Backstein und Benzin in Potsdam
BLOG: Biosenf
An der Summerschool „Just politics?“ der Gesellschaft für die neuen englischsprachigen Literaturen (ASNEL/GNEL) im September in Potsdam versuchte ich mich im Workshop leiten: Mein erstes Mal und das auch noch in einem fremden Fach. Die Organisatoren freuten sich über die Biologin (interdisziplinär und so) und ich darüber, eine ganze andere Art der Naturerforschung kennen zu lernen: die Natur in der Kunst.
Es ging um Gerechtigkeit in allen Kunstformen. Ecocrticism und postcoloniale Theorien angewandt auf Literatur, Film, Foto und alle anderen Kulturprodukten. „Eco“ sagt einem etwas: hier spielt Ökologie eine Rolle. Aber was hat es mit dem „Criticism“ auf sich? Eco-Kritiker analysieren Kunst und beurteilen die Ästhetik von Natur und Ökologie. Ziel ist es, ökologische Fragen nach Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft aufzudecken und Lösungsansätze zu entwickeln. Wie der Mensch Natur begreift und in der Kunst verarbeitet, kann seinen Umgang mit der Umwelt erklären. Umweltzerstörung, Artensterben und Klimawandel spiegeln die Probleme dieses Umgangs wieder.
Es ist ein sehr weites, für mich als Neuling sehr unübersichtliches Feld. In Verbindung mit Postkolonialismus Theorien erweitert sich die Analyse: das Bild, das wir uns von Natur machen ist auch geschichtlich geprägt. Machtverhältnisse, die aus der Kolonialzeit nachwirken, spielen mit bei der Darstellung von Tieren und Wildnis in so genannten postkolonialen Texten. Die Aufdeckung dieser Verhältnisse in der Naturdarstellung zeigen Ungerechtigkeiten in der Verteilung von Gütern, der Nutzung der Natur und dessen Schutz auf.
Prägend war für mich der Diskurs um den Umgang mir Erdöl in der sogenannten Petrofiction. Wie ist Öl dargestellt? In Fotografien, Texten, Filmen tauchen Pipelines, Ölförderung, Tankstellen aber auch Ölverschmutzung und Tankerunfälle auf. Greame MacDonald, der Warwick University ging in seinem Vortrag noch weiter, Öl ist für ihn nicht nur dort wo Benzin fließt und die Pipeline steht: jeder Gegenstand der im Zusammenhang mit Öl steht, der Energie braucht, der aus Plastik besteht, ist Teil unseres Verhältnis zu dem Rohstoff. Und somit ist alles Petrofiction, denn Öl ist allgegenwärtig.
Seine Analyse von Fotografien, die Pipelines abbilden, zeigt wirksam, wie in unterschiedlichen Ländern und Kulturen Pipelines und Öl eine andere Stellung einnehmen. In Nigeria, einem Land mit bedeutenden Ölfeldern im Nigerdelta ist die Pipeline Gefahr und Alltag – Ein Foto zeigt Kinder die Pipelines überqueren und das mitten in einem Dorf. In den USA wiederum ist die Pipeline versteckt und unzugänglich oder sie taucht in Bildern auf, die weite Wildnis zeigen. Auch die Gefahr von Umweltverschmutzung und Explosionen ist somit weit entfernt.
Bilder aus den USA
Bilder aus Nigeria:
http://www.oyibosonline.com/images/nigerianPipelines.jpg
http://filipspagnoli.files.wordpress.com/2008/07/pipeline-explosion-nigeria.jpg
Das Nigerdelta war weiterhin Thema bei der Summerschool: Der Autor Helon Habila war auch zu Gast und stellte sein Buch „Oil on Water“ vor. Bisher hatte ich noch nie davon gehört, wie die Ölförderung die Region im Mündungsgebiet des Nigers am Golf von Guinea verwüstet hat: Jedes Jahr fließt dort die Menge an Erdöl ins Delta, die bei dem Unfall des Tankers Deepwater Horizon in den Golf von Mexico gelangte, berichtet der Autor. Im Buch beschriebt er, wie die Umweltverschmutzung das Leben der Menschen im Delta zerstört: Ihre Gesundheit, ihre Lebensgrundlage und den Frieden in der Region. Die Bewohner des Deltas leben zum großen Teil vom Fischfang – die Verschmutzung der Gewässer macht den Fisch ungenießbar und zwingt die Menschen ihre Dörfer zu verlassen. Alternativ greifen viele zum schwarzen Gold. Die Pipelines anzuzapfen ist lukrativ und sehr gefährlich. Die meisten Öllecks entstehen laut Amnesty International aber durch schlechte Wartung: das Metall der Pipelines korrodiert und das Öl verteilt sich im Boden und im Wasser.
In den 1990 Jahren kam es zu den ersten Konflikten in der Region: militante Umweltaktivisten sabotierten Pipelines und forderten Entschädigung. Seit dem ist die Region umkämpft: Die Militanten fingen an Angestellte der Ölgesellschaften zu entführen. Das Militär griff ein. Eine solche Entführung beschreibt Hablia in seinem Roman. Die Grenzen der Kriminalität verschwimmen, es herrscht eine Wild-West-Stimmung. Das Delta wirkt wie ein rechtsfreies No-man’s-land vor dem der Mensch nur noch flüchten kann. Die Gewässer des Deltas erscheinen in seinem Buch bedrohlich, zerstört, giftig. Die Regierung versuchte 2009 in den Konflikt einzugreifen: eine Amnestie sollte es richten – 2009 werden die Militanten gebeten die Waffen niederzulegen, gegen eine Entschädigung – die bei vielen nicht ankam. So gehen die Auseinandersetzungen weiter.
Im Januar kam es in den Niederlanden zu einem Gerichtsurteil, bei dem Shell Nigeria ein Landwirt aus dem Delta entschädigen muss. Das ist ein erster Schritt.
Wer sich, wie ich mit dem Thema noch nie beschäftigt hat, sollte das Buch lesen. Die Geschichte ist zwar ein bisschen verwirrend und sehr düster aber spannend.
Hier ein Video über einen Bericht von Amnesty international von 2011 http://www.youtube.com/watch?v=SOXW-dbTfok
So nahm ich ein neues Buch und viele Denkanstöße von Potsdam mit nach Haus. Mein Fazit: Es ist gar nicht so leicht, sich in eine andere Art des Erkenntnisgewinns, als ich es aus der Biologie kenne, hineinzudenken. Aber es ist eine schöne Herausforderungen.