R.I.P. Great Barrier Reef?

Es gibt Orte, über die fantasiert man sein ganzes Leben lang: Die grüne Lunge der Erde, die weite Sandwüste, den Krater des Vulkanes. Für mich ist ein solcher Ort das Great Barrier Reef. Und trotz dieser Faszination hatte ich es nie eilig dort hinzukommen, warum auch? Ein riesiger Organismus der sich über 347.800 km erstreckt und eine der vielseitigsten Habitate der Welt darstellt. 1625 Fischarten von denen 1400 nur auf Korallenriffen vorkommen, 359 Steinkorallenarten und jede Menge weitere Weichtierarten. Was soll da schon passieren? Das kann ich auch mit 60 Jahren noch erkunden, oder wenn es mich eh dort hin verschlägt, dachte ich mir. Und am wichtigsten war und ist mir eh das Bewusstsein, dass ein solches Wunder existiert. Doch plötzlich heißt es in den Zeitungen und ganz besonders in meinem Facebook-Feed: Dieses größte von Organismen erbaute Gebilde bleicht und stirbt. Ist es zu spät? Habe ich zu lange gewartet? Ist es unwiederbringlich zerstört? Selten war ich beim Lesen der Nachrichten so traurig – ängstlich, dass etwas unendlich Bedeutendes, ein gewaltiges lebendiges Geflecht, plötzlich verschwindet.

 

„Es ist hart zu wissen, dass ein megageiler Ort an dem man so lang und hart gearbeitet hat, voller Idealismus, die Welt verbessern zu wollen, als Phd oder Diplomstudent, jetzt einfach erst mal am Arsch ist,“ schrieb mir Christoph Braun ein Studienfreund, der in Brisbane lebt. Christoph arbeitete lange auf der Forschungsstation Lizard Island im Great Barrier Reef. Jenny Theobald, Fotografin und Biologin, fasste es passend zusammen: „Man denkt ja irgendwie immer ‚klar geht alles den Bach runter, aber so richtig kriegen das erst die nächsten Generationen mit’…. von wegen“.

Fest steht: Es war ein heißer Sommer an der australischen Küste. Aber wie ist die Sachlage? Wie sehr und warum ist das Riff in Gefahr? Wie sehen es die Forscher, die vor Ort sind?

Das Great Barrier Reef besteht aus vielen verschiedenen Riffen, die von Korallen erbaut wurden. Manche wachsen am Rande des kontinental Schelfs, andere nah an der Küste oder in Form von Riffplatformen. Die häufigsten Korallen und größten Riffbilder sind die Blumentiere der Familie Acroporae und Poritidae, zu denen die Tisch-, Hornkorallen und die großen Hirnkorallen gehören. Sie bestehen aus kleinen, putzigen, vielarmigen Polypen, die in großen Zusammenschlüssen einen Korallenstock bilden. Die Korallenstöcke wachsen, in dem sie Kalk absondern. Sterben die Korallen ab, bleibt nur dieses Gestein übrig, auf dem sich dann erst neue Korallen ansiedeln müssen. In den nährstoffarmen tropischen Gewässern überleben diese Polypen, Verwandte der Quallen, in dem sie mikroskopische Algen in ihr Gewebe aufnehmen, die ihnen dank Photosynthese Nährstoffe aus Licht produzieren.

93% der Korallenriffe im Great Barrier Reef zeigen zur Zeit Anzeichen von Bleiche: Sie stoßen diese symbiotischen Algen ab, da sie anfangen Giftstoffe zu produzieren. Können sie nicht schnell genug neue Symbionten finden oder bleiben die Temperaturen hoch, verhungern die Korallen schließlich. In manchen Regionen im Norden sind 50% der Korallen schon tot. „Das Great Barrier Reef erleidete in den letzten Jahren so einige Katastrophen wie massives auftreten des Dornenkronenseesterns und starke Zyklone, aber dieses Bleichevent ist bei weitem das Fatalste, und hatte die weitreichendsten Folgen“, schrieb mir Fabio Cortesi ein Post-Doc in der Arbeitsgruppe von Justin Marshall an der Queensland University. Sie erforschen die visuelle Ökologie von Rifffischen. Die meiste Forschung findet auf der Forschungsstation Lizard Island statt. Ich kenne die Station aus Erzählungen: so einige meiner Labor-Kollegen während der Diplomarbeit haben dort die Daten für ihre Abschluss- oder Doktorarbeit gesammelt. Dieses Riff hat es besonders stark getroffen und Justin Marshall berichtete eindrucksvoll dem Guardian von diesem erschreckenden Zustand:

