Wahrsagen für die Wissenschaft – Der Einfluss der Megatrends

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Versuch einer Aufklärung
Quantensprung

Forschung ist teuer und da ist es nur billig, wenn Staaten und ihre Bürger Forschung möglichst zielgerichtet fördern wollen. Es sollte doch zum Wohle der Menschen sein, für den Fortschritt, für die Stärkung der Wissenschaft im eigenen Lande, für die Erkenntnis. Doch wer sagt innerhalb des Spannungsfeldes von Grundlagen- und angewandter Forschung, was die Zukunft bringt, was gebraucht werden wird? Darum ging es gestern unter anderem im Workshop „Societal challenges as research questions – From demand to research projects“ während der Tagung Planning Research for the Future. Über die Planbarkeit und vor allem dem viel zu geringen Fokus auf die wichtigste Ressource Mensch (Forscher) habe ich gestern bereits berichtet.

Vertreter der Player – etwa FU Berlin, Fraunhofer, BDI, European Trade Union Institute, BASF – auf den Podien der Tagung sagen, dass sie natürlich versuchen Blicke in die Zukunft zu werfen, doch jeder tue dies auf seine Weise und nehme sie unterschiedlich ernst. So sind es zum einen die Megatrends, die in der breiten Öffentlichkeit als ausgemacht gelten, die unsere Forschung prägen: Etwa Klimawandel, Mobilität, Überalterung der Gesellschaft, Globalisierung, bis hin zu Veränderungen durch Mobiltelefone oder dem Trend zu Patchwork-Familien.  Wir leben inmitten dieser Trends, erleben schrittweise Veränderungen und können uns doch nicht wirklich vorstellen, ob, inwieweit oder wie sie in zehn Jahren unser Leben verändern werden.

Megatrends und öffentlicher Druck
Die Megatrends erzeugen jedenfalls einen gewissen öffentlichen Druck in diese Richtungen zu forschen. Denn Forschung, so Maria Jepsen vom European Trade Union Institute in Brüssel, werde von der Gesellschaft vor allem dann als wichtig erachtet, wenn sie helfe Probleme zu lösen.  
Kerstin Cuhls von der Fraunhofer Gesellschaft sieht alleine im Erkennen und Benennen solcher Trends noch lange nicht ausgemacht, welche Forschung wir deshalb brauchen und nennt ein Beispiel: „Wir kennen die demografische Entwicklung, wir wissen, dass sich etwas verändern wird, aber doch nicht genau was.“ Das gelte auch für den Klimawandel und anderes.

Erstaunlicher Weise machte sich Cuhls von der doch sehr anwendungsorientierten Fraunhofer-Gesellschaft, deren Forschung eng an Entwicklungen in der Industrie gekoppelt ist, mehrfach explizit für Grundlagenforschung stark, um möglichst flexibel zu bleiben. Auch wenn die Bedarfe für Neues im Sinne der Megatrends ausgemacht seien, müssten sie in interdisziplinärer, internationaler und gemeinschaftlicher Grundlagenforschung münden. Dazu benötigten die Institute eine flexible Forschungsplanung.

Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom

Auch bei der BASF orientiere man sich durchaus an den Megatrends, meinte Markus Müller-Neumann: „Megatrends betreffen die gesamte Gesellschaft, nicht nur Forscher, und sie sind zumeist auch global.“ Allerdings seien die Trends in ihren Auswirkungen schwer beeinflussbar. Dennoch bereite man sich bei der BASF durchaus auf stetigen Wandel bei Themen wie Energie oder Mobilität vor – im Sinne von Vorausblicken, dem Entwickeln möglicher Szenarien. „Natürlich sind solche Blicke in die Zukunft immer unsicher und wir liegen vielleicht mit nur rund 60 Prozent richtig. Trotzdem müssen wir diese Zukunftsbewertungen machen und uns an ihnen mit ausrichten.“ Und weil es nicht das EINE richtige Szenario gibt, denken sie natürlich auch in alternativen Szenarien.

„Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom. Deshalb brauchen wir durchaus vieles, was nicht im Mainstream läuft“, meint dazu Peter-André Alt, Präsident der FU Berlin, an anderer Stelle. Außerdem solle laut Alt nicht übersehen werde, dass Forschung selbst im Zuge ihrer Entdeckungen festlege, welche Forschung weiter vorangetrieben werden sollte. In diesem Sinne beeinflussen diese „Foresights“ nicht eins zu eins die Planung oder gar Vorhersage von Forschungsnotwendigkeiten. Aber es ist wichtig, über verschiedene mögliche Zukunften zu sprechen.

