Der Mythos vom Gehirndoping geht weiter

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Ein Viertel der Studierenden in den USA würden zu Doping-Pillen greifen, um sich besser auf Klausuren vorzubereiten. Auch in Deutschland nehme der Konsum zu. Diesem Mythos schließen sich schließen sich nach wie vor deutsche Medien an.

„Den Amerikanern“ kann man hierzulande viel unterstellen – schließlich verstehen die wenigsten von ihnen Deutsch und verfolgen wohl kaum die deutschsprachigen Medien. Daher ist auch die Unterstellung, in den USA würde bereits jeder vierte Studierende zur Prüfungsvorbereitung zu den Pillen greifen vor allem ein mediales Konstrukt. Diese Strategie machen sich leider auch manche akademische Kollegen zunutze, um die Bedeutung ihrer Forschung hervorzuheben.

In einer Fachdiskussion, an der ich mich auch beteiligt habe, hat der Pharmakologe Boris Quednow manchen Kollegen das führen einer Phantom-Debatte vorgeworfen – zu Recht, wie ich finde. Einerseits sind die Diskurse pro Gehirndoping von übertriebenen Ideen über die Möglichkeiten der pharmakologischen Forschung geprägt, andererseits stimmen die Ergebnisse von Befragungen nicht mit den häufig behaupteten 16 oder gar 25% überein.

Ich finde es frustrierend, dass man sich jahrelang um Richtigstellung bemühen kann aber manche Journalisten dennoch behaupten, was sie wollen. Manche Medienanfragen sind von vorneherein einseitig gefärbt und setzen das voraus, was erst noch gezeigt werden müsste, dass nämlich die Mittel bei gesunden Menschen funktionieren und viele Menschen sie schon konsumieren. Wer an seinem Bericht vom Gehirndoping-Hype festhalten will, der muss schon einen Großteil der ihm widersprechenden Realität ausblenden.

Rekapitulieren wir hier kurz die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zur Verbreitung des Gehirndopings mit Psychostimulanzien. Die aussagekräftigsten Studien aus den USA berichten ausnahmslos weniger als 10%, die es mindestens einmal im Vorjahr ausprobiert haben. Die Zahlen sind oft noch viel niedriger und dabei ist weder gezeigt, dass die Studierenden die Substanzen regelmäßig konsumieren, noch lässt sich eindeutig auf den Zweck der Leistungssteigerung schließen. Psychostimulanzien können nämlich auch als Rauschmittel oder Appetitzügler verwendet werden. Die folgende Grafik bietet einen Überblick über die zentralen Studien (klicken zum Vergrößern).

Allen Versuchen mancher Medien zum Trotz, seit Jahren eine andere Realität zu konstruieren, ist auch der Konsum in Deutschland sehr gering. Die 2009 erschienene DAK-Studie, für die ca. 3000 Angestellte befragt wurden, kam auf knapp 2%, die regelmäßig verschreibungspflichtige Stimulanzien oder Antidepressiva gebrauchen, um ihre Stimmung aufzuhellen oder ihre geistige Leistungsfähigkeit zu steigern. Der neueren Untersuchung von Franke und Kollegen zufolge sind Schüler und Studierende in Deutschland noch zurückhaltender: Im Mittel 1,3% haben jemals verschreibungspflichtige Stimulanzien als Gehirndopingmittel eingenommen; im Monat vor der Befragung waren es verschwindend geringe 0,06%.

Es gilt fokussiert zu bleiben, konzentriert und vor allem wach. Dafür machen zunehmend Pillen die Runde auf dem Campus. Ritalin heißt das beliebteste Zaubermittel unter den Studenten. […] 25 Prozent aller Hochschüler in den USA bauen angeblich auf die Wachmacher, in Deutschland fehlen noch derartige empirische Daten. (auf ZEITjUNG.de)

Als Leserinnen und Leser von MENSCHEN-BILDER wissen Sie also, dass Berichte wie dieser falsch sind. Obwohl man mich im Artikel als Experten zitiert – ich kann mich übrigens nicht daran erinnern, der FAZ in jüngster Zeit ein entsprechendes Interview gegeben zu haben –, hat man meine Gegendarstellung kommentarlos gelöscht. Würde es hier nur um verschiedene Meinungen zu einem Kinofilm gehen, man könnte darüber lachen. Journalisten, die Mythen zum Gehirndoping in die Welt setzen, sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass die Mittel erheblichen Schaden anrichten können.

