Ein Entgelt wird nicht gewährt

BLOG: Anatomisches Allerlei

Kopflose Fußnoten von Helmut Wicht
Anatomisches Allerlei

Bitte beachten Sie das Postskriptum.

Zu den hartnäckigeren “urban legends” gehört die, dass man seinen Körper noch zu Lebzeiten an die leichengierigen Anatomen verkaufen könne. Und so scheppert auch bei mir noch ein, zweimal im Jahr das Telefon, und ich höre eine Stimme, meist männlich, die in etwa sagt:

“Also ich hab’ da einen guten Bekannten, der hat seinen Körper an die Anatomie verkauft. Was bieten Sie für mich? Ich bin noch gut in Schuss!”

Dann lehne ich das Angebot freundlich ab, und wenn es dann am anderen Ende der Leitung “Aber…” sagt, bitte ich erstens darum, dass man mir das anatomische Institut nennen möge, an das der gute Bekannte seinen Körper verkauft hat (das können die Anrufer nie). Zweitens, wenn der Anrufer und ich beide gerade gut drauf sind, sage ich:

“Hörn’Se mal, das wär ja doll, wenn das ginge. Denn natürlich tät’ ich dann meinen eigenen Corpus unter verschiedenen Namen, zur Not mit falschen Bart, subito an alle anatomischen Institute in weitem Umkreis verkaufen, tät’ das Geld versaufen und mir einen Ast bei der Vorstellung lachen, wie sie sich die Anatomen hinterher um meine Leiche prügeln, die sie schon bezahlt haben. Nein. Kein Entgelt.”

Das seh’n die Anrufer dann meistens ein. Es geht ihnen ja auch um’s Geld.

Ich stöbere gerade die alten Leichenakten durch. Da gibt’s diversen prä- und postmortalen Schriftverkehr, postmortal mit Ämtern und Angehörigen, prämortal mit potentieller Kundschaft. Und da hab’ ich etwas Tiefsinniges aus den 50er Jahren gefunden:

Vielleicht lesen Sie es zweimal … ein geradezu philosophischer Schreibfehler: Er wünscht ein Endgeld. (1)

Ja, das wär’ schön. Aber ein Endgeld wird nicht gewährt. Und ein Entgelt auch nicht.

(1) Das Leben zahlt denen, die aus ihm ausscheiden, keine Prämien. Sonst wäre es ja auch ruck-zuck pleite. Das ist also anders als bei den Managern, die ihre Firmen zum Schaden dieser und der Aktionäre mit vergoldeten Handschlägen verlassen. Andererseits: wer sind eigentlich die Aktionäre in der AG Leben? Ich will ein Endgeld! Ein kleines wenigstens!

 

Postskriptum: In einer früheren Version dieses Textes bin ich selbst in die Falle getappt: Ich hielt “Entgel_d_” für die orthographisch korrekte Version des Wortes, um das es hier geht. Darum, und was dieser Fauxpas über den Autor und die Rechtschreibung verrät, geht es in vielen der Kommentare.

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Veröffentlicht von

Gedankenfragmente von Helmut Wicht, Dozent an der Frankfurter Universität, über Neurobiologie, Anatomie, Philosophie, Gott und die Welt. Seine eigentliche Expertise bezieht sich auf die (Human-)anatomie und die vergleichende Anatomie des Nervensystems.

18 Kommentare

  1. Ansonsten habe ich auch keinen Organspendepass oder eine Einwilligung. Daraus könnte nämlich auch eine Wahrscheinlichkeit meines Frühablebens hervorgehen und wahrwerden.

    Lebensversicherungen heissen deswegen eigentlich falsch, da sie den Todesfall absichern. Ist also eine Wette auf den Tot mit irreführendem Namen.

  2. Vielleicht

    war ‘Endgeld’ (vs. ‘Entgelt’, das vielleicht vorab fällig wäre) ernst gemeint, ein Endgeld im Sinne der früher in D üblichen Übernahme der Bestattungskosten für Körperspender.

    MFG
    Dr. W

  3. Selbstverarscht

    Sehen Sie: Vor lauter Fixierung auf das Ende und das Geld habe ich mich mal wieder orthografisch selbst veräppelt.

  4. Etymologisch

    liegen das ‘Enden’ (althochdeutsch: enton) und ‘Geld’ (althochdeutsch: gelt), nicht fern voneinander.
    Man meint hier neudeutsch den Abschluss einer Transaktion durch Zahlung von Geld oder anderswie, nicht nur Geld ist Gelt.
    Also, so wichtich (mittelniederdeutsch) ist das alles nicht.

