine Identitätsthese in die Schuhe schieben willst, wenn Du von “Reduktion” sprichst. Ich meine aber keine phänomenale Reduzierbarkeit – sondern ausschließlich (i) die Vereinbarkeit aller psychologischen Gesetzmäßigkeiten mit naturgesetzlichen Gegebenheiten und (ii) die Inexistenz rein immaterieller (nichtphysischer), aber physisch wirksamer Agenten (einschl. “Ich”, Seele usw.). Diese Position vertrete ich zudem ausdrücklich als “starke Vermutung”, als Leitidee – nicht als ewige Wahrheit.

    “Wenn der Geist (das Bewusstsein, die Psyche…) letztlich nichts anderes ist als eine bestimmte Art physikalischer Vorgänge (ontologische These) …”

    … ich behaupte so etwas nicht!

    “Ein vollständiges und schlüssiges Argument dafür, wieso zum Beispiel Energieerhaltung prinzipiell die Möglichkeit mentaler Verursachung ausschließt, das hast du meines Wissens nicht vorgelegt”

    Mein Arm wird angehoben – chemische Energie wird in Bewegungsenergie umgewandelt, angestoßen durch neuronale Signale. Wenn dagegen ein immaterieller mentaler Agent mit nur einem minimalen Energiebeitrag diese Bewegung auslöst, die Bewegung rein physisch betrachtet also aus dem Nichts entstände, wäre der Energieerhaltungssatz verletzt. In üblicher Diktion meint “mentale Verursachung” ja nichtphysische Verursachung; die Verletzung des Energieerhaltungssatzes oder des Prinzips der kausalen Geschlossenheit der physischen Wirklichkeit wäre darin also immer mit einbegriffen. Energieerhaltung und kausale Geschlossenheit kann man selbstverständlich bestreiten – stellt sich damit aber in Bezug auf das Gehirn (wo Quantenmechanik eher nicht relevant zu sein scheint) außerhalb der **heutigen** Physik und Physiologie. Ich finde das ziemlich klar.

    “Ferner lassen sich schon die meisten naturwissenschaftlichen Prozesse nicht rein physikalisch ausdrücken – auch dies ist eine Beobachtung, keine Spekulation, und genau deshalb brauchen wir ja so viele Disziplinen (wie die Biologie, Chemie, Neurowissenschaften usw. usf.).”

    Ja, aber hier besteht Reduzierbarkeit in dem Sinne, dass die in der Chemie erkannten Gesetztmäßigkeiten in keinen Widerspruch zu physikalischen Gesetzmäßigkeiten treten und die biologischen nicht zu chemischen. Und – so die Vermutung – die psychologischen nicht zu biologischen. Psychologie ist biologisch möglich, Biologie ist chemisch möglich, Chemie ist physikalische möglich. Warum auch immer.
    Der empirische Befund, der dann auch philosophisch ernst genommen werden muss, ist meines Erachtens die ausnahmslose Bindung geistig-seelischer Phänomene an Hirnprozesse. Damit ist tatsächlich noch fast nichts erklärt – aber bestimmte logisch denkbare Optionen können wir mit großer Sicherheit ausschließen (Psi, immaterielle mentale Agenten).

  74. @Christian: Kompatibilität

    Okay, danke, soweit sind dann (i) und (ii) klar – und vor allem, dass du diese als Vermutung darstellst, nicht als empirische Erkenntnis (es handelt sich dabei ja eher um metaphysische Thesen).

    Zur Frage der mentalen Verursachung kommt es jetzt eben auf die Details an: Was verstehen wir unter “Verursachung”? Was als “Mentales”? Wie kann dann das Mentale einen kausalen Einfluss haben?

    Dazu wurden ja schon ganze Bücher geschrieben und mir kommt es hier eben darauf an, dass das kausale Billardkugel-Modell vielleicht auf Billardtischen gut funktioniert aber heute doch etwas überholt ist (kürzlich hörte ich beispielsweise erst den Vortrag eines Kausalitätsforschers, der einen instrumentellen-antirealistischen Kausalitätsbegriff vertrat, also gar keine ontologische Kausalität im Sinn hatte, sondern Kausalität als eine Erklärungsrelation verstand, die von unseren Interessen abhängt).