http://www.theguardian.com/environment/planet-oz/2016/apr/21/mourning-loomis-reef-the-heart-of-the-great-barrier-reefs-coral-bleaching-disaster

„70 Prozent der gebleichten Korallen sind an diesem Ort schon gestorben und alle Korallenarten sind mehr oder weniger betroffen“, sagt Fabio Cortesi. Viele der Fische die er erforscht sind zwar im Moment noch da, doch sie werden bald verschwinden, da sie keine Nahrung mehr finden. Dass sogar die Weichkorallen und Anemonen bleichen, ist besonders erstaunlich. „ Das hat mich am meisten schockiert: wenn sie anfangen zu sterben, verschwinden sie einfach und hinterlassen keine Spuren: Wir haben auf Lizard große Bereich nackten Fels gesehen, die mit einem Algenfilm bedeckt sind. Nur weil wir Bilder vom letzten Jahr hatten, konnten wir wissen, das dort vorher viele Weichkorallen wuchsen. Ein gruseliges und wirklich trauriges Erlebnis“, erklärt Fabio Cortesi. Steigt die Wassertemperaturen des Wassers 2° über die Durchschnittstemperatur der Saison, wird es gefährlich für die Korallen, da die Algen anfangen, Toxine zu produzieren.

„Man kann es mit dem Fieber beim Menschen vergleichen: Dem Körper geht es gut, solange die Temperatur bei 37 Grad bleibt. 1 oder 2 Grad mehr und wir empfinden starken körperlichen Stress. Ohne medizinische Gegenmaßnahmen kann Fieber zum Tod führen – meistens können wir heute gut dagegen ankommen. Nach starken Fieberschüben leiden manche Menschen jedoch an Folgeschäden – so ergeht es auch den Korallen“, beschreibt es Fabio Cortesi.

Ob einzelne Korallen sich von diesem „Fieber“ wieder erholen, hängt von vielen Faktoren ab und ist schwer vorherzusehen. Es wird auf jeden Fall die Touristikindustrie, die so wichtig für die Region, ist beeinflussen. „Das Riff ist nicht tot, aber es ist sehr krank! Ich würde mir wünschen, das Menschen trotzdem kommen, um sich bewusst zu machen, welchen Schaden wir angerichtet haben. Diese Bleiche ist menschgemacht“. Der Klimawandel und das starke El Nino-Phänomen sind die Ursache für die anhaltenden hohen Temperaturen.

7 % des riesen Riffsystems hat die Hitze verschont. Besonders der Süden hatte Glück: Ein Zyklone brachte Anfang März kühleres Wasser an die südlichen Regionen. Doch der Großteil der Korallen (70%) sind im Norden zu finden und denen geht es sehr schlecht.

Zu hoffen bleibt, dass sich die Korallen erholen können, damit sie in den nächsten 15 Jahren vielleicht wieder die Vielfalt aufbauen, die vor kurzem noch dort zu finden war. Das hängt auch davon ab, wie wir damit umgehen. Trotz einem schon bestehenden Naturschutzgebiet, dem Great Barrier Reef Marine Park sind die Korallen noch weiteren Stressoren ausgesetzt: Pestizide, Dünger und Sedimente aus den 385.000 m2 Agrargebiet in Queensland fließen in das Riff ab und belasten die Korallen am Meisten. Sie verlangsamen oder verhindern, dass das Ökosystem sich erholt. Aber auch die Häfen aus der Region schaden den Korallen. Auch die Versäuerung der Ozeane durch CO2-Anreicherung im Meer schadet den Korallen: Es erschwert die Bildung von Kalk – dem Baustoff der Korallenstöcke. Gebleichte Riffe können sich erholen. Sie können sich aber auch in einen Haufen algenverschleimtes Gestein verwandeln – und das hängt davon ab, wie wir Menschen die Heilung der Riffe unterstützen.

