Warum ich dem Affen lieber keinen Zucker gebe

Als Reiseprojekt stellte ich Wildtier-Selfies auf Instagram. Was ich gelernt habe? Wilde Tiere füttern ist ein weit verbreiteter Zeitvertreib und definitiv falsche Tierliebe.

Zwischen den Lianen und Ästen im nassen Grün des karibischen Regenwaldes von Costa Rica entdecke ich das schwarz-weiße Fell eines Kapuzineräffchens. Das Tier hangelt sich interessiert heran. Auf einem Ast über dem Steg, mit dem wir in diese sumpfige Landschaft gelangt sind, findet der Affe einen guten Aussichtspunkt, um uns zu beobachten. Ich zücke mein Handy und pirsche mich rückwärts an. Vielleicht zwei Meter entfernt bleibe ich stehen: Ich schieße ein Selfie. Weitere Touristen schließen zu uns auf und seufzen begeistert dem Affen über ihnen entgegen. Als ich mich einige Meter weiter auf eine Bank setzen will, ist das für das Äffchen das Signal, auf das es gewartet hat. Es steigt vom Baum hinunter, lässt sich auf den Steg fallen und hüpft auf das Geländer. Jetzt beobachtet es mich ganz genau. Werde ich den Rucksack öffnen und einen Mittagssnack freilegen? Die Affen sind notorische Snackdiebe und Schilder warnen im Nationalpark Cahuita vor den Langfingern. Die jungen englischsprachigen Touristinnen sind ganz aus dem Häuschen: „Oh my god, amazing!“, schluchzen sie und die Handys sind im Dauereinsatz nur etwas mehr als einen Meter von dem Tier entfernt. „Can I touch it?“, fragt eine der Frauen in die Runde. Doch so weit kommt es zum Glück nicht: Der Affe – ganz fixiert auf unsere Rücksäcke – kommt immer näher. Ich springe auf und gehe. Der Affe folgt mir nicht – „Zum Glück!“, denke ich. Es wird aber nicht die letzte Begegnung mit seinesgleichen sein: Ein Mittagessen werden wir noch an einen seiner Artgenossen verlieren (siehe Titelbild).

Kapuzineraffen (Cebus imitatus)
Das war’s mit dem Mittagessen: Die Kapuzineraffen (Cebus imitatus) in Costa Rica sind berüchtigt für ihre forschen Langfinger-Angewohnheiten.
Die Tiere leben in Gruppen und essen gewöhnlich Früchte, Echsen und Krabben. Immer öfter ernähren sie sich aber auch von Abfällen und nennen auch so manchen Garten ihr Zuhause. Dabei bringen sie sich in Gefahr und werden zur Belastung für die Anwohner: Kommt man ihnen zu nahe oder verwährt ihnen Futter, beißen sie zu.

https://www.instagram.com/p/BihaToElTBX/?taken-by=interview_mit_einem_tapir

 

Wildtiere anfassen, streicheln, „to pet“ auf Englisch – das geht nicht einfach so: Die meisten halten eine gesunde Distanz zu uns Menschen. Würde ein wilder Fuchs einfach so auf uns zulaufen, würden wir uns eher fürchten als jauchzend Fotos zu schießen: Vielleicht hat er Tollwut. Bei diesem Affen ist es anders: Die Touristen freuen sich über die Zutraulichkeit der süßen Tierchen und ich ja irgendwie auch. Mein Selfie-Selbstversuch hat mir aber gezeigt: Wenn Tiere Menschen so nah heranlassen, dass sich gute Selfies schießen lassen, dann wurden sie meistens angefüttert. Das, stellte sich heraus, scheint ein viel häufigeres Problem zu sein, als ich vorher vermutet hatte. Die verlorene Scheu kommt nämlich nicht ohne Preis. Die häufigsten Patienten in der einzigen Arztpraxis in Cahuita sind von Affen gebissene Touristen.

Die vier Monate Reise sind vorbei und der Arbeitsalltag hat mich wieder. Statt fremde Länder zu bereisen, beschäftige ich mich wieder mit dem Gehirn und künstlichen Intelligenzen. Mein kleines Instagram-Projekt ist abgeschlossen. Was hat es mir gebracht? Ich habe es begonnen als Projekt für die Reise: Als kleines Selbst-Experiment wollte ich wissen, wie sehr man sich bemühen muss, um nachhaltige, ethisch vertretbare Selfies zu machen.

