Fußball und Gott

BLOG: WIRKLICHKEIT

Hirnforschung & Theologie
WIRKLICHKEIT

"Das war ein Geschenk Gottes", so der überraschende Kommentar eines türkischen Fans zum 3:2 Siegtreffer der Deutschen durch Philipp Lahm in der 90. Minuten (WDR 5, Morgenecho). Das ist doch mal religiöse Fairness! Die – bei logischer Betrachtung – eigentlich zu erwartenden Animositäten, in die Gott gerät, wenn Fans beider gegnerischer Mannschaften um Siegtore flehen, existieren faktisch gar nicht. Jedenfalls nicht bei Fußballfans, die immer wieder einmal gerne Gott bzw. religiöse Konzepte/Erklärungen heranziehen, um über Siege und Niederlagen zu sprechen.

Die religiöse Konnotation hatte beim Türkei-Deutschland-Spiel ja noch die schöne zusätzliche Note, dass die jeweils anzurufenden "Götter" auch noch verschiedene Namen haben – ein Kampf auf allerhöchster Ebene also! Nach 12 Jahren ohne Niederlage "Allahs" in Turnierspielen der Türken gegen die Deutschen (ich bitte Fußballexperten ggf. um Korrektur!) konnte nun also wieder einmal "Gott" punkten.

Ich bin überzeugt, dass man Menschen, die persönliche Erfahrungen auf religiöse Weise zum Ausdruck bringen, sehr gerne etwas in den Mund legt, was sie so nicht gemeint haben. Legt man Worte auf die berühmte Goldwaage, so kann man das eigentlich mit jeder beliebigen Aussage machen, aber in einer Gesellschaft, die sich – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – von kirchlich-religiöser Kultur absetzen will, trifft dieses Schicksal leicht die sogenannten Gläubigen. Also hütet man sich besser vor religiös anmutender Terminologie, immer schön sachlich und nüchtern bleiben (und sich den Mund verbieten lassen).

Nehmen wir den religiösen Fußballfan. Meint denn irgendjemand wirklich, dieser glaube ernsthaft, dass Gott eine "Hand" hat, mit der er Maradonas Hand ("die Hand Gottes") so gegen einen Ball führt, dass Argentinien noch ein entscheidender Treffer gelingt? Glaubt der religiöse Fan überhaupt, dass dort über den Wolken von Basel (oder Wien) irgendeine bisher wissenschaftlich unerkannt gebliebene Kraft sitzt, die nach Lust und Laune Fußball-Europameisterschaften beeinflusst und entscheidet? Wäre es nicht das Anzeichen einer ziemlichen Arroganz, andere ernsthaft für so blöd zu halten?

Ein Vergleich an dieser Stelle: Ich hatte in einem früheren Kommentar einmal geschrieben, dass man jemandem, der einige persönliche Erlebnisse berichtet hat – "Ich habe dies erlebt, ich habe das erlebt" -, mitteilen könnte, dass sein Bericht sinnlos sei, weil es ein "Ich" nach Überzeugung der meisten Hirnforscher gar nicht gäbe. In dem Moment, wo der Angeschuldigte Widerstand leistet und behauptet: "Doch, natürlich gibt es ein Ich" – hat er verloren! Das Interessante ist, dass er das – was nun von der Gegenseite bestritten und von ihm verteidigt wird: "Es gibt ein Ich" – ursprünglich niemals behauptet hatte. Er hatte lediglich, grammatikalisch korrekt, das Wort "Ich" verwendet, um auf Erlebnisse zu verweisen, die speziell ihm widerfahren sind.

Exakt dasselbe gilt in Bezug auf das alte (und schon ein bisschen langweilige) Thema "Gibt es Gott? Oder doch nicht? Sollten wir vielleicht besser wetten?" So, wie wir heute die Wendung "Es gibt" verstehen, ist das alles, mit Verlaub, Bullshit (i.S.v. H. G. Frankfurt). Man mag sich als Religionskritiker, Agnostiker oder gar Atheist ganz toll und supermodern fühlen, wenn man "die Existenz Gottes" lang und breit diskutiert und bestreitet und die Wissenschaften bemüht und die Logik und die Hirnforschung und und und. Am Ende hat man etwas widerlegt – was niemand behauptet hatte, was so niemand ernsthaft glaubt. Deswegen verpufft die Religionskritik auch so wirkungslos – und erreicht nur die eigenen Reihen. (Dasselbe gilt, cum grano salis, auch in Bezug auf die Freiheitsdebatte). Die eingeschnappte Reaktion der Religionskritiker – "jetzt, wo wir Euch Eure Überzeugungen widerlegen, sagt Ihr, dass Ihr diese Überzeugungen so ja gar nicht habt, dass Ihr Euch missverstanden fühlt" – zeigt nur das Ausmaß des Unverständnisses gegenüber Glaube und Religion.

Denn dabei geht es gar nicht um Worte oder Sätze. Jedem, der sich in diesem Feld bewegt, ist vollkommen bewusst, dass über das, worum es hier geht, letztlich gar nicht gesprochen werden kann. Das ist das kleine Einmaleins jeder religiösen Erziehung, das weiß jedes Kind. Wir können viele Aspekte unserer Wirklichkeitserfahrung kaum angemessen in Worte kleiden – und tun es doch, und müssen es wohl auch tun, z.B. wegen der Gemeinschaft in dieser Erfahrung. Und das gilt noch einmal mehr, wenn es um das Ganze der Wirklichkeit geht, um unsere ganze Existenz.

Das wahrhaft religiöse Grundphänomen im Fußball lässt sich einfach benennen: Wir wissen nicht was geschehen wird, und das, was geschieht, zählt – nicht das, was ich gern hätte. Die Wirklichkeit zeigt sich, und sie steht über meinen Vorstellungen von ihr. Man kann weder sagen, dass wir der Wirklichkeit getrennt gegenüber stehen, als hätte sie nichts mit uns zu tun; das Jubeln der Fans ist z.B. Teil der Wirklichkeit, nimmt Einfluss auf den Gesamtverlauf. Aber die Wirklichkeit wird durch unser Verhalten, unsere Absichten und Wünsche nicht festgelegt; sie widerfährt uns, sie ist widerständig. Hier scheitert jeder Solipsismus oder Konstruktivismus: Philipp Lahm, 90. Minute, 3:2 für Deutschland, Deutschland im Finale, Türkei raus.

Die Theologie erfindet nicht den Glauben. Sie spürt ihn vielmehr auf und reflektiert darüber, wie Menschen von ihrem Glauben sprechen. Sie zeigt, dass das Sprechen über Gott usw. notwendig selbstwidersprüchlich bleibt und rasch an seine Grenzen stößt – dass dies aber nicht den Glauben selbst betrifft. "Glaube" ist nichts anderes als die Weise, wie Menschen zur Wirklichkeit selbst stehen, wie sie im Tun und Denken notwendig auf Wirklichkeit ausgerichtet sind. Es ist auch das Ringen des Menschen in seinen Vorstellungen und Konzepten mit der Wirklichkeit, schließlich: Leiden an der Wirklichkeit und Ringen um Akzeptanz des eigenen Schicksals. Der Glaube verlangt, dass dann so manche Gottesvorstellungen begraben werden müssen.

Der oben zitierte türkische Fan hat etwas sehr einfaches verstanden: Der Monotheismus besteht nicht darin, dass das ursprüngliche Pantheon lediglich zahlenmäßig auf 1 reduziert wurde; Monotheismus heißt nicht, dass am Ende eben nur einer übrig geblieben ist. Wenn man an den einen Gott glaubt, dann glaubt man an die Einheit der Wirklichkeit; dass sie also nicht auseinanderfällt z.B. in eine irdische leidvolle Welt und einen leidfreien Himmel, in eine göttliche Sphäre mit endlosem Halleluja-Singen der Engel und der menschlichen Welt voll Niedertracht und Sünde. Man glaubt letztlich, dass nicht einmal Gott und Mensch in zwei getrennte Wirklichkeiten auseinander fallen, sondern dass sie eins sind und dass diese irdische Wirklichkeit zählt und gilt. Jedes andere Verständnis wäre m.E. eine Beschränkung Gottes, und, christlich betrachtet, tendenziell gnostisch. Die Gnosis ("Erkenntnis") ist der Sieg von Vorstellung und Phantasie über die Wirklichkeit, ein religiöser Irrsinn gleichermaßen.

Die Naturwissenschaften wenden sich gegen Dualismen, weil in ihnen ein starkes Bewusstsein von der Einheit der Wirklichkeit vorliegt. Ich halte dies für in höchstem Maße "religiös", "christlich", "antignostisch". Die kaum denkbare Einheit von Leib/Gehirn/Materie und Seele/Bewusstsein/Geist in dieser einen Wirklichkeit, die uns die Hirnforschung heute vor Augen führt, ist das denkbar christlichste Kôan. Das sind gleisam Hebammen-Dienste für den Glauben, gerade den christlichen Glauben – aber kaum ein Theologe scheint dies zu bemerken und viele Theologen haben so scheint’s nur noch wenig Interesse, ihre religiösen Vorstellungen an der Wirklichkeit messen zu lassen.

Genau diese Welt aber ist es wert, dass man sich mit ihr auseinandersetzt, sie erforscht, usw. – das meint jedenfalls der Glaube an die Welt als "Schöpfung eines guten Gottes". Die Wirklichkeit ist keine bloße Illusion, oder buddhistisch "mara", die Welt der 10.000 Erscheinungen, die uns in die Irre führen. Das Leben hier ist auch nicht bloß ein uneigentlicher irdischer Probelauf, ein gelangweiltes Warten auf das eigentliche, ewige Leben im Himmel ("das Leben nach dem Tode"): Vielmehr ist genau dieses Leben "ewig", d.h. diese Existenz zählt, meine Taten (und Unterlassungen) sind für alle  Zeiten genauso wirklich und gültig wie Lahms Treffer in der 90. Minute bzw. sein vorheriges Versagen beim vorangegangenen 2:2-Ausgleich der Türken.

Wie soll man überhaupt leben, ohne dies zu glauben? Man kann zwar sagen "Ich glaube das nicht" – aber faktisch muss man es genauso glauben, wie man atmen muss. Das Spiel endet nach 90 Minuten, das Leben nach 90 Jahren, wenn es hoch kommt. Es muss enden, wie Musik. Aber es zählt, es gilt. "Von Anfang an war es möglich, dass ich sein würde. Und alles ist für immer anders, nachdem ich gelebt habe." Die Naturwissenschaften sagen nichts anderes.