    Es hängt also vom Verständnis dieser Begriffe ab, wie realistisch/unrealistisch oder problematisch/unproblematisch mentale Verursachung vor dem Hintergrund des Energieerhaltungssatzes ist. Ganz ähnlich verhält es sich auch mit der kausalen Geschlossenheit – auch diese ist wiederum eine metaphysische Annahme und kann unterschiedlich stark formuliert werden; auch so, dass sie (kausale Geschlossenheit) mit mentaler Verursachung vereinbar ist.

    Der empirische Befund, der dann auch philosophisch ernst genommen werden muss, ist meines Erachtens die ausnahmslose Bindung geistig-seelischer Phänomene an Hirnprozesse.

    Ja, das ist eben ein Induktionsschluss: Weil bei n1…ni immer ein Gehirnzustand mit dem geistigen Zustand korrelierte, gehen wir davon aus, dass auch bei ni+1 ein Gehirnzustand mit dem geistigen Zustand korrelieren wird. Das ist empirisch natürlich berechtigt, zur (Un-)Logik des Induktionsprinzips wurde aber auch schon viel geschrieben (Hume, Popper usw.).

    Wir können natürlich den Körper manipulieren (Drogen, Stimulation usw.) und sehen, wie dies den Geist beeinflusst; wir können aber eben auch die Psyche manipulieren (Stress, Meditation usw.) und sehen, wie dies den Körper beeinflusst. Das beantwortet uns nicht die Frage, was “die Psyche” eigentlich ist (und im Übrigen ist ja noch lange nicht klar, wie ein relevanter Gehirnzustand für einen psychischen Prozess individuiert werden müsste; fMRI ist dafür bei weitem zu grobkörnig) und lässt auch keinen Schluss über die metaphysische Abhängigkeit des einen vom anderen zu.

    Ich bin geneigt zu sagen, dass deine Leitidee doch eher ein persönliches Werturteil ist. Das ist ja auch gar kein Problem, denn damit lässt es sich vorzüglich forschen (es gab und gibt aber im Übrigen auch Hirnforscher, die Dualisten waren und dennoch sehr erfolgreiche Hirnforscher waren bzw. sind). Die Metaphysik spielt im Labor eben bisher keine so wichtige Rolle.

  75. @Stephan

    Danke, Stephan, für die rasend schnelle Reaktion – ist denn Eure Tagung schon vorbei?

    “… (es handelt sich dabei ja eher um metaphysische Thesen) …”

    Nein. Siehe unten.

    “Ja, das ist eben ein Induktionsschluss”

    Genau! Erfasst! Ein auf Empirie beruhender Induktionsschluss. Und genau deswegen eine “starke Vermutung” – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    Analogie:

    Dieser Kupferdraht leitet elektrisch.
    Dieser auch. Und dieser. Und dieser.
    > Alle Kupferdrähte leiten elektrisch.
    >> Kupfer ist elektrisch leitend.

    Dieses psychische Phänomen geht mit Hirnprozessen einher. Und dieses. Und dieses.
    > Alle psychischen Phänomene gehen mit Hirnprozessen einher.
    >> Geist ist physisch in Gehirnen realisiert.

    Hier sehe ich uns heute naturwissenschaftlich. Dass Kupfer elektrisch leitend ist, ist keine metaphysische These. Ebenso wenig, dass Geist hirnphysiologisch realisiert wird. Beides sind naturwissenschaftliche Thesen.

    “Ich bin geneigt zu sagen, dass deine Leitidee doch eher ein persönliches Werturteil ist.”

    Sagen wir, das Urteil der Mehrzahl heute klinisch und grundlagenwissenschaftlich aktiver Hirnforscher …

    “aber im Übrigen auch Hirnforscher, die Dualisten waren und dennoch sehr erfolgreiche Hirnforscher waren”

    Sie sind aber empirisch (!) gescheitert an ihren Theorien der Interaktion zwischen (nichtphysischem) Geist und Gehirn (z.B. Eccles quantenmechanische Theorie der synaptischen Transmission bzw. der Interaktion von Geist und Gehirn im Bereich des SMA); in diesem Punkt waren sie also nicht erfolgreich.

  76. @Christian: Fehlschluss

    Danke der Nachfrage – der erste Tag unserer Tagung Visions for Neurophilosophy war ein großer Erfolg. Ich muss jetzt bloß noch meinen eigenen Vortrag für morgen früh fertig machen – aber verrate es keinem.