Ich wollte versuchen, Fotos von Tieren zu schießen, ohne dass ich sie oder sie mich gefährden würden. Dazu folgte ich dem Wildlife Selfie Code vom World Animal Protection Fund https://www.worldanimalprotection.org/wildlife-selfie-code. Mehr dazu könnt ihr in meinem letzten Blog nachlesen. Mich interessierten dabei nicht nur die ikonischen Wildtiere, sondern als Biologin fand ich alle Vögel, Insekten und Fische interessant, auch wenn sie mitten in der Stadt vorkommen – wie man auf den Fotos sieht. Habe ich die Arten noch nie gesehen, bin ich fasziniert! Diese Stadttiere waren meist nicht ganz so scheu wie unsere heimischen Wildtiere, sondern vergleichbar mit unseren Kulturfolgern Fuchs, Taube oder Krähe.

Überrascht war ich, wie nahe einige Wildtiere mich doch heranließen – wie dieser Affe oder die Gürteltiere auf einem Parkplatz in Patagonien. Die putzigen Panzertiere huschten uns auf dem Parkplatz in der patagonischen Steppe hinterher und hatten es ganz klar auf Brotkrümel von uns oder ein irgendwo zurückgelassenes Picknick abgesehen. Denn genau das passiert, wenn Tiere angefüttert werden: Sie werden zahm – wissenschaftlich heißt das Habituation. Das klingt zwar harmlos, kann aber für alle Beteiligten tragisch ausgehen – wie im Falle der Krokodile von Tarcoles in Costa Rica.

https://www.instagram.com/p/BfbA2GGFnVd/?taken-by=interview_mit_einem_tapir

Beim Rio Tarcoles fingen die Touristenführer Diego, Jason und Manuel Vargas damit an, den Echsen zu fressen zu geben: „Corcodile Men“ hießen die Bootstouren, bei denen sie 1999 anfingen, gemeinsam mit Touristen Krokodile mit Hühnchenfleisch zu füttern. Dazu, warum es an dieser Brücke auf der Straße zum beliebten Urlaubsziel Jako so eine hohe Dichte des Amerikanischen Krokodils gibt, fand ich keine Belege. Einige Bewohner sagten, es liege daran, dass hier Beutetiere aus den Bergen zum Trinken herunterkommen – wobei der Fluss Rio Grande eine richtige Kloake ist – einer der am stärksten verschmutzten Flüsse Mittelamerikas. Höchstwahrscheinlich kommen sie wegen der praktischen Futterquelle: Immer noch werfen Menschen Futter von der Brücke, an der Busladungen von Touristen ausgespuckt werden, um die etwa 50 Tiere im Flussbett und auf den Sandbänken zu bestaunen. Das Problem: die Tiere werden mutiger, aggressiver und sammeln sich nah dieser Brücke, an der die Touristen Futter reinschmeißen. Wenn dann einer reinfällt, ist er Krokodilfutter: www.ticotimes.net/2014/04/29/breaking-unidentified-man-devoured-by-crocodiles-after-falling-off-tarcoles-bridge-in-costa-rica. Auch in Tamarindo werden Krokodile immer öfter an den Stränden gesichtet – an denen viele Menschen baden oder surfen: In der nähe fanden Fütterungsbootstouren statt. Die Costa-Ricanische Regierung hat das Füttern von Wildtieren mittlerweile verboten. Da habituierte Raubtiere gefährlich sind, werden sie auch nur noch selten aus Rettungszentren freigelassen. Ein Krokodil, das in einem Rescue Center bei Puerto Viejo in Costa Rica als Baby aufgenommen wurde, wird wahrscheinlich nie wieder in die Freiheit entlassen, weil es sich zu sehr an Menschen gewöhnt hatte und die Regierung eine Freilassung nicht riskieren will. Es fristet den Rest seines Lebens in einem Gehege. Laut der Statistik der Seite CorcBite gab es 53 registrierte Fälle von Krokodilangriffen insgesamt in Costa Rica (6 Fälle 2017) – davon 4 am Tarcolesfluss. Kein Grund zur Panik also. Auch wenn Krokodile gefährlicher sind als Haie. Die Seite registrierte weltweit 330 Angrifffe in 2017 – im gleichen Jahr gab es 88 Haiattacken weltweit laut der International Shark Attack File davon nur einen Fall in Costa Rica.