Ich bin sehr gespannt auf den kommenden Sonntag in Wien!

 

 

 

 

 

 

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Geboren 1967 in Emsdetten/Westfalen. Diplom kath. Theologie 1993, Psychologie 1997, beides an der Universität in Bonn. Nach einem Jahr am Leipziger Max-Planck-Institut für neuropsychologische Forschung (1997-98) bin ich seit Oktober 1998 klinischer Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Epileptologie in Bonn. Ich wurde an der Universität Bielefeld promoviert (2004) und habe mich 2015 an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn habilitiert (Venia legendi für das Fach Neuropsychologie). Klinisch bin ich seit vielen Jahren für den kinderneuropsychologischen Bereich unserer Klinik zuständig; mit erwachsenen Patientinnen und Patienten, die von einer schwerbehandelbaren Epilepsie oder von psychogenen nichtepileptischen Anfällen betroffen sind, führe ich häufig Gespräche zur Krankheitsbewältigung. Meine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den Bereichen klinische Neuropsychologie (z.B. postoperativer kognitiver Outcome nach Epilepsiechirurgie im Kindesalter) und Verhaltensmedizin (z.B. Depression bei Epilepsie, Anfallsdokumentation). Ich habe mich immer wieder intensiv mit den philosophischen und theologischen Implikationen der modernen Hirnforschung beschäftigt (vgl. mein früheres Blog WIRKLICHKEIT Theologie & Hirnforschung), eine Thematik, die auch heute noch stark in meine Lehrveranstaltungen sowie meine öffentliche Vortragstätigkeit einfließt.

55 Kommentare

  1. Deus sive natura?

    Das ist ein schöner Artikel. Aber ich verstehe Sie nicht und/oder bin anderer Meinung.

    Meinen Ohren klingt das, was Sie schreiben, spinozistisch – “Deus sive natura”, Gott ist die Natur, die Welt, die Wirklichkeit, das in ihr Wirkende.

    Ich halte mit dem Buddha dagegen, dass die Welt der falsche Ort und “Sein” der falsche Zustand ist, mithin, falls “Deus natura sit”, er eine ebensolche Fehlkonstruktion wäre. Vielleicht weiss er es ja sogar, und dann würde ich zusammen mit Philipp Mainländer versuchen, die Welt als “Selbstmordprojekt Gottes” zu verstehen.

    Ich halte mit Benedikt XVI (mit dem mich ansonsten wenig verbindet) ebenfalls dagegen. Ich las seine letzte Enzyklika, in der er (m.E. völlig zu recht) den “Erlösungsbedarf” des Menschen betont. Wo aber dieser Bedarf besteht, ist etwas falsch und faul, womit das obige Argument wieder zu greifen beginnt.

  2. Zeigt aber das gestörte Verhältnis der Menschen zum Zufall. Jedes Ereignis wird unter dem Gesichtpunkt hinterfragt: welche Handlungen oder welches Verhalten haben das bewirkt? oder was hat die Götter veranlasst einzugreifen?

  3. @Wicht

    Toll, dass Sie immer so rasch antworten, Herr Wicht, das macht wirklich Spaß!

    Wenn man “Wirklichkeit” so versteht, wie Sie, würde ich meinen eigenen Text wohl auch ablehnen! Aber ich hatte ja in früheren Beiträgen schon versucht, diesen Begriff etwas zu klären. (Hätte ich vielleicht noch einmal erwähnen sollen …)

    Wirklichkeit meint hier: das Wirklichsein des Wirklichen, das Gegenwärtigsein des Gegenwärtigen (actualitas). Hört sich erst kompliziert an, aber zielt auf die Tatsache des Seins der Welt selbst. Mithin ist Gott kein Seiendes: weder das erste Seiende, noch das höchste Seiende, noch die Summe alles Seienden (Welt, Natur, das All, wie Spinoza meint). Und in diesem Sinne macht es m.E. keinen Sinn zu sagen: “Es gibt Gott”. (Gott wird nie Objekt, auch nicht Satzobjekt; wenn, dann ist er das Subjekt “Es” in der Formulierung “Es gibt X”.)

    Das Einssein der Wirklichkeit erschließt sich im gegenwärtigen Erleben: jetzt (“aktuell”). In der alltäglichen Erfahrung, die eine abstrakte Re-Präsentation ursprünglichen Erlebens ist, ist diese Einheit bereits zerfallen (Subjekt-Objekt-Trennung); dort kann sie auch nicht wieder gefunden werden (siehe Buddha). Dasselbe gilt für das Wissen, eine Re-Präsentation der Erfahrung, eine Re-Präsentation zweiten Grades sozusagen. Dichotomien, Paradoxa (z.B. Gehirn/Geist) usw. liegen in der Natur des Begriffs selbst – und verweisen daher kôanartig auf einen ursprünglicheren, vorbegrifflichen Wirklichkeitszugang.

    Das abstrakte Leben in Wissen und Erfahrung ist die zweite Natur des Menschen (es sei denn, er ist noch ein kleines Baby oder schwer demenzkrank). Verlieren Erfahrung und Wissen den Kontakt zum Gegenwartserleben (zu Gott) – was immer nur aus Sicht des Menschen geschieht, tatsächlich aber unmöglich ist – dann erfährt sich der Mensch als getrennt, im Gegenüber zu einer unwirtlichen Welt, erlösungsbedürftig, liebesunfähig.

    Vom Erleben her betrachet, gibt es jedoch kein Getrenntsein. Liebe ist daher christlich in erster Linie keine moralische Leistung, sondern das Wesen der Wirklichkeit selbst, ihre ursprüngliche Einheit, die bereits mit jedem Blickkontakt auf unaussprechliche Weise ohne Anstrengung “realisiert” wird (vgl. 1 Joh: Gott ist Liebe, Mt 25: Was Ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt Ihr mir getan).

    Mag sein, dass Erlösung noch offenbar werden muss – aber dass Christen noch genauso darauf warten wie Nichtchristen, sie gar erst “nach dem Tod” erwarten und nicht schon als real geschehen erkennen, kann schwerlich eine christliche Aussage sein. Jedenfalls wüsste ich dann nicht, welchen Gehalt dieser Glaube überhaupt noch hätte (Taufe? Auferstehung?).

    Die schlichte fromme Aussage “Gott ist gegenwärtig” kann eben nicht scheibchenweise interpretiert werden (Erlösung “schon und noch nicht” u.ä. Formulierungen), Gott ist Gott. Nimmt man sie ernst und findet einen Zugang, gewinnt man von der Gegenwart her einen anderen Blick auf die Welt und den Mitmenschen – den man zwar immer schon hatte, denn sonst sähe man gar nichts, aber den man nicht mehr bemerkt oder irgendwann nicht mehr ernst genommen hat.

    Ich ahne, dass dies alles den Lesern kompliziert vorkommen könnte. Aber glauben Sie mir: Tatsächlich rede ich von etwas sehr einfachem. Die traditionelle religiöse Ausdrucksweise ist dagegen, genau betrachtet, viel komplizierter und unverständlicher, nur eben ein wenig vertrauter.

  4. Deus sive actualitas?

    ..schnell zu antworten, das hab’ ich mir im Usenet angewöhnt. Aber auch schnell zu denken – das ist viel schwieriger. Korrigieren Sie mich also, falls ich Sie erneut missverstehe.

    Sie sind also KEIN Spinozist/Pantheist. Fein. Aber ganz verstanden habe ich Ihren metaphysischen Standpunkt immer noch nicht.

    Mit dem Aquinaten und dem Meister Ekhardt verbindet Sie offenbar der Begriff der “actualitas”, “wercelicheit”. Wenn ich Sie recht verstehe, behaupten Sie dessen Identität mit Gott. Ich habe aber grosse Probleme damit, den Begriff der “wercelicheit” zu fassen. Es ist nicht das “Werk”. Es ist nicht “die Wirkung”. Es ist nicht das “Bewirkende” (oder doch?). Es scheint mir eher so etwas wie “die Tatsache des Wirkens” zu sein. Denn mit Ihrer Definition (Zitat) “das Wirklichsein des Wirklichen” hab’ ich ein Problem: im Wirklichsein ist “sein” schon drin – wie kann dann Gott, wie Sie im Nachsatz sagen, ein “Nicht-Seiendes” sein?

    Ich weiss nicht, ob ich mit meiner Interpretation von “actualitas” dem näher gekommen bin, was Sie und der gläubige Thomas darunter verstehen.

    Ich bin halt ein ziemlich ungläubiger Thomas … und auf der Basis meiner Gedanken über das, was Sie schreiben (die sicherlich von grosser theologischer Naivität zeugen), kommt es mir so vor, als ob Sie nichts weiter sagten als: “Gott ist Tatsache”. Punktum. Basta. You can’t escape him. And his love is gonna getcha anyway…

    Wenn’s ja so wäre, fänd’ ich das ziemlich toll. Aber ich fühl’ mich wirklich ganz grausig unerlöst. Tatsache!

  5. Nachtrag zu “Deus sive actualitas”

    Nee, schnell denken ist meine Sache nicht. Gerade gemerkt, dass ich mal wieder in die Heidegger-Falle getappt bin und “Sein” und “Seiend” velwechsert habe.

    Ist aber auch zu blöd…

    Reduziert aber, um in der Logik meiner Interpretation Ihrer Denke zu bleiben, meinen Satz “Gott ist Tatsache” (der ja falsch ist, weil ein Tatsache ein “Seiendes” ist) auf den Satz: “Gott IST”.

    Wenn man von ihm aber nur sagen kann, das er IST, und ihm kein Attribut beilegen, ihn nicht mit irgendetwas Seiendem identifizieren kann … weiss nicht … ein bischen fade?

  6. Gott ist Tatsache

    “Gott ist Tatsache”

    … da denke ich automatisch an Nietzsches Sprüchlein “Gott ist tot”.

    Und muss darüber sinnieren, dass nur einer tot sein kann, der zuvor lebendig gewesen ist. Also ist er gestorben – hat er vorher gelebt?
    Was qualifiziert eigentlich einen Toten? Dass es noch etwas von ihm gibt, das … verwest? Oder dass er anderweitig Spuren hinterlassen hat, die noch nicht gänzlich ausgelöscht worden sind?

    Und was bedeutet überhaupt das schöne Wörtchen IST im Zusammenhang mit dem Totsein?