    Auch wenn ich doch etwas zu tief ins Weinglas geschaut habe – nach dem Empfang musste ich ein paar der hochintelligenten Gäste noch ins Restaurant begleiten* –, kann ich deinen Fehlschluss entlarven:

    Der korrekte Induktionsschluss aus

    Dieses psychische Phänomen geht mit Hirnprozessen einher. Und dieses. Und dieses.
    > Alle psychischen Phänomene gehen mit Hirnprozessen einher.

    ist eben

    >> Psychische Prozesse gehen mit Hirnprozessen einher.

    und gerade nicht

    >> Geist ist physisch in Gehirnen realisiert.

    Ferner müsstest du dann auch noch etwas stärker formulieren, ob Geist immer und nur in Gehirnen realisiert ist (was ist z.B. mit Maschinenbewusstsein?) oder nur in der Regel bzw. manchmal.

    Siehst du deinen Fehlschluss ein oder müssen wir erst noch zusammen tief ins Weinglas schauen? 🙂

    Sie sind aber empirisch (!) gescheitert an ihren Theorien der Interaktion zwischen (nichtphysischem) Geist und Gehirn (z.B. Eccles quantenmechanische Theorie der synaptischen Transmission bzw. der Interaktion von Geist und Gehirn im Bereich des SMA); in diesem Punkt waren sie also nicht erfolgreich.

    Seien wir doch einmal neutral und symmetrisch: Ganz gleich, ob jemand Dualist oder Monist ist, wir wissen doch noch sehr wenig darüber, was die SMA eigentlich macht oder wie sie funktioniert. Daraus jetzt eine metaphysische Schlussfolgerung abzuleiten, das finde ich schon sehr gewagt.

    * Oder sagen wir so: Ich wollte ihnen nur das Restaurant zeigen und auf einmal saß ich in der Ecke und konnte nicht mehr heraus.

  77. P.S. Psychische Phänomene

    Mir ist gerade eingefallen, dass du von psychischen Phänomenen schriebst, die mit Hirnprozessen einher gehen, ich aber von psychischen Prozessen.

    Meines Erachtens ist das kein wesentlicher Unterschied in diesem Argument; in meiner Schlussfolgerung, dass die korrekte induktive Verallgemeinerung

    >> Psychische Prozesse gehen mit Hirnprozessen einher.

    ist, kann man gerne die psychischen Prozesse durch Phänomene ersetzen, falls jemand anderer Meinung ist.

    Der Punkt mit der Realisierung ist eben, dass hier aus der Korrelation plötzlich eine metaphysische These wird, nämlich über die physische Realisierung des Geistes.

    So, jetzt muss ich aber wirklich noch den Vortrag fertig machen. 🙂

  78. @Stephan

    Nööö – kein Fehlschluss.

    Beim Kupfer kommen wir schließlich an den Punkt, elektrische Leitfähigkeit für eine seiner wesentlichen Eigenschaften zu halten. Darum geht es mir: es ist eine wesentliche Eigenschaft psychischer Phänomene mit Hirnprozessen gemeinsam aufzutreten.

    Wenn Deine Schlussfolgerung das beinhaltet – und eben nicht nur: sie treten immer mit Hirnprozessen gemeinsam auf (sprich: Alle Kupferdrähte leiten/Zwischenschritt) – dann wären wir d’accord.

    Jede andere Realisierungsform von Geist wäre eine Falsifikation der Leitidee und würde deren Revision erzwingen – auch Maschinenbewusstsein. Würde man ein solches antreffen, müsste man in der Leitidee die materielle Struktur, die dem Geist jeweils zugrunde liegt, abstrakter fassen, unabhängig vom Material (z.B. Fett/Proteine/Wasser/Mineralien vs. Silikon-Chips).

    Nur, wenn ich so weit gehe zu sagen: Da es eine *wesentliche* Eigenschaft geistiger Phänomene ist in Hirnen realisiert zu sein, können wir davon ausgehen [Achtung: Nichtexistenz-Hypothese!], dass es keinen immateriellen Geist gibt bzw. geben kann – nur dann gewinnen wir eine klar spezifizierte Falisifikationsoption für unsere Leitidee. Wir wissen dann, dass unsere These unter genau der Bedingung falsch wäre, dass wir Psi wissenschaftlich nachweisen.