Dabei ist der Stress, den Studierende – und übrigens auch viele Hochschuldozenten – durch die Bologna-Reform haben, nicht zu unterschätzen. Wer diesem Stress durch den Konsum von Psychopharmaka begegnen will, der missversteht meines Erachtens das Problem: Nicht das Gehirn des Gestressten, sondern desjenigen, der seine ökonomischen Modelle um jeden Preis in der Hochschullehre durchsetzen will, ist das Problem.

P.S. Der fragliche Artikel wurde inzwischen entfernt. Zur Klärung ist dort ein Interview mit mir zum Thema Enhancement erschienen (Ein Interview mit Stephan Schleim über den Missbrauch von Ritalin, Vigil und anderen Medikamenten unter Studenten).

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Die Diskussionen hier sind frei und werden grundsätzlich nicht moderiert. Gehen Sie respektvoll miteinander um, orientieren Sie sich am Thema der Blogbeiträge und vermeiden Sie Wiederholungen oder Monologe. Bei Zuwiderhandlung können Kommentare gekürzt, gelöscht und/oder die Diskussion gesperrt werden. Nähere Details finden Sie in "Über das Blog". Stephan Schleim ist studierter Philosoph und promovierter Kognitionswissenschaftler. Seit 2009 ist er an der Universität Groningen in den Niederlanden tätig, zurzeit als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie.

16 Kommentare

  1. Zensur ?

    “… und löscht eine Gegendarstellung kommentarlos”

    Falls du mit der Gegendarstellung deinen Kommentar zu dem verlinkten ZEITjUNG-Artikel meinst, der ist dort (wieder?)zu sehen – bei mir, ohne jegliche medikamentöse Unterstützung.

  2. Wer glaubt schon Zeitungen?

    Ich behaupte einmal – rein aus dem Bauch heraus – dass nicht einmal 20% der Leser die Angaben zur Ritalin-Selbstmedikation in diesem ZEITjUNG.de-Artikel für bare Münze nehmen. Und unter den Studenten dürften es noch weniger sein.

    Gerade regelmässige Zeitungsleser – denn das sind auch kritische Zeitungsleser – haben gelernt das Narrativ eines Artikels, seinen Duktus und seine Dramaturgie zu erschliessen. Die Wahrheit und Präzision muss bei vielen nach einem bestimmten Schema gedrechselten Zeitungsartikeln immer hintanstehen. Denn – um das Beispiel hier auszleuchten – wäre es wirklich so, dass deutlich weniger als 10% der Prüflinge leistungssteigernde Medikamente nehmen, dann gäbe es den Artikel gar nicht und der arme Journalist müsste sich etwas anderes aus den Fingern saugen.

    Studenten glauben dem Artikel noch weniger als durchschnittliche Bildungsbürger. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich irgendwann Medikamente als Dopingsmittel in Prüfungssituationen “durchsetzen”. Doch ein solches Medikament muss hohe Anforderungen erfüllen. In der Prüfung will der Prüfling nämlich nicht plötzlich mit unberechenbaren Symptomen von Herzklopfen bis zum Durchfall oder Tremor zu kämpfen haben. Ein Medikament als Dopingmittel in Prüfungssituationen kommt nur in Frage, wenn es eine berechenbare, reproduzierbare Wirkung hat. Wer Ritalin als Prüfungsmittel nimmt, müsste es regelmässig nehmen. Ich habe schon von Studenten gehört, die Ritalin einnehmen. Doch das tun sie nur, weil ihnen das schon als Kind verschrieben wurde. Wir sind also noch weit weg von der regelmässigen Studi-Medikation.

    Übrigens nehmen auch die meisten Sportler Doping-Mittel nur unter kontrollierten Bedingungen. Deshalb braucht es meist einen “betreuenden” Sportmediziner als Freund und Helfer.

    Wer weiss, vielleicht kommt irgendwann ja noch die Zeit, wo der Hausarzt eine Studenten “aufbaut” und ihn zu immer höheren Leistungen “führt”.

  3. @ Holzherr: kleiner Schock

    Davon abgesehen, dass ich Ihre inhaltlichen Überlegungen zum Enhancement interessant finde, schockiert mich doch Ihre Haltung gegenüber den Medien:

    Gerade regelmässige Zeitungsleser – denn das sind auch kritische Zeitungsleser – haben gelernt das Narrativ eines Artikels, seinen Duktus und seine Dramaturgie zu erschliessen. Die Wahrheit und Präzision muss bei vielen nach einem bestimmten Schema gedrechselten Zeitungsartikeln immer hintanstehen.