    Ist automatisch alles Nichtlebendige tot? Waren wir Menschen also bereits tot, bevor wir gezeugt wurden? Oder nur inexistent?

    Ihre Idee, dass alles, was wir im Leben erleben, also was uns widerfährt oder was wir tun, Ewigkeit besitzt, lässt das nicht schlussfolgern, dass wir dann eigentlich unsterblich sind?

    Aber wie will man sich sicher sein, dass die eigenen hinterlassenen Spuren – wie Lahms Tor – tatsächlich erhalten bleiben in der Zukunft des Universums? Wäre nicht auch eine Welt denkbar, in der alles hier Geschehene bis zur Gänze gelöscht wird, und das irreversibel?

    Dann ist das hier Geschehene nicht mehr rekonstruierbar, auch Lahms Tor … wäre dann genau genommen nur noch eine mögliche Fantasie, eine Eventualität. Und die Wirklichkeit wäre tatsächlich vergleichbar einer Illusion.

    Herzliche Grüße,
    T.G.

  7. @ Glaukos

    Oje – mit “Gott ist Tatsache” als (vermutliche) Fehlinterpretation des Hoppeschen Standpunktes und meiner Ignoranz gegenüber Heideggerschen Subtilitäten hab’ ja wohl wieder mal Nebelkerzen geworfen, wo andere Licht hin zu tragen versuchen.

    Ich verschanze mich jetzt lieber mal in (anti-)parmenidischer Dunkelheit.
    “Das Seiende ist nicht, ebensowenig das Sein. Das Nichts ist.”

    Licht aus!

  8. @Wicht – Sein

    Ihr Nachtrag trifft es auf den Punkt. Der einzige “Satz” den man sagen kann ist “Gott ist” (deum esse, “dass Gott ist”, heißt es in den Gottesbeweisen bei Thomas). Aber “Gott ist dies oder das” wäre eine theologische NoGo-Area; dagegen: via negativa/Weg der Verneinung, via eminentiae/Weg des Übersteigerns in der Theologie.

    Ist dieser “Gottesbegriff” – Gott ist das Sein – fade? Die Bestimmung des Seins (Gottes) bei Thomas als Wirklichsein (esse est actualitas) und als Gegenwärtigsein (wenn man sich mal nicht mit Meister Eckharts Übersetzung zufrieden gibt und die Aktualität der actualitas herausstreichen will) zeigt auf genau-dies-hier-jetzt in seiner ganzen einmaligen, unwiederbringlichen sinnlichen Fülle, die mit Worten nicht beschrieben werden kann und die alle Vorstellung laufend übertrifft. Dies hier jetzt ist das Konkrete per se. Von nichts kann man so umfassend sagen, dass es unbezweifelbar wirklich und genau so ist wie es ist (buddhistisch: tathagatha, das Sosein). Alles andere ist nur in der zeitenthoben-gegenwärtigen Wirklichkeit des dies-hier-jetzt wirklich (z.B. Vergangenheit und Zukunft und Gehirne usw).

    Dass wir, die wir nichts als Sternenstaub sind, die Welt spüren – dass Fleisch/Gehirn denkt und fühlt usw. um es einmal drastisch zuzuspitzen – dass die Welt genau dadurch überhaupt existiert, dass sie für uns wahrnehmbar da ist; dass die Welt ist, dadurch dass und indem sie sich uns zeigt, genau jetzt – das ist doch bemerkenswert. Genaugenommen: überwältigend. Am Gegenwärtigen erfahren wir Gegenwart, am Wirklichen Wirklichsein.

    Man kann das Wort Gott zunächst als Chiffre für eine noch unbestimmte Ahnung verwenden. Meines Erachtens findet diese Ahnung im Erleben/Entdecken der Gegenwart, genau jetzt, ihren eigentümlichen höchstkonkreten “Gegenstand” (zeitenthoben, Einheit, unbezweifelbar wahr, begrifflich nicht fassbar usw.).

    Man muss dies nicht unbedingt Gott nennen – Thomas von Aquin stellt am Ende seiner Gottesbeweise immer lapidar fest, dass z.B. der “erste unbewegte Beweger” von allen Gott genannt wird. Das Wort ist nicht die Sache. Aber dieses Wort hat die Tradition hinter sich, genau die gemeinten Inhalte zu transportieren; und die Ablehnung des Wortes würde an der Sache nichts ändern.

  9. “Land in Sicht

    Land in Sicht
    Singt der Wind in mein Herz
    Die lange Reise ist vorbei
    Morgenlicht
    Weckt meine Seele auf
    Ich lebe wieder und bin frei

    Und die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen
    Die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n
    Die durstigen Lippen wird der Regen trösten
    Und die längst verloren Geglaubten
    werden von den Toten aufersteh’n

    Ich seh
    Die Wälder meiner Sehnsucht
    Den weiten sonnengelben Strand
    Der Himmel
    Leuchtet wie Unendlichkeit
    Die bösen Träume sind verbannt

    Die Tränen von gestern wird die Sonne trocknen
    Die Spuren der Verzweiflung wird der Wind verweh’n
    Die durstigen Lippen wird der Regen trösten
    Und die längst verloren Geglaubten
    werden von den Toten aufersteh’n” (Ton Steine Scherben) oder anders ausgedrückt:

    “Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.”(Offb.21,1-4)

  10. @ Glaukos

    Es ist fast sicher, dass in 10.000 Jahren wohl niemand mehr etwas von Lahms Tor wissen wird. Aber wenn dieses Tor gestern jemals wirklich war, dann für alle Zeiten – ob jemand es weiß oder nicht.

    Es wird für alle Zeiten wahr sein, dass ich heute am 26. Juni 2008 diesen Kommentar verfasse – vorausgesetzt, dass es jetzt wirklich ist. Eine andere Welt, in der das irgendwann nicht mehr wirklich ist, ist nicht denkbar; das wäre absurd.

    Vielleicht ist die Welt absurd – aber es wäre eben undenkbar. Hierauf weist ja auch Spaemann mit seinem “letzten Gottesbeweis” hin: das Futurum exactum – was jetzt wahr ist, wird in Zukunft wahr gewesen sein – steckt in der Sprache und solange wir überhaupt noch Grammatik haben, werden wir Gott nicht los (Nietzsche).

  11. @ Hilsebein

    Wie verstehen Sie die beiden Texte, Herr Hilsebein? Wie bringen Sie die darin ausgedrückte Hoffnung mit Erkenntnissen der Hirnforschung/der Naturwissenschaft zusammen?

    Könnte es nicht sein, dass wir unseren Alltag ohne die in diesen Texten ausgedrückte, im Alltag jedoch implizite Hoffnung gar nicht leben könnten? Könnte es nicht sein, dass die reale Erfahrung, die eine solche Hoffnung begründet, die Erfahrung von Gegenwart ist, z.B. der tröstenden Gegenwart eines anderen, der einfach da ist? Und könnte es nicht sein, dass wir den Autoren zu Unrecht ein bestimmtes zeitliches Verständnis in den Mund legen, wenn wir die Erfüllung dieser Hoffnung als “nach dem Tod” geschehend denken?

    Aber mich interessiert wirklich, wie Sie die Texte verstehen!

  12. @Hoppe

    So, wie es Nietzsche verstanden hat:

    “Das »Himmelreich« ist ein Zustand des Herzens nicht etwas, das »über der Erde« oder »nach dem Tode« kommt. Der ganze Begriff des natürlichen Todes fehlt im Evangelium: der Tod ist keine Brücke, kein Übergang, er fehlt, weil einer ganz andern bloß scheinbaren, bloß zu Zeichen nützlichen Welt zugehörig. Die »Todesstunde« ist kein christlicher Begriff – die »Stunde«, die Zeit, das physische Leben und seine Krisen sind gar nicht vorhanden für den Lehrer der »frohen Botschaft« . . . Das »Reich Gottes« ist nichts, das man erwartet; es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in » tausend Jahren« – es ist eine Erfahrung an einem Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da . . .”

    Wenn Sie mich nach der Hirnforschung fragen, so sehe ich noch eine große Diskussion auf uns zukommen, was den Willen anbelangt. Und wenn es der “Wille” Schopenhauers ist oder der “Weltgeist” Hegels, der sich durch die Dialektik zu jener Höhe -ins Licht- hinaufschwingt, aus der er eins vor Äonen fiel, ein Wille, der vor uns war, dessen Teil wir sind und dennoch im Widerspruch zu ihm stehen -als Vetorecht- (Libet), so ist Mensch nicht Bürger eines Landes, nicht Weltenbürger, sondern Bürger EINER Welt, die er beobachtet und durch die Beobachtung schon verändert. Evolution ist nicht etwas vergangenes, sondern findet immer noch statt -und wir sind nicht die Ebbe dieser Flut. Doch um das “Vetorecht” wird es gehen müssen, denn der Mensch als Tier bleibt getrieben. Dialektik heißt eben A und B zusammenzuführen ohne nach der einen oder anderen Seite umzukippen. So ist, wenn Sie so wollen, die “Neue Welt”, das “Reich Gottes” die letzte Synthese, die sich aus These und Antithese ergeben wird -das ist die Hoffnung, die sich in den Texten ausdrückt!

  13. @ Wicht

    “Licht aus!”

    Helmut, ich freue mich immer, wenn Du schreibst -Du bringst Licht in das Dunkel meines Daseins! Doch ich gebe Dir einen Satz mit auf den Weg: “Das Licht kam in die Finsternis, doch die Finsternis hat das Licht nicht erkannt.” Irgendwo bei Johannes -obwohl ich, wie Du, Thomas eher verehre!

  14. @ Hilsebein

    Dietmar,
    danke.

    Auf die Gegenüberstellung des kryptischen, dunklen, pseudoparmenidischen Geraunes vom “nicht sein” zum saloppen “Licht aus!” war ich auch stolz. Formal widersprechen sich beide Satzgebilde auf’s heftigste, inhaltlich sagen sie dasselbe.

    Ein Gedankenblitz, halt wieder mal mehr formaler als inhaltlicher Natur…

    Inhaltlich: Mannomann, Deine Schreibe ist aber auch nicht schlecht “Flut, deren Ebbe wir nicht sind” – schick! Warum zitierst Du so viel und schreibst so relativ wenig selbst? Inhaltlich sind wir freilich überkreuz (wie es sich für einen Nietzscheaner und einem Schopenhaueristen gehört): Du suchst das Heil innerweltlich, ich ausserhalb.