    Eine unspezifische Existenzhypothese – zB. es gibt irgendwo irgendwann irgendwie eine immaterielle Seele – sagt uns für den Bereich des Beobachtbaren gar nichts. So etwas steht aber im Raum, wenn man den Substanzendualismus ins Spiel bringt. Natürlich kann eine solche These aus logischen Gründen niemals *empirisch* widerlegt werden (weil sie zu unspezifisch ist) – und genau deswegen ist es auch keine naturwissenschaftliche These, sie kennt ihre eigene Falsifikationsbedingung nicht.

    Für das Jenseits gilt: Vorstellen darf sich ein jeder, was immer er gerne mag. Für die Annahme der *realen Existenz* unsterblicher Seelen jenseits ihrer bloßen Denkbarkeit braucht es aber irgendeine Empirie in der Welt des Beobachtbaren, sonst ist diese Überzeugung kaum plausibel zu machen. Und genau hier sind uns in den letzten 200 Jahren sämtliche Evidenzen abhanden gekommen. Der Glaube an eine real exstierende unsterbliche Seele ist heute auf jeden Fall eines: völlig abstrakt, ohne Anbindung an unsere (irdische) Erfahrung. Das gilt auch für den zwar immer noch denkbaren, aber empirisch unplausibel gewordenen Substanzendualismus von Geist und Materie – den Du nicht aufgeben magst aus was für interessanten Gründen auch immer …

    Weiterhin viel Erfolg bei der Tagung!

  79. …bleibt ein Fehlschluss

    Um aus der Tatsache, dass A mit B korreliert, abzuleiten, dass A B realisiert (oder umgekehrt B A realisiert) brauchst du eben ein Zusatzargument, da brauchen wir nicht lange diskutieren. Die Korrelation ist, wie du sicher weißt, eine symmetrische Relation; die Realisation allerdings nicht (im Gegenteil: Wenn A B realisiert, dann realisiert B A gerade nicht; wenn aber A mit B korreliert, dann korrliert B auch mit A).

  80. Induktionsschluss

    Christian Hoppe: „Der empirische Befund, der dann auch philosophisch ernst genommen werden muss, ist meines Erachtens die ausnahmslose Bindung geistig-seelischer Phänomene an Hirnprozesse.“

    Stephan Schleim: „Ja, das ist eben ein Induktionsschluss: Weil bei n1…ni immer ein Gehirnzustand mit dem geistigen Zustand korrelierte, gehen wir davon aus, dass auch bei ni+1 ein Gehirnzustand mit dem geistigen Zustand korrelieren wird.“

    Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe den Eindruck, dass die „ausnahmslose Bindung geistig-seelischer Phänomene an Hirnprozesse“, von der Christian Hoppe spricht, mehr bedeutet als die bloße Korrelation eines Gehirnzustandes mit einem „geistigen“ Zustand (was immer das sein mag).

    Nach meinem Sprachgefühl steckt im Begriff ‚Bindung‘ bereits eine kausale Verknüpfung von zwei Phänomenen. Und zwar derart, dass das Eine (die Psyche) vom Vorhandensein des Anderen (Gehirn) abhängt. Es gibt Gehirne ohne beobachtbare psychische Phänomene, aber nicht umgekehrt psychische Phänomene ohne Gehirn.

    Der Induktionsschluss geht meiner Meinung nach so, dass wir quer durch die Biosphäre beobachten können, dass die Eigenschaften der Organismen an Strukturen gebunden sind. Sämtliche beobachtbaren Phänomene und Funktionen der Lebewesen sind ohne die jeweils zugrundeliegenden materiellen Strukturen gar nicht denkbar.

    Was wir also quer durch das Tierreich beobachten können, ist, dass bestimmte („psychische“) Phänomene nur dort auftreten, wo hinreichend komplexe Nervensysteme vorhanden sind. Erst ab einer gewissen (phylogenetischen und ontogenetischen) Entwicklungsstufe macht die Rede von psychischen Phänomenen überhaupt Sinn.

    Wenn wir alle diese Befunde zusammennehmen, was liegt da näher als die Annahme, dass ein komplexes Nervensystem die strukturelle Voraussetzung für die Generierung psychischer Phänomene ist? Wie könnte es anders sein, als dass „mentale“ Phänomene auf bestimmten Hirnaktivitäten beruhen?