Öffentliches Labeling
Gerade bei der Vergabe öffentlicher Gelder oder auch wenn man sich die großen Forschungsjahre Wasser 2009, Energie 2010, Gesundheit 2011 ansieht – so gewinnt man doch den Eindruck, dass zumindest öffentlichkeitswirksam stets die großen Themen zur Rechtfertigung von Forschung herangezogen werden. Und so falsch scheint mir das gar nicht. Nur wird es dann etwas schwierig, wenn sich Forscher beim Stellen von Anträgen regelrecht verbiegen, um ihre Forschung in das Ausschreibungsprofil zu quetschen. Und das ist harter Forschungsalltag.

Am Donnerstag hatte bereits Michael Zürn vom WZB für Sozialforschung dies etwa im Zusammenhang mit den Ausschreibungen zu den Exzellenzclustern mit angemahnt. Es entscheidet nicht mehr so sehr der Kern der konkreten Forschung, sondern wer es am besten beherrscht auf der Klaviatur der gerade sich en vogue befindlichen Schlagworte zu spielen. Und weil sich längst herumgesprochen hat, worauf man in den Entscheidungsgremien Wert legt, sehen alle Anträge zunehmend gleich aus: Formal in Aufbau und Struktur, jedes Team arbeitet international, vernetzt, interdisziplinär, sichert eine Frauenquote, ist um Kommunikation nach Außen bemüht… Und je nach Forschungsgebiet fallen eben auch die großen Schlagworte desselben: Krebs, Diabetes, Energiespeicher, Nachhaltigkeit…

Insofern meint Barbara Sporn von der Wissenschaftsuniversität Wien zwar an anderer Stelle, aber hier passt es: „Die Frage ist nicht ob Universitäten die Erlaubnis haben, Forschung zu planen. Nein, sie sind vielmehr im Zuge des Wettbewerbs und bei Ausschreibungen gezwungen dies zu tun.“

Letztlich denke ich aber, zählt die Form oft mehr als der Inhalt. Es ist lästig für viele Forscher, die etwa in spezialisierten Nischen arbeiten, so zu tun, als würden sie explizit an diesem oder jenem gerade breitenerwünschten Thema arbeiten und dies wäre ihr ausschließliches Ziel. Dabei könnten sie auch unter ganz anderem Dach dieselbe Forschung machen. Ich denke da etwa an Stammzellforscher, die unter den verschiedensten Dächern firmieren. Insofern spielen auch Zukunftsszenarien nur eine orientierende Rolle, krempeln die tatsächliche Forschung im Labor aber wohl kaum um. Wie meinte EU Forscherin Maria Jepsen gar am Ende: „Wir sehen uns die potenziellen Prognosen an, ja. Aber ehrlich gesagt, wer zieht sie schon ernsthaft zur Entscheidungsfindung heran.“

Mehr zur Tagung von Astrodicticum Simplex: Forschung fördern oder Forscher? und Freier Forscher oder ewiger Assistent?

Und von mir: Ist Forschung planbar? 

Bild: © hofschlaeger / PIXELIO

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Beatrice Lugger ist Diplom-Chemikerin mit Schwerpunkt Ökologische Chemie. Neugierde und die Freude daran, Wissen zu vermitteln, machten aus ihr eine Wissenschaftsjournalistin. Sie absolvierte Praktika bei der ,Süddeutschen Zeitung' und ,Natur', volontierte bei der ,Politischen Ökologie' und blieb dort ein paar Jahre als Redakteurin. Seither ist sie freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt für diverse deutsche Medien. Sie war am Aufbau von netdoktor.de beteiligt, hat die deutschen ScienceBlogs.de als Managing Editor gestartet und war viele Jahre Associated Social Media Manager der Lindauer Nobelpreisträgertagung, des Nobel Week Dialogue in 2012/2013 und seit 2013 berät sie das Heidelberg Laureate Forum. Kommunikation über Wissenschaft, deren neue Erkenntnisse, Wert und Rolle in der Gesellschaft, kann aus ihrer Sicht über viele Wege gefördert werden, von Open Access bis hin zu Dialogen von Forschern mit Bürgern auf Augenhöhe. Seit 2012 ist sie am Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, NaWik - und seit 2015 dessen Wissenschaftliche Direktorin. Sie twittert als @BLugger.

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