  15. @ Wicht

    “Warum zitierst Du so viel und schreibst so relativ wenig selbst?”

    …weil ich niemals aus mir selbst sprechen kann! Ich bin geboren unter Menschen und ich erfinde das Rad nicht zweimal -dies wäre nur Eitelkeit! Kannst Du Dich noch an Antisthenes und Hegel erinnern? Das Wort war schon immer da! Kannst Du Dich noch an “die ewige Wiederkehr des Gleichen” erinnern? Und an Kohelet, der das Selbe sagte? Wer bin ich, daß ich in meinem Namen sprechen könnte?

  16. @ Hilsebein

    Prediger, Antisthenes und Vanitas…ich habe selten eine so schön verpackte Ohrfeige bekommen.

    Ja.

    Ich bin eitel. Aber ich halte es für eine Tugend. Eine zwiefache sogar. Denn es zwingt mich, das, was ich sage, auch im Lichte seiner Wirkung zu denken. Eitelkeit zeugt Intersubjektivität.

    Ich bin eitel, aber auch im zweiten Sinn des Wortes: leer, vergeblich. Aus mir spricht wortreich das Schweigen, lärmt laut die Stille, marktschreierisch preise ich die Waren in meinen leeren Regalen an. Mich rädernd muss ich das Rad immer neu erfinden, es immer weiterdrehen, in der Hoffnung, es dadurch zum Stillstand zu bringen.

    Ja, vanitas, immer dasselbe, denn die ganze Welt besteht daraus und wiederholt sich ewig gleich in Eitel- und Nichtigkeit. Aber die Formen der Wiederholung wechseln – und das ist einer der wenigen Dinge, die ich an dieser Welt wirklich originell finde.

    Gute Nacht!

  17. @Hoppe

    “Mithin ist Gott kein Seiendes: weder das erste Seiende, noch das höchste Seiende, noch die Summe alles Seienden” (und ähnliche Stellen)

    Mir fällt es schwer ihre – sehr ästhetisch – formulierten Argumente zu begreifen. Meine Hauptprobleme sind (und das liegt sicher auch an meiner “theologischen Naivität”):

    Sie drängen den Gottesbegriff in einen Bereich ab, der nicht mehr fassbar ist. Wir können also keine deskriptiven Aussagen über Gott treffen.

    A. Welche Rolle spielt dann Ihr Gott, wenn er jenseits von allem Seienden liegt? Wird er dadurch nicht kausal reduzierbar (was vermutlich viele Religionsauslegungen für falsch erachten würden)?

    B. Ist Ihr Gott denn erfahrbar, wenn er nicht wirken kann, da er ja außerhalb der Wirklichkeit liegt?

    C. Ihr Gottesbegriff ist sehr stark selbstimmunisierend. Sie könnten stattdessen jeden anderen Begriff einsetzen und er wäre ebenso nicht widerlegbar.

  18. @ Sladky

    RS: Sie drängen den Gottesbegriff in einen Bereich ab, der nicht mehr fassbar ist. Wir können also keine deskriptiven Aussagen über Gott treffen.

    CH: Gott ist so konkret und so ungreifbar wie genau dieser Augenblick. Die Gegenwart – genau jetzt – lässt sich auch nicht deskriptiv erfassen. Nichts wiederholt sich – Wiederholung existiert immer nur auf der abstrakten Ebene (Erfahrung, Wissen); Begriffe bezeichnen jedoch das, was sich an einer Sache wiederholt. D.h. Gott/die Gegenwart ist zwar begrifflich unfassbar, aber nicht abstrakt i.S.v. fern, jenseitig etc.

    RS: A. Welche Rolle spielt dann Ihr Gott, wenn er jenseits von allem Seienden liegt? Wird er dadurch nicht kausal reduzierbar (was vermutlich viele Religionsauslegungen für falsch erachten würden)?

    Dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts – das ist die “Rolle” Gottes. Aber Gott ist kein Teil der Wirklichkeit, keine Kraft unter anderen Kräften in ihr – darin liegt wohl eine Kritik mancher religiöser Aussagen. Aber wie gesagt: Ich glaube, dass manche religiöse Aussagen über den Glauben das eigentlich gemeinte, das eigentlich Geglaubte verfehlen.

    RS: B. Ist Ihr Gott denn erfahrbar, wenn er nicht wirken kann, da er ja außerhalb der Wirklichkeit liegt?

    Gott wird als die Wirklichkeit selbst erfahren, aber nicht als diese oder jene Wirklichkeit. Wenn jemand sagt: Vor drei Jahren habe ich Gott erfahren, dann hieße das: Vor drei Jahren habe ich die Wirklichkeit erfahren. Man merkt: es kann schon gewisse datierbare Erfahrungen von Erkenntnis geben; aber letztlich macht eine solche Aussage keinen Sinn, weil wir die Wirklichkeit stets an allem Wirklichen erfahren. Im Christentum gibt es letztlich keine Trennung zwischen dem Heiligen und dem bloß Profanen.

    RS: C. Ihr Gottesbegriff ist sehr stark selbstimmunisierend. Sie könnten stattdessen jeden anderen Begriff einsetzen und er wäre ebenso nicht widerlegbar.

    Das stimmt. “Gott” ist nur ein Wort. Wir können diese Bezeichnung sofort aufgeben. Das ändert aber an der Sache nichts. Und mir scheint, die Sache wird in der theologischen Tradition genau auf den Punkt gebracht. Sie wird auch im religiösen Empfinden vieler Menschen genau richtig gesehen. Und sie ist jeder ernsthaften Wahrheitssuche – selbst der von erklärten Atheisten – inhärent.

    Ein überzeugendes Konzept sollte immun sein und “Angriffen” standhalten. Es macht ja keinen Sinn, sich ein sinnloses Gotteskonzept auszudenken, auf das man dann einprügeln kann, das aber tatsächlich niemand hat. Tut mir Leid, wenn theologische Klarstellungen manchen Religionskritikern den Spaß verderben.

  19. @ Hoppes Replik auf Sladky

    “Dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts – das ist die “Rolle” Gottes.”

    Wenn DAS stimmt, dann sehe ich mich gezwungen, nicht nur zum Atheisten, sondern schlagartig zum Satanisten – ich soltte besser sagen: zum Mephistopheliker – zu werden. Wenn DAS stimmt, wenn ER das Sein ist, und nicht auch das Nichts, dann ist ER ein Demiurg. Wenn DAS stimmt, dann ist die ganze Theologie nichts weiter als die Naturwissenschaft: eine Hypostase des “Seins”. Wenn DAS stimmt, und wenn er auch das Nichts umgriffe, so wäre es doch stets nur ein “Nil permissivum”, das stets die Möglichkeit des Seins in sich trägt, denn er hat es ja realisiert.

    Mephisto aber träumt von “Nil absolutum”, das mit dem “Bösen” gleichzusetzen mir schwer fällt. Ich habe keine Vorstellung vom “Nil absolutum” – aber wenigstens den Begriff davon. Ich weiss nicht, wie es sich anfühlt, nicht zu sein und auch keine Möglichkiet dazu zu haben. Ich weiss aber, dass ich zumindest begrifflich über DIESEN Gott, der sich an’s Kreuz des “Seins” nagelt, hinaus bin.

    Ohne ihn freilch deshalb zu verachten und meinen Erlösungsbedraf zu leugnen.

  20. @ Wicht (@ Hoppe)

    Ich bleibe einmal bei meinem Zugang vom Jetzt her: Dies hier jetzt ist sicher nicht etwas – dies oder das -, aber was “Nichts” vom Jetzt her betrachtet sein/bedeuten soll, ist mir unklar. Die Buddhisten sprechen – bereits missverständlich – von “Leere”. Gemeint ist vermutlich so etwas wie Nicht-Substanz, Nicht-Dinglichkeit der Wirklichkeit. Aber ein Nichts? Mit Bitte um Aufklärung zu einem zentralen philosophischen Begriff, der mir jedoch nichts (sic!) sagt.

  21. In zehntausend Jahren @hoppe

    Es ist nicht auszuschließen, dass in 10.000 Jahren Lahms Tor noch irgendwo in irdischen oder außerirdischen Archiven abgespeichert ist. Es würde dann allerdings so viel Bedeutung haben wie wenn Sie notieren, dass die Fliege an ihrem Fenster sich genau in diesem Augenblick links im Kreis herum dreht und nicht rechts herum: Eine ungeheure Banalität also.

    Ihre These, dass das Tor für alle Zeiten wirklich gewesen sein wird, wenn es wirklich wirklich gewesen sein sollte – erscheint mir als bloße Annahme. Was sagen Sie dazu: Wenn die Lüge stärker ist als die Wahrheit, wenn sie die Wahrheit verdrängt und ersetzt, bis alle die Wahrheit vergessen haben oder es nicht mehr wagen, sie auszusprechen, wenn sie also in Vergessenheit gerät und die Lüge den Sieg davonträgt, wo ist dann die Wahrheit geblieben? Dieses ehemals Wirkliche ist dann gänzlich verschwunden, es gibt keine Spuren mehr …

    Eine Lösung dieses Dilemmas sehe ich nur in der Überlegung, ob die Wirklichkeit gespeichert wird oder nicht. In einer determinierten Welt bestünde zumindest die theoretische Möglichkeit, jenes vergangene Moment zu rekonstruieren – jede Lüge, jeder Betrug, ja alles jemals Geschehene würde theoretisch rekonstruierbar sein.

    Im anderen Fall, wenn die Rekonstruktion unmöglich ist, ist auch die Vergangenheit nurmehr verschwommen.

    In Fall von Lahms Tor bliebe dann nur eine vage Ahnung von einem Spiel namens Fussball, das die Massen des homo sapiens im 20. und 21. Jahrhundert begeisterte, aber die Details wären verlorengegangen.

    Wenn Sie schreiben, dass ihr Kommentar vom 26. Juni 2008 für alle Zeiten wahrhaft geschehen sein wird, dann gehen Sie offenbar von einem deterministischen Weltbild aus – kann das sein?

    Wer einem wundersamen = indeterministischen Weltbild anhängt, der muss darauf gefasst sein, dass in diesem Zauber-Universum munter geklittert wird und das Wahre einfach gelöscht und ersetzt wird.

    (Anbei:

    Dieses hier erwähnte GOTT IST erinnert doch deutlich an Hawkings Idee vom DAS UNIVERSUM IST.)

  22. @ Wicht

    “Ich weiss aber, dass ich zumindest begrifflich über DIESEN Gott, der sich an’s Kreuz des “Seins” nagelt, hinaus bin.”