    Bei keinem sonstigen Organ haben wir Probleme damit, Ursache (materielles Substrat) und Wirkung (Eigenschaft, Phänomen) auseinander zu halten. Nur beim Gehirn scheint plötzlich alles anders zu sein. Da sprechen wir dann davon, dass psychische Phänomene mit Hirnprozessen „einhergehen“ (wir sagen ja auch nicht, dass beispielsweise der Kreatininspiegel mit Prozessen in der Niere „einhergeht“).

    Außerdem finde ich, sollte man psychische Phänomene, die direkt oder indirekt beobachtet werden können, nicht mit „Geist“ gleichsetzen. „Geist“ ist eine ganz andere Baustelle, diese bleibt den Philosophen überlassen. Es ist nicht das Problem der Naturwissenschaften, zu erforschen, wie „Geist“ physisch in Gehirnen „realisiert“ sein kann. Neurobiologen dürfen oder sollten sich auf die beobachtbaren Hirnfunktionen beschränken, denn da gibt es weiß Gott genug zu tun.

  81. @Induktions- vs. Fehlschluss

    @Stephan:
    Kupfer realisiert die Eigenschaft der elektrischen Leitfähigkeit. Dahin zu gelangen, ist naturwissenschaftliches Denken – natürlich geht das induktiv über die Summe faktischer Beobachtungen hinaus! Es ist in diesem Sinne auch kein logisch zwingender Schluss – aber ein naheliegender, der zudem die Bedingungen seiner Falsifikation offenlegt. Genauso funktioniert meines Erachtens naturwissenschaftliches Denken.

    Wenn man diese Denkform mutig (und nicht zwingend sondern im Sinne einer starken Vermutung) auch in Bezug auf psychische Phänomene anwendet, landet man bei “meiner” Leitidee.

    @Balanus:
    Das Denken selbst (“Geist”) und das Denken als psychische Funktion würde ich auch unterscheiden wollen. Hier greift ja Husserls altes Argument gegen den Psychologismus in der Philosophie. Elektrische Leitfähigkeit ist angesichts des Gewichts und der Biegsamkeit eines Kupferdrahtes eine extrem überraschende Eigenschaft. So auch die psychischen Phänomene im Zusammenhang mit Hirnfunktionen. Deren “innere” Erforschung und die Freilegung der logisch-begrifflichen Voraussetzungen ebendieser Forschung ist Sache von Psychologie und Philosophie.

  82. Hoppe und Logik und perspektivisches Bewusstsein

    Das ist denkwürdig:

    Logik ist nicht gleich Logik – vor allem dann, wenn sich die Logik in derSubjektive ergibt (also im bewusstsein im Denken über das bewusstsein und seine Ursachen).

    Mathematische Logik ist da etwas unstrittiger, obwohl auch nur deswegen als “Logik” zu bezeichnen, weil sich der MEnsch darauf geeinigt hat, Mathematik so zu gestalten, wie sie ist. Die “logischen” zusammenhänge zwischen neurologischer Aktivität und Bewusstsein und seineInhalte sind bisher noch nicht plausibel (re)konstruiert.

    Das Strom durch (Kupfer)Leiter fliesst, ist wiederum ganz richtig eine systematisch logische Vision einer erfahrungsgemäßen Realität. Ob denn aber nun auch Elektronen “fliessen”ist dabei unbewiesen, selbst wenn man das Problem mit Teilchenphysik und Quantenmechanik zu betrachten beginnt.

    Wir haben uns auf diese Vision einer Systematik geeinigt, weil sie für unsere Anforderungen im Alltag ausreichend verlässlich ist. Und es ist nicht aufdringlich fragwürdig, ob das sinnvoll ist. zumindest aus der perspektive des Alltages nicht.

    Aber aus der Sicht des Alltages eines Individuums kann es fragwürdig sein, wenn man das Problem der Bewusstwerdung gar nicht erklären kann. Denn somit kann man auch nicht erklären, was ein “freier” Wille sei. Ein Wille ist da noch unkritischer, aber ebenso regelmässig in seinem Sinn und rechtmässigen Existenz bezweifelt.