Als ich klein war, verfolgte ich fasziniert die Abenteuer von Jacques Cousteau und der Calypso. Ich hatte sogar Sammelkarten mit den spannendsten Meerestieren. Als ich Biologie studiert, musste deswegen erst einmal ein Tauchschein her und dann schaffte ich es an das Rote Meer: Dort verwirklichte sich plötzlich was mir hunderte von BBC- und Arte-Dokumentationen und auch Cousteau versprochen hatten: Ein Aquarium zum einsteigen – Tausende bunte Fische huschen nur Armlängen entfernt an einem vorbei. Eine ganze Fischzivilisation mit Putzerstationen, Jagdfreundschaften, Harems und Kinderstuben tat sich vor mir auf.

Als ich später Cousteaus Filme wieder sah, besonders die ganz Alten, überraschte mich, wie krass sich die Wahrnehmung und der Umgang mit Riffen geändert hatte: Heute würde kein Wissenschaftler eine Dynamitstange ins Rote Meer schmeißen um zu schauen, was da so lebt. Wir sind vorsichtig geworden. Gehen behutsamer mit unser Umwelt um. Gegen den Klimawandel etwas zu tun, gegen die Habitatzerstörung weltweit vorzugehen erscheint mir oft verzweifelt, unrealistisch. Kann Mensch wirklich etwas an seinem Verhalten ändern? Der nächsten Generation erscheint unsere Lebensweise aber vielleicht auch wie das Werfen einer Dynamitstange ins Rote Meer.

 

Quellen und zum Weiterlesen:

https://web.archive.org/web/20110608083152/http://www.gbrmpa.gov.au/__data/assets/pdf_file/0010/13402/Coral-Bleaching-GBR-Dec06.pdf

http://www.sciencemag.org/news/2016/04/survey-confirms-worst-ever-coral-bleaching-great-barrier-reef

Access Economics Pty Ltd (2005). “Measuring the economic and financial value of the Great Barrier Reef Marine Park”

Ziemlich ironisch ist diese Entwicklung: www.abc.net.au/news/2015-12-22/massive-abbot-point-coal-port-expansion-gets-federal-approval/7047380

So reagiert die Tourismusindustrie in der Region – hoffentlich ändert sich das bald: www.theguardian.com/environment/2016/apr/28/great-barrier-reef-tourism-operators-refuse-media-and-politicians-access-to-bleached-reefs

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Mit einem Diplom in Biologie in der Tasche, einer halben Doktorarbeit und viele Ideen will ich meinen Senf dazugeben. Meine irrsinnige Begeisterung für Lebewesen und des Lebens Wesen, möchte ich weitervermitteln. Und das an JEDEN. Jeder soll wissen, wie unglaublich Grottenolme sind und warum auch Gliazellen unserer Aufmerksamkeit bedürfen, dass Ratten nicht nur ekelig sind und die heimische Topfpflanze vielleicht bald schon die Nachttischlampe ersetzt. In Tübingen habe ich studiert, in Bern der Forschung den Rücken gekehrt. In Berlin bin ich nun auf der Suche nach Alternativen im Feld der Biologie und Kommunikation. Ganz besonders nach meinem Geschmack sind verrückte, unglaubliche oder einfach nur lustige Geschichten aus Ökologie, Evolution, Medizin und Technik. Schmeckt euch der Senf? Sonst mischt doch mal mit! Mathilde Bessert-Nettelbeck

5 Kommentare

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