    Um ehrlich zu sein: Ich habe Golgotha nie verstanden. War es Größenwahn? War es eine Verwechslung, ein “Ich bin” statt ein “Ich ist”? Wie kann ein Mensch sagen, daß er von “oben” kommt und anderen Menschen sagen, daß sie von “unten” kommen? War es Todessehnsucht? Aber wie gesagt: ich verstehe es nicht und verstehe auch nicht, wie ein Mensch über “Gott” eine Aussage treffen kann. Ich sehe nur einen Willen, der zum Lichte strebt -was immer dieses Licht auch bedeuten mag. Von “oben” können wir nicht denken, das ist Spekulation -soviel Kant muß sein!

  23. @ Glaukos II

    TG: “Ihre These, dass das Tor für alle Zeiten wirklich gewesen sein wird, wenn es wirklich wirklich gewesen sein sollte – erscheint mir als bloße Annahme.”

    Aber genau das ist ja gerade der Punkt: dass Wirklichkeit ist, können wir gar nicht wissen, sondern wir müssen es – wenn wir ernsthaft denken und nach Wahrheit fragen wollen – “annehmen”, es glauben. Kein Beweis also, sondern ein denknotwendiger Glaube. Und daher eine theologische Grundlegung der Philosophie und der naturwissenschaftlichen Wirklichkeitserschließung – auf die die Philosophie gleichsam im Laufe der Zeit notwendig zusteuern musste.

    Wir können uns die Wirklichkeit nicht ausdenken – und ohne Wirklichkeit nicht denken. Das aber ist der Anfang der Theologie.

    Zu unserem Begriff der Wirklichkeit gehört notwendig, dass etwas, was einmal wirklich war, zu diesem Zeitpunkt nicht auch nicht wirklich gewesen sein kann. Ich müsste vieleicht noch einmal länger darüber nachdenken, aber ich vermute, dass eine Welt, die ihre eigene Vergangenheit laufend umschreibt, wiederum undenkbar bzw. absurd wäre. Vielleicht ist es ja so – aber solange wir denken, müssen wir von etwas anderem ausgehen.

    Dass jemand weiß, was genau früher geschah, muss man m.E. nicht annehmen (so konzipiert allerdings R. Spaemann seinen “letzten Gottesbeweis”: Gott als das Bewusstsein, als der Megaspeicher, in dem das Futurum exactum als wahr gedacht werden kann). Auch hier gilt: Du sollst Dir kein Bild machen …

    Ich glaube nicht, dass meine Sicht der Wirklichkeit die Existenz akausaler physischer Ereignisse (Indeterminismus) ausschließt. Indeterminismus meint m.E. nicht, wie manchmal suggeriert wird, dass “alles geht”: die Zeit kehrt sich nicht um, Geschehenes wird nicht ungeschehen gemacht, indeterministische Prozesse können stochastisch sehr wohl determiniert sein, usw.

  24. @ Hoppe – “Nichts”

    Bin ICH der Philosoph? Bestenfalls ein Laie, der sich, mit ein paar Philosophemen und einen diffusen Lebensgefühl bewaffnet, der Höhle des Lintwurms nähert, von der er noch nicht eimal weiss, ob sie ein Ungeheuer oder den Erlöser birgt.

    Das “Nil permissivum” stell ich mir so etwa wie ein Feld in der Quantenmechanik vor: da ist nichts Dingliches, aber es gibt einen Satz abstraker Regeln, die beschreiben, wo und wann unter Umständen etwas auftauchen könnte. Wenn man hinguckt, zum Beispiel. In den Termini der Ontologie (hoffenmtlich greif’ ich jetzt nicht daneben), würd ich also sagen, das dieses Feld “ist”, “Sein” hat, und darüberhinaus die Möglichkeit, etwas “Seiendes” hervorzubringen.

    Das “Nil absolutum” stelle ich mir als die Abwesenheit jeder Möglichkeit von “Sein” und “Seiend” vor. Am ehesten noch triffts folgende Überlegung: wenn ich mich – wachend – frage, wo und wer ich war, als ich traumlos schlief, und mich weiter frage, wie es sich anfühlte, traumlos zu schlafen: dann fühl’ ich mich nah dran.

  25. @ Hoppe – Nichts

    “Dann wäre das Nichts also eine Wirklichkeit…”

    Ich weiss nicht. Das “permissive” vielleicht. Das “absolute” stell’ ich mir ganz ausserweltlich vor, jenseits von Aktualität und Potenz dazu.

    Gibt es eigentlich Versuche, sich mit dem “Nichts” genauer auseinanderzusetzen? Ich meine: das “Sein” ist vorwärts und rückwärts durchdekliniert worden, “Sein”, “Seiend”, “Werden” … gibt es jenseits des Wortgeklingels (“das Nichts nichtet..”) ernsthafte Versuche, das “Nil” näher zu bestimmen?

    Wenn nicht, müsst’ man sich doch glatt mal an eine Kultur- und Philosophiegeschichte des “Nichts” machen.

  26. Nach langem Ausathmen?

    Sehr geehrter Herr Hoppe,
    da ich mich als, wie man bei uns sagt:”Mährsack” (immer nörgenlder Kriticker) betätigt habe, möchte ich Sie jetzt loben. Schön das Sie wiedereinmal etwas geschrieben haben.

    ****1/2 Sterne von *****!

    Sehr schöner Beitrag. Sie ringen meinem sprunghaftem Gehirn, respekt ab.

    Gruß Uwe Kauffmann

  27. @ Hoppe

    Hallo,
    es gibt keine Wirklichkeit jenseits der Wahrnehmung, auch wenn die Philosophie, das als Arbeitshypotese voraussetzt.
    Jede Wissenschaft bildet die Realität nur unscharf ab. Das Realität endlich und korekt beschreibbar ist ist eine Annahme,
    die so nie zutreffen wird. Die Realität empfinde ich als Mandelbrotmenge. Zwar berechenbar aber unendlich.

    Und so wie die Fraktale nur begrenzt berechnet werden, wird es immer nur eine begrenzte Berechnung der Realität geben.

    Sich mit der Sicherheit des Vestehens
    betäuben zu wollen, scheint aber eine weitverbreitete seh(e)n-Sucht, vom Bildzeitungslesers, bis in gehobene akademische Kreise zu sein.

    Gruß Uwe Kauffmann

    (*Das ist nicht als Kritik gemeint. Es ist halt nicht einfach loszulassen! Oder mal den Satz, Glauben heißt nicht Wissen, unter Umkehrung der Qualitäten zu betrachten.*)

  28. Am Abgrund zum Wahnsinn

    Da hier ja auch mal gern die Bibel zitiert wird, folgendes:

    Und ich richtete mein Herz darauf, dass ich lernte Weisheit und erkennte Tollheit und Torheit. Ich ward aber gewahr, dass auch dies ein Haschen nach Wind ist. Denn wo viel Weisheit ist, da ist viel Grämen, und wer viel lernt, der muss viel leiden. (Luther Bibel 1984)

    Gestern kam im Deutschlandfunk eine interessante Sendung, ist dummerweise aber nicht Online Am Abgrund der Unendlichkeit
    Wenn Mathematik und Wahnsinn aufeinandertreffen

  29. @ Wald

    drum auf Brüderlein, laß uns ein Gläschen edlen Tropfens trinken, denn wo viel Mühsal ist, da wachsen auch die Reben!

  30. @Hilsebein und Wein

    Schau nicht nach dem Wein, wie er rötlich schimmert, wie er funkelt im Becher: Er trinkt sich so leicht!

    Zuletzt beißt er wie eine Schlange, verspritzt Gift gleich einer Viper.

    Deine Augen sehen seltsame Dinge, dein Herz redet wirres Zeug.

  31. @ Wald

    Was kann mir die Viber -ihr Gift ist gar mild. Die Moral liegt darnieder -die Lust ist gestillt!

  32. Nachtrag @ Wald

    Das Apollinische und das Dionysische gehören not-wendig zum Charakterzug des Menschen! (-> F.Nietzsche)

  33. @Wald

    Hallo,
    vielen Dank für den Link. Habe mir das Skript zur Sendung ausgedruckt und gelesen.

    Diese spezielle Fluchten habe alle das Potenzial, in der Wahnsinn zu führen.

    Die Suche nach Ordnung kann zur Sucht werden. Dies ist meiner Meinung nach eher der Grund für die Exsistenz Gottes, als die im Feature aufgeführten Zahlenspiele.

    Schade ich hätte es gern gehört, denn ich bin auditiv veranlagt.
    Ich höre relativ oft DLF, aber nutze doch mehr das Podcastangebot.
    Aber ich habe fest vor mir noch einen zweiten PC zuzulegen, wird dann wohl wieder eine medientaugliche Maschine werden. Dann nur für mich, nicht wie der Familien-PC an dem ich jetzt sitze.
    Na dann drücken wir Deutschland mal die Daumen.

    Gruß Uwe Kauffmann (*:-) geb. Riemann*)

  34. @ Hilsebein

    “Um ehrlich zu sein: Ich habe Golgotha nie verstanden. War es Größenwahn? War es eine Verwechslung, ein “Ich bin” statt ein “Ich ist”? Wie kann ein Mensch sagen, daß er von “oben” kommt und anderen Menschen sagen, daß sie von “unten” kommen?”

    Jesus hat allen Ernstes behauptet Gott zu sein (der Vater und ich sind eins und andere Stellen). Das gefällt mir. Wenn jemand so etwas tut gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder es ist so oder der Typ ist geisteskrank. Es gibt nichts dazwischen. Kein Kompromiß, keine Mitte, die gesucht werden kann, keine Verwässerung. Entweder Gott oder Wahnsinniger. Für eines muß man sich entscheiden.

  35. @ Huhn

    “Entweder Gott oder Wahnsinniger. Für eines muß man sich entscheiden.”

    Eines zunächst vorweg: Ich halte Jesus für eine der schillernsten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte. Ich denke aber, daß der Mensch Jesus über einen Christus sprach, der vor ihm war. Wenn dem so ist, so ist Christus allen Menschen zugänglich und Gogotha war ein sinnloses Opfer des Menschen Jesu. Aber wie gesagt: ich muß ausdrücklich betonen, daß hier nichts abgewertet werden soll!

  36. Christus

    “Ich denke aber, daß der Mensch Jesus über einen Christus sprach, der vor ihm war.”