    Der Psychologismus ist wiederum eine weltsicht- und Erfahrungsbedingte Vision von ursache/Wirkungsmechanismen. Nicht anders, als die Idee des stromdurchflossenen Leiters. Mit “Logik” kommt man da nur innerhalb der Bezugsbedingungen weiter. Man muß also erstmal eine gewisse Konsistenz einer Betriebsblindheit erreichen, damit hier Logik erkennbar/erfahrbar wird. Das man den Psychologismus nicht so recht über denWeg traut, ist Folge der Alltagsunvereinbarkeit betreffend demokratischer und freiheitlicher Lebens- und Existenz-Ordnungen und der Unantastbarkeit der individuellen Persönlichkeitsrechte in dieser Welt. Ansonsten sind natürlich nicht alle Ideen des Pychologismusses totaler Unsinn, sondern geben zuweilen wiederum nur wieder eine neue Vision mit ontologisch relevanter “Logik” wider, die nicht der Realität entsprechen muß, aber eben die Systematik nachempfindet. Darin steckt möglicherweise trotzdem Wahrheit über Realität. Ursache und Folge seien dann mutmaßlich nur mit falsch gedeuteten Operanden versehen. Probleme entstehen hier deswegen, weil der Mensch nicht nur in Begriffen denkt… sogar begriffliches Denken ein Nachvollzug der eigendlchen Bewusstseinsinhalte seien – die Interpretation des tendenziellen Bewusstseinsinhaltes. Die Wahrheit über die Realität steckt irgendwo da drinnen – sie muß nur einer entsprechend deuten können und in der Folge in Begriffe umwandeln, die im “Verstand” verwendbar sind.

    ich meinte neulich zu mir selbst, dass dieses Problem der Bewusstwerdung als Folge von Hirnaktivität nicht nur an der Psychologie und Philosophie hängen bleiben solle, sondern vor allem mit beiden im Zusammenarbeit mit der Neurologie. Denn Neurologie ist die Disziplin, die diese Gehirnaktivität überhaupt erst beschreiben tut.

    Angesichts ihrer Aussage über die Funktion wissenschaftlichen Denkens kann ich dazu nur sagen, dass die uns so Heilige Wissenschaft gar nicht so Unfehlbar und Wahrheitsbringend sei, wie es gedeutet und intendiert ist. Sie kann eben nur soweit Glaubhaft und Realitätsnah sein, wie sie alltäglich überprüfbar ist. Das aber ist das Problem bei den Humanwissenschaften (und das trotz der Tatsache, dass 7 Milliarden Menschen jeden Tag denken und diesen Prozess also täglich und sogar des Nachts praktizieren und sozusagen eigendlich jeder für sich spezialist sein müsste). Hier scheint nahezu nichts verlässlich genug zu sein, was man als Vision über die Bewusstwerdung aussagen kann; außer, dass Bewusstsein ein Phänomen sei, welches eben jeden Morgen (erneut) existiert, wenn wir aufwachen. Wir nehmen es hin und leben mit den Möglichkeiten darin, aber haben keine Vision davon, wie bewusstsein zustande kommt und also was hier ursächlich relevante Bedigungen sind, die notwendigerweise zur Klärung der Frage nach Willensfreiheit und Funktionsstrukturen unseres geistes unzweifelhaft beiträgt – ja sogar die wichtigsten Informationen darüber enthalten müssen.

  83. Wille ist Bedürfniss

    Wille ist an ein Bedürfniss geknüpft. Der Wille als Abstraktum existiert natürlich nicht in Form einer Essenz. Die Folge diese Essenz zu suchen ist der Verdinglichung geschuldet, zu der wir neigen. Wille kann nur im Zusammenhang erkannt und verstanden werden, in der Beziehung vom Akteur, eines ihm aufkeimenden Bedürfnisses und eines dazu passenden Willens dieses Bedürfniss zu erfüllen. Wille ist also eine Zielorientierte Handlungsweise. Da kommt auch das allgemeine Verständniss unseres Kulturkreises her, weil zielorientiertes Handeln i.d.R. als Leistung verstanden wird. Beim Willen ist diese Bewertung derweil sehr subjektiv, nicht alles was das Individuum als Leistung ansieht, ist gesellschaftlich als solche anerkannt.

    Was Bedürfnisse wecken angeht, wenden Sie sich an den nächsten Werbefachmann. Der kann ihnen sagen, wie im Menschen ein Wille zum Kauf geweckt wird. Wie die Gedanken gefüttert werden, erst über die Augen und dann in die zielstrebende Tat zur Warenaneignung führt.

