Citizen Sciences sind die beste Öffentlichkeitsarbeit

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Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

Ergänzend zum Artikel über Citizen Sciences in Deutschland habe ich noch ein Interview mit Klement Tockner vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, IGB, geführt. Seiner Meinung nach bringen Citizen Sciences nicht nur gute Forschungsergebnisse, sondern sie sind zudem Werbung für die Wissenschaft.

Herr Tockner, sie sind schon lange ein begeisterter Anhänger der Beteiligung von Bürgern an der Forschung. Gibt es bei Ihnen am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, IGB, bereits solche Citizen Science Projekte?

Tockner: Eines der Leuchtturmprojekte der Umsetzung der Biodiversitätsstrategie des Bundes ist der Schutz von Restbeständen und die Wiederansiedlung der Störe in Nord- und Ostsee zur Erhaltung der verbliebenen genetischen Vielfalt. Ein Teil der Arbeiten der Gesellschaft zur Rettung des Störs ist bei uns am IGB bei Jörn Gessner angesiedelt. Etliche Störe werden mit Sendern ausgestattet, um ihre Wanderbewegungen festzuhalten. Doch diese Daten reichen nicht für ein Gesamtbild. Hier kommen die Fischer und Angler ins Spiel, die für das Projekt gewonnen werden konnten. Sie berichten, wenn sie einen Stör fangen. Ein vergleichbares Monitoring könnten wir nie finanzieren.

Citizen Sciences helfen Geld sparen, das ist alles?

Tockner: Bei weitem nicht. Durch eine Beteiligung wie hier etwa der Fischer und Angler– wir haben in Deutschland geschätzte 3,3 Millionen Freizeitangler – achten diese selbst zunehmend auf die Gewässerökologie und verzichten auf die Entnahme bestimmter Fische. Ganz ohne Verbote. Der Angler wird zum integrativen Fließgewässermanager. Dazu kommt die Teilhabe an wissenschaftlicher Forschung, die nicht zu unterschätzen ist. Das führt unter anderem dazu, dass Angler komplexe ökologische Zusammenhänge in ihren eigenen Gewässern verstehen und eigene wissenschaftliche Experimente durchführen, wie sich bei einem weiteren Projekt am IGB,  „Besatzfisch“, zeigt.

Auch bei einem anderen Projekt, das wir wissenschaftlich unterstützen, bemerken wir diesen positiven Faktor der Sensibilisierung und Kompetenzschaffung durch Beteiligung. Über die Dark Sky Association sind in Österreich einfache Messgeräte an die Bevölkerung verteilt, um die Auswirkungen von Lichtverschmutzung und den damit einhergehenden Verlust der Nacht zu dokumentieren. Zudem belegen Fotos, wie viele Sterne zu sehen sind. Das schafft automatisch Sensibilität. Viele Menschen sind sich dessen gar nicht bewusst, dass sie eigentlich noch nie die Milchstraße gesehen haben.

Was kann eine solche Teilhabe bewirken?

Tockner: In der Öffentlichkeit wird die Bedeutung der Wissenschaft selbst miterlebt. Ebenso erkennen die Beteiligten, wie sehr Wissenschaft solide Daten benötigt, um richtige Entscheidungen zu ermöglichen. Die Daten können wir dank der Kompetenzen, die in der Öffentlichkeit vorhanden sind, generieren.

Der Bürger ist kompetent?

Tockner: Selbstverständlich. Es gibt viel ungenutztes Wissen und Kompetenzen. Ich denke neben Schülern vor allem an Rentner und Aktive, die sich engagieren wollen. Deren Kompetenzen brachliegen zu lassen, kann sich eine Gesellschaft eigentlich nicht leisten. 
Zudem gibt es noch die große Gruppe der Laienexperten. Wir haben beispielsweise anlässlich des Geo „Tags der Artenvielfalt“ 80 Hobbyornithologen oder Hobbyamphibienforscher zu uns geladen, um mit ihnen gemeinsam eine Arteninventur im Löcknitztal vorzunehmen.

Ist es wichtig die Bürger auch bis zum Projektabschluss mit einzubeziehen?

Tockner: Es muss Transparenz darüber herrschen, was mit den von den Bürgern generierten Daten weiter geschieht, wie diese interpretiert werden. Auch sollten sie die Möglichkeit haben Feedback zu geben. Sie haben immerhin zum Erfolg des Projekts beigetragen und wertvollen Inhalt geliefert und können auf eine Publikation am Ende stolz sein. Durch die Beteiligung wird die Rolle und Legitimation von Forschung in der Gesellschaft besser verankert. Es gibt darüber hinaus wahrscheinlich keine bessere Öffentlichkeitsarbeit.

Citizen Sciences haben also Zukunft?

Tockner: Absolut. Unzählige Bürger beteiligen sich heute auch an Projekten, die rein online ablaufen. Aber auch für uns Ökologen ändert sich gerade einiges. In Zukunft kann man beispielsweise Smart Phones zum Monitoring von Biodiversität viel besser einsetzen. Eine Art wird fotografiert, das Bild mit den Lokaldaten ins Netz gestellt und die Art identifiziert. „Augmented reality“ in der Wissenschaft.


Siehe auch ergänzenden Überblickstext zu Citizen Sciences.

Dieses Interview ist in gekürzter Fassung im Verbundjournal des Forschungsverbund Berlin erschienen.

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Veröffentlicht von

Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

3 Kommentare

  1. Vielfalt

    Zu Beginn glaubte ich noch, ich würde um die Kautschukbäume kämpfen,
    dann dachte ich, es ginge darum, den Regenwald Amazoniens zu retten.
    Mittlerweise bin ich sicher, dass mein Kampf dem Überleben der Menschheit gilt.
    Chico Mendes

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