    Hast Du dafür Belege aus der Bibel? Oder worauf begründet sich Deine Denke?
    Ich bin zwar kein Theologe, aber ein bißchen kenne ich mich schon in der Bibel aus. Mir ist davon nichts bekannt. Wer soll dieser Christus gewesen sein? Laut den Propheten des Alten Testamentes sollte er ja auch über ganz bestimmte Eingeschaften verfügen, so daß man ihn erkennen kann.

  37. @ Huhn

    “Hast Du dafür Belege aus der Bibel?”

    “Noch ehe Abraham wurde, bin ich.” (Joh.8,58 -Einheitsübersetzung)

    “Wer soll dieser Christus gewesen sein?”

    Kein Mensch, sondern ein Licht, welches durch alle Zeiten schon immer leuchtete und leuchtet. Möglich, daß Jesus das Licht erkannte. Dies erklärt aber Golgotha nicht!

  38. Präexistenz

    Diese Bibelstelle ist ein von vielen, die auf die Präexistenz von Jesus hinweisen. Da muß man nur mal die ersten Verse des Johannesevangelium lesen. Demnach ist Jesus ja Gott und als Gott muß ihn natürlich auch vor Abraham gegeben haben. Dann wurde Jesus Mensch. Er ist demnach wahrer Gott und wahrer Mensch.

    Der Kreuzestod ist das Opfer für die Sünde (die eigentliche Sünde). Im Römerbrief steht, durch Adam kam die Sünde in die Welt und durch Jesus wurde sie überwunden, beseitigt. Gott dagte ja zu Adam, wer sündigt muß sterben. Da Gott kein Lügner ist und Adam sündigte mußte Adam (die Menschheit) sterben.
    Jesus hingegen war ohne Sünde, da Gott kein Lügner ist, stand Jesus das Leben zu. Dennoch starb er. Für wen oder was? Für die Sünde der Menschheit. Erst durch den Tod von Jesus kann Gott Sünden vergeben, denn ein Opfer war nötig. Gott konnte nicht fünfe gerade sein lassen, das wäre Willkür und Gott obendrein ein Lügner. Und daß die Sünde wirklich besiegt wurde und kein leeres Geschwätz ist, das wird durch die Auferstehung von Jesus verbürgt.

    Das ist mal so in ganz konzentrierter Form (und natürlich deshalb auch stark reduziert), was das Christentum dazu sagt (oder was ich davon verstanden habe 😉 )

  39. @ Huhn & Hilsebein

    Die Frage nach Gott – als Frage nach der Wirklichkeit – läuft notwendig auf die Frage nach dem Menschen hinaus. Wenn Gott nicht nur ein weiteres Wirkliches im Gegenüber zu den anderen, natürlichen Wirklichkeiten ist, sondern die Wirklichkeit – was ist dann der Mensch, der Wirkliches unter vielem anderen Wirklichen ist (“Natur”), dem sich Wirklichkeit aber auch erschließt, der nach der Wahrheit suchen und fragen kann?

    Ich vermute, dass man die Christologie braucht, um hier Antworten formulieren zu können – aber mir scheint an der Diskussion meines Beitrags zunächst einmal bemerkenswert, dass eine (wie ich meine) vertiefte Formulierung der Gottesfrage notwendig dazu führt, neu über den Menschen nachzudenken.

    In Bezug auf den historischen Jesus, würde es mir reichen, ihn als Menschen verstehen zu können, der die Nähe Gottes, seine Gegenwart ernst genommen hat – daraus ergibt sich m.E. dann die gesamte Christologie (von der Jesus selbst nichts wissen konnte und musste).

    Das wohl kaum selbstgewählte Leiden und Sterben dieses Menschen, ermöglicht noch heute – besonders leidenden Menschen – eine innere Verbindung, die man zu einem “Lehrer” (wie etwa dem Buddha) so wohl kaum kennt. Diese persönliche Beziehung konkretisiert gleichsam die Gegenwart Gottes (kann sie manchmal aber wohl auch verstellen).

  40. “(oder was ich davon verstanden habe 😉 )”

    Klar und diese Einschränkung gilt auch ganz besonders für mich! Ich kann nicht anders als Golgotha als Mißverständnis zu bezeichnen! Und Sünde, Schuld -ach herje…Sünde heißt, den Punkt zu verfehlen, neben sich zu stehen, ver-rückt zu sein! Also muß man zusehen, daß man die Mitte findet. Und Adam? Adam vernahm ein Gesetz und erschrak -aber er hinterfragte es nicht. Er hätte fragen müssen: warum werde ich sterben? Vielleicht war er eben im Geiste zu jung, so daß er nicht die Vernunft gebrauchte. Die Vernunft aber ist die Instanz, die vernimmt als auch hinterfragt. Denn was liegt am Glauben, wenn es mit für-wahr-halten verwechselt wird. Glaube ist Vertrauen -ja. Aber der Glaube entbindet den Menschen nicht davon, die Vernunft (nach meiner Definition) zu gebrauchen!

  41. @ Hoppe

    Erstmal muß ich bekennen, daß ich kaum etwas verstehe, worüber sie schreiben. Wenn ich etwas lese wie dieses:

    “Wenn Gott nicht nur ein weiteres Wirkliches im Gegenüber zu den anderen, natürlichen Wirklichkeiten ist, sondern die Wirklichkeit – was ist dann der Mensch, der Wirkliches unter vielem anderen Wirklichen ist (“Natur”), dem sich Wirklichkeit aber auch erschließt, der nach der Wahrheit suchen und fragen kann?”

    Dann verstehe ich nicht worum es geht. Ist aber auch nicht schlimm. Ich lebe ganz gut ohne damit. 🙂

    Aber so ein bisserl verstehe ich schon.

    “Das wohl kaum selbstgewählte Leiden und Sterben dieses Menschen …”

    Da sagt die Bibel aber genau etwas anderes. Es gibt natürlich den Gebetskampf in Gethsemane, wo Jesus bittet, der Klech möge an ihm vorübergehen, aber sein letztes Wort dazu ist, der Wille des Vaters solle geschehen. Gibt aber noch mehr Beispiele aus der Bibel.

    Wie kommen Sie zu der Ansicht, er tat es nicht freiwillig?

  42. Sünde?

    Das eigenartige an Gen 3, dem berühmt-berüchtigten Sündenfall, ist dass in der Geschichte von Sünde bzw. Sündenfall überhaupt nicht die Rede ist. Die Geschichte liest sich viel runder als schlichte Beschreibung des Erwachsenwerdens, einschließlich des religiösen Erwachsenwerdens. Ich habe wirklich Schwierigkeiten mit der langen und dann auch im Christentum bis in die Sakramententheologie hinein wirkmächtigen Tradition, diesen Text als Sündenfall zu lesen. Allerdings ist die Adam-Christus-(bzw. Eva-Maria-)Analogie nur ein christologischer Ansatz im Neuen Testament (bzw. der nachfolgenden Tradition).

    Der erwachsene Mensch weiß, dass er nicht im Paradies lebt, dass die Pforten dahin mit mächtigen “Cherubim und Serafim” verstellt sind – so wie eine Rückkehr in die Kindheit unmöglich und eigentlich auch gar nicht wünschenswert ist. Aber schon im ersten Vers nach der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 4,1) spricht Gott zu den Menschen. D.h. das Außerhalb des Paradiesesgartens ist keine Gottesferne, Gott bestraft gar nicht mit “Liebesentzug”. Die Aufgabe des erwachsenen (religiösen) Menschen ist es, in der Wirklichkeit (nicht in einem ausgedachten Paradies) in der Gegenwart Gottes zu leben.

    Der erste Sündenfall war m.E. eher der Mord Abels durch Kain (Gen 4), ein Mord aus Jähzorn, an dem Gott keinen geringen Anteil hatte – Gott hatte Kains pflanzliches Opfer ja nicht einmal angeschaut und nur Abels Fleischopfer eines Blickes gewürdigt! (Dabei ist in Gen 1 vom Tieretöten noch keine Rede …) Man fühlt sich fatal daran erinnert, dass auch heute religiös motivierter Jähzorn zu Mord und Terror führt.

    Sünde: illusionäre Abkopplung des Verstandes und der Vernunft von der unzerstörbaren Einheit im Erleben unmittelbarer Gegenwart. Verstand und Vernunft wissen nicht mehr, was sie sind; sie vergessen, dass sie abstrakte Wirklichkeitsmodelle liefern, aber nicht die Wirklichkeit selbst, der sie sich verdanken.

  43. @ Huhn

    “Wie kommen Sie zu der Ansicht, er tat es nicht freiwillig?”

    Auch wenn die Frage nicht an mich ging, möchte ich gerne darauf antworten. Den Willen des Vaters tun ohne ihn in Zweifel zu ziehen, ist meiner Meinung nach Masochismus. Gerade der Wille -im Sinne Schopenhauers- muß hinterfragt werden. Und ab da sind wir wieder in der Moderne. Bei Libet und dem “Vetorecht”.
    Es gibt aber auch im AT die Stelle, wo Abraham “Gottes Wille” hinterfragt -mit dem Worten: Und wenn es zehn Gerechte gibt?

  44. @ Hilsebein

    “Und Sünde, Schuld -ach herje…Sünde heißt, den Punkt zu verfehlen, neben sich zu stehen, ver-rückt zu sein! Also muß man zusehen, daß man die Mitte findet.”

    Sünde ist Zielverfehlung, aber was ist denn das Ziel? Meines Erachtens ist das nicht die Mitte, sondern Gott. Er hat den Menschen als Gegenüber geschaffen, aber der Mensch macht sich lieber selbst zum Gott. Tja, da ist er nun, der Mensch, der sich zu Gott macht und sich ständig ablenken (betäuben) muß, weil er spürt, daß ihm was fehlt.

    “Und Adam? Adam vernahm ein Gesetz und erschrak -aber er hinterfragte es nicht. Er hätte fragen müssen: warum werde ich sterben? Vielleicht war er eben im Geiste zu jung, so daß er nicht die Vernunft gebrauchte.”

    In Eden gab es keinen Tod und es gab das Böse nicht (durch die Schlange gab es das schon, aber Adam konnte es nicht erkennen, weil er vom Bösen nichts wußte). Die Vernunft konnte er sicher nicht gebrauchen, weil er “zu unschuldig” war. Was sollte ihm die Vernunft raten? Daß es ihm gut geht, daß Gott ihn noch nie enttäuscht hat? Ja, das ist ihm zuzumuten.