    Genauso wie Ihr Gehirn einen Serotoninschub will oder ihr müder Stoffwechsel ein bischen Schokolade um seinen Blutzucker zu steigern um bis vier Uhr morgens weiter wach bleiben zu können um zu lernen, was wir meistens wollen müssen, ob wir wollen oder nicht …

    Bedürfniss – Wille – Schreiten zur Tat um das Bedürfniss zu stillen. Ohne Bedürfnisse fehlt ein Wille.

    Interessant wäre hier zu betrachten, das z.b. bei ADHSlern ja im Grunde einige höhere Gehirnfunktionen gestört sind und diese dann den Betroffenen viel schwerer machen, ihren Willen in die Tat umzusetzen! Ähnlicher Aspekt mit Drogensüchtigen, z.b. Rauchern. Das Aufhören-Wollen ist da, wird aber nicht in die Tat umgesetzt, weil ein Hang zum Rausch, ein Selbstbetrug im Belohungszentrum, gestillt werden will.

    Ich würde das so sagen: Körperintelligenz ringt gegen Bewußtseinsintelligenz. ES VS ICH, im weitesten Sinne, oder wers klassischer mag: Fleisch gegen Geist.

    Wie kann Wille gefördert werden? Das Bewußtsein ist letztlich der Sitz der Motive, die Motive spielen eine erhebliche Rolle für die Bedürfnisse (Auch das weiß die Werbung) der sich ergebenden Willensbildung und der darauf folgenden Tatumsetzung. Deshalb ist die Bewußtseinsindustrie so im kommen.

    MFG

  84. @Christian Hoppe

    . Herr Hoppe, Ihre aktuellen Beiträge zur sogenannten „Willensfreiheit“ auf NdG gefallen mir außerordentlich. Sehr schön formuliert und stimmig, so gut hätte ich das wohl nicht hingekriegt.

    (Das Ihnen mitzuteilen war mir ein Bedürfnis. Deshalb habe ich jetzt hier gepostet und nicht drüben auf NdG, wo ich als Andersgläubiger keinen Zutritt habe.)

  85. @@Christian Hoppe

    . »In der Form, wie Du [Michael Blume] für Willensfreiheit und backward causation durch emergierende geistige Eigenschaften eintrittst, plädierst Du für die Existenz eines Psi-Phänomens ohne jede empirische Grundlage; es stände im Widerspruch zur Energieerhaltung.«

    So wie ich das sehe, missverstehen Sie Michael Blumes Aussagen total. Sein Begriff von „Willensfreiheit“ ist ganz offensichtlich kongruent mit dem der „Selbstbestimmung“.

    „Backward causation“ und „mentale Verursachung“ werden von ihm einfach so verstanden, dass Menschen willentlich Ereignisketten in Gang setzen können.

    Sie dürfen nicht voraussetzen, dass Herr Blume Begriffe so verwendet, wie man es von Hause aus gewohnt ist. So bedeutet für ihn „Verebben“ in Bezug auf Populationen nicht, dass die Populationsgröße kleiner wird, nein, sie kann auch wachsen, „verebben“ bedeutet bei ihm nur, dass die durchschnittliche Reproduktionsrate der Individuen unter der Bestandserhaltungsgrenze liegt.

  86. Wenn der Wille selbst zum Akteur im Physischen wird – und das verstehe ich unter backward causation – gibt es für diese philosophische Position ein naturwissenschaftliches Problem; das muss deutlich werden – egal wie hier wer auch immer irgendwelche Begriffe verwendet. Natürlich ist die unscharfe Begriffsverwendung hier das Problem; ich hatte Michael ja schon mehrere goldene Brücken zur Handlungsfreiheit (= Selbstbestimmung!) gebaut …

  87. Er brauchte eben keine „goldene Brücken“, weil er inhaltlich nie von etwas anderem als Handlungsfreiheit geredet hat. Mit dem Begriff „Willensfreiheit“ wurden die Leser einfach auf eine falsche Fährte gelockt. Deshalb konnte er am Ende der Debatte fröhlich schreiben:

    »Ich vertrete das [immaterielle Seele etc.] nicht und sehe mit Vergnügen, wie Du Dich (willentlich?) an Strohmännern abarbeitest.«

    Schöne Grüße aus dem Exil… 😉