    Was ist denn dann die primäre Rolle von Zeitung und Wissenschaftsjouranlismus, wenn nicht die, zutreffend zu informieren? Was bleibt dann noch außer Unterhaltung? Oder eine Meinung zu stützen, die der Redaktion zusagt?

    Sie haben Recht, dass es die Artikel wahrscheinlich gar nicht gegeben hätte, hätte man die Prävalenzrate nicht so maßlos übertrieben; aber dass Sie daraus ableiten, Journalisten dürften durchaus Daten erfinden, um ihre Story zu schreiben, das macht mich doch beinahe sprachlos.

    Ich kenne Journalisten, die an sich selbst und die Stücke anderer den Anspruch haben, dass wo 20% drauf steht auch 20% dahinter steht. Das soll auch für mich gelten und wo ich versehentlich aus 10% 20% mache, da will ich das korrigieren, wenn man mir den Fehler nachweist.

    Stellen Sie sich einmal vor es wären Wahlen und jede Zeitung würde das Ergebnis berichten, das der Redaktion am besten gefällt und/oder die größte Auflage garantiert?!

  4. @Stephan Schleim: Vielleicht vs. Sicher

    Journalisten bemühen sich selten um Wahrheit aber regelmässig um Plausibilität und sie berücksichtigen die Überprüfbarkeit ihrer Aussagen. Plausibilität bedeutet: Das geschriebene muss einleuchten, muss wie eine gut geformte Pille den Speisetrakt passieren. Überprüfbarkeit bedeutet für den Journalisten: Er kann nicht etwas schreiben, was offensichtlich und auf einfachste Weise überprüfbar, falsch ist. Also kann er Wahlresultate nicht frisieren. Er kann sich aber bei Fragen wie dem Sexverhalten des Durchschnittsamerikaners oder dem Medikamentenkonsum von Studenten die richtige Umfrage heraussuchen. Er schreibt erst gar nicht, wie die Umfrage zustande gekommen ist, wie repräsentativ sie ist und welche anderen Umfragen mit anderen Resultaten es gibt. Damit ist der auf der sicheren Seite. Er kann sich notfalls immer herausreden, es gäbe doch diese und diese Umfrage. Und die habe er benutzt.

    Herr Schleim, sie müssen noch lernen sich in Journalisten einzufühlen.

  5. @ Holzherr: Empathie mit Journalisten

    Das hört sich gar nicht mal so dumm an, ich bleibe aber skeptisch.

    Darum will ich das gelegentlich mit Journalisten meines Vertrauens erörtern und, wer weiß, vielleicht überzeugt mich ja mal eine(r).

    Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass Journalisten verschiedener Bereiche hier unterschiedlich drüber denken; ferner erinnere ich mich dunkel an Untersuchungen der Moralkompetenzforschung, denen zufolge insbesondere investigative Journalisten hohe moralische Ideale haben.

    Stellen Sie sich vor, Sie investierten ein Jahr Ihres Lebens in eine heiße Story und nach der Veröffentlichung könnte jemand diese einfacht mit einem Verweis auf eine andere Statistik wegpusten.

  6. @Stephan Schleim: Sie Romantiker!!

    Fragen sie mal eine Journalistin, ob sie (Zitat) ein Jahr Ihres Lebens in eine heiße Story investierten kann.

    Das muss ein privilegierter Journalist sein. Journalisten gibt es wie Sand am Meer. Nicht jedes dieser Sandkörner ist ein heissglühender investigativer Journalist.

  7. Alles fließt

    Und was sagt der Jung-Journalist Philipp P. (24) selbst in einem Interview:

    “Wie sieht für dich dann moderner, junger, zeitgemäßer Journalismus aus?

    In der heutigen Zeit ist die Gefahr bei dem gestiegenen und weiterhin zunehmenden Zeitdruck groß, inhaltlich ungenau zu arbeiten. Man muss weiterhin einen hohen Wert auf Richtigkeit und Tiefgang legen.”

    Quelle

    Es besteht also weiterhin Hoffnung, auch die jungen Journalisten wollen noch zutreffend inormieren

    PS. Den hier in diesem Blog besprochenen Artikel finde ich gerade gar nicht mehr bei ZEITjUUNG.de.

    Ich nehm jetzt mein Ritalin, dann versuche ich es nochmal, vielleicht steht er nun auf Facebook.

  8. Quersumme

    Ich hatte mal die Idee, alle Zeitungsartikel über medizinische Themen zu sammeln. Zumindest die Artikel über Krankheiten und Todessursachen, bei denen auch Angaben enthalten sind mit Prozentzahlen (zur Not auch absoluten Zahlen) der jeweils Betroffenen. Die wollte ich dann statistisch auswerten.