    “Die Vernunft aber ist die Instanz, die vernimmt als auch hinterfragt. Denn was liegt am Glauben, wenn es mit für-wahr-halten verwechselt wird. Glaube ist Vertrauen -ja. Aber der Glaube entbindet den Menschen nicht davon, die Vernunft (nach meiner Definition) zu gebrauchen!”

    Stimmt. Aber so einfach ist das nicht. Wenn mir ein Versicherungsvertreter etwas verkaufen will ist viel Vernunft und wenig Vertrauen angesagt. Bei Freunden umgekehrt. Viel Vertrauen und wenig Vernuft, oder? Wie ist das dann bei Gott? Ist dieser nicht vertrauenswürdig. Wenn er sich für uns selbst opferte, dann ist das doch ein starker Liebesbeweis. Warum sollte er mich übers Ohr hauen wollen?

    Und nun muß ich mich ausklinken, sonst bekomme ich bald die Kündigung. 😉

  45. @ Huhn

    (erst nach Feierabend lesen)

    Was ich schreibe, ist nicht so schwierig zu verstehen, wie es vielleicht zunächst scheint. Wie gesagt, der Schlüssel zum Verständnis ist: dies hier jetzt.

    Was Sie schreiben, ist zwar verständlich, klingt vertraut – aber ich wüsste nicht, warum ich mein Leben heute mythologisch deuten sollte, wie Sie es vorschlagen bzw. für sich offensichtlich tun. Man kann seinem Leben natürlich diesen mythologischen Rahmen geben, und dann erscheint die eigene Lebensgeschichte eben gedeutet im Lichte der großen Geschichte von Gott und Welt, die die Bibel erzählt. Ob das heute wirklich noch funktioniert? Mir ist es jedenfalls fremd.

    Jesus als Regisseur seiner eigenen Leidensgeschichte – wie etwa bei Johannes – scheint mir eine späte, christologisch motivierte Darstellung zu sein und birgt das Risiko in sich (siehe Hilsebein), hier masochistische oder suizidale Tendenzen eines größenwahnsinnigen Narzissten am Werke zu sehen.

    Ich käme jedenfalls mit einer nüchterneren historischen Beschreibung zurecht, die Jesus vielleicht sogar als Spielball von Kräften sieht, auf die er keinerlei Einfluss hatte.

    Bei evangelikalen Christen fängt das Christentum mit Christus an; bei Thomas von Aquin geht es erst im letzten Band der Summa theologiae um Christus. Ich sehe es wie er, dass sich Christologie erst von einer Theologie her erschließt, die weiß wovon sie spricht; die Theologie entfaltet und konkretisiert sich christologisch. Aber möglicherweise bestehen hier auch schwer vermittelbare Differenzen zwischen prinzipiell verschiedenen Zugängen …

  46. @ Hoppe

    “Ich käme jedenfalls mit einer nüchterneren historischen Beschreibung zurecht, die Jesus vielleicht sogar als Spielball von Kräften sieht, auf die er keinerlei Einfluss hatte.”

    Sehr gut! Und das wir jetzt, heute diesen Einfluß in uns tragen, könnte das Geheimnis um Golgotha erklären!

  47. Sünde @ Hoppe

    “Das eigenartige an Gen 3, dem berühmt-berüchtigten Sündenfall, ist dass in der Geschichte von Sünde bzw. Sündenfall überhaupt nicht die Rede ist. Die Geschichte liest sich viel runder als schlichte Beschreibung des Erwachsenwerdens, einschließlich des religiösen Erwachsenwerdens.”

    Das Wort Sünde taucht nicht auf, das stimmt. Dafür aber Vertrauensverlust, Mißtrauen gegenüber Gott, der Mensch ist eher bereit den Worten der Schlange Glauben zu schenken, als den Worten Gottes, Entzweiung zwischen Gott und Mensch, der Tod wird geboren, der Mensch wird aus dem Garten Eden vertrieben usw. Das ist mir sündig genug auch ohne das Wort. Von daher kann ich Ihrer Deutung vom Erwachsenwerden nicht viel abgewinnen, weil sie mir zu sehr verharmlost.

    “Der erwachsene Mensch weiß, dass er nicht im Paradies lebt, dass die Pforten dahin mit mächtigen “Cherubim und Serafim” verstellt sind – so wie eine Rückkehr in die Kindheit unmöglich und eigentlich auch gar nicht wünschenswert ist.”

    Ja. Aber der Mensch ist auf der Suche nach so etwas wie ein Paradies.

    “Aber schon im ersten Vers nach der Vertreibung aus dem Paradies (Gen 4,1) spricht Gott zu den Menschen. D.h. das Außerhalb des Paradiesesgartens ist keine Gottesferne, Gott bestraft gar nicht mit “Liebesentzug”. Die Aufgabe des erwachsenen (religiösen) Menschen ist es, in der Wirklichkeit (nicht in einem ausgedachten Paradies) in der Gegenwart Gottes zu leben.”

    Das ist die bedinungslose Liebe Gottes. Er hat die Menschen nicht zur Vernichtung geschaffen. Dennoch ist der Mensch nach dem Sündenfall nicht mehr so nah dran an Gott wie vor. Und diese Gottesferne hat sich der Mensch selbst ausgesucht, denn die Sünde trennt von Gott. Erst seit Christus ist der Weg zu Gott wieder frei (Niemand kommt zum Vater denn durch mich).

    Der Brudermord ist meines Erachtens nur die Folge der Sünde an sich. Erst danach wurde unsere Existenz mit dem Bösen feinstverwoben. Und wieso Gott das Opfer von Kain ablehnte, darüber läßt sich nur spekulieren, weil im AT über die Beweggründe von Kain keine Auskünfte gemacht werden.

  48. @ Hilsebein

    “Den Willen des Vaters tun ohne ihn in Zweifel zu ziehen, ist meiner Meinung nach Masochismus.”

    Bei Jesus handelt es sich aber um einen Sonderfall, denn er war ja Gott. Er wußte auch genau, was Gott wollte und was das alles sollte. So eine innige Vertrautheit erreichen zwei Menschen nicht. Jesus wußte, nur er kann die Menschen von der Sünde retten. Und als die Stunde nahte, da bekam er Angst, da war er ganz Mensch. Er wußte was kommt. Verrat, Einsamkeit, Schmach und Schande, Spott, “höllische” Schmerzen, Tod. Da hatte er seine Zweifel, weil der Himmel plötzlich so weit weg und die drohende Pein so nah. Es war ja auch von Anfang die Absicht von Jesus dies zu tun. Nehmen wir seine Taufe. Wer hat ihn getauft? Johannes. Und das war die Taufe zur buße. Doch was sollte Jesus büßen, wenn er doch ohne Sünde war? Da hat er eigentlich schon die Sünde der Menschheit auf sich genommen. Das war der ureigene Wille von Jesus und er wollte sich nicht von seinem Willen abbringen lassen, auch wenn ihm das schlimmste drohte.

    Ich sehe keine Situation mit einem Vetorecht. Was wollen wir denn oft und geben es auf, weil uns Nachteile drohen? Ist es unserer Wille, wenn wir verführt oder bedroht werden?

  49. @ Hoppe

    “Was Sie schreiben, ist zwar verständlich, klingt vertraut – aber ich wüsste nicht, warum ich mein Leben heute mythologisch deuten sollte, wie Sie es vorschlagen bzw. für sich offensichtlich tun. Man kann seinem Leben natürlich diesen mythologischen Rahmen geben, und dann erscheint die eigene Lebensgeschichte eben gedeutet im Lichte der großen Geschichte von Gott und Welt, die die Bibel erzählt. Ob das heute wirklich noch funktioniert? Mir ist es jedenfalls fremd.”

    Funktioniert hervorragend. Warum auch nicht? Gibt es gute Gründe gegen Mythologie? Gibt es andere Deutungen, die im Vorteil sind?
    Wenn man sich mal etwas Zeit nimmt und mutig ist sowie rücksichtlos gegen sich selber, dann kann es passieren, daß sich seltsame Gedanken einstellen. Beispielsweise daß man schuldig geworden ist. Normalerweise haben wir perfekte Verdrängungsmethoden, aber ab und an schlägt es durch. Ich kann mir meine Schuld vergeben lassen. Das klappt mit dem mythologischen Jesus wirklich gut.

    “Jesus als Regisseur seiner eigenen Leidensgeschichte – wie etwa bei Johannes – scheint mir eine späte, christologisch motivierte Darstellung zu sein und birgt das Risiko in sich (siehe Hilsebein), hier masochistische oder suizidale Tendenzen eines größenwahnsinnigen Narzissten am Werke zu sehen.”

    Sag ich doch. Entweder war er Gott oder ein Wahnsinniger. 🙂

    “Ich käme jedenfalls mit einer nüchterneren historischen Beschreibung zurecht, die Jesus vielleicht sogar als Spielball von Kräften sieht, auf die er keinerlei Einfluss hatte.”

    Und was soll ich mit diesem Jesus? Was habe ich von dem? Ein guter Mensch, ein Vorbild, ein Wegweiser? Wegweiser wohin? So ein Jesus brauche ich nicht.

    “Bei evangelikalen Christen fängt das Christentum mit Christus an; …”

    Wo Christentum draufsteht muß auch Christus drinnen sein, sonst ist es eine Mogelpackung. 😉

    Ich mache jetzt Schluß, ist schon spät.

  50. @ Huhn

    Ich rätsele immer noch, wie ich Ihren “biblisch-evangelikalen” Ansatz verstehen kann.

    Eine Möglichkeit wäre, mein naturwissenschaftliches Ohr ganz abzuschalten -so wie beim Lesen eines Gedichts- und Ihre Weltbeschreibung literarisch-poetisch zu nehmen. Dagegen wäre nichts einzuwenden – allerdings gibt es sehr viele mythologische Weltbilder. Muss man sich hier entscheiden? Hat jedes seine eigene Wahrheit? Nimmt man andere Geschichten einfach nicht zur Kenntnis, weil man mit denen nicht groß geworden ist? Wie sieht es mit der Wahrheitsfrage aus – Entscheidungssache? Gefühlssache? Was mir ein besseres Gefühl macht, ist wahr?