    MFG
    Dr. W

  5. Reflexionsrisiko

    Ja Herr Wicht, das ist ein langfristig kaum vermeidbar, äußerst unangenehmes Problem der Reflektierer zweiter Ordnung. Gelegentlich werden sie vor lauter Gewissheit bei den selben sprachlichen Problemen wie die ehrlichen einfachen Bürger erwischt.

    So überzeugt dumpf-missionarische egomane Typen, wie Blume hier auf SciLogs, die keine Selbstzweifel kennen und denen das auf inhaltliche Weise (also argumentativ) ständig passiert, überspielen solche kritischen Situationen auf geschwätzige Weise, aber ich vermute, Sie ärgern sich und leiden ein wenig unter diesem dummen Fauxpas.

    Und das macht Sie sympathisch.

  6. Hm… So weit so schön. – Aber wie sollte man denn tatsächlich vorghen, wenn man den Körper nach dem Ableben der Forschung zur Verfügung stellen will? – Ein Organspender-Ausweis alleine reicht dafür ja nicht. Damit werden ja “nur” die noch brauchbaren Organe entnommen und der Körper anschliessend wieder zu gemacht. Aber er landet nicht auf dem Seziertisch. Also was tun, wenn er nach dem Ableben einen Umweg über eine anatomische oder forensische Forschungsabteilung machen soll, bevor er zum Friedhof wandert?

  7. Hans

    , Stichwort Körperspende, früher in D für den Spender kostenfrei, seit einigen Jahren nicht mehr. Irgendwo war zu lesen, dass man heute als Spender mit etwas mehr als 1.000 Euro dabei sein kann, wenn ein interessiertes anatomisches Institut gefunden wird.

  8. @ Geoman

    Natürlich geniere ich mich.

    Ich würde das auch gerne ausbessern (mit einem Postskriptum natürlich, das meinen Fehler zum Thema hat), aber ich komme bis Dienstag nicht an den Computer in der Uni, der das Passwort kennt, das es mir erlaubt, mich in das System als Editor einzuloggen.

    Also muss meine Schande schon in der Überschrift noch ein paar Tage öffentlich strahlen.

    Danke für Ihren Trost.

  9. Humor im Angesicht der Sterblichkeit?

    Der Beitrag bezeugt eine gemütlich-gönnerhafte Attitüde und damit en passant seine notwendige Oberflächlichkeit, die ja hier bereits Thema war.

    “Endgeld” hat Humor, der Autor aber seinen akademischen Grad.

  10. Zahlung bei Lieferung…

    …an die Hinterbliebenen. Das ginge. Aber der Markt gibt es nicht her, es gibt einfach zu viele Leichen (im Keller?), die keinen Cent kosten. Bei der Beschaffung, wohlbemerkt, nicht bei der Entsorgung (oder sagt man Bestattung?)

    Witzigerweise kann „Endgeld“ durchaus als lustige Wortneuschöpfung durchgehen. Was man von „Entgeld“ leider nicht sagen kann.

    Im Übrigen ist mir ist der Fehler in „Entgeld“ gar nicht aufgefallen, obwohl ich „Endgeld“ schon beim ersten Lesen als „falsch“ erkannt habe—wenn auch nur zur Hälfte ;-). Vermutlich sind im privaten Schriftverkehr beide Entgelt/d-Varianten gleich häufig.

  11. Endgeld

    Was könnte es für eine männliche Leiche Schöneres und Nützlicheres geben als von hübschen Studentinnen begutachtet und erforscht zu werden?

  12. @Anton Reutlinger

    “Was könnte es für eine männliche Leiche Schöneres und Nützlicheres geben als von hübschen Studentinnen begutachtet und erforscht zu werden?”

    Da wäre zunächst die Wiederaufserstehung im Himmel zu nennen. Das ist mal sicher.

    Hingegen “hübsche Studentinnen” nicht vom Himmel fallen. Weiters sind nicht alle männlichen Leichen so veranlagt, wie sie glauben machen wollen.

  13. Körperspende

    Für die, die es interessiert: fast alle anatomischen Institute haben die jeweiligen örtlichen Details zur Körper_spende_ auf ihren Homepages.

    Es herrscht durchaus kein Mangel an Spendern, ganz im Gegenteil.

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