    Ich würde wetten, dass von den ca. 7 Mrd. Menschen, im Schnitt jeder an einer sehr seltenen Krankheit leidet und an mindestens 5 verschiedenen Krankheiten sterben wird.

    Hat etwas ähnliches schon mal jemand mit wissenschaftlichen Artikeln gemacht?

  9. @ Holzherr

    Natürlich ist das ein Luxus, so viel Zeit in eine Recherche stecken zu können; aber wissen Sie, ob Sie es mir nun glauben oder nicht, manche Menschen nehmen sich die nötige Zeit.

    Selbst wenn es Journalisten wie Sand am Meer gibt: wirklich gute sicher nicht!

    Vielleicht sind Sie und nicht ich derjenige hier, der den richtigen Umgang mit den Medien (will sagen: die Erwartungshaltung) verlernt hat.

  10. @ Joker

    Vielen Dank für dieses Zitat, auf das ich womöglich zurückgreifen kann. Vom Chefredakteur von ZEITjUNG.de habe ich übrigens eine freundliche E-Mail bekommen und es scheint tatsächlich, als sei der Artikel nun entfernt.

    Timothy Caulfield (Prof. in Kanada) hat Analysen zur Wissenschaftskommunikation beispielsweise zu individuellen Anwendungen von Gentests gemacht und dabei herausgefunden, dass viele der wissenschaftlich wirkenden Statements allein Pseudo waren.

    Hätte man die Wissenschaftssoziologie in Deutschland nicht so vernachlässigt, mit Ausnahme in Bielefeld, dann hätte man dort wohl auch mehr Forschung zu diesem Thema.

  11. @Schleim: Gute Journalisten abonnieren

    Gute Journalisten und Journalisten, die über das was sie schreiben viel wissen und das aucht gut kommunizieren können gibt es nicht so viele. Und die guten Journalisten schreiben oft in Zeitungen, die man gerade nicht liest.
    Der Ersatz von Zeitungen wie FAZ, TAZ etc. durch personalisierte Zeitungen könnte dem abhelfen. In der personalisierten Zeitung würde man die Artikel von “vertrauenswürdigen” Journalisten erhalten, also ein Abonnement auf Journalisten, nicht auf Zeitungen abschliessen.

  12. Personalisierte Zeitung

    In der personalisierten Zeitung würde man die Artikel von “vertrauenswürdigen” Journalisten erhalten, also ein Abonnement auf Journalisten, nicht auf Zeitungen abschliessen.

    Also so etwas wie ein Blog? 😉

  13. Sie sind abonniert Herr Schleim

    Das einzige was ihnen noch fehlt um wirklich als “besserer” Journalist durchzugehen, ist die Konstanz. Ein Journalist schreibt jede Woche etwas und hat nicht wie ein Blogautor die Musse ein zwei Schreibferienwochen oder gar Blogferien für zwei Monate einzulegn.

  14. Schreibdruck

    Wissen Sie, ich habe letzte Woche unter viel Druck einen Text fertig geschrieben, der schon im Mai 2011 bei mir bestellt wurde.

    Am Anfang habe ich es noch geschafft, alle ein bis zwei Wochen einen Text zu schreiben. Inzwischen klappt das nicht mehr. Als junger Hochschullehrer hat man eben viele Aufgaben.

    Sie können ja eine Initiative zur Finanzierung von Menschen-Bilder starten. Wenn Sie mir 10 bis 20% meiner Stelle bezahlen, dann kriegen Sie hier jede Woche zwei gute Beiträge. 😉

    Man muss schon realistisch bleiben: Dies ist ein Hobby und ich sitze sowieso schon viel zu viel vor dem Computer. Wenn Sie ein spannendes Thema haben und zumindest einigermaßen schreiben können, sind Sie auch herzlich willkommen, hier einmal einen Gastbeitrag zu veröffentlichen.

  15. Die Freunde, wenn ich das Lächeln wiedergefunden habe ist es, dank Herrn Mauro Callipo, dass ich ein 110.000,00€ darlehen erhalten habe, und zwei von meinen Kollegen haben ebenfalls Darlehen dieses Mannes ohne Schwierigkeiten mit einem Satz von 3% erhalten pro Jahr. Es ist mit Herrn Callipo Mauro, dass das Leben mein erneut lächelt es ist ein einfacher und sehr verständnisvoller Herzmann. Hier meine E-mail: maurocallipo94@gmail.com

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