    Neben der Möglichkeit, Ihnen diese Weltdeutung wie ein Gedicht unkritisch durchgehen zu lassen, könnte ich aber auch sehr empfindlich reagieren. Denn in der Regel hören wir heutigen Menschen diese Geschichten mit einem naturwissenschaftlich geschulten Ohr, nehmen sie sozusagen historisch bzw. “physisch” – und in den USA wird das ganz offen so vertreten, bis hin zu Intelligent Design/Kreationismus, wo Ihre schöne biblische Geschichte plötzlich zu einem wissenschaftlichen Weltbild mutiert. Dann aber ist das alles gar nicht mehr lustig. Dann möchte ich doch sagen, dass wir nach der Aufklärung bestimmte Vernunft- und Wahrheitskriterien etabliert haben, hinter die wir nicht zurückfallen sollten usw. Kurz: dann hätte ich ganz erhebliche Schwierigkeiten mit Ihrer Sicht der Dinge und würde einfach feststellen wollen, dass das mit Wissenschaft überhaupt gar nichts zu tun hat. Die einfache Übernahme der biblischen Weltsicht ist insbesondere mit der wissenschaftlich-kritischen Denkweise völlig unvereinbar.

    Ich hätte große Schwierigkeiten damit, dass wir ein religiös-biblisches und ein wissenschaftliches Weltbild nebeneinander konstruieren – mir kommt das irgendwie schizophren vor, mein Wahrheitsgewissen regt sich: wie ist es denn wirklich? Aber natürlich könnte es sein, dass man über bestimmte persönliche Erfahrungen letztlich besser in mythologisch-bildhafter Weise sprechen kann als “wissenschaftlich”.

    Ich bezweifle zudem, dass sich die komplexe Literatur der Bibel auf eine so einfache Geschichte herunter kürzen lässt, wie Sie es uns weis machen wollen, Herr Huhn. Schon die Geschichte vom Sündenfall ist tiefgründig: Lesen Sie nach, die Schlange hat überhaupt nicht gelogen! Die von Gott angekündigte tödliche Wirkung durch den Fruchtgenuss tritt gar nicht ein und die Menschen werden tatsächlich wie Gott, was Gott einige Zeilen später sogar anerkennt. Die Menschen hätten zudem ohnehin sterben müssen – denn nur der Genuss der Frucht vom Baum des Lebens hätte ihnen Unsterblichkeit verliehen – was Gott durch die Vertreibung aus dem Paradiesgarten noch gerade rechtzeitig zu verhindern weiß (obwohl er das vorher nicht angekündigt hatte).

    Sie sehen (lesen) mich also ein wenig ratlos angesichts Ihrer Beiträge, Herr Huhn …

  51. @ Hoppe

    Herr Hoppe, warum sollen sich denn ein biblisches und ein naturwissenschaftliches Weltbild widersprechen? In bestimmten Bereichen tut es das sicherlich. Beispielsweise ist dieses schöne Leben auf der Erde Schöpfung oder eine zufällige Evolution? Aber auch da sehe ich nicht unbedingt einen Widerspruch. Die naturwissenschaftliche Methodik zeichnet sich durch Empirie und Falsifikation aus. Bei der Frage wann und wie die erste lebende Zelle entstanden ist greift diese Methodik nicht. Und wenn jemand behauptet, das Leben ist zufällig entstanden, dann darf derjenige das gerne tuen, aber er bewegt sich damit auf dem Boden des Glaubens und nicht des Wissens.

    Ich habe aber keine Lust eine Schöpfung/Kreationismus/Intelligent Design – Evolutions Debatte zu führen. Das habe ich schon oft genug gemacht und des hängt mir zum Halse raus. Da wird meist eh nur mit Schlagworten operiert anstatt sauber diskutiert. Es reicht den anderen den Kreationismus Stempel (was immer damit gemeint sein soll) aufzudrücken und schon hat er schlechte Karten. Um die Unzulänglichkeiten der Evolutionstheorie oder methodische Fehler geht es dann gar nicht mehr. Zudem wird dann auf Amerika verwiesen (wo anscheinend nur zurückgebliebene minderbemittelte leben). Was habe ich mit Amerika zu tun?

    Ich weiß ja nicht, was sie von mir halten, aber es klingt so als halten sie mich für wissenschaftsfeindlich oder dergleichen. Ich bin ein Ingenieur. Haben sie schon mal einen Ingenieur getroffen, der die Naturwissenschaft ignoriert? Falls er das tuen sollte ist er längst Zeit Ingenieur gewesen, denn alles, was er konstruiert würde nicht funktionieren. Ingeniere bauen keine Luftschlösser, sondern Dinge die funktionieren müssen. Die naturwissenschaftliche Realität ist ein harter Prüfstein und ich bin ganz gewiß kein Träumer oder ein gefühlsdusseliger Idiot.

    Das Leben besteht aber nicht nur aus Naturwissenschaft. Die Biologie versucht das Leben zu beschreiben, aber was es ist, kann sie nicht beantworten. Und wenn ich nach Frieden frage, dann wird mir die Naturwissenschaft keine Antwort geben. Es gibt so viele Fragen, wenn ich die an die Naturwissenschaft oder der aufgeklärten Sicht der Dinge stelle und meine Ohren ganz weit aufmache, dann bekomme ich eine Antwort nämlich nichts. Vielleicht ist das ja das nichts, was Helmut Wicht so beschäftigt. Oder hilft ihnen die Naturwissenschaft dabei Ihre Ehe besser zu führen?

    Man sollte die Tragweite des naturwissenschaftlichen Weltbildes kennen und damit auch dessen Grenzen. Wobei ich auch nichts dagegen habe, wenn jemand ein naturalistisches Weltbild vertritt. Es gibt keinen Gott, es gibt kein Bewußtsein, wir sind alles Bioroboter, es gibt keinen freien Willen, es gibt keine Sünde, keine Schuld. Das können die Leute gerne alles machen, aber sie sollen dafür nicht das Deckmäntelchen der (Natur)Wissenschaft hernehmen, um ihren Glaubensaussagen größeres Gewicht zu verleihen. Und erst recht sollen sie nicht mit ihren Professoren Titel Änderungen der Gesetzgebung fordern. Nach dem Motto, wo kein freie Wille, gibt es auch keine Schuld, ergo muß unser Rechtsstaat auch eine andere Gesetzesbasis haben. Da hört bei mir die Toleranz auf, wenn Minderheiten ihre exotische Meinung vertreten und es als wissenschaftliche Erkenntnis verkaufen wollen.

    Ich weiß, daß ich ein Mensch bin, der an anderen schuldig geworden ist, daß ich Schuld habe. Für manche Schuld kann man sich entschuldigen, geht jedoch nicht immer. Wohin damit? Da gibt mir das Christentum mit dem AT und dem NT hervorragende Antworten und auch noch darüber hinaus. Und diese Antworten haben nunmal mit Naturwissenschaft 0,0 zu tun, denn das ist nicht Gegenstand der Naturwissenschaft.

  52. Sündenfall

    Ich habe für den letzten Absatz mal einen eigenen Kommentar gewidmet. Eigentlich habe ich keine Lust darauf zu antworten, weil Ihre Antwort ziemlich arrogant ist. Aber ich mache es trotzdem, auch wenn es kein Spaß macht.

    Meine “einfache Geschichte” kürzt nicht die komplexe Literatur der Bibel herunter. Soll ich in fünf Sätzen die Bibel auslegen oder mich einfach nur mal mit ein paar Versen genauer befassen?

    Ihrer Auslegung vom Sündenfall kann ich nichts abgewinnen.
    In 1. Mose 2,17 steht: “… aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon sollst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon ißt, mußt du sterben.” In 1. Mose 3,7 nachdem sie von der Frucht aßen: “Da wurde ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie erkannten, daß sie nackt waren; und sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.”

    In der Tat sind sie nachdem sie von der Frucht aßen nicht gestorben. Wie ist das zu erklären?
    Möglichkeit 1: Irgendjemand, der diese Geschichte schrieb, hat sich das alles ausgedacht. Dieser jemand muß aber ziemlich beschränkt gewesen sein, weil er Gott zuerst den Tod ankündigen läßt und ein paar Zeilen weiter drunter Adam und Eva munter weiterleben. Warum sollte sich jemand so ein Schwachsinn ausdenken? Und vorallem, warum glauben jahrundertelang Juden Christen diesen Schmarren? Waren die alle genauso beschränkt und erst durch die segensreiche Aufklärung sind wir so richtig schlau geworden?
    Möglichkeit 2: Es handelt sich nicht um einen biologischen, sondern um einen geistlichen Tod. Was ist damit gemeint? Der Glaube ist gestorben, er ist vom Menschen aufgekündigt worden. Mit Glaube ist nicht ein für wahr halten, sondern das Vertrauen gemeint. Der Mensch hielt die Schlange für glaubwürdiger, für vertrauenswürdiger und unterstellte damit Gott indirekt der Lüge. Woran und wem der Mensch glaubt, das wurde durch diese Tat sichtbar.
    Für diese Auslegung gibt es sehr viele weitere Hinweise in der Bibel. Jesus selbst beispielsweise bezeichnet Menschen ohne Glauben als tot (laßt die Toten die Toten begraben). Der Mensch lebt erst richtig auf in einer (vertrauensvollen)Beziehung mit Gott. Doch diese haben Adam und Eva sterben lassen.

    Und damit hat die Schlange hat sehr wohl gelogen, denn sie meinte ja, sie würden nicht sterben. Deshalb hat Eva auch sogleich erkannt, daß sie getäuscht worden war.
    Der Mensch wurde wie Gott? Das bezieht sich aber nur auf die Eigenschaft das Gut und Böse zu erkennen. Steht ja auch so in der Bibel.
    “Siehe, der Mensch ist geworden wie einer von uns [ich finde den plural hier sehr interessant], zu erkennen Gutes und Böses.”
    Oder wurde der Mensch allmächtig und hat danach angefangen Welten zu erschaffen?

  53. Wirklich…

    …ein schöner Artikel!

    Und er traf die Wirklichkeit – ich weiß es, denn ich war in Basel im Stadion, mit deutsch-türkischen Freunden! Und wir haben unserem jeweiligen, in Wirklichkeit natürlich einzigen Gott für ein gemeinsames Erlebnis zu danken, an dessen Ende sich Deutsche, Türken und Deutschtürken in den Armen lagen. 🙂

    Wer es nicht glaubt, der lausche ergriffen der neuen Version der Nationalhymne:
    http://taz.de/blogs/wp-inst/wp-content/blogs.dir/14/files/2006/11/Neue%20Deutsche%20Hymne.mp3

    Mit wirklich-herzlichen Grüßen!

    Michael Blume