Spitzkrokodil (Crocodylus acutus)
Ein Spitzkrokodil (Crocodylus acutus) sonnt sich auf einer Sandbank des Rio Tarcoles in Costs Rica. Die bis zu drei Meter langen Echsen sind eine Touristenattraktion. Sie lassen sich bequem von einer Brücke beobachten.

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Wilde Tiere füttern führt dazu, dass sie die Angst vor dem Menschen verlieren und Menschen mit Futterquellen assoziieren. Dieser Effekt wird in der Forschung genutzt, damit Wissenschaftler Tiere genauer beobachten können. Auch die Tourismusindustrie kennt diesen Effekt. Wenn es dabei um Haie oder Krokodile geht, kann das zum Problem werden. Gut gemeinte Almosen sind es allemal: Die Tiere wollen das Essen und es macht Spaß, ihnen beim Fressen zuzuschauen. Man kommt nah an sie heran und stillt vielleicht noch ihren Hunger. www.ticotimes.net/2014/04/29/breaking-unidentified-man-devoured-by-crocodiles-after-falling-off-tarcoles-bridge-in-costa-rica.

Das Füttern kann auch dazu führen, dass die Tiere sich selbst in Gefahr bringen: Die Gürteltiere auf der Peninsula Valdes in Argentinien wurden auch oft Opfer ihrer Zutraulichkeit. Sie lagen tot am Straßenrand gleich neben den Parkplätzen, auf dem sie die Autos verfolgten, um noch ein paar Kekskrümel abzubekommen. Und ihnen dort auszuweichen war auch gar nicht so leicht – kein Wunder, wenn sie Autos mit Futterquelle gleichsetzen. Der eine oder andere wird wohl nicht rechtzeitig bremsen können oder die kleinen Tiere übersehen und schon ist es Roadkill.

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Affen sollte man definitiv nicht füttern und hier sind einige weitere Gründe warum: https://qcostarica.com/this-is-why-you-shouldnt-feed-the-monkeys/   Aber ist es denn immer schlecht Tiere zu füttern? Was ist zum Beispiel mit unseren heimischen Vögeln, denen wir mit Körnern durch den Winter helfen wollen?

Fütterungen im Tourismus haben aber auch positive Seiten: Schließlich lernen Touristen auf diese Weise die Tierwelt schätzen, da sie den scheuen Arten begegnen, etwas über sie erfahren und noch den Eindruck haben, ihnen zu helfen. Bei der Frage, ob Wildtierfütterungen okay sind, sind sowohl Artenschutz, als auch Tierschutz und öffentliche Sicherheit zu bedenken. Ein interessantes Bewertungsverfahren stellen die Autoren dieses Papers vor: http://www.mdpi.com/2076-2615/3/4/978/htm

Dubois und Fraser kommen zum Schluss, dass zum Beispiel – nach ihren Kriterien – Komodowaran-Fütterungen in Indonesien nicht akzeptabel sind, Meisenfüttern aber schon. Sie unterscheiden dabei zwischen verschiedenen Kontexten, in denen Wildtiere gefüttert werden: Im Rahmen von Forschung, Wildtiermanagement, Tourismus oder opportunistische Fütterungen (zum Beispiel, wenn Menschen Vögel im Winter auf dem Balkon füttern). Ein Beispiel kommt mir aber etwas fragwürdig vor: Warum soll die Zitronen-Hai-Fütterung in Französisch-Polynesien in Ordnung sein? Das Sicherheitsrisiko könnte doch erheblich sein, wenn Haie die Scheu vor Menschen verlieren. Was denkt ihr?

Insgesamt hatte ich auf unserer Reise viele sehr positive Erfahrungen mit den Nationalparks in Chile, Argentinien, Costa Rica oder Panama. Meistens war für Besucherinnen und Besucher viel Information und Touren vorhanden und man bekam einen wundervollen Einblick in die sehr schützenswerte Vielfalt dieser Regionen. Es wurde auch immer gewarnt, man solle die Tiere nicht füttern – was viele Besucherinnen und Besucher dann leider nicht davon abhält. Am ehesten ließe sich in Panama noch einiges verbessern und von dem Nachbar Costa Rica lernen. In Peru und Bolivien besuchten wir keine Nationalparks – und Alpaca-Babies, die verkleidet und gegen Geld für Fotos angeboten werden, begegneten mir leider schon. Wobei mir hier die kleinen Kinder, die diese Fotos anbieten mussten, mehr Leid taten als die Tiere.

Zum Glück waren nicht alle Selfies mit habituierten Tieren:

https://www.instagram.com/p/Bi129pjHNAD/?taken-by=interview_mit_einem_tapir

https://www.instagram.com/p/BhsksBGHOar/?taken-by=interview_mit_einem_tapir

 

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Mit einem Diplom in Biologie in der Tasche, einer halben Doktorarbeit und viele Ideen will ich meinen Senf dazugeben. Meine irrsinnige Begeisterung für Lebewesen und des Lebens Wesen, möchte ich weitervermitteln. Und das an JEDEN. Jeder soll wissen, wie unglaublich Grottenolme sind und warum auch Gliazellen unserer Aufmerksamkeit bedürfen, dass Ratten nicht nur ekelig sind und die heimische Topfpflanze vielleicht bald schon die Nachttischlampe ersetzt. In Tübingen habe ich studiert, in Bern der Forschung den Rücken gekehrt. In Berlin bin ich nun auf der Suche nach Alternativen im Feld der Biologie und Kommunikation. Ganz besonders nach meinem Geschmack sind verrückte, unglaubliche oder einfach nur lustige Geschichten aus Ökologie, Evolution, Medizin und Technik. Schmeckt euch der Senf? Sonst mischt doch mal mit! Mathilde Bessert-Nettelbeck

4 Kommentare

  1. Bei unseren heimischen Vögeln habe ich mich auch schon gefragt, ob man sie füttern soll. Ich meine ja, besonders im Winter, aber auch im Frühjahr, wenn es noch nicht genug Insekten gibt. Seit es bei uns auch im Sommer keine Insekten mehr gibt, füttern wir zu, wenn Vogelfutter im Handel angeboten wird.

  2. Tiere zu füttern ist ein gesellschaftlicher Habitus, das wünschenswert Soziale transportiert sich hier auf das gute Tier, das bei näherer Beschau nicht gut sein muss, im Sinne des Fütternden.

    Der Hund ist hier eine oder womöglich Die Ausnahme, er beweist sich als Freund des Menschen, sozusagen, er will auch gefallen.

    Bei Katzen sieht es schon anders aus, der Schreiber dieser Zeilen, Dr. Webbaer ist ausschließlich Katzenhalter oder Katzen-Gastgeber, bereits bei ihnen könnte jedem Halter oder Gastgeber klar werden, dass das gute Tier zuvörderst Unterschlupf sucht, auch seine Aufzucht meinend und “Fressie”.
    Dr. Webbaer ist nach jahrzehntelanger derartiger Katzen-Haltung Experte, er weiß sozusagen in die guten Tiere hineinzuschauen, es ist interessant.

    Es gibt erst erst einmal zu unterscheiden zwischen Katzen, die den Wirt sozusagen, nicht wahrnehmen und denen, die dies tun.
    Katzen, die den Wirt nicht wahrnehmen, werden oft als wilde Katzen bezeichnet, sollen an dieser Stelle nicht weiter interessieren, Katzen, die den Wirt wahrnehmen unterscheiden sich dadurch, ob sie nur fressen wollen, den Wirt anerkennend, auch schätzend, auch körperliche Nähe suchend, und in (seltenen Fällen) Katzen, die sozial sozusagen sind, den Wirt, den Menschen, annehmen.
    Sogar zu kommunizieren suchen, bspw. indem sie mit der rechten (es ist immer die rechte Pfote, weiß jemand warum dies so ist?) Pfote andeuten, was sie wollen, typischerweise : Fressie, “raus” oder “Nature calls” (Katzentoilette).
    Manchmal geht es auch sozusagen um Katzen-Arbeit, die den Nachwuchs meint.

    Der Schreiber dieser Zeilen weiß nicht, wie oben beschriebene, sozusagen soziale und nette Katzen soz. weiter zu integrieren sind, vielleicht fällt jemandem etwas ein?!
    Was ist hier i.p. “Habituation” möglich?

    MFG
    Dr. Webbaer (der Katzen, ihrer Natur entsprechend, nicht als Haustiere hält, sondern als hausnahe Tiere)

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